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VwGH vom 24.01.2007, 2006/04/0102

VwGH vom 24.01.2007, 2006/04/0102

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Papst, über die Beschwerde der S AG in S, vertreten durch Dr. Dietmar Czernich, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Boznerplatz 4, gegen den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom , Zl. 17F-4/05-14, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs einer Ausschreibung (mitbeteiligte Partei: WKV GmbH in F) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchteil I. wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei, die zur Gänze im Eigentum der Wirtschaftskammer Vorarlberg steht, errichtet in Dornbirn zur Erweiterung des WIFI ein Bildungs- und Wissenszentrum und hat dafür u.a. Baumeisterarbeiten als eigenes Los des Gesamtvorhabens ausgeschrieben. Der geschätzte Gesamtauftragswert beträgt EUR 17.272.980,--, der geschätzte Auftragswert des gegenständlichen Bauloses beträgt EUR 5.958.629,--. Die Ausschreibung erfolgte im offenen Verfahren nach den Rechtsvorschriften für den Oberschwellenbereich. Der Zuschlag sollte dem wirtschaftlich günstigsten Angebot nach näher genannten Kriterien erteilt werden. Am traf die mitbeteiligte Partei die Zuschlagsentscheidung zu Gunsten einer Bietergemeinschaft, der die Beschwerdeführerin nicht angehört.

Am beantragte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung, weil in der Ausschreibung die Mindestkriterien für die Gleichwertigkeit von Alternativangeboten im Sinne des § 69 Abs. 2 Bundesvergabegesetz 2002 (im Folgenden kurz: BVergG) gefehlt hätten. Daraufhin widerrief die mitbeteiligte Partei am die gegenständliche Ausschreibung und die belangte Behörde wies mit Bescheid vom den Antrag der Beschwerdeführerin auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung zurück.

Mit "Feststellungsantrag gem. § 164 iVm § 175 BVergG" vom beantragte die Beschwerdeführerin, die belangte Behörde möge aussprechen, dass der Widerruf der Ausschreibung durch die mitbeteiligte Partei vom rechtswidrig gewesen sei.

Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid unter Spruchpunkt I. (nur dieser ist nach dem Inhalt der Beschwerde angefochten) gemäß § 168 Abs. 3 BVergG zurück. Sie begründete ihre Entscheidung zusammengefasst damit, dass die Beschwerdeführerin unter Bedachtnahme auf das Gemeinschaftsrecht (Hinweis auf Art. 2 Abs. 6 der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG und die dazu ergangenen Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom "Hospital Ingenieure II", Rs C-92/00, und vom , "Koppensteiner", Rs C-15/04) die Möglichkeit gehabt hätte, die Nichtigerklärung des Widerrufs der Ausschreibung im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 163 Abs. 1 BVergG zu beantragen. Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeute dies, dass der in Rede stehende Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin habe zurückgewiesen werden müssen, weil ein Feststellungsbegehren gegenüber einem Antrag auf Nichtigerklärung gemäß § 168 Abs. 3 BVergG subsidiär sei (Hinweis auf Thienel in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, Bundesvergabegesetz 2002, § 162 Rz 230). Nach der letztgenannten Bestimmung sei nämlich u.a. ein Feststellungsantrag gemäß § 162 Abs. 5 BVergG (Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufes einer Ausschreibung) unzulässig, wenn der Antragsteller den behaupteten Verstoß in einem Verfahren zur Nichtigerklärung hätte geltend machen können.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom , B 134/06-12, abgelehnt und sie mit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die von der Beschwerdeführerin ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf inhaltliche Feststellung, dass der Widerruf der Ausschreibung rechtswidrig war, verletzt. Sie bringt dazu vor, gemäß § 162 Abs. 5 BVergG sei das Bundesvergabeamt zuständig, festzustellen, ob der Widerruf einer Ausschreibung rechtswidrig war. Hingegen sei im BVergG die Nichtigerklärung des Widerrufs einer Ausschreibung nicht vorgesehen, weil § 163 Abs. 1 BVergG für einen Nachprüfungsantrag das Vorliegen einer gesondert anfechtbaren Entscheidung verlangt. Die Widerrufsentscheidung sei aber gemäß § 20 Z 13 BVergG nicht gesondert anfechtbar. Die Ansicht der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin hätte den gegenständlichen Widerruf der Ausschreibung ausschließlich in einem Nachprüfungsverfahren bekämpfen können, sei daher rechtswidrig. Daran könnten auch die von der belangten Behörde zitierten Urteile des EuGH nichts ändern, weil nach diesen wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit konkreter Bestimmungen der Rechtsmittelrichtlinie zwar das Recht, nicht aber die Pflicht bestehe, eine Widerrufsentscheidung anzufechten. Es sei ständige Rechtsprechung des EuGH, dass sich die Behörden der Mitgliedstaaten gegenüber Privaten nicht zu deren Lasten auf eine unvollständige Umsetzung einer Richtlinie berufen könnten. Ungeachtet dessen sei im Beschwerdefall zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin bei Einbringung des gegenständlichen Feststellungsantrages vom noch nicht in Kenntnis des von der belangten Behörde ins Treffen geführten "Koppensteiner" habe sein können, weil dieses Urteil erst später in den juristischen Fachzeitschriften besprochen worden sei.

Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist ausschließlich die Frage, ob die belangte Behörde den in Rede stehenden Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin zurückweisen durfte oder ob sie über diesen Antrag hätte meritorisch absprechen müssen. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () sind im vorliegenden Fall die Bestimmungen des Bundesvergabegesetz 2002 - BVergG maßgebend.

Gemäß § 162 Abs. 5 BVergG ist das Bundesvergabeamt nach Widerruf einer Ausschreibung zuständig, festzustellen, ob der Widerruf wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz rechtswidrig war.

Gemäß § 168 Abs. 3 BVergG ist ein Antrag auf Feststellung (u.a.) gemäß § 162 Abs. 5 leg. cit. unzulässig, sofern der behauptete Verstoß im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 163 geltend gemacht hätte werden können.

Gemäß § 163 Abs. 1 leg. cit. kann ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages behauptet, die Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Im vorliegenden Beschwerdefall ist unstrittig, dass nach § 163 Abs. 1 BVergG - zumindest nach seinem Wortlaut - ein Verfahren zur Nachprüfung (Nichtigerklärung) des Widerrufs einer Ausschreibung nicht in Betracht kommt, weil gemäß § 163 Abs. 1 BVergG nur eine gesondert anfechtbare Entscheidung der Nachprüfung zugänglich ist, was gemäß § 20 Z 13 BVergG auf die Entscheidung über den Widerruf einer Ausschreibung nicht zutrifft.

Die belangte Behörde meint vielmehr, der Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin sei deshalb im Grunde des § 168 Abs. 3 BVergG unzulässig, weil die Beschwerdeführerin die behauptete Rechtswidrigkeit des Widerrufs der Ausschreibung, wie sich aus der von ihr zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ergebe, schon auf Grund unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts im Rahmen eines Antrages auf Nichtigerklärung hätte geltend machen können.

Der Europäische Gerichtshof hat im Urteil vom , Rechtssache C-92/00 ("Hospital Ingenieure") ausgesprochen, Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG verlange, dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, die Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrags zu widerrufen, in einem Nachprüfungsverfahren auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden kann (Rz 55).

An dieses Urteil anknüpfend hat der EuGH in seinem Urteil vom , Rechtssache C-15/04 ("Koppensteiner"), ausgeführt, dass Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 89/665/EWG einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es ausschließt, Entscheidungen über den Widerruf einer Ausschreibung zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben, und dass die Bestimmungen dieser Richtlinie hinreichend genau sind, um ein Recht für einen Einzelnen zu begründen, auf das sich dieser gegebenenfalls gegenüber einer Vergabebehörde berufen kann (Rz 36 ff).

