VwGH 11.06.2018, Ra 2018/17/0014
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | VStG §19 Abs2; VwGVG 2014 §42; |
RS 1 | Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt das Verbot der "reformatio in peius" bei einer zu Gunsten des Bestraften erhobenen Beschwerde dazu, dass in der Beschwerdeentscheidung nicht die gleiche Strafe verhängt werden darf wie im Straferkenntnis, sofern in dieser der Tatzeitraum reduziert wird und nicht andere Strafzumessungsgründe heranzuziehen sind als im Erstbescheid (vgl. z.B. , mwN). Wenn das Verwaltungsgericht die verhängte Strafe nicht herabsetzt, liegt dennoch kein Verstoß gegen das Verbot der "reformatio in peius" vor, wenn es im Rahmen der vorzunehmenden eigenen Bewertung von Milderungs- und Erschwerungsgründen begründeterweise zur gleichen Strafhöhe gelangt wie die erstinstanzliche Behörde, selbst wenn ein Erschwerungsgrund weggefallen oder ein Milderungsgrund hinzugekommen wäre (vgl. ). Das Verwaltungsgericht muss in der Lage sein zu begründen, dass andere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, das Ausmaß der verhängten Strafe für angemessen zu halten (, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/17/0733 E RS 1
(hier ohne den letzten Satz) |
Norm | VwGVG 2014 §52 Abs8; |
RS 2 | Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 52 Abs. 8 VwGVG wäre es nicht begründet, die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Bestraften aufzuerlegen, wenn das Verwaltungsgericht eine Änderung zugunsten des Beschuldigten vorgenommen hat. Eine solche liegt auch dann vor, wenn der von der Strafbehörde angenommene strafbare Tatbestand eingeschränkt worden ist. Das ist u.a. auch dann der Fall, wenn der Tatzeitraum im Unterschied zur erstinstanzlichen Entscheidung und damit der Unrechtsgehalt zugunsten des Beschuldigten verringert wurde (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/17/0733 E RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, Hofrat Mag. Brandl sowie Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision des Ing. T W in G, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-251/001-2017, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya),
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 1. richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Die Vorschreibung der Kosten des Beschwerdeverfahrens im Spruchpunkt 2. des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya vom wurde der Revisionswerber der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 Glücksspielgesetz (GSpG) in Bezug auf ein Glücksspielgerät im Tatzeitraum vom bis schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 1.000,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) der dagegen erhobenen Beschwerde keine Folge, änderte den Spruch des Straferkenntnisses jedoch insofern ab, als es die Tatzeit auf " bis " einschränkte (Spruchpunkt 1.). Dem Revisionswerber wurde für das Beschwerdeverfahren ein Kostenbeitrag in Höhe von EUR 200,-- vorgeschrieben (Spruchpunkt 2.). Weiters sprach das LVwG aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichthof nicht zulässig sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung die kostenpflichtige Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Zum Zulässigkeitsvorbringen der Revision im Zusammenhang mit der Vorlagepflicht der entscheidenden Gerichte ist festzuhalten, dass die Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV klar bzw. geklärt sind. Ebenso sind die Anforderungen an eine Prüfung der Unionsrechtskonformität im Zusammenhang mit einer Monopolregelung im Glücksspielsektor durch die nationalen Gerichte geklärt (vgl. Dickinger und Ömer, C- 347/09, Rn. 83 f; vom , Pfleger, C-390/12, Rn. 47 ff; vom , Admiral Casinos & Entertainment, C-464/15, Rn. 31, 35 ff; sowie vom , Sporting Odds, C-3/17, Rn. 28, 62 ff). Diesen Anforderungen ist der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Ro 2015/17/0022, durch die Durchführung der nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Gesamtwürdigung nachgekommen. Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht im Revisionsfall nicht abgewichen. Entgegen dem weiteren Vorbringen steht die angefochtene Entscheidung daher nicht im Widerspruch zum Pfleger, C-390/12.
