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VwGH vom 28.02.2011, 2010/17/0280

VwGH vom 28.02.2011, 2010/17/0280

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Zehetner und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Gold, über die Beschwerde der M H in W, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-02/11/7864/2009-3, betreffend Zurückweisung einer Administrativbeschwerde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In ihrer an die belangte Behörde gerichteten "Beschwerde gemäß §§ 67a ff. AVG iVm §§ 67 ff SPG" vom brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei Mieterin einer näher bezeichneten Wohnung in Wien, die auch von ihrem Lebensgefährten mitbenützt werde. Dieser sei am wegen des Verdachtes des gewerbsmäßigen Diebstahls verhaftet und zur Einvernahme in eine näher genannte Polizeidienststelle in Wien gebracht worden. Um 21:30 Uhr (des selben Tages) sei von näher genannten Polizeibeamten eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden, nachdem die Wohnungsschlüssel den Effekten des Lebensgefährten entnommen worden seien, ohne dass dieser von der Hausdurchsuchung verständigt worden sei, und er Gelegenheit gehabt habe, an der Hausdurchsuchung teilzunehmen. Die Hausdurchsuchung sei in Verletzung der gesetzlichen Vorschriften durchgeführt worden, es seien keine unbeteiligten Personen als Zeugen beigezogen worden.

Als die Beschwerdeführerin am Abend des nach Hause gekommen sei, habe sie festgestellt, dass Geldscheine im Gesamtbetrag von knapp EUR 6.000,-- gefehlt hätten, welche im Wohnzimmer von ihr versteckt worden wären. Wegen dieses Vorfalls habe sie eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien erstattet, welche das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Korneuburg abgetreten habe; dort sei das Verfahren (noch) anhängig. Hinsichtlich des ungesetzlichen Vorganges bei der Hausdurchsuchung habe die Beschwerdeführerin auch einen Einspruch gemäß § 106 StPO erstattet, über welchen noch nicht entschieden sei.

Im Zuge der von der Staatsanwaltschaft Korneuburg (im Zusammenhang mit der von der Beschwerdeführerin erstatteten Anzeige) geführten Erhebungen seien von der Bundespolizeidirektion Wien Telefonüberwachungsprotokolle vorgelegt worden. Aus diesen sei ersichtlich, dass der Telefonanschluss der Beschwerdeführerin zumindest am und am abgehört und ein Protokoll von den abgehörten Gesprächen aufgenommen worden sei. Dazu werde bemerkt, dass der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin am - nachdem er aus der Untersuchungshaft entlassen worden war - zum zweiten Mal verhaftet und im Anschluss daran über ihn die Untersuchungshaft verhängt worden sei. Es habe nicht festgestellt werden können, dass es eine gerichtliche Genehmigung für das Abhören des Telefonanschlusses gegeben habe. Gegen die Person der Beschwerdeführerin seien weder Strafverfahren noch Erhebungen irgendwelcher Art durchgeführt worden, noch habe der Verdacht einer strafbaren Handlung bestanden, welcher das Abhören der Telefonate gerechtfertigt hätte. Die Beschwerdeführerin sei von dieser Maßnahme auch niemals verständigt worden, die Tonbandaufzeichnungen und das Tonbandprotokoll seien nicht vernichtet worden, obwohl der Inhalt der Gespräche im Strafverfahren gegen den Lebensgefährten der Beschwerdeführerin nicht habe verwertet werden können; der Inhalt der Gespräche sei durch Vorlage an die Staatsanwaltschaft Korneuburg vom "verwertet" worden.

Von dem Umstand, dass ihre Telefongespräche abgehört, in einem Protokoll festgehalten und weitergeleitet worden seien, habe die Beschwerdeführerin durch Zustellung einer Aktenabschrift der Staatsanwaltschaft Korneuburg erfahren, wobei die Zustellung an die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin am erfolgt sei.

Durch das Vorgehen der Polizei sei die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Schutz der von ihr privat geführten Telefongespräche verletzt worden, weiters in ihrem Recht, von den Abhörmaßnahmen informiert zu werden und in ihrem Recht auf Löschung der Daten.

Durch das Einschreiten der belangten Behörde seien nicht nur die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Datenschutzgesetzes verletzt worden, sondern auch die Richtlinien gemäß § 31 SPG.

Die Beschwerdeführerin beantrage daher neben Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Feststellung, dass das Vorgehen der belangten Behörde (als solche wird die Bundespolizeidirektion Wien angeführt), insbesondere das Abhören der Telefongespräche ohne richterliche Genehmigung, die Unterlassung einer Information über die Herstellung der Tonbandaufnahmen und der Tonbandprotokolle sowie die Unterlassung der Vernichtung derselben rechtswidrig gewesen sei.

Mit ihrem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die an sie gerichtete Beschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG als unzulässig zurück.

Im Lichte der Gesetzesmaterialien zur StPO - Reform 2008 und der hiezu im Vorfeld (von der belangten Behörde) vom Justizministerium eingeholten Äußerung behalte die belangte Behörde die bereits vorher in einem Parallelfall, der beim Verfassungsgerichtshof wegen eines negativen Kompetenzkonfliktes anhängig sei, geäußerte Rechtsauffassung bei: Bereits am habe sich das entscheidende Mitglied der belangten Behörde an das Bundesministerium für Justiz mit der Anfrage gewandt, ob Einigkeit herrsche, dass zur Vermeidung und Eindämmung der bislang geltenden Doppelgleisigkeit zwischen Justiz und Verwaltung auch behauptete Exzesse bei Gerichtsakten durch Polizeiorgane im Wege der ausschließlichen Gerichtszuständigkeit einer Erledigung zugeführt würden.

