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VwGH vom 16.01.2019, Ra 2018/18/0272

VwGH vom 16.01.2019, Ra 2018/18/0272

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der H B, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I415 2152044- 1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung von internationalem Schutz richtet. II. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die Beschwerde der Revisionswerberin in Bezug auf die gegen sie erlassene Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Tunesien gemäß § 52 Abs. 9 FPG und die Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Tunesiens, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete sie zusammengefasst damit, dass sie in Tunesien als Apothekerin in einem Krankenhaus beschäftigt gewesen und von einer Gruppe ihr unbekannter Personen zur Aushändigung von starken Medikamenten aufgefordert worden sei. Als sie dies verweigert habe, sei ihre Ermordung angedroht worden.

2 Die Revisionswerberin ist seit September 2015 in zweiter Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Aus dieser Ehe entstammt ein am geborener Sohn, der ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Die Familie lebt in einem gemeinsamen Haushalt.

3 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin vollinhaltlich ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Tunesien zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkannt.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde vom wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom , ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, als unbegründet abgewiesen und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

5 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dass die Revisionswerberin eine Privatverfolgung geltend gemacht habe, welche als solche keine Asylrelevanz habe. Umstände, derentwegen der Revisionswerberin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei, lägen fallgegenständlich nicht vor. Zur Rückkehrentscheidung ist dem angefochtenen Erkenntnis zu entnehmen, dass der zweieinhalbjährige Sohn der Revisionswerberin insbesondere aufgrund des Alters auf die Versorgung durch seine Eltern angewiesen sei. Das verleihe im vorliegenden Fall dem Familienleben zwischen der Revisionswerberin und ihrem Sohn eine besondere Schutzbedürftigkeit und damit ein besonderes Gewicht. Allerdings dürfe auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass unzählige berufstätige Alleinerzieherinnen von Kleinstkindern in Österreich auf pädagogische Einrichtungen wie Kinderhorte, Kinderkrippen oder Tagesmütter angewiesen seien, und es nicht nachvollziehbar sei, weshalb die Inanspruchnahme derartiger Einrichtungen für den Ehegatten der Revisionswerberin unzumutbar sein sollte, während er einer Beschäftigung nachgehe und das Familienleben in Form einer Fernbeziehung aufrechterhalten könne. Außerdem sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Ehegatte der Revisionswerberin im nordafrikanischen Kulturkreis (Algerien) aufgewachsen und hauptsozialisiert worden sei, er die arabische Sprache spreche, mit den Gebräuchen und Gepflogenheiten der maghrebinischen Kultur vertraut sei und er die Revisionswerberin immer wieder in Tunesien besucht habe. Folglich sei es ihm bzw. dem gemeinsamen Sohn zumutbar, das Familienleben im Heimatstaat der Revisionswerberin fortzuführen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche moniert, dass zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens eine mündliche Verhandlung durchgeführt hätte werden müssen. Auch in Bezug auf die Abwägung der nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände wäre die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von besonderer Bedeutung gewesen. Eine genaue Beurteilung der Aspekte des Art. 8 EMRK sei nicht vorgenommen worden.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.

Zu Spruchpunkt I:

9 Soweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung von

internationalem Schutz wendet, ist sie nicht zulässig.

10 Der Revision gelingt es insoweit nicht, eine Rechtsfrage

darzulegen, der - entgegen dem Ausspruch des BVwG - im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

11 Wenn der Revision diesbezüglich erstmals zu entnehmen ist, die Revisionswerberin sei nicht von unbekannten Tätern, sondern von Mitgliedern des Islamischen Staates bedroht worden, stand der Berücksichtigung dieses Vorbringens im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen (vgl. etwa , mwN).

12 Die Revision war daher in Bezug auf diese Spruchpunkte wegen Nichtvorliegen einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen. Zu Spruchpunkt II:

13 Berechtigung kommt der Revision jedoch insoweit zu, als sie sich gegen die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses richtet.

14 Die Revisionswerberin macht dabei unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung u. a. geltend, dass das BVwG zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe.

15 Damit ist sie bereits im Recht. Von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Verhandlung hätte zwar bei Vorliegen der in § 21 Abs. 7 BFA-VG umschriebenen Voraussetzungen abgesehen werden dürfen. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen aber im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten einer Fremden sprechenden Fakten auch dann für sie kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihr einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa , mwN).

16 Von einem solchen eindeutigen Fall kann aber schon im Hinblick auf die Ehe der unbescholtenen Revisionswerberin mit einem österreichischen Staatsbürger und ihrer Elternschaft zu einem dreijährigen Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft keine Rede sein (vgl. zur Bedeutung der Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger etwa , Rn. 15, mwN).

17 Darüber hinaus leidet das angefochtene Erkenntnis auch an mehreren gravierenden Begründungsfehlern.

18 Bezüglich der vom BVwG angenommenen Möglichkeit der Fortsetzung eines gemeinsamen Familienlebens in Tunesien ist zunächst darauf hinzuweisen, dass diese Annahme schon durch keinerlei Feststellungen zu den in Tunesien bestehenden rechtlichen Aufenthaltsmöglichkeiten des aus Algerien stammenden österreichischen Ehegatten und des österreichischen Sohns der Revisionswerberin unterlegt ist.

19 Soweit das BVwG in seinen Erwägungen eine Trennung der Familie für zumutbar erachtet, ist zunächst nochmals darauf hinzuweisen, dass aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht ersichtlich ist, dass das BVwG die mit einem österreichischen Staatsbürger bestehende Ehe im Sinne der oben dargestellten hg. Rechtsprechung gewürdigt hätte.

20 Zudem kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den ersten Lebensphasen eines Kindes ein ständiger Kontakt mit der Mutter nicht nur wünschenswert, sondern notwendig sein, weshalb bei der Abwägungsentscheidung auch die konkreten Auswirkungen einer Trennung auf das Kindeswohl zu berücksichtigen sind (vgl. , mwN). Diesbezügliche Erörterungen zum Kindeswohl fehlen im angefochtenen Erkenntnis vollständig.

21 Selbst wenn eine Trennung von der Mutter in Betracht gezogen würde, erweisen sich die Erwägungen des BVwG, der Vater könne die Sorge für das gemeinsame Kind in Österreich unter Zuhilfenahme von Kinderbetreuungseinrichtungen allein übernehmen, mangelhaft begründet. Auch dazu hätte es unter Bedachtnahme auf das Kindeswohl konkreter Feststellungen bedurft, ob der Vater wirklich in der Lage und bereit ist, die tägliche und tatsächliche Sorge für das Kind allein wahrzunehmen und ob es nach den Umständen des Einzelfalles vertretbar wäre, das Kind - nach seinem Alter und dem Grad seiner affektiven Bindungen zu den Elternteilen - allein mit dem väterlichen Elternteil zu belassen.

22 Indem das BVwG die in der Rechtsprechung genannten Aspekte bei der Art. 8 EMRK-Abwägung nicht ausreichend berücksichtigte, hat es auch materiell die Rechtslage verkannt, womit es das angefochtene Erkenntnis mit (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die gegen die Revisionswerberin erlassene Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 1VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

24 Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180272.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

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