VwGH vom 14.10.2010, 2008/15/0249
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und den Senatspräsidenten Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Bregenz in 6900 Bregenz, Briefgasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Feldkirch, vom , Zl. RV/0201-F/03, betreffend Einkommensteuer für 1998 bis 2000 (mitbeteiligte Partei: WM in B), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten gegen die Bescheide des Finanzamtes betreffend Einkommensteuer für die Streitjahre teilweise Folge und änderte die bekämpften Bescheide ab. In der Begründung führte sie aus, der Mitbeteiligte habe in den Streitjahren in der Schweiz als Grenzgänger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. In den Jahreslohnausweisen für die Streitjahre sei die Auszahlung eines Nachtarbeitszuschlages in Höhe von SFR 9.495,-- (1998), SFR 11.280,-- (1999) und SFR 11.370,-
- (2000), bestätigt worden. Das Finanzamt habe zunächst bei den Veranlagungen des Mitbeteiligten zur Einkommensteuer die Nachtarbeitszuschläge steuerfrei gestellt.
Mit Bescheiden vom habe das Finanzamt die Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder aufgenommen und die bisher steuerfrei belassenen Nachtarbeitszuschläge als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt.
Der Mitbeteiligte habe in der Berufung gegen diese Bescheide vorgebracht, aus dem Schichtplan sei ersichtlich, an welchen Tagen und Nächten er gearbeitet habe. Die Nachtschicht habe um 21 Uhr begonnen und um 05.00 Uhr geendet. Auf Grund dieses Planes sei die Schichtarbeit in allen Jahren eingeteilt worden.
Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung habe der Mitbeteiligte den Vorlageantrag gestellt. Darin habe er ausgeführt, die dritte Schicht sei in der Zeit von 20.48 Uhr bis 05.12 Uhr gelagert gewesen. Diese Schicht erfülle damit die Voraussetzungen für die Gewährung eines steuerbegünstigten Nachtarbeitszuschlages. Bei weiterer Zugrundelegung des wöchentlichen Schichtwechsels ergäben sich somit bei 33,33 % der Arbeitszeit pro Jahr Nachtarbeitszuschläge, die steuerlich zu begünstigen seien. Die Lage der Arbeitszeit sei nachgewiesen, weil die Bewilligung für Nachtarbeit für die Arbeitgeberin in Verbindung mit den Schichtplänen der Arbeitgeberin die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegle. Vorgelegt würden Kumulativjournale der Arbeitgeberin sowie die Verteilung der Nachtarbeitszuschläge, die in den Schichtzulagen enthalten seien. Damit sei dem Erfordernis nach Aufschlüsselung der tatsächlich angefallenen Nachtarbeitszulagen Genüge getan. Darüber hinaus werde die Einvernahme des Personalleiters der Arbeitgeberin als Zeuge angeboten.
Die belangte Behörde hat den Personalleiter der Arbeitgeberin des Mitbeteiligten als Zeugen einvernommen und eine Kopie der Niederschrift zur Information mit der Einladung zur Stellungnahme dem beschwerdeführenden Finanzamt übermittelt.
