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VwGH vom 06.11.2018, Ra 2018/18/0203

VwGH vom 06.11.2018, Ra 2018/18/0203

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A A, vertreten durch Mag.a Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W220 2183800- 1/5E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit über die Verhängung des Einreiseverbotes abgesprochen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Im Zuge seiner Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) führte der Revisionswerber aus, er habe seit dem Kindesalter mit seiner Familie im Iran gelebt. Afghanistan hätten sie wegen der Bedrohung durch die Taliban und einer früheren Feindschaft verlassen. Im Jahr 2015 habe die iranische Polizei den Revisionswerber aufgegriffen und gegen seinen Willen nach Syrien an vorderster Front auf der Seite Assads in den Krieg geschickt. Bei einem Kurzaufenthalt im Iran hätten ihn die iranischen Behörden vor die Wahl gestellt, erneut in den Krieg nach Syrien zu ziehen oder nach Afghanistan abgeschoben zu werden. In Afghanistan fürchte er getötet zu werden, da er als Soldat im Syrienkrieg gewesen sei.

2 Mit Bescheid vom wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Es wurde gemäß § 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) die aufschiebende Wirkung aberkannt.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG zur Nichtzuerkennung von Asyl aus, dass eine aktuelle Bedrohung des Revisionswerbers in Afghanistan nicht erkennbar sei. Das fluchtauslösende Ereignis in Afghanistan habe im Kindesalter des Revisionswerbers stattgefunden, eine aktuelle Verfolgung sei nicht glaubhaft gemacht worden. Zudem sei der Bruder des Revisionswerbers nach Afghanistan zurückgekehrt, ohne von den ehemaligen Verfolgern seiner Familie bedroht worden zu sein. Die behauptete Zwangsrekrutierung sei unwahrscheinlich, es sei viel eher davon auszugehen, dass der Revisionswerber aus ideologischen Gründen in den Krieg nach Syrien gezogen sei. Durch die aktive Teilnahme an Kriegshandlungen in Syrien sei überdies der Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 erfüllt. Dem Revisionswerber sei auch subsidiärer Schutz nicht zuzuerkennen, da ihm eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offenstehe. Er leide an keiner schwerwiegenden Krankheit, sei im erwerbsfähigen Alter, habe bereits auf einer Geflügelfarm gearbeitet, spreche die Landessprache und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut. Hinsichtlich der diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung seien Medikamente in Kabul erhältlich und es bestünden zwei psychiatrische Einrichtungen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan bestehe keine reale Gefahr, dass der Revisionswerber einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre. Betreffend die Rückkehrentscheidung ging das BVwG aus näher dargelegten Gründen vom Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet aus.

Zur Verhängung des zehnjährigen Einreiseverbots führte das BVwG aus, dass im gegenständlichen Fall § 53 Abs. 3 Z 6 FPG erfüllt sei, da der Revisionswerber nachweislich aktiv in Kampfhandlungen im Syrienkrieg involviert gewesen sei. Die Erfüllung des Tatbestandes indiziere bereits das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens, der Lebensumstände sowie der familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe ergeben, dass die Erlassung eines "unbefristeten" Einreiseverbotes (wohl gemeint: zehnjährigen Einreiseverbotes) gerechtfertigt und notwendig sei, um die vom Revisionswerber ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst einen Verstoß gegen die Verhandlungspflicht, eine Verletzung der Begründungspflicht sowie eine fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erfüllung des Tatbestandes des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 moniert.

6 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu I:

7 Die Revision ist, soweit sie sich gegen das verhängte

Einreiseverbot richtet, zulässig und berechtigt.

8 Zur maßgeblichen Gesetzesbestimmung:

9 § 53 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung

BGBl. I Nr. 145/2017, lautet auszugsweise:

"Einreiseverbot

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) (...)

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

(...)

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme

gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

(...)"

10 Im vorliegenden Revisionsfall stützte das BVwG die Verhängung des zehnjährigen Einreiseverbotes - wie bereits das BFA - auf die Erfüllung des Tatbestandes des § 53 Abs. 3 Z 6 FPG.

11 Die Erlassung eines Einreiseverbotes setzt gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG voraus, dass bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar. Als bestimmte, eine solche Gefährdung indizierende Tatsache hat nach der Z 6 des § 53 Abs. 3 FPG insbesondere zu gelten, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB).

