VwGH vom 08.05.2013, 2013/04/0028
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zirm, über die Beschwerde des Ing. X in Y, vertreten durch Dr. Walter Lichal, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Anton Sattler-Gasse 105/1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-06/50/14162/2012-3, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. Übertretung des Maß- und Eichgesetzes (weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Übertretung von § 63 Abs. 1 iVm § 8 Abs. 1 Z. 10 und Abs. 3 Z. 7 Maß- und Eichgesetz eine Geldstrafe von EUR 260,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 19 Stunden) verhängt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das Straferkenntnis sei nach einem erfolglosen Zustellversuch am beim Postamt hinterlegt und ab dem zur Abholung bereit gehalten worden. Mit diesem Tag (dem ersten Tag der Abholfrist) gelte gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz (ZustG) ein hinterlegtes Dokument als zugestellt, sodass die zweiwöchige Berufungsfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG am geendet habe. Die erst am eingebrachte Berufung sei daher als verspätet zurückzuweisen.
Zwar habe der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren vorgebracht, er sei vom 9. September bis bei seinen Eltern in Wien 22 gewesen und habe auch dort übernachtet, weil seine Eltern nach einer schweren Operation seines Vaters laufend Unterstützung gebraucht hätten; erst am habe er in seinen Postkasten schauen können und danach sofort die Berufung eingebracht.
Damit habe der Beschwerdeführer "aber nicht dargetan, dass er nicht in der Lage gewesen sei, Zustellvorgänge am Zustellort" (seiner Wohnung in Wien 21) "wahrzunehmen". Aus diesem Vorbringen allein sei nicht der Schluss zu ziehen, dass der Beschwerdeführer sich auch am Tag der Hinterlegung bei den Eltern aufgehalten habe (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/02/0186). Dazu komme, dass sich die beiden in Rede stehenden Anschriften in benachbarten Wiener Gemeindebezirken befänden, weshalb "auch davon ausgegangen werden" könne, dass der Beschwerdeführer "durchaus in der Lage" gewesen sei, "während des angegebenen Zeitraumes regelmäßig an die Abgabestelle zurückzukehren und den Zustellvorgang wahrzunehmen". "Auf Grund der vorliegenden Fakten" gehe die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer regelmäßig an die Abgabestelle zurückgekehrt sei und auch von der erfolgten Hinterlegung rechtzeitig Kenntnis erlangen habe können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift allerdings verzichtet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Die hier interessierenden Bestimmungen des ZustG (in der maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 111/2010) lauten - auszugsweise - wie folgt:
"Hinterlegung
§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(…)"
2. Die Beschwerde bestreitet nicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmales gemäß § 17 Abs. 1 ZustG, der Zusteller habe Grund zur Annahme gehabt, dass sich der Beschwerdeführer regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte. Sie führt allerdings im Weiteren aus, der Beschwerdeführer habe im Verwaltungsstrafverfahren vorgebracht, dass er sich aufgrund einer Operation seines Vaters vom 9. September bis bei seinen Eltern aufgehalten und dort auch übernachtet habe. Die Hinterlegung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses am beim Postamt sei somit zu jener Zeit erfolgt, als der Beschwerdeführer bei seinen Eltern gewesen sei. Dem angefochtenen Bescheid sei nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die belangte Behörde demgegenüber davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer regelmäßig an die Abgabestelle zurückgekehrt sei; es liege keinerlei Beweis für eine solche Vermutung der belangten Behörde vor.
3. Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt.
Den vorgelegten Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer am beim Magistratischen Bezirksamt für den 16. Bezirk die Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis, welches er am selben Tag "vor zwei Stunden von der Post" abgeholt habe, zu Protokoll gab.
Auf Vorhalt der belangten Behörde, dass die vorgelegte Berufung aufgrund des Zustellnachweises als verspätet erscheine, legte der Beschwerdeführer eine (augenscheinlich) von ihm und seinen Eltern unterfertigte "Abwesenheitsbestätigung" vor, die folgenden wesentlichen Inhalt aufweist:
"(…),
in der Zeit von bis war ich bei meinen Eltern in 1220 Wien, (E.)gasse (Nr.) und habe dort auch übernachtet. Der Grund liegt darin, dass meine Eltern, nach der schweren Operation meines Vaters laufend Unterstützung gebraucht haben.
Erst am konnte ich wieder in meinen Postkasten sehen, bin sofort zur zuständigen Stelle gefahren um den Einspruch zu machen."
Nach Einholung einer Auskunft aus dem zentralen Melderegister erließ die belangte Behörde daraufhin den angefochtenen Bescheid, ohne weitere Erhebungen durchzuführen.
4. Mit der wiedergegebenen "Abwesenheitsbestätigung" hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren unmissverständlich behauptet, dass er wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen habe können. Damit wurde ein mit Blick auf § 17 Abs. 3 letzter Satz ZustG relevantes Vorbringen erstattet, welches klare Angaben insbesondere über die Dauer der behaupteten Abwesenheit enthielt; als konkretes Beweismittel wurde eine vom Beschwerdeführer und seinen Eltern unterfertigte Bestätigung vorgelegt, welche im Übrigen auch die Anschrift der Eltern des Beschwerdeführers enthielt (vgl. zu den Anforderungen an ein diesbezügliches Vorbringen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/04/0033, mwN).
Der dem von der belangten Behörde ins Treffen geführten hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/02/0186, zugrunde liegende Fall unterscheidet sich von der vorliegenden Konstellation schon dadurch, dass der Beschwerdeführer jenes Verfahrens lediglich behauptet hatte, bei seinen Eltern übernachtet und daher seine Wohnung "nicht regelmäßig benützt" zu haben; davon ausgehend hat der Verwaltungsgerichtshof in jenem Fall beanstandet, dass der Beschwerdeführer nicht dargelegt habe, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, Zustellvorgänge an seiner Wohnadresse wahrzunehmen.
Eine Abwesenheit des Beschwerdeführers von der Abgabestelle - wie von ihm behauptet - hätte gemäß § 17 Abs. 3 letzter Satz ZustG zur Folge, dass das am beim Postamt hinterlegte erstinstanzliche Straferkenntnis - entgegen der Annahme der belangten Behörde - nicht gemäß § 17 Abs. 3 dritter Satz ZustG als zugestellt gelten könnte (vgl. etwa die Nachweise bei Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze I2 E 92 ff zu § 17 ZustG). Mit Blick auf das angeführte Vorbringen des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde somit den maßgebenden Sachverhalt - etwa durch Befragung des Beschwerdeführers und seiner Eltern - ermitteln müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/18/0209).
5. Indem die belangte Behörde ihrer Pflicht zur Überprüfung der oben wiedergegebenen (konkreten) Angaben des Beschwerdeführers (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/09/0331) nicht nachgekommen ist und aus der vorgelegten Bestätigung auf nicht nachvollziehbare Weise geschlossen hat, dass der Beschwerdeführer (im maßgeblichen Zeitraum) regelmäßig an die Abgabestelle zurückgekehrt sei, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Verfahrensmängeln belastet, denen auch Relevanz zukommt, wäre doch bei Zutreffen des Vorbringens des Beschwerdeführers von einer Zustellung zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt (nämlich gemäß § 17 Abs. 3 letzter Satz ZustG an dem auf die Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag, also am ) - und damit von der Rechtzeitigkeit der Berufung - auszugehen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am