VwGH vom 11.10.2005, 2005/21/0071
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des ABHH, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom , Zl. UVS- 6/10146/8-2003, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde nach § 67a Abs. 1 Z 2 AVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Tunesien, ein Aufenthaltsverbot verhängt. Dagegen hat der Beschwerdeführer eine beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Bescheidbeschwerde eingebracht, der mit Beschluss vom , Zl. AW 2002/18/0213, die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.
Mit Schriftsatz vom erhob der Beschwerdeführer die an die belangte Behörde gerichtete "Beschwerde wegen rechtswidriger Festnahme" und brachte vor, dass er am Abend des in seiner Wohnung festgenommen und danach zumindest eine Stunde lang angehalten worden sei. Er sei erst frei gelassen worden, nachdem sein Rechtsvertreter der Fremdenpolizeibehörde den genannten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung übermittelt habe. Durch die Festnahme seien die psychischen Probleme des Beschwerdeführers - dieser leide seit der Verbüßung einer Haftstrafe unter paranoider Schizophrenie - wieder akut geworden. Der Beschwerdeführer beantrage daher die Feststellung, dass seine Festnahme und Anhaltung am rechtswidrig gewesen seien.
Mit dem gegenständlich vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde vom gemäß den §§ 67a Abs. 1 Z 2 iVm § 67c Abs. 3 AVG als unzulässig zurück und entschied über die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens. Zur Begründung führte sie aus, dass eine Festnahme des Beschwerdeführers am Abend des nicht stattgefunden habe, sodass es an einem tauglichen Anfechtungsgegenstand fehle. Als maßgeblichen Sachverhalt stellte sie fest, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung am noch nicht im elektronischen Fremdeninformationssystem des Bundesministeriums für Inneres vermerkt gewesen sei. Vielmehr sei dort das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot fälschlich als "seit rechtskräftig" vermerkt gewesen, sodass die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung als Fremdenpolizeibehörde zwei Beamte der Fahndungsgruppe angewiesen habe, den Beschwerdeführer zur "Sicherung der Ausweisung (richtig: der Ausreise) festzunehmen". Als die beiden Beamten am Abend des an der Wohnungstüre des Beschwerdeführers vorgesprochen und diesen mit dem Aufenthaltsverbot konfrontiert hätten, habe der Beschwerdeführer, ohne dass er ein entsprechendes Schriftstück habe vorweisen können, eingewendet, er habe ein Rechtsmittel gegen das Aufenthaltsverbot eingebracht. Da er in Sorge gewesen sei, seine Wohnungsnachbarn könnten vom Gespräch mit den nicht uniformierten Beamten Kenntnis erlangen, hätten ihm diese angeboten, das Gespräch in seiner Wohnung fortzusetzen. Dies habe der Beschwerdeführer mit Hinweis auf zwei läufige Hunde in der Wohnung abgelehnt. In der Folge, so die belangte Behörde weiter, "ersuchten die Beamten den Beschwerdeführer", dass er sie zur Klärung des Sachverhalts zur nächsten Dienststelle begleite. Der Beschwerdeführer habe daraufhin versucht, seinen Anwalt anzurufen, habe jedoch, als dies misslungen sei, eingewilligt, das Gendarmeriefahrzeug zu besteigen. Nachdem er während der Fahrt seinen Anwalt telefonisch erreicht habe, seien die beiden Beamten von der Leiterin der Fremdenpolizeibehörde, die mittlerweile Kenntnis vom genannten Beschluss über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erlangt habe, angewiesen worden, den Beschwerdeführer nach Hause zurückzubringen, was auch erfolgt sei.
