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VwGH vom 12.12.2018, Ra 2018/19/0010

VwGH vom 12.12.2018, Ra 2018/19/0010

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des D A in S, vertreten durch Dr. Hagen Nagler, Rechtsanwalt in 8330 Feldbach, Hauptplatz 3, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W207 2132703- 2/8E, betreffend Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Im Rahmen der Erstbefragung gab er an, aufgrund der schlechten Verhältnisse in seinem Heimatland herrsche dort große Armut, Arbeitslosigkeit und Unsicherheit. Seine Mutter sei behindert. Er wolle in Österreich arbeiten und ihr Geld schicken. Er wolle hier auch studieren.

3 Bei seiner Vernehmung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte der Revisionswerber zu seinem Fluchtgrund - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, er stamme aus Mazar-e-Sharif. Dort sei es unsicher und es gebe Krieg. Er habe in den Nachrichten gehört, dass die Taliban einen Angriff auf das indische Konsulat verübt hätten. Er habe sein Heimatland wegen des schon in der Erstbefragung angegebenen Grundes verlassen. Aber auch "die unsichere Lage" stelle einen Grund dafür dar. Der Krieg und die vielen Anschläge seien sogar der Hauptgrund gewesen. Wenn man zur Arbeit gegangen sei, habe man sich nie sicher sein können, ob man wieder gesund nach Hause komme. Es habe aber bezogen auf ihn selbst keinen konkreten Vorfall gegeben. Man wisse aber nicht, was noch komme. Die Taliban seien überall. Sie brächten die Leute um, und zwar auch auf der Straße.

4 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Unter einem sprach die Behörde aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Weiters legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

5 Soweit es die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten betrifft, ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon aus, dass der Revisionswerber sein Heimatland aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Er habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) glaubhaft gemacht. Die wirtschaftlich problematische Situation im Heimatland rechtfertige nicht die Gewährung von Asyl.

6 Gegen diesen Bescheid - allerdings nicht gegen alle Spruchpunkte - erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Jener Ausspruch, mit dem sein Antrag in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, blieb unbekämpft. Die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom als unbegründet abgewiesen und die Revision für nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig erklärt.

7 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2017/20/0304, wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückgewiesen.

8 In der Folge setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Schritte, um für den Revisionswerber ein Passersatzdokument ("Heimreisezertifikat") zu erlangen. Unter anderem forderte es den Revisionswerber mit Ladungsbescheid vom auf, sich am zwecks Feststellung seiner Identität durch Teilnahme an einem "Interview" in den Räumlichkeiten der Konsularabteilung der afghanischen Botschaft in Wien einzufinden.

9 Am stellte der Revisionswerber neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, dass seine bisher als Fluchtgründe gemachten Angaben nach wie vor "stimmen" würden. Allerdings sei er nunmehr zum Christentum konvertiert. Er besuche gerade die Taufvorbereitungskurse und regelmäßig die Baptistenkirche in Graz. Infolgedessen könne er keinesfalls nach Afghanistan zurück. Dort müsse er um sein Leben fürchten. Es drohe ihm die Steinigung, weil er den Islam verraten habe und zum Christentum konvertiert sei. Ein solcher Verrat habe in seinem Heimatland die Todesstrafe zur Folge. Zur Bekräftigung seines Vorbringens legte der Revisionswerber ein Schreiben vor, das seinem Inhalt zufolge von einem Mitglied der "Leiterschaft der Baptistenkirche in Graz" verfasst und in dem (ua.) ausgeführt wurde, der Revisionswerber habe "ein neues Leben mit Jesus angefangen".

10 Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 und Z 6 AsylG 2005 vom gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Revisionswerber bekannt, dass es beabsichtige, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nach § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz mit mündlich zu verkündendem Bescheid aufzuheben. Somit gelte nicht länger die 20-Tages-Frist für das Zulassungsverfahren. Weiters wurde dem Revisionswerber von der Behörde mit einer weiteren Verfahrensordnung zur Kenntnis gebracht, dass er verpflichtet sei, an einem Rückkehrberatungsgespräch teilzunehmen.

11 Am wurde der Revisionswerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinem neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz vernommen. Zu Beginn der Vernehmung erteilte der Revisionswerber dem dort anwesenden S Vertretungsvollmacht.

