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VwGH vom 28.01.2020, Ra 2018/20/0464

VwGH vom 28.01.2020, Ra 2018/20/0464

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz, die Hofrätin Mag. Schindler sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revisionen der Österreichischen Botschaft Islamabad, Haus 7A, Straße 21, F 8/2, Islamabad, Pakistan, gegen die Erkenntnisse jeweils vom , Zlen. 1) W101 2186032-1/2E (zur Erstmitbeteiligten),

2) W101 2186024-1/2E (zum Zweitmitbeteiligten), 3) W101 2186026- 1/2E (zum Drittmitbeteiligten), 4) W101 2186029-1/2E (zur Viertmitbeteiligten), 5) W101 2186030-1/2E (zum Fünftmitbeteiligten), 6) W101 2186035-1/2E (zur Sechstmitbeteiligten), 7) W101 2186037-1/2E (zur Siebentmitbeteiligten) und 8) den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W101 2197815-1/2E (zur Achtmitbeteiligten), jeweils betreffend Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 (mitbeteiligte

Parteien: 1. M M, 2. A Q M, 3. A Q M, 4. F M, 5. M M M, 6. R M,

7. S M, und 8. M M, Zustellbevollmächtigter für alle Mitbeteiligten: D B),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

a) Das angefochtene Erkenntnis betreffend die Erstmitbeteiligte wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

b) Der angefochtene Beschluss betreffend die Achtmitbeteiligte wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst

Die übrigen Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Erstmitbeteiligte ist die Mutter der Zweit- bis Achtmitbeteiligten. Sämtliche Mitbeteiligte sind Staatsangehörige Afghanistans. Sie alle stellten am bei der Österreichischen Botschaft Islamabad per E-Mail Anträge auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Als Bezugsperson nannten sie einen am geborenen afghanischen Staatsangehörigen, der im Jahr 1982 nach Österreich gekommen und dem am in Österreich Asyl gewährt worden war. Im Jahr 1989 kehrte dieser nach Afghanistan zurück, heiratete dort am die Erstmitbeteiligte und gründete mit dieser eine Familie. Aus dieser Ehe sind die Zweit- bis Achtmitbeteiligten hervorgegangen. Am reiste die Bezugsperson wieder nach Österreich ein. Die Zweit- bis Achtmitbeteiligten haben zum Zeitpunkt der Antragstellung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. 2 Mit Bescheid vom wies die revisionswerbende Botschaft die Anträge von sämtlichen Mitbeteiligten gemäß § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in Verbindung mit § 35 AsylG 2005 ab. Zur Begründung verwies sie auf die seitens des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl erfolgte negative Mitteilung betreffend die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes.

3 Die Botschaft wies die dagegen erhobenen Beschwerden der Mitbeteiligten mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab und führte aus, dass die Botschaft an die negative Wahrscheinlichkeitsprognose des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gebunden sei. Davon abgesehen teile sie deren Rechtsansicht, dass keine Eigenschaft als Familienangehörige im Sinn des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 bestehe, weil die Ehe erst nach Asylanerkennung eingegangen worden sei.

4 Nach fristgerechten Vorlageanträgen gab das Bundesverwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen vom den erhobenen Beschwerden der Erst- bis Siebentmitbeteiligten jeweils statt, behob die verwaltungsbehördlichen Bescheide und die Beschwerdevorentscheidung en gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG und sprach jeweils aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit hier wesentlich - aus, die Botschaft sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, die Erst- bis Siebentmitbeteiligten seien keine Familienangehörige im Sinn des "§ 2 Abs. 1 Z 22 AsylG (2005) bzw. § 35 Abs. 5 AsylG" 2005. Die Ehe zwischen der Erstmitbeteiligten und der Bezugsperson habe bereits vor deren (neuerlicher) Einreise im Jahr 2015 bestanden. Hinsichtlich der Zweit- bis Siebentmitbeteiligten verwies es auf deren nach wie vor bestehende Minderjährigkeit. Die gegenständlichen Anträge auf Erteilung eines Einreisetitels seien am und damit innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des § 35 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016 (am ) eingebracht worden. Der Bezugsperson sei der Status des Asylberechtigten bereits am , somit davor, zuerkannt worden. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 24 AsylG 2005 seien daher die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 leg. cit. nicht zu erfüllen. Die Bescheide seien ersatzlos zu beheben. Die Behörde sei verpflichtet, den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Rechtszustand herzustellen und die entsprechenden Visa auszustellen.

