VwGH vom 10.12.2013, 2013/05/0055

VwGH vom 10.12.2013, 2013/05/0055

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Köhler, über die Beschwerde des N W in W, vertreten durch Dr. Hanno Zanier, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 27/DG, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB- 143354/2012, betreffend einen Bauauftrag (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit Ladung vom beraumte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37 (MA 37), unter Hinweis auf die zu bearbeitende Angelegenheit "Konsensmäßige Überprüfung der bestehenden Baulichkeiten (insbesondere des Lagers) in Wien X, C - nächst Lokal Nr. Y" sowie die §§ 40 bis 42 AVG und § 129 der Bauordnung für Wien (BO) eine mündliche Verhandlung für den an Ort und Stelle an, zu der die B. GmbH als Eigentümerin der Baulichkeit zu Handen des Beschwerdeführers, ihres Geschäftsführers, geladen wurde.

Mit Schreiben vom teilte die B. GmbH unter Hinweis auf ihre Vertretung durch den Beschwerdeführer der MA 37 (u.a.) mit, dass sie nicht Eigentümerin der Baulichkeit sei und um Ausschreibung eines neuen Verhandlungstermines ersuche.

Laut der Verhandlungsschrift vom war in der Verhandlung kein Vertreter der B. GmbH anwesend und wurde als Ergebnis des Ortsaugenscheines festgehalten, dass ohne vorher erwirkte Baubewilligung beim Lokal Nr. 12 an der linken Seite ein Zubau im Ausmaß von ca. 5,30 m x 2,10 m mit einer Höhe von ca. 2,90 m errichtet worden sei.

Der Beschwerdeführer nahm am bei der MA 37 Akteneinsicht. Der diesbezüglichen Niederschrift der MA 37 von diesem Tag zufolge erhielt er eine Kopie der Verhandlungsschrift und erklärte er, dass das Lokal Nr. Y eine Baubewilligung habe und er Eigentümer der Baulichkeit sei.

Mit Bescheid vom erteilte die MA 37 dem Beschwerdeführer als Eigentümer der Baulichkeit "X. Bezirk, 'C' linkes Ufer km Z, nächst Lokal 'Y' Gst.Nr. (…)" in Wien gemäß § 129 Abs. 10 BO den folgenden Auftrag:

"Der ohne vorher erwirkter Baubewilligung an der linken Seite des Lokales Nr. 12 errichtete Zubau im Ausmaß von ca. 5,30 m x ca. 2,10 m und einer Höhe von 2,90 m ist abtragen zu lassen.

Die Maßnahme ist binnen 4 Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides durchzuführen."

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer als Eigentümer der Baulichkeit zugestellt.

Die dagegen erhobene Berufung mit dem Briefkopf der B. GmbH, die von der belangten Behörde - wogegen sich die Beschwerde nicht wendet - mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid dem Beschwerdeführer zugerechnet wurde, enthält folgendes Vorbringen:

"BERUFUNG:


