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VwGH vom 29.08.2019, Ra 2018/19/0522

VwGH vom 29.08.2019, Ra 2018/19/0522

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des H M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , L515 2184201-1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Republik Armenien, stellte am über seine gesetzliche Vertretung den Antrag, ihm Asyl durch Erstreckung gemäß § 10 und 11 Asylgesetz 1997 (AsylG) zu gewähren.

2 Nach Abweisung seines Antrages mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gab der Unabhängige Bundesasylsenat der Beschwerde des Revisionswerbers mit Bescheid vom statt, gewährte ihm gemäß § 11 Abs. 1 AsylG Asyl durch Erstreckung und stellte gemäß § 12 AsylG fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

3 Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt (als Jugendschöffengericht) vom wurde der Revisionswerber rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten (davon 15 Monate bedingt) wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach § 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1, 130 (dritter und vierter Fall), § 15 StGB, des Vergehens der Fundunterschlagung nach § 134 Abs. 1 StGB, des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 1 Waffengesetz und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB. Bei Begehung der Straftat war der Revisionswerber ein junger Erwachsener. Mit Urteil vom verurteilte das Bezirksgericht Melk den Revisionswerber wegen des Vergehens des Diebstahles nach § 127 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten.

Weiters wurde der Revisionswerber mit Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von insgesamt EUR 800,-- und einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten (teilweise als junger Erwachsener) verurteilt und die Bewährungshilfe gemäß § 50 StGB angeordnet.

Schließlich erfolgte am eine Verurteilung durch das Landesgericht Wiener Neustadt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den § 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der versuchten falschen Beweisaussage nach den § 15 und 288 Abs. 1 und 4 StGB als Bestimmungstäter nach § 12 zweiter Fall StGB. Der dagegen erhobenen Berufung des Revisionswerbers wurde durch das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom nicht Folge gegeben.

4 Mit Bescheid vom erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. Das BFA erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Armenien zulässig sei und legte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise fest.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

In seinen Ausführungen zur rechtlichen Begründung legte das BVwG dar, der vom Revisionswerber begangene schwere gewerbsmäßige Diebstahl (vgl. das Urteil vom ) sei mit einer Höchststrafe von bis zu zehn Jahren bedroht und finde sich somit hinsichtlich der Höhe der Strafdrohung in einer Reihe mit den typischen schweren Verbrechen. Gehe man davon aus, dass sich in der vom Gesetzgeber festgelegten Strafdrohung der anzunehmende soziale Unwert einer Straftat widerspiegle, so entspreche der soziale Unwert der seitens des Revisionswerbers begangenen Straftaten jenem, von dem der Gesetzgeber annehme, dass es sich um besonders schwere Verbrechen im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 handle. Gerade bei der Verletzung des Hausrechts bzw. dem Eindringen in den unmittelbaren privaten Wohnbereich bzw. dem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit handle es sich um besonders massive Eingriffe in qualifiziert schützenswerte Rechtsgüter, weil hier der zentralste Lebensbereich eines Menschen massiv verletzt werde. So führe der Umstand, dass sich Menschen ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihres Hausrechtes nicht sicher sein können, zu einer besonderen Verunsicherung in der Gesellschaft, was ebenfalls dafür spreche, dass das Verhalten des Revisionswerbers unter § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 zu subsumieren sei. Hinsichtlich des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch sei als Milderungsgrund die bisherige Unbescholtenheit, das Geständnis, das Alter des Revisionswerbers unter 21 Jahren, die teilweise untergeordnete Tatbeteiligung, der teilweise Versuch, als erschwerend das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen und die mehrfache Qualifikation bestimmter Sachverhalte genannt worden.

