VwGH vom 29.11.2018, Ra 2018/19/0525
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W105 2156019-2/4E, betreffend Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: B T, derzeit unbekannten Aufenthalts), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.
Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Mitbeteiligte bereits am in Polen und am in Deutschland erkennungsdienstlich behandelt worden war.
Nach Konsultationen mit Deutschland und Polen teilten letztlich die deutschen Behörden mit Schreiben vom mit, dass Deutschland dem von Österreich gestellten Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-Verordnung) ausdrücklich zustimme.
2 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück und sprach aus, dass Deutschland für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung zuständig sei. Unter einem erließ das BFA eine Anordnung zur Außerlandesbringung und stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Deutschland zulässig sei.
3 Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom wurde der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten stattgegeben und der bekämpfte Bescheid aufgehoben. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass in Hinblick auf die Behauptung des Mitbeteiligten, über drei Monate in Russland und damit außerhalb der Europäischen Union gewesen zu sein, ein möglicher Erlöschenstatbestand betreffend die Zuständigkeit Deutschlands eingetreten sein könnte. Angesichts der vom Mitbeteiligten vorgelegten Zugfahrkarten sei vom BFA der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht ermittelt worden.
4 Mit E-Mail vom wurde Deutschland mitgeteilt, dass der Beschwerde des Mitbeteiligten aufschiebende Wirkung zuerkannt und der angefochtene Bescheid mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom aufgehoben worden sei. Die Überstellungsfrist habe daher mit dieser Entscheidung neu zu laufen begonnen.
Mit Schreiben vom wurde Deutschland um Mitteilung ersucht, ob die Zustimmung zur Übernahme des Mitbeteiligten vom noch aufrecht sei. Deutschland teilte am mit, dass die Zustimmung zur Wiederaufnahme noch Bestand habe und die Überstellungsfrist am ende.
5 Daraufhin wies das BFA mit Bescheid vom den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz neuerlich gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück und sprach aus, dass Deutschland für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Deutschland zulässig sei. Das BFA begründete dies damit, dass die von Deutschland erteilte Zustimmung zur Übernahme nach wie vor aufrecht sei und sich die vom Mitbeteiligten aufgestellte Behauptung bezüglich seines drei Monate übersteigenden Aufenthalts außerhalb der Europäischen Union bei einer Gesamtbetrachtung trotz der vorgelegten Beweismittel als unglaubwürdig erweise. Es lägen somit keine Hinweise dafür vor, dass zwischenzeitig die Zuständigkeit Deutschlands erloschen wäre.
6 Mit Erkenntnis vom gab das Bundesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt, ließ das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zu und hob den bekämpften Bescheid auf. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. In der Begründung hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Überstellung des Mitbeteiligten nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung festgelegten Frist von sechs Monaten erfolgt sei. Diese habe mit der Zustellung der aufhebenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom , das heißt mit , neu zu laufen begonnen. Die Frist sei daher mit abgelaufen. Die Verfristungsbestimmungen der Dublin III-Verordnung würden einen Zuständigkeitsübergang normieren bzw. eine Zuständigkeitsbegründung jenes Mitgliedstaates vorsehen, der die Überstellung nicht während dieser Frist durchgeführt habe. Im vorliegenden Fall habe somit ein Zuständigkeitsübergang gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung stattgefunden. Österreich sei demnach für die Führung des materiellen Verfahrens zuständig.
7 Das BFA erhob gegen dieses Erkenntnis außerordentliche Revision. Darin führte es - unter Verweis auf einen beigelegten Bericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich - aus, dass der Mitbeteiligte am nach Deutschland überstellt worden sei. Die Überstellung sei am nächsten Tag im Zentralen Fremdenregister (§ 27 BFA-VG) eingetragen worden. Am habe die zuständige Behörde gemäß § 15 Abs. 2a Meldegesetz 1991 die mitbeteiligte Partei im Zentralen Melderegister abgemeldet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 In der Revision wird zu Ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beweiswürdigung, zur Begründungspflicht, zur Ermittlungspflicht sowie zum Parteiengehör und Überraschungsverbot ab, weil das Bundesverwaltungsgericht eine unterbliebene Überstellung feststellte, ohne Ermittlungen hiezu zu führen und ohne dem BFA Parteiengehör zu dieser von ihm angenommenen Tatsache einzuräumen.
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. , mwN).
12 Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den § 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (vgl. etwa -0285, mwN).
13 Diesen Vorgaben entspricht das angefochtene Erkenntnis nicht:
14 Das Bundesverwaltungsgericht stellte als "entscheidungsrelevanten Sachverhalt" unter anderem fest, dass der Mitbeteiligte nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung festgelegten Frist von sechs Monaten überstellt worden sei. Zur Beweiswürdigung führte das Bundesverwaltungsgericht lediglich aus, dass sich die Feststellungen zum Verfahrensgang aus dem Verfahrensakt ergäben.
15 Wie in der Revision nachweislich dargelegt, wurde der Mitbeteiligte am , also innerhalb der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen sechsmonatigen Frist, nach Deutschland überstellt.
16 Indem das Bundesverwaltungsgericht keine Ermittlungsschritte dahingehend setzte, ob der Mitbeteiligte innerhalb der Frist nach Deutschland überstellt wurde oder nicht, hat es den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt nicht vollständig bzw. richtig ermittelt und festgestellt. Eine amtswegige Überprüfung, ob eine Überstellung erfolgte oder nicht, war im vorliegenden Fall vor allem in Hinblick darauf geboten, dass - soweit aus den Akten ersichtlich - über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entschieden wurde.
Der vorliegende Begründungsmangel erweist sich für den Ausgang des Verfahrens als entscheidungswesentlich, weil das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung ausdrücklich zu Grunde gelegt hat, dass innerhalb der Frist keine Überstellung des Mitbeteiligten stattgefunden habe.
17 Darüber hinaus ist dem Bundesverwaltungsgericht die Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs (vgl. zB , mwN) vorzuwerfen, weil es dem BFA nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, zur Feststellung, wonach eine Überstellung des Mitbeteiligten nach Deutschland innerhalb der Frist nicht erfolgt sei, Stellung zu nehmen. Auch dieser Verfahrensmangel erweist sich als relevant, weil das Bundesverwaltungsgericht bei dessen Vermeidung wohl zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190525.L00 |
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