VwGH vom 25.05.2007, 2006/02/0322
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2007/02/0017 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des EK in Wien, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zlen. UVS- 07/S/52/9510/2004-19, UVS-07/V/52/9791/2004, betreffend Übertretungen arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer wie folgt schuldig erkannt:
"Sie haben es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, in der geltenden Fassung, zur Vertretung nach außen berufenes Organ der W Gesellschaft m.b.H. mit dem Sitz in W zu verantworten, dass diese Gesellschaft am auf der Baustelle dieser Gesellschaft in M, auf welcher die Arbeitnehmer dieser Gesellschaft, Herr Ö, Herr B, Herr J, Herr M, Herr E und Herr Y, mit Arbeiten auf dem Dach (Aufbringung von Dämmplatten etc.) beschäftigt waren,
1.) entgegen der Bestimmung des § 36 Abs. 7 der Arbeitsmittelverordnung - AM-VO, BGBl. II Nr. 164/2000, in der geltenden Fassung, wonach, wenn Anlegeleitern als Verkehrswege benützt werden und die Gefahr eines Absturzes über mehr als 5 m besteht, als Sicherungen Seitenwehren, eine Rückensicherung nach § 35 Abs. 1 oder eine andere Einrichtung nach § 35 Abs. 2 anzubringen sind,
keine entsprechenden Sicherungen, wie Seitenwehren, eine Rückensicherung oder eine andere Einrichtung im Sinne des § 35 Abs. 2 (= Steigschutz), angebracht hat, obwohl Absturzgefahr von ca. 9 m auf das Terrain bestand
und
2.) entgegen der Bestimmung des § 87 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung - BauV, BGBl. Nr. 340/1994, in der geltenden Fassung, wonach bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 vorhanden sein müssen, für die Arbeiten auf dem Flachdach mit einer Dachneigung bis 3,8 % laut Plan keine Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen entsprechend den Vorgaben der §§ 7 bis 10 BauV, wie z.B. Umwehrungen an den Absturzkanten, Fanggerüsten etc., angebracht hat."
Der Beschwerdeführer habe dadurch zu 1.) sechs Übertretungen gemäß § 130 Abs. 1 Z. 16 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) iVm § 36 Abs. 7 der Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) iVm § 9 Abs. 1 VStG begangen. Es wurden sechs Geldstrafen in der Höhe von je EUR 1.000,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von je 2 Tagen) verhängt. Zu 2.) habe der Beschwerdeführer sechs Übertretungen gemäß § 130 Abs. 5 ASchG iVm § 87 Abs. 2 der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) iVm § 9 Abs. 1 VStG begangen. Es wurden sechs Geldstrafen in der Höhe von je EUR 1.500,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von je 3 Tagen) verhängt.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides stellte die belangte Behörde - nach zusammenfassender Wiedergabe der Verfahrensergebnisse, insbesondere der Aussagen der in den mündlichen Verhandlungen einvernommenen Zeugen - fest:
"Im vorliegenden Fall ist es schon durch die Aussage des Zeugen Ing. H, der in der Verhandlung einen äußerst korrekten Eindruck hinterließ, und die von ihm zur Tatzeit angefertigten Fotos erwiesen, dass bei einer unstrittigen Absturzhöhe von ca. 9 m zum einen die sechs vom Straferkenntnis erfassten Arbeitnehmer lediglich über die inkriminierte und nicht den Vorschriften des § 36 Abs. 7 AM-VO entsprechende Anlegeleiter als Verkehrsweg auf das gegenständliche Flachdach gelangen konnten und damit diese Leiter auch zwangsläufig verwenden mussten. Zum anderen ist durch diese Beweisaufnahmen auch klargestellt, dass ... die gegenständlichen Arbeiten noch voll im Gange waren und, wie sich aus der Aussage des Zeugen R ergibt, die Baustelle keinesfalls vor dem Abschluss stand, sondern noch den Arbeitsumfang von etwa 40 bis 50 Manntagen erforderte. Da im Arbeitsbereich - außer einer völlig ungenügenden, allenfalls 45 cm hohen Attika - keine der in § 87 Abs. 2 BauVO genannten Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen vorhanden waren, wovon ebenfalls alle sechs vom Straferkenntnis erfassten Arbeitnehmer betroffen waren, ist der objektive Tatbestand im vorliegenden Fall in beiden Punkten zweifelsfrei erfüllt."
