VwGH vom 16.02.2012, 2010/18/0169
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der F S N in W, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/29A, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/155.235/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine bosnische Staatsangehörige, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe am den österreichischen Staatsbürger J S. geheiratet und - auf diese Ehe gestützt - einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem Ehemann erhalten.
In der Folge gab die belangte Behörde detailliert zahlreiche, teilweise widersprüchliche Aussagen des Ehepaares anlässlich einer Vernehmung am , Erhebungsergebnisse sowie Aussagen von Zeuginnen und Zeugen (u.a. auch des Schwiegervaters der Beschwerdeführerin, des C C., der J B. und des A G.) wieder, aus denen sie schloss, dass eine Aufenthaltsehe vorliege.
Aus dem Akteninhalt ergibt sich u.a., dass J S. Alkoholiker war, am verstarb, und das Ehepaar zwei "Meldeadressen", nämlich in der B-Gasse und in der K-Gasse, hatte.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin behaupte, aus Liebe geheiratet zu haben. Es sei jedoch unter Bedachtnahme auf sämtliche Aussagen, insbesondere den zutage getretenen Widersprüchen zwischen den Angaben der Eheleute und den Erhebungsergebnissen davon auszugehen, dass die Ehe ausschließlich deshalb geschlossen worden sei, um der Beschwerdeführerin die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Bei den Vernehmungen hätten die Eheleute zwar durchaus (wenn auch wenige) gleichlautende Angaben gemacht, es liege jedoch im Wesen einer Aufenthaltsehe, durch gleichlautende Angaben ein gemeinsames Ehe- und Familienleben wahrheitswidrig glaubhaft zu machen. Das Eingehen der Aufenthaltsehe sei zum damaligen Zeitpunkt die nahezu einzige Möglichkeit für die Beschwerdeführerin gewesen, einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet zu erlangen.
Die von der Beschwerdeführerin beantragten Zeuginnen und Zeugen hätten nicht nur das Bestehen eines gemeinsamen Ehe- und Familienlebens nicht bestätigen können, sondern hätten sogar die Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe verstärkt. Beispielsweise habe die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung ausgeführt, einen sehr guten Kontakt zu ihren Schwiegereltern zu haben, was der Schwiegervater bei seiner Vernehmung jedoch vehement bestritten habe. Daraufhin habe sich die Beschwerdeführerin "in die Angabe geflüchtet", dass der Schwiegervater zu seinem Sohn keinen Kontakt gehabt und sich auch während ihrer Ehe nie um das Ehepaar gekümmert habe. Die Beschwerdeführerin habe Teile der Aussagen der von ihr selbst namhaft gemachten Zeuginnen und Zeugen relativiert und als unwahr dargestellt. Darüber hinaus sei es völlig lebensfremd, wenn die Beschwerdeführerin angebe, es habe ihr nichts ausgemacht, einen alkoholkranken Mann, den sie zuvor nie gesehen habe, zu heiraten, in ihrer Berufung jedoch ausführe, es sei ihr nicht möglich gewesen, mit ihrem Ehemann länger in der K-Gasse zu leben, weil er Alkoholiker sei. Ebenso seien die Angaben des J S. hinsichtlich der getrennten Wohnsitze mit einem gemeinsamen Ehe- und Familienleben nicht in Einklang zu bringen. Nicht nachvollziehbar sei auch, dass J S. zunächst angegeben habe, deshalb geheiratet zu haben, weil er nicht habe alleine sein wollen, in weiterer Folge jedoch angegeben habe, "es sei nicht so, dass man ständig beisammen sei, das wolle er auch gar nicht" und "oft sei er froh, wenn er sie einige Tage nicht sehe". Die Erhebungsberichte rundeten dieses Bild ab. Die Angaben der Beschwerdeführerin seien als bloße Schutzbehauptungen zu werten. "Selbst wenn die von ihr getätigte Angabe, dass sie ohnehin schon an Gedächtnisschwierigkeiten und Vergesslichkeit leide und ihre diesbezügliche Aussage am nur mit ihrer Krankheit im Zusammenhang mit den eingenommenen Medikamenten erklärbar sei, tatsächlich der Wahrheit entsprechen sollte", seien die übrigen dargestellten massiven Widersprüche und Erhebungsergebnisse mit dieser Argumentation nicht erklärbar.
Angesichts der Widersprüche in den Aussagen der Beschwerdeführerin und ihres verstorbenen Ehemannes, der übrigen Aussagen und der Erhebungen stehe sohin fest, dass die Beschwerdeführerin die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen habe, ohne mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinsames Familienleben geführt zu haben.
Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, welche die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertige. Die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 FPG seien gegeben.
Schließlich begründete die belangte Behörde, weshalb die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch gemäß § 66 FPG zulässig und im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens nicht davon Abstand zu nehmen gewesen sei.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde richtet sich im Wesentlichen gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung und bringt u. a. vor, sämtliche Zeuginnen und Zeugen hätten das Vorliegen eines gemeinsamen Familienlebens bestätigt. Auch sei die Tatsache, dass aufgrund des Alkoholproblems von J S. zwei Wohnungen vorhanden gewesen seien, keineswegs lebensfremd.
Dieses Vorbringen ist berechtigt.