5 In Bezug auf die Achtmitbeteiligte hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der Botschaft mit Beschluss vom zur Gänze auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurück. Unter einem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Das Bundesverwaltungsgericht führte begründend aus, dass die Achtmitbeteiligte zum Entscheidungszeitpunkt bereits die Volljährigkeit erreicht gehabt habe. Die Sachverhaltsfeststellungen

der Behörde erwiesen sich als gravierend mangelhaft, weil sie von der Minderjährigkeit der Achtmitbeteiligten ausgegangen sei und zur im Laufe des Verfahrens erlangten Volljährigkeit keinerlei Ausführungen bzw. Feststellungen getroffen habe. Dass die Behörde von Minderjährigkeit ausgegangen sei, ergebe sich aus der Begründung im Bescheid, insbesondere dem ersten Absatz, in dem die Achtmitbeteiligte als eines von mehreren "minderjährigen Kindern" namentlich mit Nennung ihres Geburtsdatums angeführt worden sei. Die Achtmitbeteiligte hätte zwingend von der nicht mehr bestehenden Minderjährigkeit und der diesbezüglichen Verfahrensrelevanz in Kenntnis gesetzt werden müssen. 6 Gegen diese Erkenntnisse bzw. den angeführten Beschluss wenden sich die vorliegenden Amtsrevisionen der Österreichischen Botschaft Islamabad.

7 Zur Zulässigkeit wird in den Revisionen geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer wie hier vorliegenden Fallkonstellation, in der die Bezugsperson nach Zuerkennung des Asylstatus in das Heimatland zurückgekehrt sei und dort geheiratet und eine Familie gegründet habe, aus der Kinder hervorgegangen seien, und erst nach einer neuerlichen Einreise der Bezugsperson (ohne neuerliche Zuerkennung des Asylstatus) von zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen Kindern und von der Ehegattin der Bezugsperson Einreiseanträge gestellt worden seien, und zur Frage, ob der Gesetzgeber bei der Beurteilung, ob diese als Familienangehörige gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 zu qualifizieren seien, auf die Familieneigenschaft (Geburt) bzw. auf das Bestehen einer Ehe vor der Zuerkennung des Asylstatus an die Bezugsperson abstelle.

8 Die erst- bis siebentangefochtenen Erkenntnisse stünden zudem im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine ersatzlose Behebung eines Bescheid(spruch)s eine Entscheidung in der Sache selbst sei, welche eine neuerliche Entscheidung über den Verfahrensgegenstand durch die Verwaltungsbehörde ausschließe. Durch die ersatzlose Behebung des verwaltungsbehördlichen Bescheides sei es der Österreichischen Botschaft Islamabad - entgegen dem Auftrag des Verwaltungsgerichts - verwehrt, eine neuerliche Entscheidung über die Visa, die bescheidmäßig zu erfolgen habe, zu treffen. Diese unvertretbare Verfahrenssituation begründe eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

9 Die Amtsrevision gegen den Zurückverweisungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Antrag der Achtmitbeteiligten macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit auch geltend, dass es bereits nach dem klaren Wortlaut des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 auf die im Laufe des Verfahrens erlangte Volljährigkeit nicht ankomme. Bei minderjährigen Kindern werde bei der Frage der Eigenschaft als Familienangehörige ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt. Die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung sei somit grob fehlerhaft erfolgt.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Durchführung von Vorverfahren - die Mitbeteiligten haben jeweils Äußerungen abgegeben - (in Bezug auf Spruchpunkt II in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat) erwogen:

