VwGH vom 27.04.2020, Ra 2018/17/0119

VwGH vom 27.04.2020, Ra 2018/17/0119

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der G GmbH in W, vertreten durch Mag. Julia Eckhart, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-S-1522/002-2017, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom ordnete die belangte Behörde gemäß § 53 Glücksspielgesetz (GSpG) die Beschlagnahme von sieben näher bezeichneten Glücksspielgeräten sowie zwei als "Cashcenter" und einem als "Ein- und Auszahlungsgerät" bezeichneten Geräten an. 2 Gegen diesen Bescheid erhob die revisionswerbende Partei Beschwerde.

3 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) führte am eine mündliche Verhandlung durch. In der Verhandlungsschrift wurde der Verhandlungsbeginn mit 11.26 Uhr ausgewiesen. Nach Nennung der anwesenden Personen wurde Folgendes protokolliert:

"Der Verhandlungsleiter legt kurz den Gang des Verfahrens

dar.

Die Parteien bringen vor wie bisher.

Die Vertreter verweisen auf das bisherige Vorbringen.

Eröffnung des Beweisverfahrens

Außer Streit gestellt wird, dass es sich um Walzenspiele handelt, es handelte sich jedoch nicht um Glücksspielgeräte. Dies da es sich um ein Geschicklichkeitsspiel handelt. Die Geräte, die durch Spieler bespielt wurden, wurden von uns dann nicht probegespielt. Wir waren dann auch nicht mehr in der Lage diese Geräte zu bespielen, da die Geräte hinuntergefahren wurden. Ca. zwei Minuten nachdem wir den Raum betreten haben, wurden alle Geräte gleichzeitig heruntergefahren und wurde kein einziges Gerät von uns selbst bespielt.

Der Verhandlungsleiter schließt das Verfahren.

Die Vertreterin der Beschwerdeführer bringt vor, dass der Verdacht auf Glücksspiel nicht gegeben sein kann, da nicht bestimmbar ist, ob es eine Möglichkeit gab durch Geschicklichkeit in das Spiel einzugreifen.

Weiters wird vorgebracht, dass die Behörde keine Beweise erbracht hat, weshalb ein Monopol gerechtfertigt wäre und daher ist im Sinne der Entscheidung Online Games der Beschlagnahmebescheid zu beheben.

Der Vertreter des Finanzamtes bringt vor wie bisher.

Der Verhandlungsleiter gibt bekannt, dass die Entscheidung schriftlich ergeht.

Ende der Verhandlung: 11.35 ..."

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der Beschwerde keine Folge und bestätigte den Beschlagnahmebescheid (Spruchpunkt 1.). Weiters sprach das LVwG aus, dass die revisionswerbende Partei keine Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu tragen habe (Spruchpunkt 2.) und dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei (Spruchpunkt 3.). 5 Begründend führte das LVwG aus, bei einer Kontrolle am hätten die Kontrollorgane im Lokal der revisionswerbenden Partei betriebsbereite Glücksspielgeräte mit virtuellen Walzenspielen vorgefunden. Die Geräte seien zwar zu Beginn der Kontrolle heruntergefahren worden, die Kontrollorgane hätten aber bereits davor Spieler an den Geräten beobachtet und die Spielvorgänge dokumentiert. Die einzelnen Gewinnsituationen seien u.a. in der Lichtbilddokumentation in den vorgelegten Akten ersichtlich. Beweis sei durch das Verlesen der Verwaltungsakte erhoben worden. Der festgestellte Sachverhalt stütze sich auf den Verwaltungsstrafakt, die Ausführungen in der Beschwerde und die vorgelegten Urkunden.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom , E- 4333/2017- 5, abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

7 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das LVwG habe aktenwidrige Feststellungen getroffen, die in der Verhandlung nicht vorgekommen seien. Der Akteninhalt sei auch nicht verlesen worden. Aus dem Verhandlungsprotokoll ergebe sich, dass es sich bei den beschlagnahmten Geräten um Geschicklichkeitsspiele gehandelt habe und dass keine Probespiele durchgeführt worden seien.

Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch begründet.

9 Gemäß § 48 VwGVG idF BGBl. I Nr. 3/2013 ist, wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie bei der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 44 Abs. 5 VwGVG entfallen ist.

10 § 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen (vgl. , mwN). 11 Das LVwG führt im angefochtenen Erkenntnis im Rahmen der Wiedergabe des Sachverhalts zwar an, es sei im Rahmen der mündlichen Verhandlung durch das Verlesen der Verwaltungsakte Beweis erhoben worden, aus der (oben zur Gänze wiedergegebenen) Verhandlungsschrift ergibt sich dieses Vorgehen aber nicht. Es ist weder ersichtlich, dass in der Verhandlung Aktenstücke der belangten Behörde verlesen worden wären, noch dass die revisionswerbende Partei auf deren Verlesung verzichtet hätte. Das Verwaltungsgericht stützt sich in seiner Beweiswürdigung aber (ausschließlich) auf die genannten Beweisergebnisse im Akt der belangten Behörde und - nicht näher präzisierte - vorgelegte Urkunden. Das LVwG selbst hat hingegen weder Zeugen einvernommen noch sonstige Beweise (neu) aufgenommen.

12 Stützt sich das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung zu einer entscheidungswesentlichen Tatfrage unter anderem auf Beweise, die entgegen § 48 VwGVG nicht in der durchgeführten Verhandlung aufgenommen wurden, ist daraus ein für den Beschuldigten nachteiliger Einfluss auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes nicht auszuschließen. Ein solcher sich aus der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes nach § 48 VwGVG ergebender Verfahrensmangel ist insofern entscheidungsrelevant und hat die Aufhebung eines entsprechend mangelhaften Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes zur Folge (vgl. , mwN).

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grunde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen gewesen wäre.

14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018170119.L00

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