VwGH vom 27.09.2012, 2010/16/0206

VwGH vom 27.09.2012, 2010/16/0206

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des J in W, Deutschland, vertreten durch Mirko Stadler, Rechtsanwalt in 76275 Ettlingen, Deutschland, Einsteinstraße 16, (Einvernehmensrechtsanwalt Dr. Georg Legat in 1010 Wien, Seilergasse 9/11) gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom , GZ. ZRV/0077-Z1W/08, betreffend Eingangsabgaben und Abgabenerhöhung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.326,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Zollamt Wien erließ gegenüber dem Beschwerdeführer einen Bescheid vom mit folgendem Spruch:

"Am , und am hat (Beschwerdeführer) die in den beiliegenden Berechnungsblättern bezeichneten 15.000.000 Stück Zigaretten erworben bzw. im Besitz gehabt, obwohl er im Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Waren wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden waren. Es entstand für ihn gemäß Art. 202 Abs. 1 und Abs. 2 dritter Anstrich Zollkodex (ZK) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Zollrechtsdurchführungsgesetz (ZollR-DG) die Eingangsabgabenschuld in der Höhe von …..

Gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG entstand auch die Verpflichtung zur Entrichtung der oben genannten Abgabenerhöhung.

Die oben angeführten Eingangsabgaben wurden gemäß Art. 217 Abs. 1 ZK buchmäßig erfasst und werden gemäß Art. 221 Abs. 1 ZK mitgeteilt.

Die Fälligkeit tritt nach § 73 ZollR-DG mit Beginn des Tages ein, an dem die Abgaben spätestens zu entrichten sind.

Die Abgabenberechnung und deren Bemessungsgrundlagen stellen einen Teil des Spruches dieses Bescheides dar und sind den beigefügten Berechnungsblättern zu entnehmen."

In der Begründung führte das Zollamt neben rechtlichen Ausführungen an, auf Grund des Ergebnisses durchgeführter Ermittlungen des Zollamtes Wien sei nachstehender Sachverhalt festgestellt worden:

"(Beschwerdeführer) hat am , und am insgesamt 15.000.000 Stück Zigaretten in der Europäischen Union im Besitz gehabt, obwohl er auf Grund der Aufmachung der Zigaretten, wusste oder vernünftiger Weise hätte wissen müssen, dass diese Zigaretten zuvor im Schmuggelwege vorschriftswidrig in das Gebiet der Europäischen Union verbracht wurden."

Dadurch sei für ihn im jeweiligen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung die Eingangsabgabenschuld kraft Gesetzes im Sinne der im Spruch genannten Gesetzesstellen entstanden.

In der mit Schriftsatz vom dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass dem bekämpften Bescheid nicht einmal im Ansatz entnommen werden könne, auf welche tatsächlichen Umstände der Anspruch gestützt werde. Jedenfalls bestritt der Beschwerdeführer, Zigaretten erworben oder solche im Gebiet des Staates Österreich oder in einem anderen Staat der EU im Besitz genommen zu haben.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Zollamt die Berufung als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und rechtlichen Ausführungen stellte das Zollamt fest, im Beschwerdefall sei die Zollschuld entstanden, weil "den deutschen Erhebungen zufolge" die in Rede stehenden Zigaretten über Österreich vorschriftswidrig in die Europäische Union verbracht worden seien. Auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Landgerichtes Karlsruhe vom 14. Februar2006 stehe fest, der Beschwerdeführer habe am 14. August, 22. August und insgesamt 15 Millionen Stück Zigaretten in der Europäischen Union im Besitz gehabt, obwohl er auf Grund der Aufmachung der Zigaretten, gewusst habe oder vernünftiger Weise hätte wissen müssen, dass diese Zigaretten zuvor im Schmuggelweg vorschriftswidrig in das Gebiet der Europäischen Union verbracht worden seien.

