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VwGH vom 25.09.2012, 2008/13/0245

VwGH vom 25.09.2012, 2008/13/0245

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des H in M, vertreten durch Dr. Iris M. Kirschner, Rechtsanwältin in 7100 Neusiedl am See, Ludwig-Boltzmann-Straße 2/Sky 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/2402-W/08, betreffend Zurückweisung einer Berufung betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2006, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1956 geborene Beschwerdeführer reichte beim Finanzamt im August 2007 seine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2006 ein, wobei er auf seine "doppelte Behinderung: schwerer Diabetiker und geistige Behinderung" verwies, seinen "geschützten Arbeitsplatz" nannte und mit dem Vorbringen, er benötige "eine ständige Betreuung: Haushaltshilfe zusätzlich zur hygien.-körperlichen Betreuung" u.a. die Kosten dieser Haushaltshilfe geltend machte. Die Erklärung und die Beantwortung eines Ergänzungsersuchens des Finanzamtes waren in Vertretung des Beschwerdeführers von dessen Vater unterschrieben. Der darüber zunächst ergangene Bescheid ist in den vorgelegten Akten nicht enthalten.

Am wurde beim Finanzamt ein Aktenvermerk angelegt, in dem u.a. auf Angaben des Vaters des Beschwerdeführers zum Veranlagungsjahr 2004 Bezug genommen wurde. Demnach sei als Haushaltshilfe die Schwester des Beschwerdeführers angestellt, die "ebenfalls behindert" sei, worüber der Aktenvermerk Feststellungen aus dem sie betreffenden Familienbeihilfenakt enthielt. Es sei unglaubwürdig, dass die Schwester des Beschwerdeführers über den Rahmen einer rein familienhaften Mitarbeit hinausgehende Tätigkeiten für ihn durchgeführt habe. Keinesfalls halte die Tätigkeit einem Fremdvergleich mit einem Pflegedienst stand, selbst wenn die Schwester dafür bei der Krankenkasse angemeldet worden sei. Der Aktenvermerk enthielt auch den Hinweis, der Beschwerdeführer und seine Schwester würden in steuerlichen Angelegenheiten von ihrem Vater vertreten.

Mit Bescheid vom selben Tag wurde die Einkommensteuer des Beschwerdeführers für das Jahr 2006 gemäß § 299 Abs. 1 BAO neu festgesetzt und der Beschwerdeführer zur Nachentrichtung von Einkommensteuer aufgefordert. In der Begründung wurde zu den nun nicht mehr anerkannten Aufwendungen für die Haushaltshilfe im Wesentlichen ausgeführt, "dass bei Mitarbeit im Rahmen eines rein familienhaften Verhältnisses dadurch veranlasste Aufwendungen gem. § 20 ESTG nicht abzugsfähig sind".

Gegen diesen Bescheid erhob die Schwester des Beschwerdeführers in dessen Namen Berufung. Sie beschrieb im Berufungsschriftsatz die Wohnverhältnisse, den Betreuungsbedarf ihres Bruders und ihre diesbezüglichen Tätigkeiten und führte abschließend aus, der Beschwerdeführer selbst sei nicht in der Lage, den an ihn gerichteten "Brief" des Finanzamtes zu beantworten, weshalb sie ihn vertrete. Es sei auch die Bitte ihrer Eltern, dass der von der Schwester des Beschwerdeführers in seinem Namen eingebrachten Berufung stattgegeben werde.

Das Finanzamt legte die Berufung ohne Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens der belangten Behörde zur Entscheidung vor, wovon es den Beschwerdeführer mit Schreiben vom verständigte.

Nach Zustellung dieser Verständigung kam es - der Beschwerde zufolge am - beim Finanzamt zu einer gemeinsamen Vorsprache des Beschwerdeführers, seiner Schwester und seines Vaters, über deren Verlauf die nunmehrigen Darstellungen in der Beschwerde und in einer dazu erstatteten Stellungnahme des Finanzamtes auseinandergehen. Nach den Behauptungen in der Beschwerde wurde u.a. auf eine vom Beschwerdeführer schon im Mai 2006 sowohl seinem Vater als auch seiner Schwester erteilte, mitgebrachte schriftliche Vollmacht verwiesen, deren Vorlage aber nicht verlangt worden sei, und eine Berufungsverhandlung beantragt. Nach Darstellung der befassten Mitarbeiterin des Finanzamts - die das Datum der Besprechung nicht mehr nennen konnte - war weder von Vollmachtsfragen noch von einer Berufungsverhandlung die Rede. Eine Niederschrift oder ein Aktenvermerk wurden nicht angefertigt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens wegen mangelnder Vertretungsbefugnis der Schwester des Beschwerdeführers zurück.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, der Beschwerdeführer sei volljährig und es sei für ihn auch kein Sachwalter bestellt worden, woraus sich nach Ansicht der belangten Behörde trotz der geistigen Behinderung schon seine Prozessfähigkeit ergab. Seine Schwester sei jedenfalls nicht als Sachwalter eingeschritten.

