VwGH vom 23.09.2010, 2008/15/0086
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und den Senatspräsidenten Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der H GmbH Co KG in N, vertreten durch Dr. Thomas Kustor, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zl. RV/0263-L/04, betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer gemäß § 95 EStG 1988, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.286,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Bei der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin (in der Folge nur Beschwerdeführerin) handelte es sich um eine inländische GmbH, deren ausländische Muttergesellschaft (ab bis zu einem Gesellschafterwechsel im März 2003 (woraus sich das Fehlen der Behaltefrist im Sinne des § 94a Abs. 1 Z. 4 EStG 1988 in der Fassung vor BGBl. I Nr. 71/2003 ergibt) an ihr zu 100 % beteiligt war.
Hinsichtlich einer am erfolgten Gewinnausschüttung vertrat die Beschwerdeführerin die Ansicht, dass eine Kapitalertragsteuer nicht anfalle. Nach § 95 Abs. 1 EStG 1988 betrage die einzubehaltende Kapitalertragsteuer grundsätzlich 25 %. In Anwendung von Art. 10 Abs. 1 lit. a des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen Österreich und Großbritannien ermäßige sich die Quellensteuer für die Gewinnausschüttung auf 5 %. Die Einhebung österreichischer Kapitalertragsteuer widerspreche im vorliegenden Fall jedoch sowohl der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) als auch der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG) des Gemeinschaftsrechts. Da diese Grundfreiheiten des EG-Rechts unmittelbar anwendbar seien, überlagerten sie insoweit das österreichische innerstaatliche Recht (§ 95 EStG 1988) und das zwischenstaatliche Recht (Art. 10 Abs. 1 lit. a des DBA zwischen Österreich und Großbritannien).
Das Finanzamt teilte diese Ansicht nicht und schrieb von der erfolgten Ausschüttung 5 % Kapitalertragsteuer vor.
In einer dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, ob und in welcher Höhe in Österreich für eine an eine nicht österreichische Muttergesellschaft gezahlte Dividende Kapitalertragsteuer erhoben wird, hänge von dem DBA ab, das Österreich mit dem jeweiligen Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft abgeschlossen habe. Die von der Beschwerdeführerin ausgezahlte Dividende unterliege nach dem DBA zwischen Österreich und Großbritannien einem 5%igen Steuerabzug. Gewinnausschüttungen an Muttergesellschaften, die in bestimmten anderen EU-Mitgliedstaaten ansässig seien, würden hingegen günstiger besteuert. Gewinnausschüttungen an Muttergesellschaften, die in Finnland oder Frankreich ansässig seien, unterlägen nach den entsprechenden DBA bei einer Beteiligung von mehr als zehn Prozent keiner österreichischen Steuerbelastung.
Im Fachschrifttum sei die Ansicht vertreten worden, dass die Mitgliedstaaten durch die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten bei der Anwendung des DBA-Rechts zur Meistbegünstigung verpflichtet seien. In Bezug auf DBA, die Mitgliedstaaten untereinander abgeschlossen hätten, bestehe daher die Verpflichtung, die für einen Steuerpflichtigen jeweils günstigste Regelung, die ein Mitgliedstaat in einem DBA mit einem anderen Mitgliedstaat abgeschlossen habe, auch auf Ansässige aus allen übrigen Mitgliedstaaten anzuwenden.
Im Übrigen sei auch die Niederlassungsfreiheit verletzt. Die Muttergesellschaft der Beschwerdeführerin habe mit ihrem 100%igen Beteiligungsbesitz an der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung umfassende Leitungs- und Kontrollbefugnisse inne gehabt, sodass sich ihre Beteiligung als Niederlassung in Österreich darstelle.
Die Belastung mit österreichischer Quellensteuer stelle eine Beschränkung der Grundfreiheiten unabhängig davon dar, ob sie in Großbritannien (auf Grund des DBA und auf Grund innerstaatlichen britischen Rechts) anrechenbar sei, da eine diskriminierende Besteuerung von grenzüberschreitenden Dividendenausschüttungen durch Österreich nicht dadurch saniert werden könne, dass ein anderer Mitgliedstaat - im konkreten Fall Großbritannien - dafür einen Ausgleich schaffe.
Außerdem sei zu berücksichtigen, dass unabhängig von der Frage, ob die österreichische Kapitalertragsteuer erstattbar oder anrechenbar sei, durch Vorschreibung und Abfuhr der Quellensteuer jedenfalls ein Zins- und Liquiditätsnachteil eintrete, der bereits als solcher und für sich genommen eine Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten begründe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Begründend vertrat sie - gestützt auf Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom , Rs C-336/96, Gilly, und des Generalanwalts im Schlussantrag in der Rs C-376/03, D. - im Wesentlichen die Ansicht, eine Verpflichtung zur Meistbegünstigung sowie eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des freien Kapitalverkehrs könne im gegenständlichen Fall nicht erblickt werden.
