VwGH vom 27.09.2012, 2010/16/0261

VwGH vom 27.09.2012, 2010/16/0261

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Mag. Anton Becker, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Sechskrügelgasse 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. RV/2475-W/10, betreffend Gewährung erhöhter Familienbeihilfe für den Zeitraum bis , zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 610,60 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am geborene Beschwerdeführer beantragte am die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung rückwirkend ab Geburt für sich selbst. Dem Antrag legte er eine Ablichtung seines vom Bundessozialamt am ausgestellten Behindertenpasses vor, wonach er sehbehindert sei und der Grad der Behinderung/Minderung der Erwerbstätigkeit 70 vH betrage.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag "auf erhöhte Familienbeihilfe" für den Zeitraum von September 2009 bis Jänner 2010 ab. "Bezugnehmend" auf ein fachärztliches Sachverständigengutachten vom sei der Erhöhungsbetrag erst ab Februar 2010 zu gewähren.

In diesem aktenkundigen Gutachten vom werden als relevante vorgelegte Befunde einer des AKH vom über "Visus re 0,25 Jg3 li 0,32 Jg3 Nxstagmus bds, Amblyopie bds" und einer des Bundessozialamtes vom über "Visus re 0,1 li 0,16p Jg6 bin Nystagmus bds" angeführt. Als Diagnose wird Nystagmus beidseits mit Sehverminderung auf ca. 1/10 beidseits angeführt, Richtsatzposition 637, Grad der Behinderung 70 %; ICD: H53.9. Der Gesamtgrad der Behinderung betrage 70 vH voraussichtlich mehr als drei Jahre. Der Untersuchte sei voraussichtlich nicht dauernd außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Laut Befund des AKH vom habe das Sehvermögen rechts 0,25 und links 0,32 (Grad der Behinderung 20 bis 40 %) betragen, die rückwirkende Anerkennung des aktuellen Grades der Behinderung sei daher ab Februar 2010 möglich.

Eine dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom ab. Ein neuerlich eingeholtes - aktenkundiges - fachärztliches Sachverständigengutachten durch das Bundessozialamt vom , welches dem Beschwerdeführer in Ablichtung mit der Berufungsvorentscheidung übermittelt werde, habe die Beeinträchtigung im Ausmaß von 70 vH erst ab feststellen können.

In diesem Gutachten vom führte die untersuchende Fachärztin einen vorgelegten Befund der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie vom über "kongenitaler Nystagmus, Amblyopie o.u., Hyperopie et Astigmatismus o.u." an. Sie diagnostizierte "Nystagmus bds. mit Sehverminderung auf 10 % bds" und gelangte zu einem Grad der Behinderung von 70 vH. Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung sei ab auf Grund der vorgelegten relevanten Befunde möglich. Der Untersuchte sei voraussichtlich nicht dauernd außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine rückwirkende Anerkennung ab dem Vorgutachten Februar 2010 sei möglich, weitere rückwirkende Anerkennung auf Grund fehlender untermauernder Befunde nicht möglich.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer einen Vorlageantrag.

Auf Vorhalt der belangten Behörde vom , weshalb im Zuge der Ausstellung des Behindertenpasses dem Beschwerdeführer entgegen den beiden vom Bundessozialamt eingeholten Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2010 ein Grad der Behinderung von 70 % ab 1991 bestätigt worden sei, übermittelte das Bundessozialamt mit Schriftsatz vom eine ärztliche Stellungnahme, die Begutachtung vom zur Ausstellung eines Behindertenpasses und die beiden Begutachtungen wegen erhöhter Familienbeihilfe denselben aktuellen Behinderungsgrad von 70 % ergeben hätten. Die Abweichung im Vergleich zum früheren Gutachten bezüglich des Behindertenpasses erkläre sich dadurch, dass bei den späteren Gutachten zur erhöhten Familienbeihilfe damals noch nicht berücksichtigte augenärztliche Befundberichte vorgelegen seien, nämlich die von der Universitätsaugenklinik, Abteilung für pädiatrische Ophthalmologie, vom 3. Juni und vom . Beide Berichte beschrieben im Juni 2009 eine wesentlich geringere Einschränkung des Sehvermögens, welche einen Grad der Behinderung von 50 % nicht erreichen würde, sodass von einer deutlichen Sehverschlechterung erst im Zeitraum zwischen Juli 2009 und Februar 2010 auszugehen sei. Mangels augenärztlicher Befunde aus diesem Zeitraum sei die rückwirkende Anerkennung des aktuellen Behinderungsgrades von 70 % daher ab erstmaliger Befundung des verschlechterten Sehvermögens (Gutachten bezüglich Behindertenpass vom Februar 2010) festgesetzt worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.

