VwGH vom 04.03.2010, 2005/20/0453
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 252.816/7-II/04/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am einen Asylantrag. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, die "Dorfältesten" hätten Geld der Regierung für Dorfprojekte in "Jessy" für sich verwendet. Aus Zorn darüber habe sich die "Jugend" des Dorfes (darunter auch der Beschwerdeführer) organisiert, eine Pipeline zerschnitten und das Öl verkauft, um damit Beschäftigungsprojekte zu finanzieren. Auch andere Dorfbewohner hätten Öl aus der zerstörten Pipeline mit Eisenbehältern abgeschöpft, wodurch es am zu einer Explosion mit nachfolgendem Brand gekommen sei. Dabei seien viele Menschen gestorben. Er sei in Nigeria beschuldigt worden, an diesem Unglück beteiligt gewesen zu sein, werde deshalb gesucht und habe sich die folgenden Jahre in Kamerun aufgehalten.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.). Begründend sprach die Erstbehörde dem Fluchtvorbringen wegen unpräziser und oberflächlicher Angaben die Glaubwürdigkeit ab. Nach "menschlichem Ermessen" sei die Zerstörung der Pipeline mit Macheten oder hackenähnlichen Werkzeugen nicht glaubwürdig, "wäre ja durch den durch die Schläge mit einer Metall-Hacke entstandenen Funkenflug sofort und nicht erst nach drei Tagen eine Explosion anzunehmen".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde nach Durchführung einer Verhandlung die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 "bzw. § 8 Abs. 1 und 2 AsylG" ab. Begründend führte sie zum Fluchtvorbringen aus, sie teile die Auffassung der Erstbehörde, welche das Fluchtvorbringen als "frei konstruiertes Lügengebilde" gewertet habe. Diese Auffassung werde durch "zwei jeweils in die gleiche Richtung laufende Indizien bestärkt": Zunächst sei der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, seine angebliche strafgerichtliche Verfolgung in irgendeiner Weise, etwa durch Vorlage einer Ablichtung eines Haftbefehls, zu bescheinigen, "obwohl derartiges gerade für einen berufsmäßigen
Parteienvertreter ... selbstverständlich hätte sein müssen". Dazu
komme, dass die von der belangten Behörde befasste Staatsanwaltschaft Salzburg gemäß § 90 Abs. 1 StPO keine genügenden Gründe gefunden habe, gegen den Beschwerdeführer wegen jener Taten, deren Begehung er sich selbst bezichtigt habe, ein Strafverfahren im Inland einzuleiten. Daraus sei ersichtlich, dass auch die Staatsanwaltschaft Salzburg die Auffassung, der Beschwerdeführer habe die behaupteten Taten tatsächlich nicht begangen, "jedenfalls mit der für eine solche Vorgangsweise erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit teile." Die belangte Behörde lege daher "das zentrale Gefährdungsvorbringen des (Beschwerdeführers der) Entscheidung nicht zugrunde".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Die Beschwerde rügt die Mangelhaftigkeit der von der belangten Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung. Damit ist sie im Recht.
Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen, ohne dass es dem Gerichtshof zukäme, die vorgenommene Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 2006/19/0458 und 2006/19/0404). Die Gründe, aus denen die belangte Behörde den Behauptungen des Beschwerdeführers keinen Glauben geschenkt hat, halten aber der auf diese Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle nicht stand.
Es ist für den Verwaltungsgerichtshof zunächst nicht nachvollziehbar, wie das Bundesasylamt - und erkennbar ihm folgend die belangte Behörde - zum Ergebnis kommen konnte, der Beschwerdeführer habe den Sachverhalt unpräzise und oberflächlich geschildert. Diese - sehr allgemein gehaltenen - Überlegungen reichen hier für eine nachvollziehbare Beweiswürdigung nicht aus. Die Einschätzung, die Zerstörung einer Pipeline durch Macheten oder hackenähnliche Werkzeuge sei nicht möglich und im Falle einer Beschädigung der Pipeline hätte es zu einer Explosion kommen müssen, wurde vom Bundesasylamt ohne nähere Darlegungen auf das "menschliche Ermessen" gegründet. Wollte die belangte Behörde ohne Darlegung, dass sie über den nötigen technischen und landeskundlichen Sachverstand verfügte, ihre Beweiswürdigung ebenfalls auf diese Einschätzung gründen, so hätte es entsprechender Recherchen oder der Konsultierung allgemein zugänglicher Berichtsquellen und der neuerlichen Befragung des Beschwerdeführers vor diesem Hintergrund bedurft. Das "menschliche Ermessen" allein ist als Gegenargument zur Darstellung des Beschwerdeführers keine geeignete Beurteilungsgrundlage.
Ebenso halten die von der belangten Behörde angeführten "Indizien" einer Schlüssigkeitsprüfung nicht stand. So ist die mangelnde Vorlage einer Bescheinigung über eine strafgerichtliche Verfolgung des Beschwerdeführers in Nigeria im konkreten Fall noch kein ausreichender Grund für seine Unglaubwürdigkeit. Auch der Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft Salzburg vom ist lediglich zu entnehmen, dass gemäß § 90 Abs. 1 StPO (BGBl. Nr. 631/1975 idF vor dem Strafprozessreformgesetz BGBl. I Nr. 19/2004) die gegen den Beschwerdeführer wegen § 176 StGB "erstatteten Anzeigen zurückgelegt, bzw. eingeleiteten Verfahren eingestellt" wurden. Aus welchem Grund die Zurücklegung der Strafanzeige bzw. die Einstellung des Verfahrens erfolgte, ergibt sich weder daraus noch aus den vorgelegten Verwaltungsakten. Die Interpretation der belangten Behörde, die Staatsanwaltschaft Salzburg gehe mit "hoher Wahrscheinlichkeit" davon aus, dass der Beschwerdeführer die behaupteten Taten nicht begangen habe, ist eine unbelegte Vermutung, die andere Gründe wie eine allenfalls fehlende inländische Gerichtsbarkeit für die Bestrafung (§ 65 StGB) unberücksichtigt lässt.
Schon aufgrund dieser Mängel der Beweiswürdigung, denen die Relevanz für das Verfahrensergebnis nicht abgesprochen werden kann, war der angefochtene Bescheid, soweit damit die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurden, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
2. Bei der unveränderten Bestätigung des Spruchpunktes III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") hat die belangte Behörde zudem verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den hinsichtlich § 8 Abs. 1 AsylG in Prüfung gezogenen Staat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das - nach Erlassung des angefochtenen Bescheides ergangene - hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.
Die Bestätigung des Spruchpunktes III. des erstinstanzlichen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am