VwGH vom 29.04.2014, 2013/04/0072
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Dr. Grünstäudl und Dr. Mayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde des LM in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 04/G/19/1213/2013-2, betreffend Übertretungen der Gewerbeordnung 1994 (weitere Partei: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom wurde der Beschwerdeführer der Übertretungen des § 366 Abs. 1 Z 3 zweiter Fall iVm § 81 der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) und des § 367 Z 25 GewO 1994 iVm zwei näher bezeichneten Auflagen betreffend eine Betriebsanlage für schuldig erkannt und es wurden über ihn drei Geldstrafen (eine in der Höhe von EUR 1.520,-- und zwei in der Höhe von jeweils EUR 455,--) verhängt.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (im Folgenden: Behörde) der "ausschließlich gegen das Strafausmaß eingebrachten Berufung" des Beschwerdeführers keine Folge.
Nach der Darstellung der wesentlichen Inhalte des erstinstanzlichen Straferkenntnisses führte die Behörde in ihrer Begründung wie folgt aus:
"Da sich die dagegen am und somit fristgerecht eingebrachte mündliche Berufung ausschließlich gegen das Strafausmaß wendet, war es der Berufungsbehörde versagt, Ausführungen hinsichtlich der Schuldfrage zu tätigen, da damit der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen ist. Die mit Schriftsatz vom eingebrachten Dispositionen bleiben daher unberücksichtigt."
Zum Strafausmaß legte die Behörde dar, eine Herabsetzung komme aufgrund des Unrechtsgehaltes der Tat und des Verschuldens des Beschwerdeführers nicht in Betracht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen hat:
1. Vorauszuschicken ist, dass es sich beim vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall nicht um einen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
2. Gemäß dem auch im Verwaltungsstrafverfahren anwendbaren § 63 Abs. 5 AVG beträgt die Berufungsfrist zwei Wochen. Eine Berufung ist nach § 63 Abs. 4 AVG nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach der Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Berufung verzichtet hat. Gemäß § 51 Abs. 3 VStG kann eine Berufung im Verwaltungsstrafverfahren auch mündlich eingebracht werden. In diesem Fall bedarf es keines begründeten Berufungsantrages, die Behörde hat jedoch die Gründe des Beschuldigten für die Erhebung der Berufung in einer Niederschrift festzuhalten.
3. Der Beschwerdeführer bringt u.a. vor, er habe (nach mündlicher Erhebung der Berufung) innerhalb offener Berufungsfrist einen Berufungsschriftsatz eingebracht, in dem er die Feststellungen, auf die sich das Straferkenntnis gegründet habe, als unrichtig bestritten habe. Dieses Vorbringen hätte die Behörde nicht unberücksichtigt lassen dürfen, sondern sich auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien. Dazu verweist der Beschwerdeführer auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach mehrere innerhalb der Berufungsfrist eingebrachte Berufungsschriftsätze als eine Berufung anzusehen seien.
4. Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer aus folgenden Gründen eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:
4.1. Aus dem Akteninhalt und dem damit übereinstimmenden Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich, dass das erstinstanzliche Straferkenntnis dem Beschwerdeführer am zugestellt wurde. Dagegen erhob der Beschwerdeführer zunächst am mündlich Berufung, die sich nach der dazu aufgenommenen Niederschrift der erstinstanzlichen Behörde nur gegen die Strafhöhen richtete. Am erfolgte eine schriftliche Berufung, mit der das Straferkenntnis zur Gänze bekämpft wurde. Ausgehend von dem sich aus dem Verwaltungsakt ergebenden Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses ist der Berufungsschriftsatz des Beschwerdeführers vom innerhalb der Berufungsfrist ergangen. Auch die Behörde hat nicht festgestellt, dass dieser Schriftsatz verspätet gewesen wäre.
4.2. Der bloße Umstand, dass dem innerhalb der Berufungsfrist eingebrachten Berufungsschriftsatz die Erhebung einer mündlichen, auf die Strafhöhe beschränkten Berufung vorangegangen ist, führt für sich genommen nicht zur Unbeachtlichkeit der schriftlichen Berufung. Nach ständiger hg. Rechtsprechung sind, wenn eine Partei innerhalb offener Berufungsfrist mehrere Schriftsätze einbringt, mit denen Berufung gegen denselben Bescheid erhoben wird, diese als eine Berufung anzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/21/0064, mwN). Da gemäß § 51 Abs. 3 VStG Berufungen im Verwaltungsstrafverfahren auch mündlich eingebracht werden können, kann für den hier vorliegenden Fall der Ergänzung einer mündlichen Berufung durch einen innerhalb der Berufungsfrist eingebrachten Berufungsschriftsatz nicht anderes gelten. Somit wären die mündliche Berufung vom und die schriftliche Eingabe vom grundsätzlich als Einheit zu behandeln gewesen.
4.3. Davon Abweichendes könnte nur dann angenommen werden, wenn der Beschwerdeführer hinsichtlich der Schuldfrage einen wirksamen Berufungsverzicht abgegeben hätte. Diesfalls wäre der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen und die Behörde hätte sich mit den Ausführungen in der schriftlichen Berufung zur Schuldfrage nicht mehr befassen können, weil "Sache" des Verfahrens nur mehr die Straffrage gewesen wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0366).
Gemäß § 63 Abs. 4 AVG hat ein Berufungsverzicht ausdrücklich zu erfolgen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Vorliegen eines Berufungsverzichts besonders streng zu prüfen. Auch ist ein anlässlich der Unterzeichnung eines Berufungsverzichts vorliegender Willensmangel, wenn er tatsächlich bestanden hat, zu Gunsten des Beschwerdeführers zu beachten. Voraussetzung für einen gültigen Berufungsverzicht ist u. a. weiters, dass er ohne Druck und in Kenntnis seiner Rechtsfolgen abgegeben wird (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/02/0049, mwN).
Im vorliegenden Fall ist ein (die Schuldfrage betreffender) Berufungsverzicht des Beschwerdeführers von der Behörde nicht festgestellt worden und auch nicht ersichtlich. Ausgehend davon sind die "mit Schriftsatz vom eingebrachten Dispositionen" des Beschwerdeführers zu Unrecht unberücksichtigt geblieben.
5. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Auf das weitere Beschwerdevorbringen musste somit nicht eingegangen werden.
6. Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
7. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht - gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF der Novelle BGBl. II Nr. 8/2014 - auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits in dem in der genannten Verordnung pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist.
Wien, am