VwGH 25.09.2018, Ra 2018/17/0141
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | GSpG 1989 MRK Art6 VwGG §42 Abs2 Z3 litc VwGVG 2014 §24 VwGVG 2014 §44 12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 |
RS 1 | Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist durchzuführen, wenn es um "civil rights" oder "strafrechtliche Anklagen" im Sinne des Art 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl zB ). Schon im Hinblick auf die behauptete Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes wegen Verletzung von Grundfreiheiten wäre daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/17/0333 E RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag.a Nussbaumer-Hinterauer sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der TS in B in T, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-1837/001-2016, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Horn), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Horn vom wurde die Revisionswerberin als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer näher bezeichneten Gesellschaft der zweifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild iVm §§ 1, 2 Abs. 1, 2 und 4 Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig erkannt; es wurden über sie zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 5.000,-- (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
2 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG), in welcher sie unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - insofern statt, als die zu verhängenden Geldstrafen auf je EUR 2.000,-- sowie die Ersatzfreiheitstrafen herabsetzte. Die Kosten des behördlichen Verfahrens wurden mit je EUR 200,-- bestimmt. Außerdem sprach es aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte Kostenersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Die Revision ist schon in Bezug auf die im Zulässigkeitsvorbringen aufgeworfene Rechtsfrage zur Verletzung der Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC zulässig und berechtigt.
6 In der beim LVwG erhobenen Beschwerde beantragte die Revisionswerberin, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Das LVwG hat begründungslos von einer Verhandlung abgesehen.
7 Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinne des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. z.B. ). Schon im Hinblick auf die behauptete Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes wegen Verletzung von Grundfreiheiten wäre daher im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung des Glücksspielgesetzes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen.
8 In der Beschwerde wurden auch Tatsachenfragen aufgeworfen, sodass kein Entfall der Verhandlungspflicht eingetreten ist, weil Verfahrensgegenstand nur die Lösung einer Rechtsfrage gewesen wäre (vgl. das soeben zitierte Erkenntnis vom ).
9 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon wegen Verletzung der Verhandlungspflicht gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
10 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | GSpG 1989 MRK Art6 VwGG §42 Abs2 Z3 litc VwGVG 2014 §24 VwGVG 2014 §44 12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018170141.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAE-79233