VwGH vom 24.11.2011, 2008/15/0298

VwGH vom 24.11.2011, 2008/15/0298

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr in 4400 Steyr, Handel-Mazzetti-Promenade 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zl. RV/0829-L/07, miterledigt RV/0830-L/07, betreffend u.a. Einkommensteuer 2005 (mitbeteiligte Partei: G R in A, vertreten durch Mag. Thomas Christl, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Promenade 25), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte betrieb bis 2006 als Einzelunternehmerin ein Handelsunternehmen (Handel mit Whirlpools, Infrarotkabinen, etc.). Die Gewerbeberechtigung für das Handels- und Handelsagentengewerbe besteht seit .

Die Mitbeteiligte ermittelte den Gewinn für ihren Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 EStG 1988.

Die Mitbeteiligte reichte erstmals für das Jahr 1999 eine Einkommensteuererklärung und eine Umsatzsteuererklärung ein. In der Einkommensteuererklärung sind die Einkünfte aus dem in Rede stehenden Gewerbebetrieb als Verlust von 104.830,50 S ausgewiesen. Der Einkommensteuererklärung wurde eine "Einnahmen/Ausgaben-Rechnung vom bis " angefügt, in welcher keine Betriebseinnahmen aufscheinen und als Betriebsausgaben Kreditzinsen von 26.363,50 S, Geldverkehrsspesen von 606 S sowie "Zuweis. Investitionsfreibetrag" von 77.861 S ausgewiesen sind. In der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1999 werden Vorsteuern in Höhe von 23.097,50 S geltend gemacht.

Der Einkommensteuerbescheid 1999 weist die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit - 104.831 S aus, wobei der darin enthaltene Investitionsfreibetrag iSd § 10 Abs. 10 EStG idF vor dem KMU-Förderungsgesetz 2006, BGBl I Nr. 101/2006, von 77.861 S als nicht ausgleichsfähiger Verlust angeführt ist, der gemäß § 10 Abs. 8 leg cit. zur Verrechnung mit Gewinnen der Folgejahre dient.

Für die Jahre 2000, 2001 sowie 2002 erklärte die Mitbeteiligte Verluste aus ihrem Gewerbebetrieb von 463.668 S 497.272 S sowie 32.875,29 EUR.

Für das Jahr 2005 erklärte die Mitbeteiligte einen Gewinn aus dem Gewerbebetrieb und machte gemäß § 18 Abs. 7 EStG 1988 Verlustvorträge geltend, und zwar u.a. den im Jahr 2002 angefallenen Verlust.

Im Einkommensteuerbescheid 2005 anerkannte das Finanzamt den Verlust des Jahres 2002 nicht als vortragsfähig. Gemäß § 18 Abs. 7 EStG 1988 seien vortragsfähige Anlaufverluste im Rahmen der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung nur solche Verluste, die in den ersten drei Veranlagungszeiträumen ab Eröffnung eines Betriebes entstünden. Der Beginn des Zeitraums der vortragsfähigen Verluste sei mit dem Beginn der Betätigung, aus der betriebliche Einkünfte erzielt würden, gleichzusetzen. Diese Phase umfasse auch Aufwendungen aus Vorbereitungshandlungen. Daher könnten lediglich die Verluste der Jahre 1999 bis 2001 sowie die Investitionsfreibetrags-Wartetastenverluste für 1999 und 2000 Anerkennung finden.

Die Mitbeteiligte brachte gegen den Einkommensteuerbescheid 2005 Berufung ein. Im Jahr 1999 habe noch keine Eröffnung des Betriebes stattgefunden. Es seien lediglich Umbauten an der Betriebsliegenschaft vorgenommen worden. Die laufenden Betriebsausgaben dieses Jahres beträfen nur Zinsen sowie Spesen des Geldverkehrs. Die ersten Betriebseinnahmen seien Mitte Mai 2000 erzielt worden. Der erste Einkauf von Handelswaren sei im April 2000 erfolgt.

Auf Vorhalt teilte die Mitbeteiligte der belangten Behörde mit Eingabe vom mit, der Kredit, dessen Zinsen als Betriebsausgaben geltend gemacht worden seien, habe dem Erwerb einer Betriebsliegenschaft gedient. Der Investitionsfreibetrag des Jahres 1999 sei ausschließlich für Gebäudeinvestitionen geltend gemacht worden. Das Gebäude sei im Juni 1999 erworben und ab diesem Zeitpunkt renoviert worden. Im Jahr 1999 sei noch keine AfA gebucht worden, weil das Gebäude erst ab dem ersten Halbjahr 2000 genutzt und fertiggestellt worden sei. Die Mitbeteiligte habe Werbemaßnahmen für ihren Betrieb erst seit April 2000 getätigt. Die ersten Handelswaren seien am eingekauft und die ersten Einnahmen am erzielt worden. Zum Erwerb von Büroeinrichtungen, Computer und Telefonanlage sei es erst im ersten Halbjahr 2000 gekommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und berücksichtigte auch den Jahresverlust des Jahrs 2002 als Verlustvortrag.