Die Beschwerdeführerin habe zwar ergänzend vorgebracht, dass die Anrechnung der österreichischen Quellensteuer bei der Muttergesellschaft der Beschwerdeführerin nicht möglich sei, weil der Betrag an "ausländischer Steuer" den in Großbritannien auf die Dividendenzahlungen entfallenden Steuerbetrag übersteige. Es sei aber nicht richtig, dass im gegenständlichen Fall "überhaupt keine Anrechnung" möglich gewesen sei, weil im DBA Österreich-Großbritannien festgelegt sei, dass Großbritannien jene Steuer, die nach dem Abkommen im anderen Staat erhoben worden sei, auf seine eigene Steuer anrechnen müsse.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass die in § 94a EStG 1988 enthaltenen Voraussetzungen für den Entfall des Abzugs der Kapitalertragsteuer gemäß § 93 Abs. 1 EStG 1988 nicht erfüllt sind.
Aus dem , D., - auf den Schlussantrag des Generalanwaltes in dieser Rechtssache hat sich die belangte Behörde in ihrer Begründung des angefochtenen Bescheides berufen - ergibt sich, dass es nicht gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrages verstößt, wenn eine Vorschrift eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unter den Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht auf den Einwohner eines nicht an diesem Abkommen beteiligten Mitgliedstaats erstreckt wird.
Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde die Ansicht vertreten hat, dass eine Verpflichtung zur so genannten Meistbegünstigung nicht besteht.
Die Beschwerdeführerin behauptet im Beschwerdeverfahren allerdings - bezugnehmend auf den Schlussantrag des Generalanwalts in der Rechtssache C-170/05, Denkavit Internationaal BV - auch einen Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten unter Hinweis darauf, dass eine "DBA-Anrechnung" tatsächlich nicht in vollem Ausmaß hätte erfolgen können, weil - wie schon im angefochtenen Bescheid erwähnt - der strittige Betrag den in Großbritannien auf die Dividendenzahlungen entfallenden Steuerbetrag übersteige.
Damit zeigt die Beschwerdeführerin eine relevante Rechtsverletzung durch den angefochtenen Bescheid auf. In seinem (zwischenzeitig ergangenen) Urteil vom , Rs C- 170/05, Denkavit Internationaal BV, brachte der EuGH zum Ausdruck, dass die Artikel 43 EG und 48 EG dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die allein für gebietsfremde Muttergesellschaften eine Quellensteuer auf von ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden vorsehen, auch wenn ein Besteuerungsabkommen zwischen diesem Mitgliedstaat und einem anderen Mitgliedstaat diese Quellensteuer zulässt und die Anrechnung der nach den Rechtsvorschriften des erstgenannten Staates auferlegten Belastung auf die Steuerschuld in diesem anderen Staat erlaubt, soweit für eine Muttergesellschaft in diesem anderen Mitgliedstaat die in dem genannten Abkommen vorgesehene Anrechnung nicht möglich ist (vgl. hiezu auch das C- 487/08, Kommission gegen Spanien).
Im angefochtenen Bescheid ist nicht widerlegt worden, dass eine volle Anrechnung der in Österreich vorgeschriebenen Kapitalertragsteuer in Großbritannien tatsächlich unterblieben ist. Mit jenem Betrag an Kapitalertragsteuer, für den tatsächlich eine Anrechnung nicht möglich war, führt die Vorschreibung von Kapitalertragsteuer zu einer dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden Belastung der ausländischen Muttergesellschaft der Beschwerdeführerin (vgl. Rz 46 ff des Urteils Denkavit Internationaal BV und Rz 60 ff des Urteils Kommission gegen Spanien, sowie Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007, 1050 ff). Da insoweit die innerstaatliche Norm durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt ist, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig.
Ob allenfalls ein Anspruch auf Rückzahlung eines Teiles der streitgegenständlichen Kapitalertragsteuer bereits auf Grund der Regelung des § 21 Abs. 1 Z. 1a KStG 1988 in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52, besteht (siehe dazu Mayr/Schlager, RdW 2010/253), ist im gegenständlichen Fall nicht zu beurteilen. Der angefochtene Bescheid war nämlich nach der im Zeitpunkt seiner Erlassung bestehenden Sach- und Rechtslage zu prüfen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen der oben angeführten Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am