VwGH vom 14.10.2015, 2013/04/0097

VwGH vom 14.10.2015, 2013/04/0097

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde der A GmbH in W, vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 14, gegen den Bescheid des Vergabekontrollsenates des Landes Wien vom , Zl. VKS-280638/13, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (weitere Partei: Wiener Landesregierung, mitbeteiligte Partei: R, vertreten durch die B GmbH in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Das Land Wien hat der beschwerdeführenden Partei den Aufwand in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Die Bundesbeschaffung GmbH (B. GmbH) führte als vergebende Stelle der R ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich gemäß § 141 BVergG 2006 zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung betreffend die Bereitstellung von Leihpersonal gemäß dem Arbeitskräfteüberlassungsgesetz. Die ausgeschriebenen Leistungen waren in vier Lose geteilt, wobei es den Bietern freistand, nur für ein Los, einige der Lose oder alle Lose zu anzubieten. Der Zuschlag sollte nach dem Bestbieterprinzip erfolgen. Ziel des Vergabeverfahrens war der Abschluss von Rahmenvereinbarungen je Los mit drei geeigneten Unternehmen, wobei der Einzelabruf jeweils ohne erneuten Aufruf zum Wettbewerb nach dem Kaskadenprinzip erfolgen sollte. Die Allgemeinen Ausschreibungsbedingungen forderten in ihrem Punkt 6.4.1, Rz 71, den Nachweis eines durchschnittlichen Jahresumsatzes des jeweiligen Bieters in den letzten drei Geschäftsjahren in der Höhe von:

Los 1 Arbeiter - Wien …………………………………. EUR 49.000.000,00 Los 2 Arbeiter (ausgenommen Wien) ………………..... EUR 6.000.000,00 Los 3 Angestellte …………………………………….... EUR 22.000.000,00 Los 4 höher qualifizierte Angestellte …………………..EUR 19.000.000,00

2.1. Mit Nachprüfungsantrag vom begehrte die Beschwerdeführerin die Nichtigerklärung der Allgemeinen Ausschreibungsbedingungen, hilfsweise die Nichtigerklärung der in Punkt 6.4.1, Rz 71, vorgesehenen Mindestgesamtjahresumsätze.

2.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Anträge ab.

Zur Frage der Zuständigkeit hielt die belangte Behörde fest, in den Ausschreibungsunterlagen sei als zuständige Vergabekontrollbehörde der Vergabekontrollsenat Wien genannt. Mit dem Los 1, dessen Umfang eindeutig mehr als die Hälfte des geschätzten Auftragswertes ausmache, solle "offenbar" der Beschaffungsbedarf des Landes Wien gedeckt werden. Die Zuständigkeit der belangten Behörde sei nach den §§ 1 Abs. 3 (Überwiegen des Schätzwertes für das Los 1 Arbeiter - Wien), 11 Abs. 2 Z 2 WRVG 2007 gegeben.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

4.2.1. Artikel 14b Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, lautet auszugsweise:

" Artikel 14b. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens, soweit diese nicht unter Abs. 3 fallen.

(2) Die Vollziehung in den Angelegenheiten des Abs. 1 ist

1. Bundessache hinsichtlich

a) der Vergabe von Aufträgen durch den Bund;

(...)

f) der gemeinsamen Vergabe von Aufträgen durch den Bund und die Länder, wenn der Anteil des Bundes am geschätzten Gesamtauftragswert mindestens gleich groß ist wie die Summe der Anteile der Länder;

(...)

2. Landessache hinsichtlich

a) der Vergabe von Aufträgen durch das Land, die Gemeinden und die Gemeindeverbände;

(...)

f) der gemeinsamen Vergabe von Aufträgen durch den Bund und die Länder, soweit diese nicht unter Z 1 lit. f fällt, sowie der gemeinsamen Vergabe von Aufträgen durch mehrere Länder.