Die Mitbeteiligte habe im Jahr 1999 eine (teilweise betrieblich genutzte) Liegenschaft erworben und sodann mit der entsprechenden Adaptierung begonnen. Hiefür seien Zinsen und weitere Geldbeschaffungskosten angefallen. Es sei ein Investitionsfreibetrag geltend gemacht worden, jedoch noch keine AfA.

§ 18 Abs. 7 EStG 1988 idF vor dem KMU-FG 2006, BGBl. I Nr. 201/2006, bestimme, dass "Anlaufverluste" auch bei einem Steuerpflichtigen, der den Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1988 ermittle, als Sonderausgaben zu berücksichtigen seien.

Die ErlRV zum § 18 Abs. 7 EStG 1988 setzten sich mit dem Begriff der "Eröffnung eines Betriebs" nicht näher auseinander. Als "Anlaufverluste" würden solche "innerhalb der ersten drei Veranlagungszeiträume" bezeichnet.

Strittig sei, ob der dreijährige Zeitraum, dessen Verluste als Sonderausgaben zu berücksichtigen seien, bereits mit dem Anfall der ersten, in Zusammenhang mit der Betriebsliegenschaft stehenden Ausgaben (also 1999) beginne bzw. welcher Zeitpunkt als jener der "Betriebseröffnung" angesehen werden könne (erstmaliges Anfallen von Betriebsausgaben oder effektive Eröffnung des Betriebes).

Nach dem herkömmlichen Sprachgebrauch sei bei einem Handelsbetrieb als "Eröffnung eines Betriebs" das tatsächliche "Aufsperren" des Geschäftslokals anzusehen. Solange ein Betrieb dem Konsumenten noch keine Leistungen anbiete, sei er noch nicht "eröffnet".

Das Finanzamt nehme allerdings - offenbar der Verwaltungspraxis folgend - eine Betriebseröffnung bereits mit dem erstmaligen Anfall von Aufwendungen an. Demnach sei ein Betrieb bereits dann "eröffnet", wenn er zwar noch keine Leistungen anbiete, aber ihm bereits eindeutig zuzuordnende Aufwendungen (hier: für die Adaptierung der Liegenschaft) erwachsen seien.

Für eine derartige Interpretation biete der eindeutige Wortlaut des § 18 Abs. 7 EStG 1988 keine Handhabe. Der Wortlaut nehme unmissverständlich auf den "Eröffnungszeitpunkt" des Betriebes und somit offensichtlich auf den Beginn der Bereitstellung von Leistungen Bezug. Es sei kein Grund erkennbar, diesbezüglich vom herkömmlichen Sprachgebrauch abzuweichen. Wäre tatsächlich das erstmalige Anfallen von Aufwendungen ausschlaggebend, hätte dies durch eine entsprechende Formulierung im Gesetzestext dahingehend, dass auf das erstmalige Entstehen von Aufwendungen Bezug genommen werde, seinen Niederschlag finden müssen. Eine andere Betrachtungsweise würde dazu führen, dass bereits Bagatellaufwendungen einen Teil des Anlaufzeitraums konsumieren könnten und als Folge dessen "echte" Anlaufverluste in späteren Jahren nicht mehr verwertbar wären (Hinweis auf Doralt/Renner , EStG10, § 18, Tz 315/2).

Diese Ansicht werde durch den Wortlaut des § 2 Abs. 2 der Liebhabereiverordnung, BGBl Nr. 33/1993, bestätigt, wonach der "Anlaufzeitraum", innerhalb dessen bei einer verlustträchtigen Betätigung iSd § 1 Abs. 1 der Verordnung jedenfalls Einkünfte vorlägen, prinzipiell mit dem "Beginn einer Betätigung (zB Eröffnung eines Betriebes)" in Gang gesetzt werde, wobei sich dieser Zeitraum auf bis zu fünf Jahre verlängere, wenn es bereits zuvor zu einem "erstmalige(n) Anfallen von Aufwendungen" gekommen sei.

Daher sei im gegenständlichen Fall der Betriebseröffnungszeitpunkt erst im Jahr 2000 anzunehmen. Im Jahr 1999 habe die Mitbeteiligte nämlich gegenüber Konsumenten noch keine Leistungen angeboten. Im Jahr 1999 seien lediglich auf die Eröffnung des Betriebes hinzielende (Vor )Betriebsausgaben, insbesondere im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Adaptierung eines Gebäudes, angefallen.

Gegen diesen Bescheid hat das Finanzamt Beschwerde erhoben. Die Beschwerde verweist insbesondere auf den in den ErlRV zum EStG 1988 festgehaltenen Zweck der Bestimmung und darauf, dass der Begriff der Betriebseröffnung in § 18 Abs. 7 EStG 1988 nicht anders ausgelegt werden solle als in § 6 Z 8 lit a und § 2 Abs. 6 leg. cit. Die mitbeteiligte Partei und die belangte Behörde erstatteten eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 18 Abs. 7 EStG 1988 in der bis zur mit dem KMU-FG 2006, BGBl. I Nr. 101, vorgenommenen Änderung geltenden Stammfassung lautete:

"Anlaufverluste, das sind Verluste, die in den ersten drei Veranlagungszeiträumen ab Eröffnung eines Betriebes entstehen, sind auch bei einem Steuerpflichtigen, der den Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 ermittelt, nach Abs. 6 zu berücksichtigen."

