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VwGH vom 22.12.2005, 2005/20/0556

VwGH vom 22.12.2005, 2005/20/0556

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des G alias S in O, geboren 1982, vertreten durch Dr. Walter Rosenkranz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 12/17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 243.304/9-XIV/08/05, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, gelangte am in das Bundesgebiet und brachte am einen (ersten) Asylantrag ein. Er begründete diesen im Wesentlichen damit, er sei von Anhängern der Akali Dal geschlagen und mit dem Umbringen bedroht worden, weil er dieser Partei bei den letzten Wahlen nicht seine Stimme gegeben habe. Er habe Angst, dass Mitglieder der Akali Dal ihn "mit Hilfe der Polizei überall in Indien ausfindig machen" könnten und befürchte, von diesen umgebracht zu werden.

Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Begründend führte das Bundesasylamt aus, die Behörde gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer Indien aus den von ihm genannten Gründen verlassen habe, die Verfolgung von Seiten der "Awami League" gehe jedoch weder von staatlichen Stellen aus noch fehle es dem indischen Staat an der Fähigkeit und am Willen, die Verfolgungshandlungen hintanzuhalten.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung mit Bescheid vom gemäß §§ 7 und 8 Abs. 1 AsylG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dem Vorbringen des Beschwerdeführers "zu den angeblichen Schikanen bzw. Morddrohungen der Akali Dal Mitglieder" sei auf Grund "eklatanter Widersprüche ... jede Glaubwürdigkeit zu versagen" gewesen. Jedenfalls - so merkte der unabhängige Bundesasylsenat "der Vollständigkeit halber" an - wären aber die vom Beschwerdeführer geschilderten Probleme "von einer lokalen Begrenztheit" und es wäre dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative offen gestanden.

Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , Zl. 2004/20/0310, ab.

Am stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Asylantrag. Bei seinen niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gab er an, in Indien "weiterhin Probleme zu haben", seine Mutter habe ihm mitgeteilt, dass die Polizei noch immer zu ihnen nach Hause käme und gegen den Beschwerdeführer ein Haftbefehl erlassen worden sei. Der Haftbefehl sei von Anhängern der Akali Dal "initiiert" worden; er sei wegen einer Schlägerei angezeigt worden, was noch geschehen sei, bevor er Indien verlassen habe. Er müsse mit seiner Mutter "reden, ob sie mir eine Bestätigung wegen dem Haftbefehl zukommen lassen kann".

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den zweiten Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und begründete dies damit, dass sich aus dem Vorbringen keine "zusätzlichen individuellen Gründe" ergeben hätten, die eine "neue individuelle Gefährdung für den Entscheidungszeitpunkt begründen könnten".

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, er habe "sehr wohl neue Umstände angegeben", weil er darauf hingewiesen habe, dass gegen ihn nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens ein Haftbefehl auf Grund einer falschen Anzeige erlassen worden sei. Er habe die Übermittlung von Unterlagen über diesen Haftbefehl angeboten.

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab und begründete diese Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer "keine neuen Gründe vorgebracht" habe. Zum Vorbringen, es liege nun ein Haftbefehl vor, sei auszuführen, "dass dieser - ungeachtet der Frage, ob das vorgelegte Dokument echt ist - nach Angaben des Berufungswerbers auf Grund einer Anzeige, welche noch vor seiner Flucht gemacht wurde, erlassen wurde". Folglich handle es sich bei diesem Vorbringen um eine Tatsache, welche bereits im Erstverfahren bestanden habe, sodass von Identität der Sache ausgegangen werden müsse. Außerdem sei "dieser Haftbefehl bzw. die Anzeige als Intensivierung bzw. Fortwirkung des bereits entschiedenen Sachverhaltes zu sehen, da der Haftbefehl auf den bereits vorgebrachten Gründen basiert und sich auf diese bezieht". Diesen Gründen sei jedoch mit dem Bescheid vom rechtskräftig die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im vorgelegten Verwaltungsakt kein Haftbefehl erliegt, obwohl sowohl im angefochtenen Bescheid als auch in der Beschwerde davon die Rede ist, dass ein Haftbefehl vorgelegt worden sei. Ausgehend vom Fehlen dieses Aktenbestandteiles kann auch nicht beurteilt werden, ob der Haftbefehl seinem Inhalt nach vor oder nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens erlassen wurde.

2. Die belangte Behörde argumentiert damit, dass "dieser Haftbefehl bzw. die Anzeige als Intensivierung bzw. Fortwirkung des bereits entschiedenen Sachverhaltes" zu sehen sei, weil der Haftbefehl auf den bereits vorgebrachten Gründen basiere und sich auf diese beziehe. Dabei übersieht sie, dass das Vorbringen im gegenständlichen Asylantrag - sofern man (wie in der Berufung behauptet) von der Erlassung des Haftbefehles nach der rechtskräftigen Beendigung des ersten Asylverfahrens ausgeht (worüber die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen hat) - gemessen daran, dass die im ersten Asylverfahren behaupteten Fluchtgründe für nicht glaubhaft erachtet wurden, jedenfalls eine maßgebliche Sachverhaltsänderung darstellen würde. Dass eine nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens erfolgte Erlassung eines Haftbefehles - wie die belangte Behörde offensichtlich meint - asylrechtlich irrelevant wäre, weil sie nur eine "Fortwirkung des bereits entschiedenen Sachverhaltes" sei, den die Behörde im vorangegangenen Verfahren schon als unglaubwürdig beurteilt hat, kann nicht gesagt werden. Es bedarf in einem solchen Fall daher einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen. Wie der Verwaltungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0365, dargelegt hat, ändert daran auch der Umstand nichts, dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig.

So weit die Zurückweisung des Asylantrages im vorliegenden Fall auf die gegenteilige Annahme gestützt wurde, erweist sie sich daher als verfehlt (vgl. dazu neben dem schon erwähnten Erkenntnis vom insbesondere das Erkenntnis vom , Zl. 2002/20/0391; siehe auch das Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0372, wobei die zuletzt genannte Entscheidung einen Fall betraf, bei dem - anders als im vorliegenden Beschwerdefall - das dem behaupteten Haftbefehl zu Grunde liegende Verhalten im Erstverfahren als glaubwürdig beurteilt worden war).

Unter den dargestellten Umständen wäre es zur Prüfung der Zulässigkeit des Zweitantrages des Beschwerdeführers vielmehr - wie dargestellt - erforderlich gewesen, sich beweiswürdigend mit seinen nunmehrigen Behauptungen über behördliche Maßnahmen und mit der Beweiskraft der von ihm (allenfalls) vorgelegten Urkunde auseinander zu setzen, um beurteilen zu können, ob dem Vorbringen ein "glaubhafter Kern" zuzubilligen ist oder nicht (vgl. zur Notwendigkeit eines "glaubhaften Kerns" etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0343, mwN).

Da die belangte Behörde dies verabsäumt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am