(...) Sind nach Z 2 lit. c, e oder f mehrere Länder beteiligt, so richtet sich die Zuständigkeit zur Vollziehung nach dem Überwiegen des Merkmals, das nach der entsprechenden Litera (Sublitera) der Z 1 für die Abgrenzung der Vollziehungszuständigkeit des Bundes von jener der Länder maßgebend ist oder wäre, dann nach dem Sitz des Auftraggebers, dann nach dem Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit des Auftraggebers, dann nach dem Sitz (Hauptwohnsitz) der vergebenden Stelle, kann jedoch auch danach die Zuständigkeit nicht bestimmt werden, so ist dasjenige beteiligte Land zuständig, das im Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens zum Vorsitz im Bundesrat berufen ist oder zuletzt war.

(3) Landessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung in den Angelegenheiten der Nachprüfung im Rahmen der Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Sinne des Abs. 2 Z 2.

(...)"

4.2.2. § 1 des Wiener Vergaberechtsschutzgesetzes 2007 (WVRG 2007), LGBl. 65/2006, lautet:

"Geltungsbereich

§ 1. (1) Dieses Landesgesetz regelt die Nachprüfung im Rahmen der Vergabe von Aufträgen (einschließlich der Vergabe von Baukonzessionen und der Durchführung von Wettbewerben, nicht jedoch der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen) durch folgende Auftraggeber und Auftraggeberinnen (öffentliche Auftraggeber, öffentliche Auftraggeberinnen und öffentliche Unternehmen im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 164 und 165 des Bundesvergabegesetzes 2006):


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1.
Wien als Land oder Gemeinde,
2.
Einrichtungen, Verbände und öffentliche Unternehmen, hinsichtlich deren die Gesetzgebung und Vollziehung in den Angelegenheiten der Nachprüfung gemäß Art. 14b Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 B-VG Landessache ist und die gemäß den in Art. 14b Abs. 2 Z 2 letzter Satz B-VG genannten Merkmalen der Stadt Wien zuzurechnen sind.

(2) Im Sinne des Abs. 1 ist der Vergabekontrollsenat (§ 2) jedenfalls zuständig für die Nachprüfung der Vergabe von Aufträgen


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1.
durch Wien als Land oder Gemeinde,
2.
durch Stiftungen, Fonds und Anstalten im Sinne des Art. 127 Abs. 1 und des Art. 127a Abs. 1 B-VG,
3.
durch Unternehmungen im Sinne des Art. 126b Abs. 2 B-VG, soweit sie nicht unter Art. 14b Abs. 2 Z 1 lit. c B-VG fällt,
4.
durch Unternehmungen im Sinne des Art. 127 Abs. 3 B-VG und des Art. 127a Abs. 3 B-VG,
5.
durch landesgesetzlich eingerichtete Selbstverwaltungskörperschaften,
6.
durch in Art. 14b Abs. 2 Z 1 lit. a bis d und Art. 14b Abs. 2 Z 2 lit. a bis d B-VG nicht genannte Rechtsträger,
a)
die von der Stadt Wien allein oder gemeinsam mit dem Bund oder anderen Ländern finanziert werden, soweit die Vergabe nicht unter Art. 14b Abs. 2 Z 1 lit. e sublit. aa B-VG fällt,
b)
die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht der Stadt Wien unterliegen, soweit die Vergabe nicht unter Art. 14b Abs. 2 Z 1 lit. e sublit. aa oder bb B-VG oder § 1 Abs. 2 Z 6 lit. a dieses Landesgesetzes fällt,
c)
deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane aus Mitgliedern bestehen, die von der Stadt Wien ernannt worden sind, soweit die Vergabe nicht unter Art. 14b Abs. 2 Z 1 lit. e sublit. aa bis cc B-VG oder § 1 Abs. 2 Z 6 lit. a oder lit. b fällt,
7.
durch den Bund und die Länder gemeinsam, soweit diese nicht unter Art. 14b Abs. 2 Z 1 lit. f B-VG fällt, sowie durch mehrere Länder gemeinsam nach Maßgabe des Abs. 3.