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1.
Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.
2.
Entgegen der Ansicht der Behörde wurde mit der Planeinreichung auch ein förmliches Bauansuchen gestellt, welches all die notwendigen Formvorschriften enthält.
3.
Augenscheinlich ist die Erstbehörde nicht nur überlang untätig gewesen (was Amtshaftungsansprüche bereits auslöst oder schon ausgelöst hat), sondern sind hier Akten bei der Behörde in Verstoß geraten. Hiefür ist die Berufungswerbern wohl nicht verantwortlich.
4.
Es ist ein Bewilligungsverfahren offen, das Vorgehen mit Abbruchbescheid daher rechtswidrig.
5.
Der Abbruch laut Bescheid betrifft Bereiche, worüber eine aufrechte Bewilligung vorliegt. Allenfalls ist dies im Rahmen eines hiermit beantragten Lokalaugenscheines zu klären.
6.
Für gewisse Bereiche ist der behördliche Konsens gegeben, da dafür keine Bewilligung notwendig ist, nur eine Anzeige. Dies ist veranlasst worden. Auch das ist im Rahmen des Lokalaugenscheines zu klären.
7.
Wir stellen daher den BERUFUNGSANTRAG,
es wolle unserer Berufung gegen den Bescheid vom Folge gegeben werden (und) dieser aufgehoben werden. Hilfsweise wolle ein ergänzendes Ermittlungsverfahren stattfinden."
Mit Schreiben vom richtete die belangte Behörde an die MA 37 das Ersuchen um Überprüfung und Mitteilung, ob der mit dem erstinstanzlichen Bescheid beauftragte Zubau - wie in der Berufung behauptet - über einen baubehördlichen Konsens verfüge.
Mit Schreiben vom teilte die MA 37 der belangten Behörde zu deren Anfrage mit, dass bei einer Ortserhebung am und nach sorgfältiger Prüfung der Unterlagen im Archiv der MA 37 festgestellt worden sei, dass für den im Abtragungsbescheid vom näher beschriebenen Zubau keine baubehördliche Bewilligung aufliege.
Mit Schreiben der belangten Behörde vom wurde der B. GmbH das als "Stellungnahme des bautechnischen Amtssachverständigen der Magistratsabteilung 37 vom " bezeichnete Schreiben der MA 37 zur Kenntnis gebracht.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen. Der Berufungsbescheid erging an den Beschwerdeführer "als Berufungswerber und Eigentümer der Baulichkeit".
Dazu führte die belangte Behörde nach Hinweis auf § 60 Abs. 1 lit. a BO und § 129 Abs. 10 leg. cit. (u.a.) aus, dass in der Berufung die Herstellung des Zubaues nicht in Abrede gestellt, sondern vorgebracht worden sei, dass dieser über einen baubehördlichen Konsens verfüge. Diese Frage sei im Berufungsverfahren neuerlich geprüft worden. Die behauptete baubehördliche Bewilligung habe sich, wie sich aus der Stellungnahme des bautechnischen Amtssachverständigen vom ergebe, nicht feststellen lassen. Ein weitergehendes konkretes Vorbringen habe die "Berufungswerberin" dazu nicht erstattet. Da die Herstellung des Zubaues der Baubewilligung bedürfe (ein bewilligungsfreies Bauwerk liege nicht vor), wäre vor Errichtung desselben eine rechtskräftige Baubewilligung zu erwirken gewesen. Da die erforderliche baubehördliche Bewilligung bisher nicht erwirkt worden sei, sei der baupolizeiliche Auftrag an den Beschwerdeführer, der unbestritten Eigentümer des Bauwerks sei, zu Recht ergangen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.