Bezüglich der Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung, Körperverletzung und versuchter Anstiftung zur falschen Beweisaussage habe das Gericht keinen Milderungsgrund erkannt. Erschwerend seien das Zusammentreffen von drei Vergehen, die zwei einschlägigen Vorstrafen und die Begehung innerhalb von drei offenen Probezeiten gewertet worden. Der Revisionswerber sei im Urteil als völlig uneinsichtig bezeichnet worden. Die Tat des Revisionswerber stelle sich sowohl abstrakt als auch im konkreten Einzelfall auf Grund der Umstände, durch die eingesetzte kriminelle Energie, die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber den Opfern und der sichtlich qualifizierten Gleichgültigkeit, mit der der Revisionswerber in verschiedenste Rechtsgüter eingegriffen habe, auch als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend dar. Das BVwG gehe daher davon aus, dass der Begriff des besonders schweren Verbrechens verwirklicht sei.

Der Revisionswerber habe in verschiedenste Rechtsgüter verschiedener Menschen und der Allgemeinheit eingegriffen und sei somit als gemeingefährlich zu bezeichnen. Auch zeige die Art der begangenen Straftaten, dass im Revisionswerber ein erhebliches Gewaltpotential und Aggression stecken würden und er über erhebliche kriminelle Energie verfüge. Sie machten auch deutlich, dass der Revisionswerber in Situationen, die praktisch jeder andere, mit einem entsprechenden Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden ausgestattete Mensch anders lösen würde, zur Gewalt gegen Personen und Sachen greife. Es fehle ihm sichtlich an empathischem Einfühlungsvermögen gegenüber den geschädigten Rechtsträgern. In Anbetracht dessen, dass der Revisionswerber erst im Juli 2015 zuletzt aus der Haft entlassen worden sei und sich auch in der Vergangenheit einen längeren Zeitraum auf freiem Fuß befunden habe und hiernach wieder delinquent geworden sei, erweise sich das bisherige Wohlverhalten seit der letzten Haftentlassung als viel zu kurz, um von einem echten Gesinnungswechsel bzw. einer positiven Zukunftsprognose sprechen zu können. Es müsse angenommen werden, dass der Revisionswerber sich auch zukünftig wieder mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zur Begehung weiterer Straftaten hinreißen lassen könnte. Es könne keine positive Zukunftsprognose getroffen werden und sei der Revisionswerber als gemeingefährlich im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 anzusehen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom BVwG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht, dass kein einziges der dem Revisionswerber angelasteten Delikte per se ein schweres Verbrechen sei. Schon die verhängten Strafen zeigten, dass die Strafgerichte von keinem großen Unrechtsgehalt und keiner schweren Schuld seinerseits ausgegangen seien. Im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könne im vorliegenden Fall nicht von der Begehung besonders schwerer Verbrechen im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ausgegangen werden. Bei Berücksichtigung der eingebrachten positiven Einschätzung seines Bewährungshelfers sei keinesfalls von der Begehung schwerer Verbrechen und der Annahme der Gemeingefährlichkeit durch den Revisionswerber auszugehen. Die rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes verstoße daher gegen näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Hinzu komme, dass sich der der letzten Verurteilung zu Grunde liegende Sachverhalt bereits im Jahr 2013 ereignet habe. In einem Zeitraum von vier Jahren sei gegen den Revisionswerber kein Asylaberkennungsverfahren wegen Begehung eines besonders schweren Verbrechens und wegen "Gemeingefährlichkeit" eingeleitet worden. Es stelle sich daher die Frage, ob von einem Asylaberkennungsgrund aus den genannten Gründen ausgegangen werden könne, wenn die Straftaten bereits mehr als vier Jahre zurückliegen würden, der anerkannte Flüchtling in der Zwischenzeit ein unauffälliges und normgetreues Verhalten an den Tag gelegt habe, einer geregelten Arbeit nachgehe, eine Familie gegründet habe und auch seine Kernfamilie mit österreichischer Staatsbürgerschaft bestens eingebunden sei. 9 Die Revision ist zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.

10 Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliegt.

§ 6 AsylG 2005 (samt Überschrift) lautet:

"Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt."

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss (erstens) ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür (zweitens) rechtskräftig verurteilt worden, (drittens) gemeingefährlich sein und (viertens) müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (vgl. , mwN).