11 Die Revisionen sind teilweise zulässig. Sie sind auch teilweise begründet.

12 Zur Zurückweisung der Revisionen (betreffend die Zweit- bis Siebentmitbeteiligten):

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 16 Die vorliegende Rechtssache gleicht, was die von der Revisionswerberin georteten Unklarheiten des Spruches anbelangt, in ihren wesentlichen Umständen - insbesondere betreffend Sachverhaltskonstellation und Begründungsduktus des Verwaltungsgerichts - jener, in der mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/18/0491 bis 0492, entschieden wurde. Es kann daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz iVm Abs. 9 VwGG auf dessen Begründung verwiesen werden. Zusammengefasst hat der Verwaltungsgerichtshof darin ausgeführt, dass ausgehend von Spruch und Begründung des Erkenntnisses kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Botschaft die beantragten Visa auszustellen hat, woran auch der Umstand, dass in der Begründung von ersatzloser Behebung die Rede ist, nichts zu ändern vermag. Mit der - so wie auch im hier vorliegenden Fall - in der Revision thematisierten abstrakten Rechtsfrage der Einordnung der vorliegenden bekämpften Behebung wird keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. 17 Aber auch mit ihrem Vorbringen, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob der Gesetzgeber bei der Beurteilung, ob ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind als Familienangehöriger im Sinn des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 zu qualifizieren ist, dem die Einreise zu gewähren ist, darauf abstelle, dass dieses bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Asylstatus der Bezugsperson geboren ist, wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

18 Ist die Rechtslage nämlich nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, und zwar selbst dann, wenn zu einer dieser anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen wäre (vgl. etwa , mwN). 19 Gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 in der zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Erkenntnisse im Juli 2018 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 ist (u.a.) Familienangehöriger, wer zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

20 Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht ist für die Qualifikation von minderjährigen ledigen Kindern als Familienangehörige nach dem klaren Wortlaut des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich. Dem Eintritt der Volljährigkeit vor dem Entscheidungszeitpunkt kommt somit keine Bedeutung zu. Der Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist ebenfalls nicht maßgeblich. Dass der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen Eltern und leiblichen Kindern unabhängig von Zeitpunkt ihrer Geburt schützen wollte, wird auch in den Materialien zum Fremdenrechtspaket 2005 (RV 952 BlgNR 22. GP, 31) zum insoweit gleichlautenden Wortlaut der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zum Ausdruck gebracht, wonach "nach Verlassen des Herkunftsstaates geborene Kinder von der Begriffsbestimmung jedenfalls erfasst" werden. Ebensowenig ist für die Rechtsstellung von minderjährigen ledigen Kindern von anerkannten Flüchtlingen das Bestehen einer Ehe maßgeblich (vgl. und 0514, unter Hinweis auf , zur vergleichbaren Rechtslage vor BGBl. I Nr. 145/2017).

21 Lediglich der Vollständigkeit halber sei aber angemerkt, dass der Einwand der Revisionswerberin in den Revisionsgründen, die Regelung des § 35 Abs. 1 letzter Satz iVm § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005, die für die Frage, ob neben der Familienzugehörigkeit auch ökonomische Voraussetzungen gegeben sein müssen, auf den Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abstelle, spreche für ihren Standpunkt, schon deshalb ins Leere geht, weil im hier vorliegenden Fall die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an die Bezugsperson unstrittig bereits am erfolgte, sohin weit vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 am . Der Antrag nach § 35 AsylG 2005 wurde von den Mitbeteiligten am gestellt, somit innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016, sodass aufgrund der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 24 vierter Satz AsylG 2005 die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 nicht zu erfüllen waren. Abgesehen davon lässt sich aus der ins Treffen geführten Bestimmung eine Bezugnahme auf das Bestehen einer familiären Bindung zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht ableiten, zumal nach § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 trotz Ermangelung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 Z 1 bis 3 AsylG ein Einreisetitel erteilt werden kann, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

