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VwGH vom 05.03.2020, Ra 2018/19/0576

VwGH vom 05.03.2020, Ra 2018/19/0576

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W151 2168748- 1/14E, W151 2168800-1/14E, W151 2168802-1/11E, W151 2168804-1/12E, W151 2168797-1/13E, W151 2178623-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. H A, 2. N A, 3. U A, 4. Y A, 5. H A, und 6. M A, alle vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die mitbeteiligten Parteien sind Staatsangehörige von Afghanistan. Die Erstmitbeteiligte ist mit dem Zweitmitbeteiligten verheiratet. Die Dritt- bis Sechstmitbeteiligten sind ihre minderjährigen Kinder. Die Erst- bis Viertmitbeteiligten stellten am Anträge auf internationalen Schutz. Die Fünftmitbeteiligte stellte am , die Sechstmitbeteiligte am jeweils einen solchen Antrag.

2 Als Fluchtgründe brachten die Erst- und der Zweitmitbeteiligte vor, sie seien auf Grund der Feindschaft mit einem mächtigen Mann, den die Erstmitbeteiligte nicht geheiratet habe, in den Iran geflohen. Von dort sei der Zweitmitbeteiligte nach Afghanistan abgeschoben worden. Nach seiner Rückkehr in den Iran hätte ihm eine Zwangsrekrutierung für den Krieg in Syrien gedroht, weshalb die Familie geflüchtet sei. In Afghanistan drohe der Familie Verfolgung wegen der Feindschaft mit jenem Mann, den die Erstmitbeteiligte nicht geheiratet habe. Die Dritt- bis Sechstmitbeteiligten hätten keine eigenen Fluchtgründe. 3 Mit Bescheiden vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der mitbeteiligten Parteien hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab, erkannte ihnen jedoch den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen. 4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten gerichteten Beschwerden der mitbeteiligten Parteien statt, erkannte ihnen diesen Status zu, stellte fest, dass ihnen kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme und sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die Fluchtgründe der Erstmitbeteiligten seien nicht glaubwürdig. Die vom Zweitmitbeteiligten vorgebrachte Zwangsrekrutierung im Iran sei nicht im Herkunftsstaat erfolgt und daher nicht asylrelevant. 6 Hinsichtlich der Dritt- bis Sechstrevisionswerber stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass diese im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevanter psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen, wie etwa Kinderarbeit und Unterernährung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären. Diese Feststellung ergebe sich beweiswürdigend aus den zu Grunde gelegten Länderberichten. 7 Zur Lage im Herkunftsstaat traf das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen betreffend die Situation von Frauen und Kindern in Afghanistan in Form von Auszügen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom und der EASO, Country Guiddance: Afghanistan, June 2018.

8 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es sehe eine Asylrelevanz "aufgrund der Rückkehrsituation der minderjährigen Kinder gemeinsam mit einer geschlechtsspezifischen Verfolgungsgefahr der minderjährigen Töchter" der Erstrevisionswerberin und des Zweitrevisionswerbers als gegeben. Im Hinblick auf die rezenten Länderinformationen zur allgemeinen Lage von Kindern und insbesondere minderjährigen Mädchen in Afghanistan bestünden konkrete Anhaltspunkte "für eine asylrelevante Verfolgungsgefahr dieser Personengruppen" im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan. Besonders in Familien mit bildungsschwachen Eltern, wie der Erstrevisionswerberin und dem Zweitrevisionswerber, sei die Gefahr von Kinderarbeit gegeben. Dabei und auch sonst komme es oft zu sexuellen Übergriffen auf minderjährige Mädchen im öffentlichen Raum. Für den minderjährigen Viertrevisionswerber bestehe die Gefahr, als Tanzjunge herangezogen zu werden. Die persönliche Situation der Eltern (Analphabeten ohne Schul- und Berufsbildung, die Afghanistan im Erwachsenenalter nicht kennen würden, sodass von geringen Erwerbschancen auszugehen sei) begründe die Prognose, dass die minderjährigen Dritt- bis Sechstrevisionswerber bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer als asylrelevant einzustufenden Gefahr, psychischer und/oder physischer Gewalt, Kinderarbeit oder Unterernährung ausgesetzt seien.

9 Der Erstrevisionswerberin und dem Zweitrevisionswerber sei gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 im Familienverfahren ebenfalls der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision der belangten Behörde. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der die Zurück-, in eventu die Abweisung der Revision beantragt wird.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, wonach die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in einem kausalen Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen müsse. Das Erkenntnis sei auch mangelhaft begründet, weil sich aus den herangezogenen Länderinformationen die angenommene asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht ergebe, zumal die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber angegeben hätten, dass die Dritt- bis Sechstrevisionswerber keine eigenen Fluchtgründe hätten. Sollte das Bundesverwaltungsgericht von einer Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der (minderjährigen) afghanischen Mädchen und Buben ausgehen, fehle Rechtsprechung zur Frage, ob diese eine soziale Gruppe iSd. GFK bzw. der Status-RL darstellten. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich aber auch nicht mit den für das Vorliegen einer Verfolgung aus diesem Grund bestehenden rechtlichen Voraussetzungen auseinandergesetzt und auch keine entsprechenden Feststellungen getroffen.

13 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 14 Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. , mwN).

15 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. , mwN).

16 Bei der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Gefahr von psychischer und/oder physischer Gewalt, Kinderarbeit oder Unterernährung handelt es sich nicht um Konventionsgründe, sondern - unter bestimmten Umständen - um mögliche Verfolgungshandlungen (vgl. zur Unterscheidung von Verfolgungshandlung und Verfolgungs- (Konventions-)grund ; Art. 9 und 10 Status-RL bzw. § 2 Abs. 1 Z 11 und 12 AsylG 2005;Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 3 AsylG 2005 K55). 17 Als Konventionsgrund spricht das Bundesverwaltungsgericht in der rechtlichen Beurteilung eine geschlechtsspezifische Verfolgung der Dritt- bis Sechstrevisionswerber bzw. eine Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe an. 18 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können verschiedene Formen einer geschlechtsspezifischen Verfolgung unter dem Aspekt der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK asylrelevant sein (vgl. ; , Ra 2019/18/0195).

19 Zwar gehen aus den Feststellungen des BVwG Benachteiligungen und Risiken für Kinder, insbesondere auch durch Kinderarbeit, Unterernährung oder sexuelle Übergriffe, hervor. Den Feststellungen des BVwG ist aber nicht zu entnehmen, dass Kinder wie die Dritt- bis Sechstrevisionswerber - mögen sie auch aus einer sozial schwachen Familie kommen - von asylrelevanter Verfolgung bedroht wären. Es kommt somit auf die Klärung der in der Revision angesprochenen Frage, ob Kinder in Afghanistan als eine bestimmte soziale Gruppe iSd. Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie anzusehen sind, nicht entscheidungswesentlich an (vgl. , mwN).

20 Das Bundesverwaltungsgericht hat aber auch nicht dargelegt, dass und warum für die (mit ihren Eltern aufwachsenden) Dritt- bis Sechstrevisionswerber - aus einem anderen Konventionsgrund als jenem der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung durch psychische und/oder physische Gewalt, Kinderarbeit oder Unterernährung bestehen sollte. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dafür in sehr allgemeiner Form auf die Situation ihrer Eltern abstellt, wird damit eine asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht begründet. 21 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018190576.L00

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