VwGH vom 23.01.2019, Ra 2018/19/0260
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des 1. A H S alias S, und der 2. P M A C alias M A C P, beide vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zlen. L519 2173537-1/11E und L519 2173536-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien, ein aus dem Iran stammendes Ehepaar, stellten am jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu ihrem Fluchtgrund führten sie im Wesentlichen aus, der Erstrevisionswerber habe sich schon im Iran für das Christentum interessiert. Zunächst habe er eine christliche Kirche besucht. Da diese Kirchen jedoch die Daten ihrer Besucher an die Behörden hätten übergeben müssen, sei er zu einem privaten Hauskreis gewechselt. Zu einem dieser Treffen seien Beamte gekommen, weshalb die Teilnehmer geflohen seien. Zu Hause angekommen habe der Erstrevisionswerber gesehen, dass auch dort jemand gewesen sei. Seine Frau und er seien daher geflohen. Inzwischen seien sie beide Christen und Mitglieder einer näher genannten Freikirche, in deren Gemeindeleben sie auch aktiv seien. Zur Bescheinigung legten sie im Lauf des Verfahrens unter anderem Bestätigungen über den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft, die Taufe und die Aufnahme in die genannte Freikirche, den Abschluss eines Glaubensgrundkurses und die Teilnahme an einem Bibellektürekreis sowie diverse Integrationsunterlagen vor.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Anträge der revisionswerbenden Parteien mit Bescheid vom sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Es erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ jeweils Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebung der revisionswerbenden Parteien in den Iran zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
3 Die dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig.
4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass sich die revisionswerbenden Parteien tatsächlich im Inneren zum Christentum bekennen würden, obwohl sie aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten und christlich getauft worden seien. Das fluchtauslösende Ereignis erweise sich als nicht plausibel. Zudem sei es für eine glaubhafte Zuwendung zu einer neuen Religion unabdingbar, sich zunächst im Detail mit beiden Religionen und deren wesentlichen Glaubensinhalten auseinanderzusetzen und deren Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Dies scheine auf Grund des raschen Entschlusses der revisionswerbenden Parteien nicht gegeben. Auch die Seriosität der Taufvorbereitung sei angesichts deren kurzer Dauer und der beteiligten Personen zu bezweifeln. Das Bibelwissen der revisionswerbenden Parteien halte sich in überschaubaren Grenzen und gehe nicht in die Tiefe, weshalb dieses wohl nur für das Asylverfahren angeeignet worden sei.
Den Länderfeststellungen sei zu entnehmen, dass vor allem missionierende Christen auf Grund der Ausübung ihres Glaubens willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen ausgesetzt seien. Ermordungen hätten vor allem Geistliche betroffen. Da es sich um eine bloße "Scheinkonversion" handle, sei nicht davon auszugehen, dass die revisionswerbenden Parteien nach ihrer Rückkehr die christliche Religion praktizieren, nach außen tragen oder missionarisch tätig sein würden. Da der iranische Staat nicht jegliche Tätigkeit seiner Staatsbürger verfolgen könne, müsse er sein Interesse auf besonders exponierte Personen reduzieren. Dass es sich bei den revisionswerbenden Parteien, die lediglich zum Schein konvertiert seien, um solche handle, sei nicht ersichtlich.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Konversion, insbesondere zu den damit einhergehenden Ermittlungspflichten, abgewichen.
7 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in Zusammenhang mit dem
sowohl die Behörde als auch das Verwaltungsgericht treffenden Ermittlungspflichten bereits festgehalten, dass auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. , mwN).
9 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. sowie , jeweils mwN). So lässt sich daher etwa allein mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zur Ausreise nicht schlüssig begründen, dass alle im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehenden weiteren Aktivitäten eines Asylwerbers nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden seien. Für eine solche Einschätzung bedarf es vielmehr einer näheren Auseinandersetzung mit jenen Umständen, die die Konversion konkret betreffen (vgl. , mwN).
10 Auch der Verfassungsgerichtshof fordert, dass, sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, sich das Gericht auf Grund einer ausführlichen Beurteilung der Persönlichkeit und aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen muss, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht; dies selbst dann, wenn sich der Asylwerber zunächst auf unwahre Angaben betreffend seinen Fluchtgrund gestützt hat (vgl. , mwN).
11 Im vorliegenden Fall hat es das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der Prüfung der behaupteten Konversion in Hinblick auf die Ermittlung der aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung der revisionswerbenden Parteien unterlassen, den bei der mündlichen Verhandlung anwesenden Pastor S als Zeugen der religiösen Aktivitäten in Österreich zu befragen. Wie die Revision zutreffend aufzeigt, wäre dieser in der Lage gewesen, zur Ernsthaftigkeit der Konversion der revisionswerbenden Parteien Auskunft zu geben und insbesondere über deren Teilnahme am Bibelkurs, die empfangene Taufe und die Eingliederung der revisionswerbenden Parteien in die genannte Freikirche auszusagen. Der Pastor S hätte damit zu einem zentralen Element des Fluchtvorbringens, nämlich zur im angefochtenen Erkenntnis bezweifelten Ernsthaftigkeit der Taufvorbereitungen, der inzwischen erfolgten Taufe, der Hinwendung zum Christentum und den religiösen Aktivitäten in Österreich aussagen können. Das Bundesverwaltungsgericht hat von der Möglichkeit einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch die Befragung des Pastors am Verhandlungstag jedoch entgegen der oben zitierten Rechtsprechung keinen Gebrauch gemacht (vgl. zur Verpflichtung einer unmittelbaren Beweisaufnahme insbesondere VwGH Ra 2018/19/0236, mwN).
12 Es ist nicht auszuschließen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei Berücksichtigung sämtlicher Beweisergebnisse, insbesondere nach Einvernahme des genannten Zeugen, zu dem Schluss gelangt wäre, dass gegenständlich eine echte, innere Konversion vorliegt. Ausgehend davon kann nicht ausgeschlossen werden, dass den Revisionswerbern unter der Annahme einer echten, inneren Konversion eine asylrelevante Verfolgung im Iran droht. Bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften hätte das Bundesverwaltungsgericht daher zu einem anderen Ergebnis kommen können.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
14 Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190260.L00 |
Schlagworte: | Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung |
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