12 Im Rahmen der Vernehmung wurde der Revisionswerber näher zu den Umständen und den Gründen seiner Konversion befragt.

13 Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Gründe führte der Revisionswerber aus, er habe während des ersten Verfahrens noch nicht so viel über das Christentum gewusst und daher zu dieser Zeit die beabsichtigte Konvertierung noch nicht erwähnt.

14 Nach Beweismittel für eine Verfolgung im Heimatland befragt, gab der Revisionswerber an, dass er über solche nicht verfüge. Er könne aber allenfalls solche beschaffen und "Beweismittel vorlegen vom Dorfältesten oder vom Mullah", dass sein "Leben dort in Gefahr sei".

15 Der Niederschrift wurde ein - vom Vertreter des Revisionswerbers vorgelegtes und auch von ihm unterzeichnetes - Schreiben der "Internationalen Baptistengemeinde Graz" angeschlossen, demzufolge der Revisionswerber von M M H "von geistlicher Seite" betreut worden sei und in dem Umstände geschildert wurden, aus denen hervorgehe, dass er "von Herzen konvertiert" sei.

16 Nach Abschluss der Vernehmung sowie nach Unterbrechung und Fortsetzung der Amtshandlung hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem am mündlich verkündeten Bescheid den faktischen Abschiebeschutz des Revisionswerbers gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf. In der (im Protokoll wiedergegebenen) Begründung stellte die Behörde darauf ab, dass das Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner Konversion als nicht glaubhaft angesehen werde. Es liege ein gegenüber den im ersten Verfahren erstatteten Angaben gesteigertes Vorbringen vor. Das Vorbringen sei auch deswegen unglaubwürdig, weil kein Asylwerber eine sich bietende Gelegenheit, ein entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt verstreichen lassen würde. Da es dem Revisionswerber möglich gewesen wäre, sein Vorbringen schon im ersten Asylverfahren zu erstatten, könne ihm auch kein glaubhafter Kern zukommen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass "eine Person" die Gelegenheit auslasse, ein Vorbringen zu erstatten, das zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten führen könnte. Hätte der Revisionswerber sein Vorbringen schon im ersten Verfahren erstattet, hätte dieses Verfahren "anders ausgehen können". Die vom Revisionswerber angeführten Gründe für die Verzögerung des nunmehrigen Vorbringens seien nicht glaubhaft. Es sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber den neuerlichen Antrag missbräuchlich dazu benutze, den weiteren Aufenthalt in Österreich sicherzustellen. Es handle sich "um ein bereits seit einigen Jahren geradezu regelmäßig zu beobachtendes Phänomen", dass im Besonderen aus Afghanistan stammende Asylwerber fälschlicherweise behaupten, konvertiert sein, "um so eine Zulassung zum Verfahren im Bundesgebiet zu erwirken". So sei der Schluss zwingend, dass im gegenständlichen Verfahren vom Bestehen des Zurückweisungsgrundes der entschiedenen Sache auszugehen sei. Für die Aberkennung des faktischen Abschiebschutzes sei es aber zudem ausreichend, dass voraussichtlich eine Zurückweisung ergehen werde. Das sei hier zu bejahen. Im Weiteren legte die Behörde dar, weshalb ihrer Ansicht nach es auch nicht gegen Art. 3 und Art. 8 EMRK verstoßen würde, wenn der Revisionswerber nach Afghanistan zurückgeführt werde. Da auch insoweit gegenüber dem ersten Verfahren keine entscheidungswesentlichen neuen Umstände vorlägen, gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung aufrecht sei, er seit Erlassung derselben das Bundesgebiet nicht verlassen habe, er über kein Aufenthaltsrecht verfüge und sein neuerlicher Antrag voraussichtlich zurückzuweisen sei, weil das Vorbringen jeglicher Glaubwürdigkeit entbehre und "auch gegen das Neuerungsverbot" verstoße, lägen die Voraussetzungen für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vor.

17 Das Protokoll über die mündliche Bescheiderlassung enthält weiters den Hinweis, dass der Revisionswerber darüber in Kenntnis gesetzt worden sei, dass die Verwaltungsakten unverzüglich von Amts wegen dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung übermittelt würden und dies als Beschwerde gelte.