Des Weiteren führte die belangte Behörde detailliert aus, aus welchen Gründen im gegenständlichen Unternehmen "im maßgeblichen Umfang gar kein Kontrollsystem" eingerichtet gewesen sei und legte ihre Überlegungen zur Strafbemessung dar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Insoweit sich die beschwerdeführende Partei gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. zB. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053). Die Beschwerdeausführungen lassen aber Zweifel an der Schlüssigkeit der von der belangten Behörde dargelegten Erwägungen zur Beweiswürdigung nicht aufkommen. Insbesondere lässt der Beschwerdeführer völlig außer Acht, dass sich die belangte Behörde wesentlich auf die anlässlich der Amtshandlung aufgenommenen Fotos gestützt hat, welche die Feststellungen zur objektiven Tatseite in beiden Punkten in eindeutiger Weise belegen. Weiters zitiert der Beschwerdeführer in der Beschwerde Inhalte der Aussagen der Zeugen R und A mit aus dem Zusammenhang gerissenen Bruchstücken und übergeht, dass sich diese Zeugen in Wahrheit nicht auf konkrete Aussagen festlegten, sondern sich zu wesentlichen Fragen nur im Wahrscheinlichkeitsbereich bewegten. Keiner der Entlastungszeugen hat jedoch konkret behauptet, dass eine dem § 36 Abs. 7 AM-VO entsprechende Anlegeleiter zum Tatzeitpunkt benützt worden sei, sowie dass und welche Absturzsicherungen im Sinne der §§ 7 bis 10 BauV zur Tatzeit montiert gewesen seien. Außerdem gehen alle Ausführungen in der Beschwerde zur "persönlichen Sicherheitsausrüstung" (und damit auch zu den sogenannten "Sekuranten", in welche eine persönliche Sicherheitsausrüstung eingehängt werden könnte) an gegenständlicher Sache vorbei, weil es hier nicht um den Vorwurf des Nichtvorhandenseins oder Nichtanlegens derartiger Sicherheitsausrüstungen geht (zumal auf Grund des unbestrittenermaßen bedeutenden Ausmaßes und der langen Dauer der gegenständlichen Dacharbeiten der Ausnahmetatbestand des § 87 Abs. 5 BauV nicht in Frage kommen konnte). Auch die Behauptung, dass eine den Vorschriften entsprechende Leiter "zur Verfügung stand", geht ins Leere, weil am Tattag eine den Vorschriften nicht entsprechende Leiter tatsächlich als Verkehrsweg benützt wurde - und nur auf letzteres kommt es beim Tatbestand des § 36 Abs. 7 AM-VO an.
Doch selbst wenn man im Hinblick auf die Bestrafung zu Punkt 2.) den unbestimmten Angaben der Zeugen A und O zur Höhe der Randbegrenzung (ca. 0,80 - 0,90 m) den Vorzug vor den Angaben des Zeugen H (0,45 m) geben wollte, wäre damit für den Beschwerdeführer nichts gewonnen. Denn aus § 9 Abs. 5 iVm § 8 Abs. 2 BauV ergibt sich, dass eine Mindesthöhe von 1,00 m erforderlich ist, damit eine Abgrenzung als Absturzsicherung oder Schutzeinrichtung im Sinne des § 87 Abs. 2 BauV in Frage kommen kann.
Der Beschwerdeführer rügt sodann, es sei trotz seines Antrages "zum Beweis dafür, dass die vorhandenen Absturzeinrichtungen ausreichend waren", kein Sachverständiger beigezogen worden. Der Beschwerdeführer ist darauf hinzuweisen, dass er damit das Beweisthema, das er in der mündlichen Verhandlung vom erstmals konkret nannte, verfälscht wiedergibt. Denn das Beweisthema lautete: "Ob persönliche Absturzeinrichtungen im ggst. Fall ausreichend vorhanden waren". Einerseits handelt es sich damit um einen Erkundungsbeweis, andererseits kommt es - wie bereits dargelegt - auf das Vorhandensein persönlicher "Absturzeinrichtungen" (gemeint wohl: Sicherheitseinrichtungen zur Verhinderung eines Absturzes) im vorliegenden Fall gar nicht an, weshalb die belangte Behörde zu Recht dem Antrag nicht folgte.