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Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 129 Abs. 10 BO ist jede Abweichung von den Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften zu beheben. Ein vorschriftswidriges Bauwerk, für das eine nachträgliche Bewilligung nicht erwirkt oder eine Bauanzeige nicht rechtswirksam erstattet wurde, ist zu beseitigen. Gegebenenfalls kann die Behörde Aufträge erteilen; solche Aufträge müssen erteilt werden, wenn augenscheinlich eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen besteht.
Vorschriftswidrig im Sinn des § 129 Abs. 10 BO ist ein Bau, für den im Zeitpunkt seiner Errichtung ein baubehördlicher Konsens erforderlich war und weiterhin erforderlich ist, für den jedoch ein solcher Konsens nicht vorliegt. Bei Abweichungen von Bauvorschriften können gemäß § 129 Abs. 10 leg. cit. Bauaufträge sowohl für bewilligungspflichtige, anzeigepflichtige als auch bewilligungsfreie Bauvorhaben erteilt werden. Der Grund für die Abweichung von der Bewilligung ist unerheblich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/05/0149, mwN).
Die von der belangten Behörde festgestellte Baulichkeit, welche Gegenstand des vorliegenden baupolizeilichen Auftrages ist, stellt - wogegen sich die Beschwerde nicht konkret wendet - einen Zubau und damit einen bewilligungspflichtigen Bau im Sinne des § 60 Abs. 1 lit. a BO dar.
Die Beschwerde bringt vor, die Annahme der belangten Behörde, dass kein Baubewilligungsgesuch gestellt worden sei, sei verfehlt. Dieses - in Bezug auf das genannte Bauansuchen nicht weiter präzisierte - Beschwerdevorbringen ist bereits deshalb nicht zielführend, weil ein allfälliges, noch nicht erledigtes Bauansuchen die Erlassung des Bauauftrages nicht hindern könnte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/05/0017).
Ferner wird vorgebracht, dass für den Abbruchbereich ein behördlicher Konsens vorliege, was durch das mit der Beschwerde vorgelegte Plandokument ("Auswechslungsplan für geringfügige Änderungsanzeige - Lokal Y") erwiesen sei. Dieses Plandokument nehme auf einen Bewilligungsbescheid Bezug, und die Frage des Konsenses sei anhand dieses Bewilligungsbescheides zu prüfen. Der Erhebungsvorgang der MA 37 durch einen Amtssachverständigen sei schlichtweg fehlerhaft gewesen, zumal die Rechtsfrage über das Bestehen eines Baukonsenses die Behörde selbst zu lösen habe. Die belangte Behörde gehe von einem fehlenden behördlichen Konsens aus, obwohl eine Bewilligung vorliege. Die belangte Behörde sei auf das vorgelegte Plandokument (den behördlichen Konsens) überhaupt nicht eingegangen. Zum Beweis für den Baukonsens werde mit der Beschwerde das bewilligte Plandokument vorgelegt, das im Übrigen der MA 37 bereits nochmals über Aufforderung vorgelegt worden sei.
Ferner werde gerügt, dass dem Beschwerdeführer die Ergebnisse der Beweiserhebung, so u.a. die Stellungnahme des Amtssachverständigen beim Lokalaugenschein und die Stellungnahme der belangten Behörde "durch eine Amtssachverständigenmeinung" (Schriftstück vom ), nicht gehörig zur Kenntnis gebracht worden seien. Zum Schreiben der MA 37 an die "BOB" (gemeint: belangte Behörde) sei im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme Folgendes entgegnet worden:
"(...)
Sehr geehrte Damen und Herren!
Sie informieren uns über eine Stellungnahme des Amtssachverständigen. (...). Dessen Erhebungen werden aus nachfolgenden Gründen nicht akzeptiert, weil sie unvollständig und fehlerhaft scheinen.
DI (S.) bezieht sich auf eine Ortserhebung. Welche und wo war diese?
Wo hat es Sichtungen im Archiv der MA 37 gegeben?
Es ergeht unsererseits der Hinweis, dass im Zuge von Zivilverfahren auch Aktenbeischaffung der Behörde vorgenommen wurde und sich erwiesen hat, dass die Behördenakte unvollständig vorgelegt wurden. Es fehlten Aktenstücke im Behördenakt.
Es wird daher gebeten, die erforderlichen Recherchen und Überprüfungen in anderer geeigneter Art und Weise durchzuführen oder durchführen zu lassen.
Die Auskunft wird dem Inhalt nach aus obigen Gründen bestritten.
Die Frage der Unvollständigkeit von Behördenakten oder deren fehlerhaften Verwahrung oder Verwaltung kann nicht zu Lasten der Berufungswerberin gereichen.
Mit freundlichen Grüßen"
