VwGH vom 30.03.2007, 2006/02/0292

VwGH vom 30.03.2007, 2006/02/0292

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2006/02/0293 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des VH in N, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom , Zl. Senat-MD-05- 1191, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er sei als Vorstandsmitglied und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der M AG mit dem Sitz in W dafür verantwortlich, dass am in der Filiale in G folgende Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten worden seien:

1.), 2.) Obwohl Arbeitgeber verpflichtet seien, für eine ausreichende Unterweisung der Arbeitnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz zu sorgen, die Unterweisung während der Arbeitszeit und nachweislich zu erfolgen habe und für die Unterweisung erforderlichenfalls geeignete Fachleute heranzuziehen seien, habe eine nachweisliche Unterweisung des Arbeitnehmers FS (Punkt 1.) und der Arbeitnehmerin ES (Punkt 2.) über Sicherheit und Grundschutz für den Betrieb eines näher bezeichneten Flurförderfahrzeuges vor Aufnahme der Tätigkeit (, ca. 11.00 Uhr), nicht stattgefunden.

Der Beschwerdeführer habe dadurch je Arbeitnehmer/in eine Übertretung gemäß § 14 Abs. 1 und 2 Z. 1, 2, 3 und 5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) iVm § 2 Abs. 8 Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) begangen.

3.) Obwohl für die Benutzung von selbstfahrenden Arbeitsmitteln unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten schriftliche Betriebsanweisungen zu erstellen, für die Einhaltung der Betriebsanweisungen zu sorgen und den Organen des Arbeitsinspektorates über dessen Verlangen Einsicht in Unterlagen zu gewähren sei, sei das gegenständliche Arbeitsmittel zum Betretungszeitpunkt , 11.00 Uhr, in Betrieb gewesen und es habe dem Organ des Arbeitsinspektorates auf dessen Verlangen keine entsprechende schriftliche Betriebsanweisung vorgelegt werden können (gemeint: sei nicht vorgelegt worden).

Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung gemäß § 23 Abs. 2 AM-VO iVm § 8 Abs. 1 Arbeitsinspektionsgesetz (ArbIG) und § 24 Abs. 1 Z. 2 lit. c ArbIG begangen.

Es wurde in allen Punkten jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 300,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafe von je drei Tagen) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier entscheidungswesentlichen Bestimmungen lauten:

A) AM-VO BGBl. II Nr. 164/2000 idF BGBl. II Nr. 313/2002:

"Begriffsbestimmungen

§ 2.

...

(8) Selbstfahrende Arbeitsmittel sind motorisch angetriebene schienengebundene oder nicht-schienengebundene Fahrzeuge, die entsprechend dem vom Hersteller angegebenen Verwendungszweck für die Durchführung von Arbeitsvorgängen bestimmt sind.

...

§ 5. (1) Wenn die Verwendung eines Arbeitsmittels mit einer Gefahr für Sicherheit und Gesundheit von ArbeitnehmerInnen verbunden ist, müssen ArbeitgeberInnen dafür sorgen, dass alle ArbeitnehmerInnen, die diese Arbeitsmittel verwenden, eine angemessene Unterweisung im Sinne des § 14 ASchG erhalten.

...

§ 23.

...

(2) Für die Benutzung von selbstfahrenden Arbeitsmitteln sind unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten schriftliche Betriebsanweisungen zu erstellen. ..."

B) ArbIG, BGBl. Nr. 27/1993 idF BGBl. I Nr. 159/2001:

"§ 8. (1) Arbeitgeber/innen ... sind verpflichtet, den Arbeitsinspektionsorganen auf Verlangen alle Unterlagen zur Einsicht vorzulegen, die mit dem Arbeitnehmerschutz im Zusammenhang stehen. Dies gilt insbesondere für Unterlagen über ... Betriebsmittel, Arbeitsvorgänge, ..."

Der Beschwerdeführer bekämpft - wie im Verwaltungsverfahren - die Wertung des gegenständlichen "Elektro-Deichselhubwagens" ("Flurförderfahrzeuges") als selbstfahrendes Arbeitsmittel durch die belangte Behörde und deren Annahme, dass mit der Verwendung dieses Arbeitsmittels eine Gefahr für Sicherheit und Gesundheit von ArbeitnehmerInnen verbunden sei. Insbesondere rügt der Beschwerdeführer - in allgemeiner Form - die Begründung der belangten Behörde, die Unterlassung der Beiziehung eines technischen Sachverständigen, die Unterlassung weiterer Beweisaufnahmen und die Begründung der Strafbemessung.