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") gerechtfertigt ist (vgl. , mwN). Dabei ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. , mwN).

13 Fallgegenständlich stützte das BVwG seine Einschätzung, wonach der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 6 FPG erfüllt sei, einzig auf folgende Feststellung: "Der (Revisionswerber) war aktiv an Kampfhandlungen in Syrien beteiligt." Weitere Feststellungen, insbesondere im Hinblick auf die vorzunehmende Gefährdungsprognose, traf das BVwG in seiner Entscheidung nicht. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Gericht aus, dass aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten davon auszugehen sei, dass der Revisionswerber eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Welches "Gesamtverhalten" das BVwG dabei im Blick hat, wird in der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht dargelegt. Damit mangelt es dem Erkenntnis an den für eine nachprüfbare Gefährdungsprognose erforderlichen konkreten Feststellungen sowie einer nachvollziehbaren Begründung im Sinne der hg. Rechtsprechung (vgl. zur Begründungspflicht im Allgemeinen ; sowie jüngst , mwN). Insbesondere ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen, welcher der in § 53 Abs. 3 Z 6 FPG explizit angeführten Straftatbestände der § 278a bis 278f StGB im gegenständlichen Fall vom BVwG angenommen wurde. Auch ergibt sich weder aus dem angefochtenen Erkenntnis noch aus dem Verwaltungsakt eine Verurteilung des Revisionswerbers bzw. eingeleitete strafrechtliche Ermittlungen zu einer der angeführten strafrechtlichen Bestimmungen. Worauf sich die Einschätzung des BVwG, es sei im gegenständlichen Fall § 53 Abs. 3 Z 6 FPG erfüllt, gründet, ist somit anhand der Ausführungen im Erkenntnis nicht nachvollziehbar.

14 Da schließlich auch die belangte Behörde in ihrem Bescheid keine näheren Feststellungen und keine nachvollziehbare Gefährdungsprognose zum verhängten Einreiseverbot traf, konnte das BVwG in diesem Punkt auch nicht vom einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, weshalb es in weiterer Folge nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand nehmen hätte dürfen (vgl. dazu grundlegend bis 0018). Auch diesen Umstand rügt die Revision zu Recht. Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der bei Verhängung eines Einreiseverbotes vorzunehmenden Gefährdungsprognose der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. ; , jeweils mwN). Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, bei denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. erneut ; sowie , jeweils mwN). Von einem derart "eindeutigen Fall" kann hier aufgrund der fehlenden Feststellungen und mangelhaften Begründung im Zusammenhang mit dem verhängten Einreiseverbot keine Rede sein.

15 Damit belastete das BVwG das angefochtene Erkenntnis, soweit damit über die Verhängung des Einreiseverbotes abgesprochen wurde, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dieses war daher im spruchgemäßen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

16 Zu II:

17 Insofern sich die Revision überdies gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten richtet sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 und die erlassene Rückkehrentscheidung moniert, gelingt es ihr nicht, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen.

18 Soweit der Revisionswerber im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung von Asyl einen Begründungsmangel bzw. fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend den angenommenen Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 rügt, ist dem zu entgegnen, dass die Revision von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage nicht abhängt. Beruht ein angefochtenes Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, so ist die Revision unzulässig. Dies gilt selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass die anderen Begründungsalternativen rechtlich unzutreffend sind (vgl. , mwN).

19 In seiner Begründung zur Nichtzuerkennung von Asyl versagte das BVwG dem Fluchtvorbringen zunächst die Glaubwürdigkeit. Diesen für sich tragenden Erwägungen tritt die Revision nicht konkret entgegen. Die vom BVwG darüber hinaus angenommene Erfüllung des Tatbestandes des Asylausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 stellt damit lediglich eine Zusatzbegründung dar, auf die es nicht entscheidungswesentlich ankommt, weshalb sich eine Auseinandersetzung damit erübrigt.

20 Die vorliegende Revision vermag auch nicht darzulegen, dass die vom BVwG angenommene Einschätzung, wonach der Revisionswerber aufgrund der festgestellten Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Kabul vorfinde, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche (vgl. , mwN; sowie jüngst , mwN).

21 Die Revision war daher, soweit sie nicht zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes mit Spruchpunkt I. geführt hat, mangels Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180203.L00.1

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