Wenn der Beschwerdeführer sich gegen die Ausführungen der belangten Behörde, es habe in Wahrheit kein Kontrollsystem bestanden, wendet, so ist er auf die von der belangten Behörde zu Recht verwerteten diesbezüglichen Aussagen der einvernommenen Arbeiter, die trotz einer angeblich jährlich vorgenommenen "Unterweisung" de facto keine Ahnung über die bei derartigen Baustellen wie der gegenständlichen einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften hatten, sowie die Aussage des R, dass es im Unternehmen keine konkrete Anordnung gegeben habe, von welcher Person die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu überwachen wäre, hinzuweisen. Die in der Beschwerde dazu vorgenommenen Erklärungsversuche sind nicht überzeugend. Im Übrigen sei zum Erfordernis eines "wirksamen Kontrollsystems" auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zB das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/02/0018) hingewiesen.
Insoweit sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch auf eine "interne Aufgabenteilung" beruft, der zu Folge sein "Aufgabenkreis" nur den "Geschäftsbereich der Zweigstelle Graz" umfasse, ist ihm entgegenzuhalten, dass nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/02/0248, 0249) bei einer Mehrzahl von zur Vertretung nach außen berufenen Organen einer juristischen Person diese die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit kumulativ zu tragen haben; eine bloß interne Aufgaben- und Verantwortungsaufteilung ist irrelevant.
Sodann bringt der Beschwerdeführer vor, das Arbeitsinspektorat hätte gemäß § 9 Abs. 1 ArbIG gar keine Anzeige legen dürfen. Diese Bestimmung normiert die Verpflichtung des Arbeitsinspektorates, bei Wahrnehmung einer Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu beraten und den Arbeitgeber aufzufordern, den rechtmäßigen Zustand herzustellen. Gemäß § 9 Abs. 3 ArbIG hat das Arbeitsinspektorat auch ohne vorausgehende Aufforderung nach § 9 Abs. 1 ArbIG Strafanzeige wegen Übertretung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift zu erstatten, wenn es sich um eine schwerwiegende Übertretung handelt. Ein Rechtsanspruch des einer solchen Übertretung Beschuldigten auf Unterbleiben einer Anzeige an die Verwaltungsstrafbehörde bzw. auf Nichtbestrafung, wenn das Arbeitsinspektorat eine Aufforderung im Sinne des § 9 Abs. 1 ArbIG unterlassen hat, ist diesen Bestimmungen jedoch nicht zu entnehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/02/0467). Durch den angefochtenen Bescheid kann der Beschwerdeführer daher insoweit in einem subjektiven öffentlichen Recht nicht verletzt sein.
Der Beschwerdeführer behauptet die Nichtberücksichtigung des Milderungsgrundes des § 34 Abs. 1 Z. 18 StGB (Wohlverhalten seit der Tat). Er ist auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/09/0080, zu verweisen, wonach ein Wohlverhalten eines Beschwerdeführers nach der Straftat selbst dann nicht strafmildernd zu berücksichtigen ist, wenn der bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vergangene Zeitraum des Wohlverhaltens sogar ungefähr vier Jahre beträgt, weshalb angesichts der im gegenständlichen Fall vergangenen Zeit zwischen der Tat () und der Erlassung des angefochtenen Bescheides vom der genannte Milderungsgrund keinesfalls zu berücksichtigen war.
Des Weiteren rügt er die Nichtberücksichtigung des Milderungsgrundes des § 34 Abs. 2 StGB (unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer; die Berufung sei am erhoben worden, die belangte Behörde habe erstmals für den eine mündliche Verhandlung anberaumt). Selbst wenn dieser Milderungsgrund zu beachten gewesen wäre, ist die von der belangten Behörde vorgenommene Strafbemessung bereits angesichts des - zu Recht angenommenen - Unrechtsgehaltes der Taten und der als weit überdurchschnittlich bewerteten Einkommen- und Vermögensverhältnisse (dieser Einschätzung tritt der Beschwerdeführer nicht entgegen) nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am