Im Erwägungsteil führte die belangte Behörde nach Gesetzeszitaten aus, die Steuerfreiheit nach § 68 EStG 1988 setze voraus, dass neben dem Grundlohn tatsächlich eine Zulage für Nachtarbeit gezahlt worden sei. Im gegenständlichen Fall sei in den Monatslohnabrechnungen der Streitjahre hinsichtlich des Streitjahres 1998 erst ab September eine Zulage mit der Bezeichnung "3-Schicht Pauschal" gesondert ausgewiesen worden. Die Zulage sei monatlich immer in der selben Höhe ausbezahlt worden. Für die zur Nachtzeit erbrachten Normalarbeitsstunden gelte, dass die Begünstigung des § 68 EStG 1988 nur gewährt werden könne, wenn Aufzeichnungen über die Anzahl und zeitliche Lagerung aller Nachtstunden vorlägen. Die belangte Behörde vertrete jedoch die Ansicht, dass im konkreten Fall ausnahmsweise auf die Vorlage von Aufzeichnungen über die Anzahl und zeitliche Lagerung der Nachtstunden bzw. bei pauschaler Abgeltung von Zulagen von sonst üblichen Nachweisen, dass der Betrag der pauschalen Abgeltung den durchschnittlich zur Nachtzeit geleisteten Stunden entspräche, verzichtet werden könne; dies auf Grund folgender Überlegungen:
Der Personalleiter habe anlässlich seiner Einvernahme glaubhaft ausgeführt, dass im Betrieb die Zeitwirtschaft über ein betriebliches Softwareprogramm abgewickelt werde, keine Positiv-Zeiterfassung, sondern eine Negativ-Zeiterfassung bestehe und daher keine Erfassung der tatsächlichen Kommen- und Gehenbuchungen erfolgt sei und folglich auch keine Aufzeichnungen über die zur Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden vorlägen.
Den geäußerten Zweifeln des Finanzamtes über die Richtigkeit dieser Ausführungen werde entgegengehalten, dass die Negativ-Zeiterfassung neben der Positiv-Zeiterfassung nicht nur in der Schweiz eine gängige Variante der Arbeitszeiterfassung sei. Während mit der Positiv-Zeiterfassung alle Kommen- und Gehenbuchungen minutengenau erfasst würden, werde bei der Negativ-Zeiterfassung auf eine Kommen- und Gehenbuchung verzichtet und davon ausgegangen, dass die geplanten Arbeitszeiten den tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten entsprächen. Die Negativ-Zeiterfassung mache dann Sinn, wenn starre Arbeitszeiten den Arbeitsrahmen vorgäben und es keine oder nur wenige Abweichungen von Istzeit und Sollzeit gebe, wie z.B. bei Schichtarbeit. Neben diesen Ausführungen des Personalleiters zur Negativ-Zeiterfassung sei für die belangte Behörde wesentlich, dass vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft mit Schreiben vom und der Arbeitgeberin für den Betriebsteil "kubische Fertigung" für die Zeit vom bis und vom bis mit der Begründung des Vorliegens einer wirtschaftlich unentbehrlichen Betriebsweise die Nachtarbeit im Rahmen eines Schichtbetriebes bewilligt worden sei. In den genannten Schreiben sei ein wöchentlicher Wechsel der Schichten vorgesehen gewesen. Unstrittig sei auch, dass der Mitbeteiligte in den Streitjahren im Bereich "kubische Fertigung" beschäftigt gewesen sei. Die Arbeitgeberin habe weiters glaubhaft bestätigt, dass der Mitbeteiligte im 3-Schicht-System auch in der Nacht gearbeitet habe. Aus diesem Schreiben vom und dem Schreiben des Schweizer Staatssekretariates für Wirtschaft vom und vom sei zu entnehmen, dass die erste Schicht von 05.00 Uhr bzw. 04.48 Uhr bis 13.30 bzw. 13.12 Uhr, die zweite Schicht von 13.12 Uhr bzw. 12.48 Uhr bis 22.00 Uhr bzw. 21.12 Uhr und die dritte Schicht von 21.18 Uhr bzw. 20.48 Uhr bis 5.18 Uhr bzw. 5.12 Uhr gedauert habe. Aus diesem Schichtzeitenbetrieb der Arbeitgeberin ergäben sich automatisch auch die Arbeitszeiten des Mitbeteiligten. Die Arbeitszeit in der dritten Schicht sei jedenfalls in der Nacht gelegen und stelle Nachtarbeitszeit im Sinne des § 68 Abs. 6 EStG 1988 dar, weshalb die auf diese Nachtzeiten fallenden Zuschläge dem Grunde nach steuerfrei gemäß § 68 Abs. 1 EStG 1988 behandelt werden könnten.