18 Mit Schreiben vom übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die den Revisionswerber betreffenden Akten dem Bundesverwaltungsgericht "zur Beurteilung der Aufhebung" und wies darauf hin, dass der faktische Abschiebschutz des Revisionswerbers aufgehoben und ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet worden sei sowie dass sich der Revisionswerber (nunmehr) in Schubhaft befinde.

19 Mit Schreiben vom bestätigte das Bundesverwaltungsgericht gegenüber dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, dass die Verwaltungsakten am in der zuständigen Gerichtsabteilung eingelangt seien. Eine vom Revisionswerber erhobene Beschwerde gegen den Bescheid vom findet sich in den Verfahrensakten nicht.

20 In weiterer Folge übermittelte der Vertreter des Revisionswerbers dem Bundesverwaltungsgericht per Telefax eine "Ergänzung zur Stellungnahme zur Vorentscheidung des BFA Traiskirchen (...)" der Internationalen Baptistengemeinde. In diesem von dem (bereits oben erwähnten) M M H und dem A G verfassten Schreiben wurden näher dargestellte Umstände ins Treffen geführt, aus denen sich ergebe, warum sie den Revisionswerber "als einen im Glauben rasch wachsenden jungen Mann bezeichnen" würden. Wahrscheinlich kenne ihn (der ihn im Verfahren vertretende) S am besten. Am übersendete der Vertreter des Revisionswerbers einen weiteren Schriftsatz, in dem er darauf hinwies, dass der Vorwurf des gesteigerten Vorbringens und der fehlenden Glaubhaftmachung der Konvertierung erst (ua.) nach Zeugenbefragung und genaues Hinterfragen beurteilt werden könne.

21 Der in der Folge - ohne weitere Verfahrensschritte - ergangene und beim Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom "in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom , Zl. (...), erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend" den Revisionswerber enthält folgenden Spruch:

"Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-Verfahrensgesetz rechtmäßig."

22 Das Vorbringen des Revisionswerbers - so das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung - stelle sich insbesondere insofern als nicht glaubwürdig dar, als nicht davon auszugehen sei, dass das Interesse des Revisionswerbers am Christentum auf einem tatsächlichen, aus einer inneren Glaubensüberzeugung heraus erfolgten Glaubenswandel beruhe, der dazu führe, dass er die christlichen Glaubensgrundsätze, Bräuche und Traditionen auch im Fall der Rückkehr in seinem Heimatland "ausleben" wolle. Das Bundesverwaltungsgericht verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass sich aus dem im Rahmen der Antragstellung erstatteten Vorbringen ergebe, dass der behauptete Sachverhalt schon im ersten Asylverfahren hätte vorgebracht werden können. Dennoch habe er dieses "grundsätzlich sehr vorteilhafte Vorbringen" im ersten Verfahren nicht erstattet. Der Erklärungsversuch des Revisionswerbers, er habe damals noch nicht so viel über das Christentum gewusst, überzeuge nicht, weil er im Widerspruch zu seinen Angaben stehe, seit längerem ein "intensives Interesse" an der christlichen Religion sowie schon während seines vorangegangenen Aufenthalts in der Türkei die Bibel gelesen und die Kirche besucht zu haben. An der Einschätzung der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens könne auch das im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegte Schreiben der Internationalen Baptistengemeinde nichts ändern. Auf die dem Verwaltungsgericht vom Vertreter des Revisionswerbers übermittelten Schriftsätze ging es nicht ein.

23 Ausgehend davon legte das Bundesverwaltungsgericht sodann dar, weshalb die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben gewesen seien. Insbesondere führte es aus, dass der Folgeantrag des Revisionswerbers wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein werde, weil dem damit erstatteten Vorbringen kein glaubhafter Kern zukomme. Vor diesem Hintergrund und unter Bedachtnahme darauf, dass sich seit der letzten Entscheidung auch die Verhältnisse im Heimatland des Revisionswerbers nicht entscheidungsmaßgeblich geändert hätten, sei im Fall seiner Abschiebung nicht zu befürchten, dass eine Verletzung des Art. 2 oder Art. 3 EMRK erfolgen werde oder ihm die Todesstrafe drohe. Auch sei die Annahme einer Verletzung des Art. 8 EMRK nicht gerechtfertigt.

24 Abschließend merkte das Bundesverwaltungsgericht an, die Revision sei nicht im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil im vorliegenden Fall "vornehmlich" Sachverhaltsfragen zu klären gewesen seien.