Die belangte Behörde führte in ihrer Beweiswürdigung u. a. aus, die von der Beschwerdeführerin beantragten Zeuginnen und Zeugen hätten ein gemeinsames Ehe- und Familienleben nicht bestätigen können, ihre Aussagen hätten sogar die Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe verstärkt. Teile der Aussagen der von ihr selbst namhaft gemachten Zeuginnen und Zeugen habe die Beschwerdeführerin später relativiert oder als unwahr dargestellt.
Tatsächlich gab der Zeuge C C. bei seiner Vernehmung am an, er sei Hauswart im Wohnhaus in der K-Gasse. Zuerst habe er die Beschwerdeführerin und etwa eine Woche später J S. kennengelernt. Dieser sei bei ihrem ersten Zusammentreffen stark alkoholisiert gewesen. Als er ihn des Hauses verweisen habe wollen, habe ihm J S. gesagt, dass er dort wohne. Dieser habe sich tatsächlich in der Wohnung der Beschwerdeführerin aufgehalten und dort genächtigt. Der Zeuge könne jedoch nicht sagen, ob die beiden eine Aufenthaltsehe geführt hätten. Er könne lediglich angeben, dass J S. in der Wohnung gewohnt habe.
Die Zeugin J B. sagte bei ihrer Vernehmung am u.a. aus, die Eheleute hätten bis zum Tod von J S. zusammengelebt. In der Wohnung in der K-Gasse, in der sie bereits "tausendmal" gewesen sei, hätten die beiden bis 2007 gewohnt. Im Oktober 2007 habe J S. eine zweite Wohnung in der Bgasse genommen, weil die Beschwerdeführerin ihre Tochter aus der ersten Ehe nach Österreich habe bringen wollen und die Wohnung in der K-Gasse zu klein gewesen sei. Wenn J S. betrunken gewesen sei, habe er sich in der K-Gasse aufgehalten, ansonsten habe er mit der Beschwerdeführerin in der B-Gasse gewohnt. Wenn sie die Eheleute besucht habe, seien fast immer beide zuhause gewesen. Die beiden hätten sich gut verstanden. J S. habe zu ihr gesagt, dass er eine Frau haben und nicht alleine sterben wolle. Er habe ihr auch erzählt, dass ihn die Beschwerdeführerin aus Liebe geheiratet habe.
Der Zeuge A G. sagte bei seiner Vernehmung am u.a. aus, er kenne die Beschwerdeführerin seit 2007, seit sie mit J S. in der B-Gasse wohne. "Jedes Wochenende habe ich den J mit (der Beschwerdeführerin) dort gesehen." Über die Ehe könne der Zeuge nichts sagen.
Die Beschwerdeführerin hat zunächst in ihrer Berufung ausgeführt, einen sehr guten Kontakt zu ihren Schwiegereltern zu haben, hat diese Aussage später jedoch relativiert, nachdem ihr Schwiegervater bei seiner Vernehmung am einen guten Kontakt verneinte. Dieser hat auf die Frage, wie er sich mit der Beschwerdeführerin verstehe, wörtlich geantwortet: "Jetzt schlecht, weil ich mit ihr nicht mehr viel zu tun habe. Sie kommt ab und zu auf einen Kaffee zu uns." Die Beschwerdeführerin kenne er seit 2007 bzw. Anfang 2008; über das Eheleben seines verstorbenen Sohnes könne er nichts sagen, weil er die beiden lediglich zwei- oder dreimal (zusammen) gesehen habe, wenn sie zu Besuch gewesen seien; in einem Gasthaus habe man "einige Geburtstage gefeiert"; den Kontakt zu seinem Sohn habe er abgebrochen, weil dieser so viel getrunken habe.
Aus diesen Aussagen lässt sich - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - keinesfalls der Schluss ziehen, die Zeugin und die Zeugen hätten "nicht nur das Bestehen eines gemeinsames Ehe- und Familienleben nicht bestätigen können, sondern ihre Aussagen (hätten) die Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe sogar noch massiv verstärk(t)". Da die belangte Behörde nicht darlegt, auf welche konkreten Angaben und Ermittlungsergebnisse sie sich bei ihrer Beweiswürdigung stützt und aus welchem Grund sie den oben angeführten Aussagen keinen Glauben schenkt, erweist sich das Beschwerdevorbringen, wonach die Begründung der belangten Behörde nicht nachvollziehbar sei, als berechtigt.
Gleiches gilt für die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach die "Angaben des J S. hinsichtlich der getrennten Wohnsitze" mit einem gemeinsamen Ehe- und Familienleben nicht in Einklang zu bringen seien, weil die belangte Behörde keine Feststellungen zu der tatsächlichen Wohnsituation der Eheleute getroffen hat. Aus dem Fehlen eines gemeinsamen Wohnsitzes allein darf auch nicht geschlossen werden, dass kein Familienleben vorlag; der Begriff des in Art. 8 EMRK geschützten Familienlebens umfasst nämlich das Verhältnis zwischen Ehepartnern, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese tatsächlich zusammenleben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0051, mwN). Im Übrigen erscheint es auch nicht "völlig lebensfremd", wenn sich der Alkoholismus von J S. erst im Laufe des Zusammenlebens als zunehmende Belastung herausstellte und die Eheleute - angesichts dessen - nicht ständig beisammen sein wollten.
Im Hinblick auf die hinsichtlich der Führung eines Familienlebens fehlenden Feststellungen und das aus diesem Grund unvollständige Ermittlungsverfahren sowie die mangelhafte Beweiswürdigung war der angefochtene Bescheid - ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-80135