Mit Schriftsatz vom erhob der Beschwerdeführer dagegen (Administrativ )Beschwerde. Dem vom Zollamt herangezogenen Urteil des Landgerichtes Karlsruhe sei nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer die in Rede stehenden Zigaretten im Besitz gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe die in Rede stehenden Zigaretten zu keinem Zeitpunkt im Besitz gehabt, sie seien ihm nie unmittelbar oder mittelbar übergeben worden, er habe die Zigaretten auch nie gesehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde die vor ihr bekämpfte Berufungsvorentscheidung des Zollamtes dahingehend, dass der mit der Berufungsvorentscheidung unverändert übernommene Spruch des Bescheides des Zollamtes vom insofern geändert wurde, als die Zollschuld für den Beschwerdeführer nicht gemäß Art. 202 Abs. 1 und Abs. 3 dritter Anstrich ZK, sondern gemäß Art. 202 Abs. 1 und Abs. 3 zweiter Anstrich ZK entstanden sei. Gleichzeitig berechnete die belangte Behörde die Abgaben neu in einer geringeren Höhe als das Zollamt. Im Übrigen wies die belangte Behörde die Administrativbeschwerde als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und rechtlichen Ausführungen stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe im Jahr 2000 im Rahmen seiner Arbeitstätigkeit als LKW Fahrer in Ungarn mehrere bislang nicht genau identifizierte ungarische Staatsangehörige kennengelernt. In Absprache mit diesen und den "gesondert verfolgten" U.S. und B.M. habe der Beschwerdeführer beschlossen, aus Ungarn stammende, unverzollte und unversteuerte Zigaretten über Österreich und Deutschland nach Großbritannien zu verbringen.

Im Einzelnen handle es sich um folgende Fälle:

Am "14./" habe der Beschwerdeführer insgesamt 11.000 Stangen Zigaretten auf der Autobahnraststätte S., Deutschland, übernommen. Diese seien von U.S. in einem zuvor zu diesem Zweck angemieteten LKW nach Leeds, Vereinigtes Königreich, transportiert und dort an unbekannte Dritte übergeben worden, wobei der Beschwerdeführer und B.M. den U.S. begleitet hätten. Zuvor habe der gesondert verfolgte A. über Ersuchen des Beschwerdeführers auf seinem PC zur Tarnung des Transports falsche Frachtpapiere erstellt.

Am "22./" habe der Beschwerdeführer insgesamt 32.000 Stangen Zigaretten in der Nähe von Wien übernommen, die wiederum in einem zuvor angemieteten LKW von U.S. nach Leeds, Vereinigtes Königreich, transportiert und dort an unbekannte Dritte übergeben worden seien, wobei dieser abermals vom Beschwerdeführer und von B.M. begleitet worden sei.

Am habe der Beschwerdeführer insgesamt 32.000 Stangen Zigaretten in der Nähe von Wien übernommen. Die Zigaretten seien wiederum durch den gesondert verfolgten U.S. in einem zuvor angemieteten LKW transportiert worden. Der Transport sei allerdings von den britischen Zollbehörden entdeckt und die Zigaretten seien sichergestellt worden, sodass es nicht zu einer Auslieferung der Tabakwaren gekommen sei.

Für die Durchführung der Transporte habe der Beschwerdeführer von seinen ungarischen Auftraggebern näher genannte Geldbeträge erhalten.

Dem Einwand des Beschwerdeführers gegen die Bescheide Abgabenbehörde erster Instanz, wonach er als Besitzer oder Erwerber der Rauchwaren als Zollschuldner heranzuziehen sei, komme Berechtigung zu. Es ergäben sich keinerlei gesicherte Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer die Waren körperlich übernommen oder zumindest die Herrschaft über diese habe erhalten können. Damit sei aber für den Beschwerdeführer noch nichts gewonnen. Zollschuldner sei nämlich auch die Person, die am vorschriftswidrigen Verbringen beteiligt gewesen sei, obwohl sie gewusst habe oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass sie damit vorschriftswidrig handle. Im Beschwerdefall sei dem Beschwerdeführer anzulasten, dass er aus Gewinnerzielungsabsicht eine erhebliche kriminelle Energie bei der Begehung der Taten gezeigt habe. So habe er mehrere andere Personen in die Zollunredlichkeiten hineingezogen. Er selbst sei demnach jeweils für die Anmietung der für die Transporte benötigten LKW zuständig gewesen, habe sich um die Erstellung falscher Frachtpapiere gekümmert und Fähren gebucht. Außerdem habe er die betreffenden Transporte begleitet und überwacht und den Kontakt zwischen den ungarischen Hintermännern und den jeweiligen Fahrern aufrecht erhalten. Damit komme der Beschwerdeführer als Zollschuldner im Sinne des Art. 202 Abs. 3 zweiter Anstrich ZK in Betracht und sei der Spruch des Erstbescheides entsprechend abzuändern.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer u.a. im Recht verletzt erachtet, nicht gemäß Art. 202 Abs. 3 des Zollkodex mit Eingangsabgaben belastet zu werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 302 vom , (Zollkodex-ZK) entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird. Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich ZK.

