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VwGH vom 17.12.2015, 2013/05/0101

VwGH vom 17.12.2015, 2013/05/0101

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Beschwerde der Marktgemeinde L, vertreten durch die Borns Rechtsanwalts GmbH in 2230 Gänserndorf, Dr. Wilhelm Exner-Platz 6, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-BR-1815/001-2013, betreffend Bauplatzerklärung (mitbeteiligte Parteien: 1. W P, 2. B P, beide in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bürgermeister der beschwerdeführenden Marktgemeinde erteilte den Mitbeteiligten mit Bescheid vom die Baubewilligung für eine Reithalle auf einem näher genannten Grundstück in L und mit Bescheid vom die Baubewilligung für die Errichtung einer Pferdepflegerwohnung und einer Futterkammer auf demselben Grundstück. Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom wurde das gegenständliche Grundstück zum Bauplatz erklärt.

Gegen den letztgenannten Bescheid erhoben die mitbeteiligten Parteien mit der Begründung Berufung, dass ohne diesbezüglichen Antrag keine Bauplatzerklärung zu erlassen gewesen wäre. Die Berufung wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes vom abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Vorstellung der mitbeteiligten Parteien wurde mit dem angefochtenen Bescheid Folge gegeben. Die belangte Behörde führte im Wesentlichen aus, dass die Bestimmung des § 23 Abs. 3 NÖ Bauordnung 1996 (BO) nicht als bloße Ordnungsvorschrift, sondern auf Grund der Wortfolge "hat... zu erfolgen" als zwingend einzuhaltende Bestimmung anzusehen sei. Ein Grundstück im Bauland, das - wie im vorliegenden Fall - noch nicht zum Bauplatz erklärt worden sei und nicht gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 bis 4 BO als solcher gelte, müsse im Baubewilligungsbescheid zum Bauplatz erklärt werden. Ein Bescheid iSd § 11 Abs. 2 BO sei ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt. Da im gegenständlichen Fall kein Antrag vorliege, fehle der ersten Instanz die Befugnis zur Erlassung des Bescheides, weshalb dieser rechtswidrig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet hat, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf den vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

2. Die beschwerdeführende Marktgemeinde bringt im Wesentlichen vor, dass § 23 Abs. 3 BO nicht vorsehe, dass der Antrag auf eine Bauplatzerklärung gesondert gestellt werden müsse und dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, dass der Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung keinen Antrag auf Erteilung einer Bauplatzerklärung enthalte. Ansonsten wäre jeder Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung, die nicht ausdrücklich einen Antrag auf Erteilung einer Bauplatzerklärung enthalte, abzuweisen. Es sei vielmehr anzunehmen, dass jeder Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung betreffend ein Grundstück, das noch nicht als Bauplatz erklärt worden sei, gleichzeitig als Antrag auf Erteilung einer Bauplatzerklärung zu werten sei. Dies ergebe sich auch aus der historischen Interpretation der Bestimmungen. § 100 Abs. 3 Bauordnung 1976 habe normiert, dass ein Antrag auf Erteilung der Baubewilligung auch als Antrag auf die Erklärung des vom Bauvorhaben betroffenen Grundstückes zum Bauplatz gelte und dass dieses Grundstück im Baubewilligungsbescheid zum Bauplatz zu erklären sei. Auch wenn diese Bestimmung mit der Bauordnung 1996 entfallen sei, sei den Materialien nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine inhaltliche Änderung beabsichtigt habe und somit nur mehr über ausdrücklichen Antrag eine Bauplatzerklärung zu erfolgen hätte. Die Vorschrift des § 23 Abs. 2 (gemeint wohl: Abs. 3) BO stelle eine bloße Ordnungsvorschrift dar, deren Nichtbeachtung nicht zur Nichtigkeit eines nachfolgenden Bescheides führe.