In ihrer Beweiswürdigung folgte die belangte Behörde den Aussagen des Beamten der Fahndungsgruppe, den sie als Zeugen einvernommen hatte. Dieser habe glaubwürdig geschildert, dass er es nicht nur vermieden habe, im Hinblick auf die Nervosität des Beschwerdeführers diesem gegenüber von einer Festnahme zu sprechen, sondern dass der Beschwerdeführer die Beamten über ihr Ersuchen freiwillig begleitet habe. Außerdem habe der Zeuge angegeben, dass er wegen der angespannten psychischen Situation des Beschwerdeführers mit der Behörde noch einmal Rücksprache gehalten hätte, bevor er ihn "wirklich festgenommen hätte". Der Beschwerdeführer sei daher, so die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Falls, weder formell festgenommen worden noch sei der Wille der einschreitenden Beamten objektiv darauf gerichtet gewesen, die Freiheit des Beschwerdeführers zu beschränken. Der von den Beamten geäußerte Wunsch, der Beschwerdeführer möge ihnen zum nächst gelegenen Gendarmerieposten folgen, habe keinen sofortige Befolgung heischenden Befehl im Sinn der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes dargestellt, bei dessen Nichtbefolgung der Beschwerdeführer mit der Ausübung von körperlichem Zwang zu rechnen gehabt hätte. Da von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nur gesprochen werden könne, wenn im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig ein Befehl erteilt oder Zwang ausgeübt werde, könne im vorliegenden Fall "infolge Freiwilligkeit der Folgeleistung" nicht von einer Festnahme gesprochen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bekämpft mit seiner Beschwerde die Auffassung der belangten Behörde, dass er am nicht festgenommen worden sei, wobei er sich insbesondere gegen die Ansicht wendet, er sei mit den Beamten freiwillig mitgefahren. Auch wenn die Organwalter behutsam vorgegangen sein mögen, so sei die Aufforderung, in das Gendarmerieauto einzusteigen, doch deutlich gewesen. Für den Beschwerdeführer, der auf Grund seiner psychischen Erkrankung große Angst vor Sicherheitsorganen und Behörden habe, sei es unvorstellbar gewesen, sich der Aufforderung der Beamten zu widersetzen.
Die belangte Behörde stützt ihren gegenteiligen Standpunkt im angefochtenen Bescheid einerseits auf den Umstand, dass die Beamten den Beschwerdeführer bloß "ersucht" hätten, mit ihnen zu kommen, und andererseits darauf, dass der Beschwerdeführer diesem Ersuchen entsprochen habe. Zum erstgenannten Umstand ist freilich zunächst festzuhalten, dass der Zeuge nach der Verhandlungsniederschrift der belangten Behörde ausgesagt hat, man habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, es wäre "das Vernünftigste ..., um die Amtshandlung abzukürzen, dass er uns zur Klärung des Sachverhalts auf die nächste Dienststelle begleiten soll". In der Stellungnahme der Fremdenpolizeibehörde vom zur Beschwerde vom wird ausgeführt, der Beschwerdeführer sei "aufgefordert" worden, zur Dienststelle mitzukommen. In einem Aktenvermerk der Fremdenpolizeibehörde vom ist festgehalten, dass "wegen des VwGH-Beschlusses ... der Fremde ... umgehend freizulassen ist". Unter Berücksichtigung dieser Angaben und unter Einbeziehung insbesondere des Umstandes, dass die Beamten von der Behörde beauftragt waren, den Beschwerdeführer festzunehmen, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht schlüssig hervor, warum das "Ersuchen" an den Beschwerdeführer, zur nächsten Dienststelle mitzukommen, bloß unverbindlichen Charakter gehabt haben soll. Dabei ist für die belangte Behörde aus dem von ihr zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 253/87, VfSlg. 11.568/1987, nichts zu gewinnen. Vielmehr spricht dieses Erkenntnis gerade gegen ihre Auffassung, weil der Verfassungsgerichtshof bezüglich jenes im letztgenannten Erkenntnis beurteilten Sachverhalts, bei dem die Vorführung ausdrücklich angeordnet worden war, die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt als gegeben ansah.
Im vorliegenden Fall ist für die belangte Behörde auch aus den Aussagen des Zeugen, er wäre, wenn der Beschwerdeführer nicht freiwillig mitgekommen wäre, "wahrscheinlich" vor der Tür stehen geblieben und hätte weitere Instruktionen eingeholt, nichts zu gewinnen. Im Erkenntnis vom , Zl. 2001/11/0162, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von der genannten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dargelegt, dass bei der Beantwortung der Frage, ob das Ersuchen von Behördenorganen, mit ihnen mitzukommen, einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellt, neben dem Wortlaut und der Bestimmtheit der Aufforderung zum Mitkommen auch maßgeblich sei, ob sich die Beamten in einer Weise verhalten haben, dass aus der Sicht eines Betroffenen - unabhängig von subjektiven Eindrücken - die Überzeugung entstehen musste, er werde im Fall seiner Weigerung ohne weitere Aufforderung mit Zwang mitgenommen werden. Entscheidend ist daher nicht, welche weitere Vorgangsweise seitens der Beamten im Fall der Weigerung des Beschwerdeführers zum Mitkommen beabsichtigt war, sofern die geplante Vorgangsweise - wie gegenständlich - nach außen hin nicht zum Ausdruck kam. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Verhalten der Beamten bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen den Eindruck hinterlassen musste, der Beschwerdeführer werde im Falle seiner Weigerung zwangsweise mitgenommen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am