25 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

26 In der gegen diesen Beschluss erhobenen (außerordentlichen) Revision wendet sich der Revisionswerber gegen die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, sein Antrag sei voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Dabei habe es auch den für eine Beurteilung nach § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 anzuwendenden Maßstab für eine "Grobprüfung in Form einer Prognose" verkannt. Es müsse sich von vornherein klar abzeichnen, dass der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werde. Nicht jeder Fall, in dem es allenfalls später zu einer Zurückweisung komme, rechtfertige die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes. Weiters wendet sich der Revisionswerber gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts und verweist in diesem Zusammenhang auf die von ihm vorgelegten Empfehlungsschreiben des S und des M M H, die seine innere Überzeugung belegen könnten. Diese seien bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden. Auch habe ihn das Bundesverwaltungsgericht nicht befragt. Da das Bundesverwaltungsgericht in rechtswidriger Weise zum Schluss gekommen sei, dass sein nunmehriges Vorbringen keinen glaubhaften Kern aufweise, stelle sich auch die Beurteilung, dass im Fall der Rückkehr in sein Heimatland keine Verletzung des Art. 3 EMRK erfolgen werde, als unrichtig dar, zumal ihm sogar Verfolgung im Sinn der GFK drohe. Dazu verweist der Revisionswerber auf diverse Berichte zu Afghanistan, wie etwa jenen des UNHCR vom April 2016, in dem ausgeführt werde, die Konversion vom Islam zu einer anderen Glaubensrichtung werde als Apostasie betrachtet und durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Nach diesem Bericht sei die Apostasie nach dem afghanischen Strafgesetzbuch zwar nicht ausdrücklich als eigene Straftat festgelegt, sie falle nach afghanischer Rechtsauffassung aber unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten".

27 § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 lauten:

"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

§ 12a. (1) ...

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23)

gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt

den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung

gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil

keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen

Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung

keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) ..."

"Entscheidungen

§ 22. ...

(10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden."

28 § 22 BFA-VG hat folgenden Wortlaut:

"Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

29 Anlässlich der Behandlung der - im Hinblick auf das oben wiedergegebene Vorbingen bereits als zulässig eingestuften und weiterhin als zulässig anzusehenden - Revision sind beim Verwaltungsgerichtshof Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts begründeten Bestimmungen entstanden. Es wurde daher an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt, näher bezeichnete Bestimmungen des AsylG 2005 und des BFA-VG aufzuheben.

30 Mit Erkenntnis vom , G 186/2018 ua., hat der Verfassungsgerichtshof den Antrag abgewiesen und ausgeführt, dass die mit § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 BFA-VG angeordnete Rechtsschutzkonstruktion in Form einer fiktiven Parteibeschwerde in ausnahmslos jedem Fall einer Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes mit dem in Art. 130 und Art. 132 B-VG vorgesehenen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit vereinbar sei (Pkt. IV.2.4.3. der Begründung). Es liege auch keine erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts vor. Vor dem Hintergrund des Art. 130 B-VG sei die Frage der Rechtskraftfähigkeit des gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 erlassenen Bescheides unerheblich (Pkt. IV.2.5. der Begründung).

31 Ausgehend davon ist zunächst festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht zu Recht seine Zuständigkeit bejaht hat. Ungeachtet dessen, dass das Verwaltungsgericht seinen Spruch als feststellende Entscheidung formuliert hat, ist unzweifelhaft davon auszugehen, dass es eine Entscheidung über die vom Gesetz fingierte Parteibeschwerde getroffen hat.

32 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ra 2017/18/0451, 0452, darauf hingewiesen, dass die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") ausführen, dass "eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags" zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern.

33 Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art. 41 Abs. 1 lit. b der Verfahrensrichtlinie - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte.