Die Zollschuld entsteht nach Art. 202 Abs. 2 ZK in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.

Art. 202 Abs. 3 ZK lautet:

"(3) Zollschuldner sind:


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-
die Person, welche die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht hat;
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die Personen, die an diesem Verbringen beteiligt waren, obwohl sie wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass sie damit vorschriftswidrig handeln,
-
die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie in dem Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war."
Gemäß § 2 Abs. 1 des Zollrechts- Durchführungsgesetzes (ZollR-DG) gilt u.a. der Zollkodex auch in allen nicht vom Zollkodex erfassten unionsrechtlich und innerstaatlich geregelten Angelegenheiten des Warenverkehrs über die Grenzen des Anwendungsgebietes, einschließlich der Erhebung von Abgaben (sonstige Eingangs- oder Ausgangsabgaben) und anderen Geldleistungen, soweit im ZollR-DG oder in den betreffenden Rechtsvorschriften die Vollziehung der Zollverwaltung übertragen und nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist.
Entsteht außer in den Fällen des § 108 Abs. 2 ZollR-DG eine Zollschuld u.a. nach Art. 202 ZK, dann ist gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG eine Abgabenerhöhung zu entrichten.
Gemäß § 85c Abs. 8 ZollR-DG gelten u.a. für das Verfahren des unabhängigen Finanzsenates sowie dessen Entscheidungen die diesbezüglichen Bestimmungen der BAO, soweit die im ZollR-DG enthaltenen Regelungen nicht entgegenstehen, sinngemäß.
Gemäß § 289 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in hier nicht interessierenden Fällen des § 289 Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheiden nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Die Abänderungsbefugnis nach § 289 Abs. 2 zweiter Satz BAO kommt der Abgabenbehörde zweiter Instanz nur innerhalb der "Sache" im Sinn des § 289 Abs. 2 erster Satz BAO zu. Sache ist die Angelegenheit, die den durch den Spruch des vor der Abgabenbehörde zweiter Instanz bekämpften Bescheides zum Ausdruck gebrachten Inhalt des Verfahrens gebildet hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2007/16/0152).
Den Ausführungen in Spruch und Begründung des gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen erstinstanzlichen Bescheides vom , der Beschwerdeführer habe die in Rede stehenden Zigaretten "erworben bzw. in Besitz gehabt", ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer die in Rede stehenden Zigaretten erworben habe oder Handlungen gesetzt haben soll, die zum rechtlichen Ergebnis führten, er hätte die Zigaretten im Besitz gehabt. Die Berufungsvorentscheidung spricht (lediglich) davon, der Beshwerdeführer habe die Zigaretten in Besitz gehabt. Dem gegenüber geht die belangte Behörde von einem Sachverhaltskomplex aus, wonach der Beschwerdeführer gerade nicht mit einem derartigen Erwerb oder Besitz der Zigaretten belastet wäre. Der Beschwerdeführer habe demgegenüber näher beschriebene Handlungen gesetzt, die zum rechtlichen Ergebnis führten, er habe zum vorschriftswidrigen Verbringen der Zigaretten beigetragen.
Nun räumt § 289 Abs. 2 BAO der belangten Behörde ein, ihre Anschauung an jene der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen. Einen anderen Sachverhaltskomplex darf die belangte Behörde dabei allerdings nicht annehmen. Das von der belangten Behörde herangezogene Verhalten des Beschwerdeführers war nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Bescheide. Der belangten Behörde war es verwehrt, ihr rechtliches Ergebnis auf einen anderen Sachverhaltskomplex zu stützen als auf denjenigen, der Gegenstand der Bescheide war.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am