12 Zur Frage, ob im vorliegenden Fall ein besonders schweres Verbrechen vorliegt, stellte das BVwG unter anderem fest, dass der Revisionswerber wegen gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls (§ 130 dritter und vierter Fall StGB idF BGBl. I Nr. 134/2002), also einem Delikt, das mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren zu bestrafen ist, rechtskräftig verurteilt worden sei.

13 § 17 StGB bestimmt, dass Verbrechen vorsätzliche Handlungen sind, die mit lebenslanger oder zumindest mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Damit ergibt sich zunächst, dass eine Tat nach § 130 dritter und vierter Fall StGB aus strafrechtlicher Sicht als Verbrechen im Sinn des § 17 StGB einzustufen ist.

14 Mit der Einteilung in Verbrechen und Vergehen trifft § 17 Strafgesetzbuch eine grundsätzliche Unterscheidung der Straftaten, durch die das besondere Gewicht der als Verbrechen geltenden Straftaten ihrer Art nach betont werden soll. Über die Bezeichnung dieser Straftaten hinaus - mit "Verbrechen" wird schon rein sprachlich ein höherer Unwert konnotiert - bringt die Anknüpfung an ein Mindestmaß der Strafdrohung von mehr als dreijähriger oder lebenslanger Freiheitsstrafe sowie die Einschränkung auf Vorsatztaten zum Ausdruck, dass es sich um solche handelt, denen ein besonders hoher Unrechtsgehalt innewohnt (vgl. , mwN).

15 Im Fall des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist allerdings zudem gefordert, dass ein "besonders schweres" Verbrechen vorliegen muss.

16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. , sowie nochmals VwGH Ra 2017/19/0531, mwN). 17 Der Verwaltungsgerichtshof hat aber auch bereits festgehalten, dass es sich dabei um eine demonstrative und daher keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GFK handelt (vgl. erneut VwGH Ra 2017/19/0109, mit Verweis auf ).

Insofern ist das Delikt des gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls (§ 130 dritter und vierter Fall StGB) nicht grundsätzlich vom Begriff des "besonders schweren Verbrechens" ausgeschlossen.

18 Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof schon zum Ausdruck gebracht, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als "besonders schweres Verbrechen" qualifiziert werden können (vgl. ; , Ra 2017/19/0109). 19 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird allerdings auch betont, dass es auf die Strafdrohung allein bei der Beurteilung, ob ein "besonderes schweres Verbrechen" vorliegt, nicht ankommt (vgl. , sowie zuletzt VwGH Ra 2018/20/0360).

So genügt es demnach nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei unter anderem auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen ist (vgl. erneut VwGH 99/01/0288). Bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen (). Lediglich in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen erweist sich bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose als zulässig (vgl. etwa in Zusammenhang mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren wegen des Verbrechens des versuchten Mordes:

, mwN).

20 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht:

21 Das BVwG ging davon aus, dass im vorliegenden Fall schon die Verurteilung wegen gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls (vgl. das Urteil vom ) "in ihrer Gesamtheit an sich den Tatbestand eines besonders schweren Verbrechens" erfülle, bzw. dass durch das "Gesamtverhalten (des Revisionswerbers) in strafrechtlicher Hinsicht" dieser Tatbestand verwirklicht sei. Das BVwG verwies darauf, dass der gewerbsmäßig schwere Diebstahl mit einer Höchststrafe von bis zu zehn Jahren bedroht sei. Das Delikt finde sich somit hinsichtlich der Höhe der Strafdrohung in einer Reihe mit den typischen schweren Verbrechen wieder. Gerade bei der Verletzung des Hausrechts, dem Eindringen in den unmittelbaren privaten Wohnbereich bzw. dem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit handle es sich - so das BVwG - um besonders massive Eingriffe in qualifiziert schützenswerte Rechtsgüter.

22 Das BVwG übersieht dabei, dass es bei der Beurteilung, ob ein "besonderes schweres Verbrechen" vorliegt, nicht allein auf die Strafdrohung ankommt. Es hätte vielmehr eine konkrete fallbezogene Prüfung vornehmen und insbesondere die Tatumstände berücksichtigen müssen, die der Strafbemessung hinsichtlich der Verurteilung wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls, also des Delikts, das das BVwG als besonders schweres Verbrechen qualifiziert, und der weiteren Verurteilungen wegen verschiedener Vergehen zu Grunde lagen.