3. Im vorliegenden Beschwerdefall kommt die NÖ Bauordnung 1996 (BO) in der Fassung LGBl. 8200-21 zur Anwendung.

Die relevanten Bestimmungen der BO lauten auszugsweise:

"§ 11

Bauplatz, Bauverbot

(1) Bauplatz ist ein Grundstück im Bauland , das


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1.
hiezu erklärt wurde oder
2.
durch eine vor dem baubehördlich bewilligte Änderung von Grundstücksgrenzen geschaffen wurde und nach den damals geltenden Vorschriften Bauplatzeigenschaft besaß oder
3.
durch eine nach dem baubehördlich bewilligte oder angezeigte Änderung von Grundstücksgrenzen ganz oder zum Teil aus einem Bauplatz entstanden ist und nach den damals geltenden Vorschriften Bauplatzeigenschaft besaß oder
4.
am bereits als Bauland gewidmet und mit einem baubehördlichen bewilligten Gebäude oder Gebäudeteil, ausgenommen solche nach § 15 Abs. 1 Z. 1, § 17 Abs. 1 Z. 9 und § 23 Abs. 3 letzter Satz, bebaut war.

(2) Auf Antrag des Eigentümers ist ein Grundstück im Bauland mit Bescheid zum Bauplatz zu erklären , wenn es

1.a) an eine bestehende oder im Flächenwidmungsplan vorgesehene öffentliche Verkehrsfläche unmittelbar angrenzt oder

b) mit einer solchen durch eine Brücke verbunden ist oder verbunden werden kann oder

c) mit einem im Grundbuch sichergestellten Fahr- und Leitungsrecht, das dem Bebauungsplan nicht widerspricht, verbunden wird oder

d) die Widmung Bauland-Sondergebiet aufweist und durch eine im Flächenwidmungsplan vorgesehene im Eigentum des Bauplatzeigentümers stehende private Verkehrsfläche mit einer öffentlichen Verkehrsfläche verbunden ist,

2. aufgrund seiner Gestalt, Beschaffenheit und Größe nach den Bestimmungen dieses Gesetzes und den Festlegungen im Bebauungsplan bebaut werden darf,


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3.
nicht in einer Aufschließungszone (§ 75) liegt, und wenn
4.
die Bauplatzerklärung dem Zweck einer Bausperre (§ 74 Abs. 4 oder § 23 Abs. 3 NÖ Raumordnungsgesetz, LGBl. 8000) nicht widerspricht, oder
5.
die Aufschließung des Grundstücks zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht unwirtschaftliche Aufwendungen für öffentliche Einrichtungen auf dem Gebiete des Straßenbaues, der Wasserversorgung oder der Abwasserbeseitigung wegen seiner Entfernung von bereits aufgeschlossenem Gebiet zur Folge hat.
Verliert ein zum Bauplatz erklärtes Grundstück, das weder mit einem Gebäude noch mit einer großvolumigen Anlage (§ 23 Abs. 3) bebaut ist, durch Umwidmung nach den Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, die Baulandwidmung, erlischt die Bauplatzerklärung.
...
§ 23
Baubewilligung

(1) Die Baubehörde hat über einen Antrag auf Baubewilligung einen schriftlichen Bescheid zu erlassen.

Eine Baubewilligung ist zu erteilen, wenn kein Widerspruch zu den in § 20 Abs. 1 Z. 1 bis 7 angeführten Bestimmungen besteht.

...

(2) Der Baubewilligungsbescheid hat zu enthalten o die Angabe des bewilligten Bauvorhabens und

o die Vorschreibung jener Auflagen, durch deren Erfüllung den Bestimmungen der im § 20 Abs. 1 Z. 7 angeführten Gesetze und Verordnungen, entsprochen wird. ...

...

(3) Wenn der Zu- oder Neubau eines Gebäudes oder die Errichtung einer großvolumigen Anlage (einzelner Silo oder Tank oder Gruppe solcher Behälter mit mehr als 200 m3 Rauminhalt, Tiefgarage, Betonmischanlage oder dgl.) auf einem Grundstück oder Grundstücksteil im Bauland geplant ist, das bzw. der

o noch nicht zum Bauplatz erklärt wurde und

o auch nicht nach § 11 Abs. 1 Z. 2 und 4 als solcher gilt, hat die Erklärung des betroffenen Grundstücks oder

Grundstücksteils zum Bauplatz im Baubewilligungsbescheid zu erfolgen. Wenn eine Voraussetzung hiefür fehlt, ist die Baubewilligung zu versagen.

Dies gilt nicht im Falle einer Baubewilligung für ein Gebäude vorübergehenden Bestandes oder für ein Gebäude für eine öffentliche Ver- und Entsorgungsanlage mit einer bebauten Fläche bis zu 25 m2 und einer Gebäudehöhe bis zu 3 m.