Bei der Beurteilung, ob der gegenständliche "Elektro-Deichselhubwagen", dessen Beschaffenheit unbestrittenermaßen schon auf Grund der vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgelegten Beschreibung des Herstellers (inklusive technischem Datenblatt) feststeht (wozu die damit nicht im Widerspruch stehende und inhaltlich vom Beschwerdeführer unwidersprochene Beschreibung des Vertreters des Arbeitsinspektorates in der mündlichen Verhandlung kommt), ein "selbstfahrendes Arbeitsmittel" im Sinne des § 2 Abs. 8 AM-VO ist, dessen Verwendung "mit einer Gefahr für Sicherheit und Gesundheit von ArbeitnehmerInnen" gemäß § 5 Abs. 1 AM-VO verbunden ist, handelt es sich hier um eine Rechtsfrage. Denn es ist zu beurteilen, ob die sachverhaltsmäßig unbestrittenermaßen feststehende Beschaffenheit dieses "Elektro-Deichselhubwagens" - vgl. die unten stehenden Ausführungen - die Tatbestandsmerkmale der genannten Bestimmungen erfüllt. Schon deshalb hatte die belangte Behörde weder weitere Sachverhaltsermittlungen anzustellen noch einen Sachverständigen beizuziehen. Denn einem Sachverständigen ist es verwehrt, Rechtsfragen zu lösen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/02/0347).

Das gegenständliche Arbeitsmittel ist nach der Beschreibung des Herstellers dazu bestimmt, unter Einsatz eines Elektromotors als Antrieb nicht-schienengebunden Lasten auf Paletten über kurze Distanzen im Verkaufsbereich zu transportieren. Aus dem technischen Datenblatt ergibt sich unter anderem ein Eigengewicht von 175 kg, eine Achslast mit Last vorn/hinten von 505/870 kg und eine Fahrgeschwindigkeit mit/ohne Last von 4,2/5,0 km/h.

Damit erfüllt es die Tatbestandselemente der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 8 AM-VO (motorisch angetriebenes, nicht-schienengebundenes Fahrzeug zum Zweck der Durchführung von Arbeitsvorgängen). Darauf, dass das Arbeitsmittel mit einem "Zündschlüssel" in Betrieb zu nehmen sei, kommt es dabei nicht an. Dass in weiteren Bestimmungen der AM-VO von Sonderformen selbstfahrender Arbeitsmitteln die Rede ist und für verschiedene Sonderformen (etwa selbstfahrende Arbeitsmittel "mit mitfahrenden ArbeitnehmerInnen" gemäß § 53 AM-VO) zusätzliche Schutzvorschriften normiert werden, ändert daran, dass es sich bei dem gegenständlichen Gerät um ein selbstfahrendes Arbeitsmittel handelt - entgegen der vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren geäußerten Ansicht -, nichts. Dass die Verwendung eines selbstfahrenden Arbeitsmittels mit den oben genannten Leer- bzw. Transportgewichten von bis zu mehreren hundert kg bei einem Tempo von 4,2 bis 5,0 km/h eine Gefahr für Sicherheit und Gesundheit von ArbeitnehmerInnen im Sinne des § 5 Abs. 1 AM-VO ausgeht, ist jedermann unmittelbar einsichtig und bedarf deshalb keiner näheren Erläuterung.

Damit bestanden aber die Pflichten sowohl einer vor Verwendung zu erfolgenden Unterweisung jener Arbeitnehmer, welche das Arbeitsmittel verwenden werden, als auch der Erstellung von schriftlichen Betriebsanweisungen und deren Vorlage auf Verlangen von Organen der Arbeitsinspektion. Ob noch weitere Pflichten bestanden hätten, ist im gegenständlichen Fall belanglos, da insoweit im Spruch des angefochtenen Bescheides keine (weiteren) Übertretungen vorgeworfen wurden. Die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides erweisen sich demnach als überflüssig.

Dass eine Unterweisung an gegenständlichen Arbeitsmitteln erst nach gegenständlichem Tatzeitpunkt (nämlich erst am ) vorgesehen gewesen sei und dann auch erfolgt sei, stellte der Beschwerdeführer bereits mit seiner Stellungnahme vom klar und änderte diese Verantwortung in der Folge nicht. Diese nachträgliche Unterweisung kann nichts daran ändern, dass eine solche Unterweisung vor der Verwendung des Arbeitsmittels zum Tatzeitpunkt nicht erfolgt war, weshalb die belangte Behörde auch nicht dazu verpflichtet war, den Beweisanträgen auf Einvernahme der näher angeführten Arbeitnehmer zum Thema, dass eine Unterweisung am stattgefunden habe, nachzukommen.

Gegen den Schuldspruch zu Spruchpunkt 3. bringt der Beschwerdeführer nichts Konkretes vor.

Damit durfte die belangte Behörde zu Recht von der Erfüllung der objektiven Tatseite in allen Spruchpunkten ausgehen.

Wenn der Beschwerdeführer sich in der Replik zur Gegenschrift der belangten Behörde gegen die Anwendung der Schuldvermutung des § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG wendet, übersieht er, dass er im Verwaltungsverfahren gar nicht behauptet hat, irgendwelche Maßnahmen getroffen zu haben, um die Einhaltung der gegenständlich übertretenen Normen zu gewährleisten. Die vom Beschwerdeführer zitierte Rechtsprechung betrifft hingegen andere Sachverhalte. Die belangte Behörde durfte daher zu Recht von fahrlässiger Tatbegehung ausgehen, weil es sich bei den gegenständlichen Taten um Ungehorsamsdelikte handelt.

Die gegen die Begründung der belangten Behörde zur Strafhöhe gerichteten Beschwerdeausführungen sind in allgemeiner Form gehalten und nicht geeignet, die Erwägungen der belangten Behörde zur Strafbemessung im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Ermessensprüfung als rechtswidrig zu erkennen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am