23 Das BVwG verweist zwar allgemein auf den hohen sozialen Unwert eines durch Einbruch begangenen Diebstahls und den damit verbundenen massiven Eingriff in besonders schützenswerte Rechtsgüter. Feststellungen zu den konkreten Tatumständen sind dem angefochtenen Erkenntnis jedoch nicht zu entnehmen. Es werden lediglich die Vormerkungen (mit den betreffenden Tatbeständen und den verhängten Strafen) aus dem Strafregister wiedergegeben. Auch die vom Strafgericht herangezogenen Milderungsgründe zählt das BVwG bloß auf, ohne sie erkennbar in die Beurteilung einfließen zu lassen.

24 Soweit das Bundesverwaltungsgericht den Tatbestand des besonders schweren Verbrechens (auch) durch das "Gesamtverhalten (des Revisionswerbers) in strafrechtlicher Hinsicht" verwirklicht sieht, übersieht es, dass in jenen Fällen, in denen es der Verwaltungsgerichtshof als zulässig erachtete, auf Grund einer Vielzahl einschlägiger strafrechtlicher Verurteilungen Delikte in einer Gesamtbetrachtung als besonders schweres Verbrechen zu qualifizieren (vgl. Rn. 18), beträchtliche und überwiegend unbedingte Freiheitsstrafen verhängt worden waren. Das trifft im vorliegenden Fall nicht zu.

25 Wenn das BVwG offenbar meint, (auch) die Verurteilung vom begründe auf Grund der Schwere und des sozialen Unwerts der begangenen Delikte (schwere Körperverletzung, Körperverletzung und Anstiftung zur falschen Beweisaussage vor einem Gericht) schon für sich genommen den Tatbestand des besonders schweren Verbrechens, so verkennt es, dass die genannten Delikte keine Verbrechen im Sinn des § 17 StGB sind. 26 Die Revision erweist sich aber auch in Bezug auf die vom BVwG bejahte Gemeingefährlichkeit des Revisionswerbers als begründet:

27 Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass die vom BVwG vorgenommene Gefährdungsprognose auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. , mwN).

28 Fallbezogen rügt der Revisionswerber zu Recht, das BVwG habe das Schreiben der Bewährungshelferin, nach welchem auf Grund des Lebenswandels des Revisionswerbers - darunter die Eheschließung, die Geburt des Sohnes sowie ein Arbeitsverhältnis in ungekündigter Stellung seit Juni 2016 - eine klar positive Zukunftsprognose zu stellen sei, keiner Würdigung unterzogen. Zudem setzte sich das BVwG nicht mit dem in der Beschwerde vorgelegten Therapeutenbrief und der darin attestierten deutlichen Besserung fehlgeleiteter Aggressivität und deren Bewältigung auseinander, obwohl es sich in seiner rechtlichen Beurteilung maßgeblich auf ein erhebliches Gewaltpotential und Aggression des Revisionswerbers stützte.

29 Demnach wurden vom Revisionswerber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht unmaßgebliche Umstände ins Treffen geführt, auf die in der im Rahmen der Gefährdungsprognose vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hätte Bedacht genommen werden müssen.

30 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose hinsichtlich des Erfordernisses der Gemeingefährlichkeit im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 (vgl. ).

Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG kann insofern im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, bei denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. , mwN).

31 Ein derart "eindeutiger Fall" liegt hier bereits auf Grund der mangelhaften Begründung in Zusammenhang mit der Gefährdungsprognose nicht vor, sodass auch die Ansicht des BVwG, der Richter habe sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber auf Grund dessen Zeugenaussage im Verfahren seiner Ehegattin verschaffen können, nicht zu überzeugen vermag. Das BVwG hätte somit nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.

32 Das angefochtene Erkenntnis ist aus den dargelegten Gründen sowohl mit inhaltlicher als auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Es war daher auf Grund der prävalierenden unter Rn. 24 und 25 aufgezeigten inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

33 Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190522.L00

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