Auf Grund der aufgezeigten Umstände - so das weitere Beschwerdevorbringen - seien die Erhebungen der belangten Behörde erheblich mangelhaft geblieben. Dem Beschwerdeführer sei das Recht genommen worden, sich über das Vorliegen von Ermittlungsergebnissen gehörig zu äußern und über alle Erhebungen der Behörde im Detail und gehörig informiert zu werden. Partei des Verfahrens vor der MA 37 sei die B. GmbH gewesen. Es seien auch die Korrespondenzen mit der belangten Behörde namens der B. GmbH abgewickelt worden, sodass keine gehörige Verfahrensdurchführung vorliege. Damit gehe eine Rechtsverletzung insbesondere gemäß § 45 Abs. 3 AVG einher, weshalb eine weitere Rechtswidrigkeit in einem Verfahrensmangel begründet sei.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Der Beschwerdeführer hat mit der Beschwerde die Kopie des darin genannten Planes ("Auswechslungsplan für geringfügige Änderungsanzeige - Lokal Y") vorgelegt, die den Vermerk der MA 37 vom zur Zl. MA 37/22-32868-3/2007 aufweist, dem zufolge sich der Bescheid "§ 71" auf diesen Plan beziehe.
Wie oben (I.) dargestellt, wurde der B. GmbH mit Schreiben der belangten Behörde vom die Stellungnahme der MA 37 vom zur Kenntnis gebracht, der zufolge für den Zubau keine baubehördliche Bewilligung vorliege. Die belangte Behörde stellte in diesem Zusammenhang im angefochtenen Bescheid fest, dass die "Berufungswerberin" ein weitergehendes konkretes Vorbringen dazu nicht erstattet habe. In der zur Beschwerde erstatteten Gegenschrift führte die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer, der Geschäftsführer und Alleineigentümer der B. GmbH sei, die Stellungnahme vom zugekommen sei und er darauf repliziert habe. Wenn auch diese Stellungnahme (gemeint: Replik) - so die belangte Behörde in der Gegenschrift - in Verstoß geraten und dem Verwaltungsakt nicht angeschlossen sei, so werde doch im angefochtenen Bescheid darauf Bezug genommen, indem ausgeführt werde, dass der Beschwerdeführer zur Stellungnahme vom kein weitergehendes konkretes Vorbringen erstattet habe.
Weder aus den vorgelegten Verwaltungsakten noch aus dem Vorbringen der Parteien im Beschwerdeverfahren ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer als Partei des Berufungsverfahrens das Schreiben der belangten Behörde vom mit der Stellungnahme der MA 37 vom zur Kenntnis gebracht oder er von der belangten Behörde als Partei des Verfahrens (zum Unterschied von der B. GmbH) dazu aufgefordert worden sei, im Rahmen der ihn als Partei treffenden Mitwirkungspflicht (vgl. dazu etwa
Hengstschläger/Leeb , AVG, § 39 Rz 9 ff) den behaupteten baubehördlichen Konsens für den Zubau näher darzustellen oder die diesbezüglichen Konsensunterlagen vorzulegen. Die belangte Behörde hat vielmehr, ohne dem Beschwerdeführer als Verfahrenspartei die prozessualen Mitwirkungsrechte einzuräumen, und ohne weitere Ermittlungstätigkeit den angefochtenen Bescheid gegenüber dem Beschwerdeführer erlassen. Ob die in der Beschwerde genannte, laut dem Vorbringen der belangten Behörde in der Gegenschrift in Verstoß geratene Stellungnahme zum Schreiben der MA 37 vom namens des Beschwerdeführers oder namens der B. GmbH erstattet wurde, ist nicht erkennbar. Damit kann dem Beschwerdevorbringen, dass die Korrespondenzen mit der belangten Behörde namens der B. GmbH abgewickelt und dem Beschwerdeführer als Verfahrenspartei das Recht genommen worden sei, sich über das Vorliegen von Ermittlungsergebnissen gehörig zu äußern - so ist das Schreiben der belangten Behörde vom nach Ausweis der Verwaltungsakten lediglich an die B. GmbH ergangen - Berechtigung nicht abgesprochen werden.
Die erstmals vom Beschwerdeführer in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, dass der - ebenso erst mit der Beschwerde vorgelegte - Plan auf den Bewilligungsbescheid Bezug nehme und daher die Erhebungen der MA 37 unrichtig seien, verstößt nicht gegen das im Verwaltungsverfahren geltende Neuerungsverbot und ist somit zulässig, weil trotz der im Berufungsverfahren aufgestellten Behauptung eines Konsenses weder dem Beschwerdeführer die gegenteilige Stellungnahme der MA 37 vorgehalten noch er aufgefordert wurde, diese Behauptung durch Unterlagen zu untermauern, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass - wie vom Beschwerdeführer behauptet - für den abzutragenden Bereich des Zubaues ein baubehördlicher Konsens vorliege.
Demzufolge war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am