VwGH vom 29.08.2019, Ra 2018/19/0227

VwGH vom 29.08.2019, Ra 2018/19/0227

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des E R in W, vertreten durch Dr. Andrea Göll, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Landskrongasse 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L508 2185274- 1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

I. Das angefochtene Erkenntnis wird in Spruchpunkt A.I. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe sich schon im Iran dem Christentum zugewendet und eine Hauskirche besucht. Diese sei von der Polizei gestürmt worden, als der Revisionswerber nicht anwesend gewesen sei. Er habe allerdings eine gerichtliche Ladung erhalten und fürchte nunmehr eine Verfolgung durch den iranischen Staat. Zudem habe auch seine Familie - sein Vater arbeite beim Militär und sein Onkel sei eine einflussreiche Persönlichkeit - ein Problem mit seiner Konversion. Bei einer Rückkehr fürchte er, sofort verhaftet zu werden, weil sowohl seine Familie als auch die Behörden von seiner Konversion wüssten.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag mit Bescheid vom zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte es mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. 3 Begründend führte das BFA aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, im Iran aufgrund seiner Konversion einer Gefährdung ausgesetzt zu sein. Eine tatsächliche Konversion könne - ebenso wie eine drohende asylrelevante Verfolgung oder eine Verletzung der nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte des Revisionswerbers - nicht festgestellt werden.

4 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in welcher unter anderem eine Verletzung der Ermittlungspflicht sowie eine mangelhafte Beweiswürdigung gerügt wurden. Die Beschwerde legte dar, warum die Vorgehensweise des BFA aus Sicht des Revisionswerbers nicht geeignet gewesen sei, über seine innere Konversion Auskunft zu geben, behauptete die unterlassene Würdigung eines Beweismittels und versuchte aufzuzeigen, weshalb es sich bei vom BFA aufgegriffenen angeblichen Widersprüchen nicht um solche handle. Weiters wurden Berichte zur Apostasie im Iran vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr die Todesstrafe drohe. Der Revisionswerber beantragte außerdem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weil eine solche zur Ermittlung der aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung erforderlich sei.

5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.), wies einen zuvor gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55, 56 AsylG mangels Zuständigkeit zurück (Spruchpunkt A.II.) und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Begründend führte es zusammengefasst aus, dass dem Revisionswerber im Iran mangels tatsächlicher Konversion keine asylrelevante Verfolgung drohe. Überdies bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer drohenden Verletzung der nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte. Der Revisionswerber verfüge über keine relevanten Bindungen zu Österreich und weise keine umfassende und fortgeschrittene Integration auf.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend.

9 Die Revision gegen Spruchpunkt A.I. ist zulässig und auch begründet.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten ankommt, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. etwa , mwN).

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

12 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend bis 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa , mwN).

13 Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil in der Beschwerde insofern ein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender Sachverhalt behauptet wurde, als den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA in konkreter Weise entgegengetreten und - unter Vorlage einschlägigen Berichtsmaterials - das Bestehen einer aktuellen Verfolgungsgefahr aufgrund der Konversion des Revisionswerbers behauptet wurde. Zudem hat sich das Bundesverwaltungsgericht zunächst zwar den Erwägungen des BFA angeschlossen, in der Folge jedoch zusätzlich umfassende weitere tragende beweiswürdigende Überlegungen angestellt.

14 Das Bundesverwaltungsgericht hielt in seiner Beweiswürdigung fest, schon der Umstand, dass der Revisionswerber in der Beschwerde keine weiteren Ausführungen zu seiner Konversion getätigt habe, lasse auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels schließen. Aus den vagen und oberflächlichen Angaben sei kein plausibler Grund für die Hinwendung zum Christentum erkennbar. Aufgrund der mangelnden Auseinandersetzung mit den Glaubensinhalten sei nicht davon auszugehen, dass der Revisionswerber missionierend tätig sein werde. Die nach außen hin sichtbaren Aktivitäten des Revisionswerbers, wie seine Taufe, die Mitgliedschaft in der Pfingstkirche sowie der Besuch von Bibelstunden und Gottesdiensten würden die Umstände, welche gegen einen tatsächlichen Glaubens- und Gesinnungswechsel sprechen würden, nicht kompensieren. Dass seine Konversion den iranischen Staatsorganen oder Privatpersonen bekannt geworden sei, habe er nicht glaubhaft behauptet.

15 Schließt sich das Bundesverwaltungsgericht nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt es darüber hinaus in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, mit welchen es die Widersprüchlichkeit des Vorbringens begründet, nimmt es damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. , mwN). 16 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. erneut , mwN).

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher in seinem Spruchpunkt A.I. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

18 Zu II.

Mit der Revision wird das Erkenntnis zwar ausdrücklich in seinem gesamten Umfang angefochten, hinsichtlich Spruchpunkt A.II. jedoch kein (Zulassungs-)vorbringen erstattet. Die Revision war daher insoweit zurückzuweisen.

19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190227.L00

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