Im Wege des Bundessozialamtes eingeholte fachärztliche Sachverständigengutachten vom 11. Mai und vom ergäben einen Grad der Behinderung von 70 % ab Februar 2010. Schielen und Nystagmus seien zwar seit Geburt bekannt, allerdings ergebe sich aus den vorgelegten relevanten Befunden (vom "BSA") erst ab dem Februar 2010 jene Sehbeeinträchtigung, die diesem Grad der Behinderung entspreche. Aus den in den Gutachten erwähnten Befunden des AKH vom Juni 2009 lasse sich lediglich ein Grad der Behinderung von höchstens 40 % erschließen. Der vermeintliche Widerspruch zwischen den zwei für die Erlangung der erhöhten Familienbeihilfe erstellten und dem für den Behindertenpass erstellten Gutachten sei durch das Schreiben des Bundessozialamtes vom nachvollziehbar aufgeklärt worden. Anhand der Befunde vom Juni 2009 sei der Grad der Behinderung damals eindeutig unter 50 % gelegen. Dass das Bundessozialamt hinsichtlich der zwischen Juni 2009 und Februar 2010 liegenden Zeiträume mangels geeigneter Befunde keine Feststellungen habe treffen können, ab wann denn nun die wesentliche Verschlechterung des Sehvermögens eingetreten sei, sei einleuchtend, ebenso der Umstand, dass sich das Bundessozialamt auf eine Bestätigung ab jenem Zeitpunkt (Februar 2010) habe beschränken müssen, ab dem der Grad der Behinderung von 70 % eindeutig festgestellt worden sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im Recht auf rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe verletzt erachtet.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder. Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b bis i FLAG in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 90/2007, haben solche Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die näher angeführte Voraussetzungen erfüllen.

Anspruch auf Familienbeihilfe haben gemäß § 6 Abs. 1 FLAG auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Volljährige Vollwaisen haben nach § 6 Abs. 2 FLAG Anspruch auf Familienbeihilfe unter näher angeführten Voraussetzungen.

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Der gemäß § 8 Abs. 2 und 3 FLAG zustehende Betrag an Familienbeihilfe erhöht sich gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. für jedes Kind, das erheblich behindert ist, monatlich um 138,3 EUR.

Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs. 5 FLAG ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtliche dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

§ 8 Abs. 4 bis 6 FLAG gelten gemäß § 8 Abs. 7 FLAG sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 leg. cit. Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG wird Familienbeihilfe nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

Im Beschwerdefall kann es auf sich beruhen, dass keine aktenkundigen Hinweise darauf vorhanden sind, dass der Beschwerdeführer im Streitzeitraum entweder Vollwaise war oder ihm seine Eltern nicht überwiegend Unterhalt geleistet haben und dass er die nach Eintritt der Volljährigkeit, somit ab September 2009, für die Gewährung der Familienbeihilfe - und somit auch für den Erhöhungsbetrag - erforderlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 FLAG erfüllt.

Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer ab Februar 2010 mit einem Grad von 70 vH erheblich behindert ist.

Strittig ist im Beschwerdefall, ob die Behinderung des Beschwerdeführers in diesem Grad bereits ab Juli 2009 gegeben war.

Bei der Antwort auf diese Frage war die belangte Behörde an die den Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und durfte diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2011/16/0063, und vom , 2009/16/0307).

Die belangte Behörde stützte sich dementsprechend auf die zwei in den vorliegenden Verwaltungsakten einliegenden, vom Bundessozialamt eingeholten Gutachten, welche dem Beschwerdeführer übereinstimmend bescheinigen, zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung, somit im Februar 2010 mit einem Grad von 70 vH behindert zu sein. Dass dieser Grad der Behinderung nicht schon früher gegeben gewesen wäre, leiten die Gutachten von Befunden des AKH vom Juni 2009 ab, in denen noch eine geringere Sehschwäche des Beschwerdeführers festgestellt worden sei, die zu einem Grad der Behinderung von höchstens 40 % geführt habe. Mangels im Zeitraum zwischen Juni 2009 und Februar 2010 erfolgter Untersuchungen, deren Ergebnis dem Bundessozialamt vorgelegen wäre, hätten die Gutachten daher nicht festlegen können, wann die Sehverschlechterung soweit fortgeschritten war, dass ein die Schwelle von 50 vH überschreitender Grad der Behinderung vor dem Februar 2010 vorgelegen wäre.

Gegen dieses schlüssige Ergebnis, welches die belangte Behörde von den Gutachten übernommen hat, wendet der Beschwerdeführer lediglich ein, die Ausführungen des Bundessozialamtes im Schreiben vom seien widersprüchlich. Zum einen werde behauptet, die beiden Befunde würden im Juni 2009 eine wesentlich geringere Einschränkung des Sehvermögens (auf unter 50 %) beschreiben. Zum anderen werde behauptet, dass eine rückwirkende Anerkennung des aktuellen Behinderungsgrades von 70 % mangels augenärztlicher Befunde aus einem früheren Zeitraum nur ab erstmaliger Befundung des verschlechterten Sehvermögens anerkannt werden könne.

Damit zeigt der Beschwerdeführer keine Unschlüssigkeit des angefochtenen Bescheides und der diesem zugrunde liegenden Gutachten vom Mai und Juni 2010 auf. Der von ihm kritisierte Ausdruck "mangels augenärztlicher Befunde aus einem früheren Zeitraum" bezieht sich auf den Zeitraum vor dem Februar 2010, somit auf den Zeitraum zwischen dem Juni 2009, in dem die Befunde des AKH eine unter 50 % liegende Behinderung durch die Erkrankung des Beschwerdeführers festgestellt haben, und dem Februar 2010. Aus diesem Zeitraum sind nach Aussage der Gutachten eben keine Befunde vorgelegen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung der Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am