8 Ebenso stehen nach den Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom , Online Games Handels GmbH ua, C- 685/15, die Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit) im Lichte des Art. 47 GRC einem Verfahrensregime wie dem vor dem Verwaltungsgericht geltenden betreffend die amtswegige Ermittlung der Umstände der vom Gericht entschiedenen Rechtssachen nicht entgegen (vgl. zuletzt auch Sporting Odds, C-3/17, Rn. 55).
9 Die Revision rügt in ihrem Zulässigkeitsvorbringen überdies einen Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius, weil das LVwG im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses zwar den im Straferkenntnis angegebenen Tatzeitraum eingeschränkt, das Strafausmaß aber beibehalten habe, ohne jedoch auf den Umstand näher einzugehen, dass über den Revisionswerber die Mindeststrafe verhängt wurde, und ohne das Vorliegen der Voraussetzungen für eine außerordentliche Strafmilderung gemäß § 20 VStG zu behaupten.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt das Verbot der reformatio in peius bei einer zu Gunsten des Bestraften erhobenen Beschwerde dazu, dass in der Beschwerdeentscheidung nicht die gleiche Strafe verhängt werden darf wie im bekämpften Straferkenntnis, sofern in der Beschwerdeentscheidung der Tatzeitraum reduziert wird und nicht andere Strafzumessungsgründe heranzuziehen sind als im Straferkenntnis (vgl. , mwN).
11 Wenn das Verwaltungsgericht die verhängte Strafe nicht herabsetzt, liegt dennoch kein Verstoß gegen das Verbot der "reformatio in peius" vor, wenn es im Rahmen der vorzunehmenden eigenen Bewertung von Milderungs- und Erschwernisgründen begründeterweise zur gleichen Strafhöhe gelangt wie die erstinstanzliche Behörde, selbst wenn ein Erschwerungsgrund weggefallen oder ein Milderungsgrund hinzugekommen wäre (vgl. , mwN).
12 Die belangte Behörde begründete im Straferkenntnis die Verhängung der Mindeststrafe mit dem Nichtvorliegen strafmildernder bzw. straferschwerender Umstände. Das LVwG verwies zur Beibehaltung des Strafausmaßes trotz Einschränkung des Tatzeitraumes auf die Verhängung der Mindeststrafe. Damit hat das LVwG zumindest insofern eine eigene Bewertung der Strafzumessungsgründe vorgenommen, als es im Ergebnis die Einschränkung des Tatzeitraums für nicht ausreichend erachtet hat, um die Voraussetzungen für eine außerordentliche Strafmilderung anzunehmen und die Strafe unter die Mindeststrafe herabzusetzen. Zu dieser Bewertung enthält die Revision jedoch kein Vorbringen. Ein Abweichen des LVwG von der hg. Rechtsprechung zum Verbot der reformatio in peius wurde somit nicht aufgezeigt.
13 Soweit sich die Revision gegen Spruchpunkt 1. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, war sie somit mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nach § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss als unzulässig zurückzuweisen.
14 Hinsichtlich der in Spruchpunkt 2. vorgeschriebenen Kosten für das Beschwerdeverfahren (§ 52 VwGVG) erweist sich die Revision jedoch als zulässig und berechtigt, weil das LVwG in diesem Punkt - wie der Revisionswerber zutreffend im Zulässigkeitsvorbringen aufzeigt - von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 52 Abs. 8 VwGVG ist es nicht zulässig, dem Beschuldigten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, wenn das Verwaltungsgericht eine Änderung zu seinen Gunsten vorgenommen hat. Eine solche Änderung liegt auch dann vor, wenn das Verwaltungsgericht den von der Strafbehörde erster Instanz angenommenen strafbaren Tatbestand einschränkt. Das ist u.a. dann der Fall, wenn der Tatzeitraum im Unterschied zur erstinstanzlichen Entscheidung und damit der Unrechtsgehalt zugunsten des Beschuldigten verringert wird (vgl. ).
16 Dem LVwG war es daher aufgrund der vorgenommenen Tatzeiteinschränkung versagt, dem Revisionswerber den Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
17 Die in Spruchpunkt 2. enthaltene Vorschreibung der Kosten für das Beschwerdeverfahren war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018170014.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAE-78941