Daraufhin habe das Bundesministerium für Justiz am geantwortet, dass derartige an den unabhängigen Verwaltungssenat gerichtete Administrativbeschwerden mangels Zuständigkeit und mit dem Hinweis, einen Einspruch gemäß § 106 StPO 2008 bei der Staatsanwaltschaft einzubringen, den Gerichtsbehörden weiterzuleiten bzw. allenfalls mit Bescheid zurückzuweisen seien. Auch den Materialien zur StPO-Novelle 2008 sei nichts Gegenteiliges zu entnehmen, sei "doch gerade vor dem Hintergrund der Eindämmung und Vermeidung der bislang (bedauerlicherweise) vorliegenden Doppelgleisigkeit zwischen Justiz und Verwaltung nunmehr eine eindeutige Regelung" angestrebt worden.

Vor diesem Hintergrund sei auch die vorliegende an die belangte Behörde gerichtete Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Durchführung eines Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat verletzt.

Ihre Beschwerde habe sich gegen das Abhören ihres Telefonanschlusses am 4. und gerichtet; die Tonbandprotokolle seien von der Bundespolizeidirketion Wien im Strafverfahren gegen die die Hausdurchsuchung durchführenden Beamten (bei der Staatsanwaltschaft Korneuburg) vorgelegt worden. Das Telefon der Beschwerdeführerin sei offenbar mit dem Ziel abgehört worden, entlastendes Beweismaterial für die vom Strafverfahren betroffenen Polizisten zu erhalten; die Tonbandprotokolle seien von den Polizisten auch als Entlastungsbeweis vorgelegt worden.

Im Beschwerdefall sei die Herstellung von Tonbandprotokollen über die Telefongespräche weder im Gerichtsauftrag noch im Auftrag der Staatsanwaltschaft erfolgt, noch sei die Beschwerdeführerin Beschuldigte oder Verdächtigte in einem Strafverfahren gewesen. Auch in einem anderen Strafverfahren habe es weder einen Auftrag zum Abhören der Telefongespräche noch eine Veranlassung dazu gegeben.

Das Abhören der Telefongespräche sei von der Polizei aus eigenem Antrieb erfolgt, um in dem gegen die Polizisten geführten Strafverfahren allenfalls entlastende Beweise zu finden. Da es sich sohin um eine Maßnahme der Polizei gehandelt habe, die vollkommen unabhängig von einem Strafverfahren durchgeführt worden sei, liege kein Kompetenzkonflikt vor, da ein Einspruch gemäß § 106 StPO nur gegen Maßnahmen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens zulässig sei, die gegenständlichen polizeilichen Maßnahmen jedoch vom Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft nicht umfasst gewesen seien.

Gegen eigenmächtige, von keinem Ermittlungsverfahren umfasste verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt sei jedoch die Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat zulässig.

Bereits aus den mit der Beschwerde an die belangte Behörde vorgelegten Tonbandprotokollen sei ersichtlich, dass diesen kein staatsanwaltschaftlicher Auftrag zu Grunde liege, sondern es sich um selbständige Ermittlungen handle und offenbar auf Grund der Sachverhaltsdarstellung erfolgt seien, mit der sie (die Beschwerdeführerin) die Polizeibeamten belastet habe.

Im Beschwerdefall liege keine Verletzung von Bestimmungen der Strafprozessordnung, sondern eine des Sicherheitspolizeigesetzes vor, sodass die Beschwerde an die belangte Behörde zulässig sei.

Die belangte Behörde legte die Akten des bei ihr geführten Verfahrens vor und führte im Übrigen aus, das Landeskriminalamt Wien habe mitgeteilt, dass die dort geführten Akten über Vorgänge im Dienste der Strafjustiz dem Gericht (der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht für Strafsachen Wien) vorgelegt worden seien und daher von der belangten Behörde "weder angefordert noch dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt" werden könnten.

In ihrer Gegenschrift verwies die belangte Behörde auf die im angefochtenen Bescheid geäußerte Rechtsansicht und merkte ergänzend an, dass nunmehr von ihr selbst ein Antrag an den Verfassungsgerichtshof wegen verfassungsrechtlicher Bedenken hinsichtlich "der Bestimmungen der §§ 106 und 107 StPO eingebracht" worden sei, da "ungeachtet der Novellierung der StPO 2008 nach wie vor (Beschwerden gegen) 'Akte im Dienst der Strafjustiz' gehäuft bei den Unabhängigen Verwaltungssenaten eingebracht" würden, die jedoch unter Bezug auf die Gesetzesmaterialien und den Erlass "des Justizministeriums" die Unzulässigkeit dieses Rechtszuges auszusprechen hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Mit Beschluss vom , A 2010/0004-1, hat der Verwaltungsgerichtshof an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 89 Abs. 2 B-VG den Antrag gestellt, in § 106 Abs. 1 der Strafprozessordnung 1975, BGBl. Nr. 631, in der Fassung BGBl. I Nr. 19/2004, im Eingang die Worte "oder Kriminalpolizei" als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G 259/09 und andere (im Beschwerdefall G 19/10- 13) ausgesprochen, dass die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs. 1 der Strafprozessordnung 1975, BGBl. Nr. 631 in der Fassung des Strafprozessreformgesetzes BGBl. I Nr. 19/2004 als verfassungswidrig aufgehoben werde.

Damit steht fest, dass sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf eine nicht anzuwendende Norm gestützt hat. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
LAAAE-79858