Dem Vorbringen des beschwerdeführenden Finanzamtes, dass es für die steuerliche Behandlung völlig unbedeutend sei, ob das zuständige Staatssekretariat der Arbeitgeberin Nachtarbeit für die fraglichen Zeiträume bewilligt habe, sei entgegenzuhalten, dass nicht nur in der Schweiz die Schichtarbeit in sogenannten "3- Schicht-Betrieben" im Rahmen von starren Schichtsystemen stattfinde. Da Schicht- und Nachtarbeit schlecht akzeptiert seien, sollten auch alle Beschäftigten davon gleichermaßen betroffen sein. Deshalb sei auch die konkrete Organisation der Schichtarbeit, nämlich die Dauer der einzelnen Schichten und deren Abfolge, "stark normiert". So folge der Schichtwechsel in 3- Schicht-Systemen überwiegend dem wöchentlichen Rotationsmodell von Früh-, Spät- und Nachtschicht. Die Arbeitsblöcke seien fix vorgegeben und seien auch einzuhalten. Dass die Schichtarbeit im Betrieb der Arbeitgeberin des Mitbeteiligten auch tatsächlich diesem Rotationsmodell von Früh-, Spät- und Nachtschicht gefolgt sei, werde eben aus den Schreiben des Schweizer Staatssekretariates für Wirtschaft vom und vom betreffend die Bewilligung für Nachtarbeit klar. Der Mitbeteiligte sei daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch an die vorgegebenen Arbeitszeiten gebunden gewesen, woraus zu schließen sei, dass die bekannt gegebenen Schichtzeiten auch den tatsächlichen Arbeitszeiten des Mitbeteiligten in den Streitjahren entsprochen hätten. Dass der Mitbeteiligte tatsächlich im 3-Schicht-Betrieb eingebunden gewesen sei, werde auch durch die vom Finanzamt nicht bezweifelte Auszahlung der Schichtzulage mit der Bezeichnung "3- Schicht Pauschal" deutlich.
Auf Grund obiger Überlegungen errechne sich die Höhe des steuerfreien Nachtarbeitszuschlages in den Streitjahren wie folgt:
1998 (Oktober bis Dezember):
SFR 1.410,-- (monatlicher pauschaler Zuschlag) x 3 Monate x 33,33 % (der Mitbeteiligte arbeite zumindest jede dritte Woche in der sogenannten dritten Schicht, woraus sich ergebe, dass 33,33 % des ausbezahlten Zuschlages auf die begünstigte Nachtarbeitszeit entfalle) = SFR 1.409,86
1999:
SFR 1.410,-- x 12 x 33,33 % = SFR 5.639,44 : 12 Monate x 11 Monate (= Berücksichtigung der anteiligen Urlaubszeit; für Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer im Betrieb keine Arbeit leiste, stehe auch keine Steuerbefreiung für sonst steuerfreie Nachtzuschläge zu) = SFR 5.169,48
2000:
SFR 4.230,-- (SFR 1.410,-- x 3 (Jänner bis März)) + SFR 12.825,-- (SFR 1.425,-- (pauschaler Zuschlag ab April) x 9) = SFR 17.055,-- x 33,33 % = SFR 5.684,43 : 12 Monate x 11 Monate = SFR 5.210,72.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie der Erstattung einer Gegenschrift durch den Mitbeteiligten über die gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde des Finanzamtes erwogen:
Die Absätze 1, 3, 6 und 8 des § 68 EStG 1988 in der im Streitzeitraum geltenden Fassung lauteten:
"(1) Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und mit diesen Arbeiten zusammenhängende Überstundenzuschläge sind insgesamt bis S 4.940,-- monatlich steuerfrei."
"(3) Soweit Zulagen und Zuschläge durch Abs. 1 und 2 nicht erfasst werden, sind sie nach dem Tarif zu versteuern."