Dies gilt weiters nicht für Grundstücke im Rahmen eines dort bestehenden land- und/oder forstwirtschaftlichen Betriebes, wenn eine Baubewilligung für einen Neu- oder Zubau eines Gebäudes oder die Errichtung einer großvolumigen Anlage, die jeweils dieser Nutzung dienen, erteilt wird.

..."

4. Zwar kann dem Beschwerdevorbringen, eine historische Interpretation ergebe, dass der Antrag auf Baubewilligung auch als Antrag auf Bauplatzerklärung zu verstehen sei, weil die Gesetzesmaterialien zum Entfall dieser in der BO 1976 noch vorhandenen Fiktion nichts aussagen, nicht gefolgt werden. Grundsätzlich stellt nämlich eine derartige Fiktion in einem antragsgebundenen System eine essentielle Regelung dafür dar, implizit das Vorliegen eines Antrages anzunehmen. Aus den Materialien, die diese Änderung nicht erwähnen, kann nicht geschlossen werden, dass diese Fiktion weiter gelten sollte. Eine historische Interpretation findet im Wortlaut der Regelung und dessen möglichem Inhalt ihre Grenze.

Trotzdem ist die Beschwerde im Ergebnis begründet.

4.1. Gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 51/2012 hat die Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren Parteistellung; sie ist berechtigt, gegen die Aufsichtsbehörde unter anderem vor dem Verwaltungsgerichtshof Beschwerde zu führen.

Das Beschwerderecht nach Art. 119a Abs. 9 B-VG stellt ein Beschwerderecht wegen Verletzung des Rechtes auf Selbstverwaltung dar und ist daher als Parteibeschwerde zu betrachten. Mit Bescheidbeschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof kann eine Rechtsverletzung von der Gemeinde releviert werden, wenn die Aufhebung des gemeindebehördlichen Bescheides überhaupt nicht hätte erfolgen dürfen, aber auch dann, wenn der Gemeindebehörde mit dem Vorstellungsbescheid eine Rechtsansicht überbunden wird, die eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechtes bewirkt. Der Bescheid der Vorstellungsbehörde ist daher wegen der Bindungswirkung aufgrund einer Beschwerde der Gemeinde schon dann aufzuheben, wenn sich auch nur ein den Spruch tragender Aufhebungsgrund im vorstehenden Sinne als rechtswidrig erweist. Die Bindung sowohl der Gemeinde als auch der anderen Parteien des Verfahrens erstreckt sich nach der hg. Judikatur ausschließlich auf die die Aufhebung tragenden Gründe des aufsichtsbehördlichen Bescheides, nicht jedoch auf jene Ausführungen der Gemeindeaufsichtsbehörde, die in Wahrheit zu einer Abweisung der Vorstellung hätten führen müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/05/0297, mwN).

Tragender Aufhebungsgrund war, die Baubehörde zweiter Instanz habe nicht erkannt, dass der Baubehörde erster Instanz die Befugnis zur Erlassung des Bescheides vom betreffend die Bauplatzerklärung mangels Vorliegens eines darauf gerichteten Antrages der mitbeteiligten Parteien gefehlt habe.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0267, festgehalten hat, ist im Hinblick darauf, dass der Regelung des § 23 Abs. 3 BO die Erklärung zum Bauplatz iSd § 11 Abs. 2 BO zugrunde liegt, beim Auseinanderfallen der Zuständigkeiten für die Erteilung von Baubewilligung einerseits und Bauplatzerklärung andererseits ein Antrag des Eigentümers für die (nachträgliche) Erklärung zum Bauplatz iSd § 11 Abs. 2 BO nicht erforderlich. Aber auch wenn - wie im Beschwerdefall - ein und dieselbe Behörde für die Erteilung der Baubewilligung und der Bauplatzerklärung zuständig ist, ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 BO ("... hat die Erklärung des betroffenen Grundstücks oder Grundstücksteils zum

Bauplatz ... zu erfolgen") davon auszugehen, dass unter den

Kriterien des § 23 Abs. 3 BO bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Bauplatzerklärung nach § 11 Abs. 2 BO eine Bauplatzerklärung auszusprechen ist, ohne dass es hiefür eines Antrages bedarf.

5. Da die belangte Behörde somit unzutreffend davon ausgegangen ist, der ersten Instanz fehle mangels Parteiantrags die Befugnis zur Erlassung der Bauplatzerklärung, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Z 1 der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014 iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am