22 Auch mit dem Vorbringen in den Revisionsgründen, wonach es auf die Familieneigenschaft vor Zuerkennung des Asylstatus an die Bezugsperson ankomme, weil es zwar nach der hier anzuwendenden Rechtslage nicht mehr auf die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinn von Art. 8 EMRK ankomme, aber der "Gedanke des Konnexes" zwischen "Hauptasylwerber" und "Erstreckungswerber", welchen der Verwaltungsgerichtshof zur Regelung des § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997 idF vor der AsylG-Novelle 2003 in seinem Erkenntnis vom , 2001/01/0429, festgehalten habe, nämlich dass materielle Voraussetzung für die Asylerstreckung sei, dass dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinn von Art. 8 EMRK in einem anderen Staat nicht möglich sei, weiterhin aufrecht bleibe, lässt sich für den Standpunkt der Revisionswerberin nichts gewinnen. Die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens bzw. ein sonstiger "Konnex" ist für die Frage, ob die Antragsteller als minderjährige ledige Kinder der asylberechtigten Bezugsperson unter die Legaldefinition des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 fallen, irrelevant. Abgesehen davon wird in der Revision das Nichtbestehen eines Familienlebens nicht behauptet.

23 Die Amtsrevisionen gegen die zweit- bis siebentangefochtenen Erkenntnisse vermögen daher keine Rechtsfragen aufzuwerfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen waren. 24 Zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses betreffend die Achtmitbeteiligte:

25 Die Amtsrevision und auch die Achtmitbeteiligte in ihrer Äußerung vom machen der Sache nach geltend, dass die Voraussetzungen für die vom Bundesverwaltungsgericht auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützte Zurückverweisung nicht vorliegen.

26 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. zum Ganzen etwa , mwN).

27 Das Bundesverwaltungsgericht beruft sich in seiner Entscheidung zwar auf diese Rechtsprechung, zeigt aber keine solchen Ermittlungsmängel auf, die eine auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützte Aufhebung und Zurückverweisung gerechtfertigt erscheinen ließen.

28 Die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Ansicht, die Zurückverweisung sei gerechtfertigt, weil die Botschaft keinerlei Ermittlungen zur maßgeblichen Frage durchgeführt habe, ob die Achtmitbeteiligte minderjähriges oder volljähriges Kind der Bezugsperson sei, und zu ihrer im Laufe des Verfahrens erlangten Volljährigkeit keine Feststellungen getroffen habe, vermag den angefochtenen Beschluss nicht zu tragen. Wenngleich im Bescheid der revisionswerbenden Botschaft die Achtmitbeteiligte als eines von mehreren minderjährigen Kindern bezeichnet wird, so weist das Bundesverwaltungsgericht selbst darauf hin, dass im Bescheid das Geburtsdatum der Achtmitbeteiligten ohnehin angeführt ist. Da im Verwaltungsakt auch der von dem damaligen Rechtsvertreter vorgelegte Reisepass der Achtmitbeteiligten erlag, aus dem deren Geburtsdatum ebenfalls ersichtlich ist, bleibt es im Dunkeln, welche Ermittlungsschritte im Zusammenhang mit dem Alter der Achtmitbeteiligten noch erforderlich sein sollen.

29 Wie bereits ausführlich dargelegt, ist für die Qualifikation von minderjährigen ledigen Kindern als Familienangehörige nach dem klaren Wortlaut der Zeitpunkt der Antragstellung nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 ausschlaggebend. Dem Eintritt der Volljährigkeit vor dem Entscheidungszeitpunkt kommt hingegen keine Bedeutung zu (siehe Rn. 20).