Ausgehend von diesen beiden Urteilen des EuGH vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid und in der Gegenschrift zunächst zutreffend die Auffassung, der Beschwerdeführerin komme unmittelbar auf Grund der Rechtsmittelrichtlinie die "Möglichkeit" zu, nicht nur die Überprüfung, sondern auch die Aufhebung der Widerrufsentscheidung der mitbeteiligten Partei durch die belangte Behörde zu verlangen. Daraus leitet die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht jedoch ab, die Beschwerdeführerin sei nur berechtigt, die Aufhebung der Widerrufsentscheidung (und nicht bloß die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit) zu begehren, weil das bloße Feststellungsbegehren gemäß § 168 Abs. 3 BVergG nur subsidiär vorgesehen und daher gegenständlich unzulässig sei.

Damit versagt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin den durch § 162 Abs. 5 BVergG begründeten Anspruch auf Erlassung eines Feststellungsbescheides, indem sie ihr die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie 89/665/EWG (konkret das aus dieser Richtlinie direkt abzuleitende Recht, die Aufhebung des Widerrufs zu verlangen) entgegen hält. Diese Vorgangsweise ist nach dem Gemeinschaftsrecht unzulässig:

In einem Fall wie dem vorliegenden ist nämlich zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (vgl. schon das "Marshall") eine Richtlinie dann nicht unmittelbar anwendbar ist, wenn sie auf den einzelnen Bürger belastend wirkt. Es wäre, so der , "Faccini Dori", Slg. 1994, I-3325, (Rz 23) nicht hinnehmbar, dass der Staat, dem der Gemeinschaftsgesetzgeber den Erlass bestimmter Vorschriften vorschreibt, sich auf die Nichterfüllung seiner Verpflichtungen berufen könnte, um den Bürgern diese Rechte zu versagen.

Übertragen auf den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, dass der Beschwerdeführerin zwar auf Grund unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts der Anspruch zukam, von der Behörde die Überprüfung des Widerrufes der Ausschreibung und für den Fall seiner Rechtswidrigkeit dessen Aufhebung zu verlangen (vgl. nochmals die zitierten Urteile des EuGH in den Rechtssachen "Hospital Ingenieure" und "Koppensteiner"). Umgekehrt durfte sich die belangte Behörde gegenüber der Beschwerdeführerin aber nicht auf die unzureichende Umsetzung der Richtlinie 89/665/EWG und auf deren unmittelbare Anwendbarkeit berufen, um der Beschwerdeführerin das gemäß § 162 Abs. 5 BVergG zustehende Recht zu versagen, einen Feststellungsbescheid über den Widerruf der Ausschreibung zu erlangen. Gegenteiliges ist auch der im angefochtenen Bescheid zitierten Literaturstelle betreffend die Subsidiarität des Feststellungsbegehrens nicht zu entnehmen, weil der gegenständlich entscheidungsrelevante Umstand, dass die Zulässigkeit des Nachprüfungsverfahrens aus der unmittelbaren Anwendung einer Richtlinie resultiert, dort nicht behandelt wird.

Um daher dem nach der Rechtsprechung des EuGH bestehenden Grundsatz, dass sich mitgliedstaatliche Behörden gegenüber Privaten nicht auf eine unvollständig umgesetzte Richtlinie berufen können (vgl. dazu auch Mayer, Kommentar zu EU- und EG-Vertrag, 2004, Rz 72 zu Art. 249 EGV und die dort angeführten weiteren Urteile des EuGH), innerstaatlich zum Durchbruch zu verhelfen, gilt § 168 Abs. 3 BVergG nicht - wie hier - für einen Fall, in dem ein Verstoß im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens nur auf Grund der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Richtlinie geltend gemacht werden kann.

Da dem angefochtenen Bescheid die gegenteilige Rechtsansicht zu Grunde liegt, war dieser hinsichtlich des angefochtenen Spruchpunktes I. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das auf die Erstattung der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese im Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.

Wien, am