34 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis vom festgehalten, dass es dem Fremden nicht verwehrt ist, im amtswegig eingeleiteten Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durch eine Beschwerdeergänzung auf Umstände des Falles hinzuweisen, die ihm entscheidungsrelevant erscheinen (Rn. 25 der Entscheidungsgründe). Ferner ist § 22 Abs. 1 BFA-VG - unionsrechtskonform - so zu verstehen, dass das Bundesverwaltungsgericht zwar ohne Verhandlung entscheiden kann, diese Norm aber kein "Verhandlungsverbot" statuiert, sondern dem Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit offen lässt, erforderlichenfalls eine Verhandlung durchzuführen (Rn. 31 der Entscheidungsgründe), zumal der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Rechtsprechung betont hat, dass der nationale Gesetzgeber das Gericht nicht daran hindern darf, eine Anhörung anzuordnen, wenn es die bei der persönlichen Anhörung des Fremden im erstinstanzlichen Verfahren erlangten Informationen für unzureichend hält und deshalb eine solche Anhörung als erforderlich ansieht, um eine umfassende, sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckende ex nunc-Prüfung vorzunehmen (Rn. 29 des zitierten Erkenntnisses mit Hinweis auf , Sacko).

35 Der Revisionswerber hat im gegenständlichen Fall sowohl vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch in einer als Beschwerdeergänzung zu qualifizierenden Stellungnahme gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht Personen namhaft gemacht und ein ergänzendes Vorbringen erstattet. Die Bekanntgabe der Personen verfolgte - hinreichend erkennbar durch den Hinweis, dass es erst möglich sei, (ua.) nach einer Befragung der Zeugen zu beurteilen, ob das Vorbringen des Revisionswerbers als unglaubwürdig anzusehen sei - (auch) den Zweck, das Vorbringen zu seiner Konversion durch Vernehmung dieser Personen zu belegen.

36 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seiner Entscheidung allerdings sowohl über die Ausführungen in der Stellungnahme als auch die (erkennbar gestellten) Beweisanträge begründungslos hinweggesetzt. Dass den genannten Beweismitteln von vornherein die Eignung abzusprechen gewesen wäre, zum Beweisthema etwas beitragen zu können, ist nicht zu sehen. Das Verwaltungsgericht darf sich aber über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. , mwN, dort ebenfalls zum Vorbringen einer Konversion). Ausgehend vom Inhalt der Beschwerdeergänzung kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Bundesverwaltungsgericht bei Befassung mit dem darin enthaltenen Vorbringen und mit den Beweisanträgen zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Schon deshalb ist der angefochtene Beschluss mit einem für den Verfahrensausgang relevanten Verfahrensmangel behaftet.

37 Schon die Notwendigkeit, sich umfangreich beweiswürdigend mit den Angaben eines Asylwerbers auseinandersetzen und nicht bloß geringfügige ergänzende Ermittlungen durchführen zu müssen, führt dazu, dass nicht mehr davon gesprochen werden könne, es liege noch eine Grobprüfung vor und die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags liege auf der Hand.

38 Es darf nämlich nicht unbeachtet bleiben, dass der Gesetzgeber - auch wenn es nach dem Gesagten dem Bundesverwaltungsgericht nicht untersagt ist, eine Verhandlung durchzuführen oder sonst ergänzende Ermittlungen vorzunehmen - mit den in § 22 Abs. 1 und Abs. 3 BFA-VG enthaltenen Anordnungen, dass das Verfahren (über die vom Gesetz fingierte Beschwerde) ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist, eine auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützte Zurückverweisung nicht ergehen darf und die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes binnen acht Wochen zu ergehen hat, vor Augen hatte, dass im Rahmen der bei der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vorzunehmenden Grobprüfung die Ergänzung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht die Ausnahme bleiben soll. Dies ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine vom betroffenen Fremden erhobene Beschwerde nicht vorliegen muss und nach § 22 Abs. 2 BFA-VG die Aufhebung des Abschiebeschutzes und eine aufrechte Rückkehrentscheidung oder eine Ausweisung mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar sind. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung ist von der Behörde (lediglich) bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Aus den genannten gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich somit insgesamt das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, dass die beschleunigte Abwicklung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht in erster Linie anhand des Ergebnisses der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bis dahin vorgenommenen Ermittlungen zu erfolgen hat. Lässt dieses Ermittlungsergebnis aber die einwandfreie Beurteilung im Rahmen der Grobprüfung nicht zu, sondern bedarf es dafür erheblicher ergänzender Ermittlungen, kann diese von der Behörde zu vertretende Mangelhaftigkeit nicht zum Nachteil des Fremden ausschlagen.

39 Da das Bundesverwaltungsgericht insoweit (auch) die Rechtslage verkannt hat, war die angefochtene Entscheidung wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

40 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

41 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190010.L00.1
Schlagworte:
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

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