"(6) Als Nachtarbeit gelten zusammenhängende Arbeitszeiten von mindestens 3 Stunden, die auf Grund betrieblicher Erfordernisse zwischen 19 Uhr und 7 Uhr erbracht werden müssen. Für Arbeitnehmer, deren Normalarbeitszeit im Lohnzahlungszeitraum auf Grund der Beschaffenheit ihrer Arbeit überwiegend in der Zeit von 19 Uhr bis 7 Uhr liegt, erhöht sich der Freibetrag gemäß Abs. 1 um 50 %."
"(8) Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen, die in Überstundenentlohnungen enthaltene Zuschläge für Mehrarbeit und Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind bei den im § 67 Abs. 11 genannten Personen unter Anwendung der Abs. 1 bis 6 zu versteuern, sofern auf Grund eines Vertrages über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen überprüft werden kann, dass die Voraussetzungen der Abs. 1 bis 6 vorliegen."
Das beschwerdeführende Finanzamt führte in der abweisenden Berufungsvorentscheidung aus, aus den im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen sei zu entnehmen, dass die Schichtzulage als pauschaler Zuschlag in Höhe von 30 % zum Grundsalär ausbezahlt werde. Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit könnten aus Pauschalien grundsätzlich nicht herausgeschält werden. Die Steuerfreiheit dieser Zuschläge setze eine konkrete Zuordnung dieser Zuschläge zur Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit voraus. Eine steuerfreie Behandlung von Teilen der Schichtzulagen als Nachtarbeitszuschläge sei daher ausgeschlossen. Auch aus der vorgelegten Regelung zum 2- und 3-Schicht-Betrieb gehe nicht hervor, dass durch die Schichtzulage ein Nachtarbeitszuschlag abgegolten werden solle. Vielmehr gehe die Behörde davon aus, dass die Schichtzulage die Unbequemlichkeiten der Schichtarbeit und des Schichtwechsels finanziell abgelten solle. Eine solche Schichtzulage gelte als Arbeitslohn und sei grundsätzlich steuerpflichtig.
Zu dieser Rechtsfrage, ob sich aus der Zulage mit der Bezeichnung "3-Schicht Pauschal" Zuschläge für Nachtarbeit ergeben, führte die belangte Behörde aus, Nachtarbeitszuschläge seien nur dann gemäß § 68 EStG 1988 steuerfrei, wenn Aufzeichnungen über Anzahl und zeitliche Lagerung aller Nachtstunden vorlägen. Im konkreten Fall könne ausnahmsweise auf die Vorlage von Aufzeichnungen über die Anzahl und zeitliche Lagerung der Nachtstunden bzw. bei pauschaler Abgeltung von Zulagen von sonst üblichen Nachweisen, dass der Betrag der pauschalen Abgeltung der durchschnittlich zur Nachtzeit geleisteten Stunden entspreche, verzichtet werden. Sie ging davon aus, dass der Mitbeteiligte monatlich einen pauschalen Zuschlag erhalte. Der Schichtwechsel im 3-Schicht-System folge dem wöchentlichen Rotationsmodell von Früh-, Spät- und Nachtschicht. Da der Mitbeteiligte zumindest jede dritte Woche in der sogenannten dritten Schicht (Nachtschicht) arbeite, ergäbe sich, dass 33,33 % des ausbezahlten Zuschlages auf die begünstigte Nachtarbeit entfalle.
Die Schichtzulage wurde monatlich in gleicher Höhe bezahlt. Das tatsächliche Ausmaß der Nachtarbeit im einzelnen Monat (die Nachtarbeit kann bei dem angenommenen Modell pro Monat bis zu 100 % abweichen, weil in dem Monat, in dem in der ersten Woche Nachtarbeit anfällt, während zweier Wochen Nachtarbeit zu leisten ist), hat die Höhe der Zulage nicht beeinflusst. Das Herausrechnen einer Zulage für Nachtarbeit kommt bei dieser Sachlage entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht in Betracht (vgl. Doralt, EStG10, § 68 Tz 47 mit Hinweis auf die hg. Rechtsprechung). Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am