(3) Sind nach Abs. 2 Z 3, 4, 6 oder 7 mehrere Länder beteiligt, so gilt dieses Landesgesetz dann, wenn die Merkmale, die nach der entsprechenden Litera (Sublitera) des Art. 14b Abs. 2 Z 1 B-VG für die Abgrenzung der Vollziehungszuständigkeit des Bundes von jener der Länder maßgebend sind oder wären, überwiegend auf Wien zutreffen. Ist kein solches Überwiegen eines Landes feststellbar, dann gilt dieses Landesgesetz, wenn der Sitz des Auftraggebers oder der Auftraggeberin in Wien liegt. Ist der Sitz keinem Land eindeutig zuordenbar, dann gilt es, wenn der Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit des Auftraggebers oder der Auftraggeberin in Wien liegt. Ist der Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit keinem Land zuordenbar, dann gilt es, wenn der Sitz (Hauptwohnsitz) der vergebenden Stelle in Wien liegt. Kann jedoch auch danach die Zuständigkeit nicht bestimmt werden, so gilt es dann, wenn Wien im Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens zum Vorsitz im Bundesrat berufen ist. Ist kein Land zum Vorsitz im Bundesrat berufen, so gilt es dann, wenn Wien zuletzt zum Vorsitz im Bundesrat berufen war."

4.3. Die Verwaltungsbehörden haben nach § 6 Abs. 1 AVG ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; durch Vereinbarung der Parteien kann die Zuständigkeit weder begründet noch geändert werden (§ 6 Abs. 2 AVG). Die Unzuständigkeit ist daher von Amts wegen in jeder Phase des Verfahrens wahrzunehmen; dadurch, dass eine Partei die Unzuständigkeit der Behörde nicht geltend macht, wird die Zuständigkeit nicht begründet ( Antoniolli/Koja , Allgemeines Verwaltungsrecht3, 338, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

4.4. Sofern die belangte Behörde vermeint, ihre Zuständigkeit ergebe sich aus der Bezeichnung des VKS Wien als zuständige Vergabekontrollbehörde in den Ausschreibungsunterlagen, ist darauf zu verweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage der Anwendbarkeit des BVergG 2006 an sich sowie die Regelung der Zuständigkeiten der Vergabekontrollbehörden einer gestaltenden Festlegung durch die Auftraggeberin entzogen sind. Eine solche kann daher auch nicht bestandfest werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/04/0112).

Der bloße Hinweis der belangten Behörde, "mit dem Los 1, dessen Umfang eindeutig mehr als die Hälfte des geschätzten Auftragswertes ausmacht, soll(e) offenbar der Beschaffungsbedarf des Landes Wien gedeckt werden", gibt keine Auskunft darüber, welchem Rechtsträger welcher Anteil am Gesamtauftragswert zukommt, zumal in den Ausschreibungsbestimmungen zu Los 1 lediglich davon die Rede ist, dass dieser Arbeiter mit Beschäftigungsort Wien umfasse. Ausgehend bloß von dieser "Feststellung" kann die Frage des Vorliegens der verwaltungsbehördlichen Zuständigkeit gemäß Art. 14b B-VG bzw. § 1 Abs. 3 WVRG 2007 nicht geklärt werden.

4.5. Die belangte Behörde ist - offenkundig ausgehend von der unrichtigen Rechtsansicht, die sachliche Zuständigkeit der Vergabekontrollbehörde sei anhand der Festlegung in den Ausschreibungsbedingungen zu beurteilen, - der ihr obliegenden Ermittlungspflicht betreffend die für die Beurteilung der Zuständigkeit rechtlich relevanten Tatsachen nicht nachgekommen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als mit einem sekundären Feststellungsmangel hinsichtlich der von Amts wegen zu prüfenden Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde behaftet, weshalb er - ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben war.

4.6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am