30 Die tragenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts für die Vorgangsweise nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG sind daher nicht stichhältig. Die gegenständliche Amtsrevision erweist sich damit als zulässig und berechtigt, sodass der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

31 Zur Aufhebung des erstangefochtenen Erkenntnisses betreffend die Erstmitbeteiligte:

32 Die Amtsrevision erweist sich aus den von der revisionswerbenden Botschaft ins Treffen geführten Gründen, wonach das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht eine Eigenschaft der Erstmitbeteiligten als Familienangehörige im Sinn des § 35 Abs. 5 AsylG bejaht und bei der Beurteilung des Bestehens einer Ehe auf den Zeitpunkt der Wiedereinreise der asylberechtigten Bezugsperson im Jahr 2015 abgestellt habe, als zulässig und begründet:

33 Nach der Legaldefinition des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 muss eine Ehe bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden haben, damit ein Ehegatte unter den Familienangehörigenbegriff fällt.

34 Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit der "Einreise" die erstmalige Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten in das Bundesgebiet gemeint ist (in diesem Sinn bereits zu § 4 AsylG 1991, der nach seinem Wortlaut ebenfalls auf das Bestehen der Ehe schon vor der Einreise des Asylwerbers abstellte, ). 35 Das Bundesverwaltungsgericht hat somit die Rechtslage verkannt, wenn es auf die (Wieder)Einreise der Bezugsperson nach Österreich im Jahr 2015 abgestellt hat. Da die asylberechtigte Bezugsperson vor der Asylgewährung bereits im Jahr 1982 nach Österreich eingereist ist, die Ehe unstrittig jedoch erst im Jahr 1998 geschlossen wurde, ist die Erstmitbeteiligte nicht als Familienangehörige im Sinn des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 anzusehen. 36 Die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber nur eine von mehreren im österreichischen Recht vorgesehenen Möglichkeiten der Familienzusammenführung dar. Mit dem Hinweis auf den asylspezifischen Zweck des § 35 AsylG 2005 hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass die Familienzusammenführung in Fällen, in denen den nachziehenden Familienangehörigen ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 nicht offensteht, über das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zu erfolgen hat (vgl. etwa , mwN). Fehlt die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinn des § 35 AsylG 2005, weil die Ehe - so wie im hier vorliegenden Fall - erst zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen wurde, besteht deshalb die Möglichkeit der Familienzusammenführung nach anderen Bestimmungen. Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG ist Familienangehörigen (nach der Begriffsbestimmung des Familienangehörigen in § 2 Abs. 1 Z 9 NAG kommt es bei Ehegatten im Anwendungsbereich des NAG auf Zeit und Ort der Eheschließung nicht an) von Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles (des NAG) erfüllen, ein Quotenplatz vorhanden ist, der Zusammenführende Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt. Dabei hat der Gesetzgeber auch Vorkehrungen getroffen, um selbst im Fall des Fehlens von Voraussetzungen, die an sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben sein müssen, eine Verletzung von aus Art. 8 EMRK herrührenden Rechten hintanzuhalten (vgl. ).

37 Die Erstmitbeteiligte macht in ihrer Äußerung zur Revision vom unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach im Verfahren nach § 35 AsylG 2005 auch eine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sei, geltend, dass in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keine Rechtswidrigkeit erblickt werden könne.

38 Der Verfassungsgerichtshof hat - wie die Erstmitbeteiligte zutreffend hinweist - bereits festgehalten, dass auch in Visaverfahren nach § 35 AsylG 2005 die Einhaltung des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen und sicherzustellen ist (vgl. ; , E 1510-1511/2015-15; dem folgend , Rn. 33). Es wurde allerdings im hier vorliegenden Fall bislang keiner Prüfung unterzogen, ob es geboten wäre, der Erstmitbeteiligten - ungeachtet dessen, dass ihr im Weg des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt werden könnte - die sofortige Einreise unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK zur Wahrung des Familienlebens zu gestatten. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts enthält auch keine näheren Feststellungen, die eine solche Beurteilung ermöglichen würden.

39 Indem das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Erstmitbeteiligte unter den Familienangehörigenbegriff des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 fällt, war das erstangefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018200464.L00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

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