Den ErlRV zum EStG 1988 (621 BlgNR XVII GP, 77), mit dem erstmals ein solcher Verlustvortrag für Einnahmen-Ausgaben-Rechner eingeführt worden ist, ist zu entnehmen:

"Der gleichfalls neu angefügte Abs. 7 ermöglicht es nunmehr auch Einnahmen-Ausgaben-Rechnern, Anlaufverluste - das sind solche innerhalb der ersten drei Veranlagungszeiträume (…) - vorzutragen. Damit entfällt für die ersten Geschäftsjahre die Notwendigkeit der freiwilligen Buchführung."

Der Zweck der Regelung des § 18 Abs. 7 EStG 1988 besteht, wie sich dies aus den ErlRV ergibt, unzweifelhaft darin, dem Unternehmer, der eine betriebliche Tätigkeit beginnt, für die in der ersten Phase seiner betrieblichen Tätigkeit anfallenden Verluste einen Vortrag in spätere Gewinnjahre (Jahre positiver Einkünfte) auch dann zu ermöglichen, wenn er sich für diese Gründungsphase der vereinfachten Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG 1988 bedient. Nach Verstreichen der Gründungsjahre ist der Erfolg der betrieblichen Tätigkeit bereits in einer gewissen Weise einschätzbar, und kann der Unternehmer aus dieser Sicht entscheiden, gegebenenfalls die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (mit der allgemeinen Verlustvortragsregel des § 18 Abs. 6 EStG 1988) zu wählen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, er teile die von Quantschnigg/Schuch , Einkommensteuerhandbuch, Tz 112 zu § 18, vertretene Meinung, der Begriff "Betriebseröffnung" sei unter Bedachtnahme auf Sinn und Zweck der Regelung des § 18 Abs. 7 EStG 1988 auszulegen, bei der es um die Berücksichtigung typischer Verlustsituationen, im speziellen um die typische Verlustsituation des Beginnes einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit, gehe (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 93/14/0156, Slg 6846/F, und vom , 2006/15/0034).

Eine am Zweck der Regelung des § 18 Abs. 7 EStG 1988 orientierte Interpretation erhellt, dass mit dem Veranlagungszeitraum ab "Eröffnung eines Betriebes" im Sinne dieser Bestimmung jenes Jahr gemeint ist, in welchem im Zuge der Aufnahme einer betrieblichen Tätigkeit erstmalig Aufwendungen angefallen sind. Typischerweise fallen im Rahmen einer Betriebsgründung Aufwendungen bereits an, bevor der Betrieb in der Lage ist, Leistungen am Markt anzubieten und Betriebseinnahmen zu erzielen. Mit der Regelung des § 18 Abs. 7 EStG 1988 wollte der Gesetzgeber bewirken, dass gerade für diese Aufwendungen ein Verlustvortrag zur Verfügung steht, auch wenn der Steuerpflichtige für den in Gründung befindlichen Betrieb die vereinfachte Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG 1988 wählt, sich also (noch) nicht für eine mit Bilanzerstellungen verbundene Gewinnermittlungsart entscheidet.

Da das Gesetz in § 18 Abs. 7 EStG 1988 in der Stammfassung für Verluste, die nicht in den "ersten drei Veranlagungszeiträumen" entstanden sind, einen Verlustvortrag jedenfalls nicht einräumte, würde die von der belangten Behörde vertretene Auffassung dazu führen, dass für Verluste der Vorbereitungsphase regelmäßig keine Vortragsmöglichkeit bestünde.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde spricht es nicht gegen diese Auslegung des EStG 1988, BGBl. Nr. 400/1988, dass der Bundesminister für Finanzen in der Folge in den Verordnungen BGBl. Nr. 322/1990 und BGBl. Nr. 33/1993 den Begriff "Eröffnung eines Betriebes" in einem anderen Zusammenhang verwendet hat.

Die belangte Behörde äußert im angefochtenen Bescheid Bedenken, dass bereits im Falle von bloß geringen, am Beginn einer Betriebsgründungsphase anfallenden Aufwendungen eines der drei für den Verlustvortrag zur Verfügung stehenden Jahre iSd § 18 Abs. 7 EStG 1988 verbraucht werde, sollte auf das erstmalige Anfallen von Aufwendungen abzustellen sein (vgl. ebenso Doralt/Renner , EStG10, § 18, Tz 315/2). Im gegenständlichen Fall kann aber keine Rede davon sein, dass die im Jahr 1999 angefallenen Zinsaufwendungen lediglich Bagatellaufwendungen gewesen wären.

Die belangte Behörde hat sohin, indem sie den Beginn des dreijährigen Zeitraumes des Verlustvortrages nach § 18 Abs. 7 EStG 1988 nicht im Jahr 1999 angenommen hat, den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am