Die "Aktivlegitimation" der Schwester des Beschwerdeführers "als gewillkürte Vertreterin" ihres geistig behinderten, nicht unter Sachwalterschaft stehenden Bruders sei nach der im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung zu bejahen, wenn der Beschwerdeführer seine Schwester mit seiner Vertretung in Abgabenangelegenheiten beauftragt habe und sie den Abgabenbehörden eine von ihm eigenhändig unterschriebene Vertretungsvollmacht vorlege. Ob der Beschwerdeführer seine Schwester beauftragt habe oder nicht, sei eine auf der Ebene der Beweiswürdigung zu beantwortende Sachfrage, wobei "zu beachten" sei, "dass das Ausweisen durch eine schriftliche Vollmacht zum Gesetzestatbestand von § 83 Abs. 1 BAO idgF gehört". Eine eigenhändig vom Beschwerdeführer unterschriebene Vertretungsvollmacht sei den Abgabenbehörden nicht vorgelegt worden. "Festzustellen" sei, "dass bereits mit der Nichtvorlage einer eigenhändig von (dem Beschwerdeführer) unterschriebenen Vertretungsvollmacht der für die gewillkürte Vertretung erforderliche Tatbestand nicht vorliegt".

Dass ein solche Vollmacht zwar existiere, aber nicht vorgelegt worden sei, sei "auszuschließen, weil in der Berufungsschrift nicht vorgebracht worden" sei, dass eine solche Bevollmächtigung stattgefunden habe. Wenn es in der Berufung heiße, der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, den "Brief" des Finanzamtes zu beantworten, so spreche das - gemeint offenbar:

trotz der von der belangten Behörde bejahten Prozessfähigkeit - "im Gegenteil dafür, dass (der Beschwerdeführer) behinderungsbedingt nicht in der Lage gewesen" sei, seine Schwester mit seiner Vertretung zu beauftragen. "Von dieser Sachlage ausgehend ist als erwiesen anzusehen, dass (der Beschwerdeführer seine Schwester) nicht mit seiner Vertretung beauftragt hat".

"Die vorzit. Rechtslage auf die ggstl. Sach- und Beweislage anwendend" ergehe daher "die Entscheidung, dass die Berufung () als unzulässig zurückzuweisen ist".

Dieser von der belangten Behörde in einer langen Gegenschrift verteidigten und darin aufrechterhaltenen Argumentation hält die Beschwerde mit Recht entgegen, dass über Vollmachtsmängel der von der belangten Behörde vermuteten Art gemäß § 83 Abs. 2 und § 85 Abs. 4 unter sinngemäßer Anwendung des § 85 Abs. 2 BAO ein Mängelbehebungsverfahren stattzufinden hat, wenn nicht - in Fällen wie dem vorliegenden - gemäß § 83 Abs. 4 BAO bei einer Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder vom Bestehen einer ausreichenden Vollmacht auszugehen ist.

Den klaren Verstoß gegen diese Anordnung des Gesetzgebers versucht die belangte Behörde in der Gegenschrift mit dem dort mehrfach vorgetragenen Argument zu rechtfertigen, die auf die Berufungsvorlage folgende, der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides allerdings nicht bekannte Vorsprache im Finanzamt sei "als Mängelbehebungsverfahren nach § 85 Abs. 4 BAO idgF anzusehen" und das "Schweigen" des Beschwerdeführers und seiner Schwester bei dieser Besprechung sei "als eine ausschließlich dem Vater erteilte Vertretungsvollmacht zu interpretieren" gewesen. Ein "weiteres" Mängelbehebungsverfahren sei "nicht zulässig" gewesen, weil "nach der Besprechung () als erwiesen anzusehen war und damit zweifelsfrei feststand, dass der Bf. seiner Schwester keine Vertretungsvollmacht erteilt hat".

Mit dieser Argumentation setzt sich die belangte Behörde darüber hinweg, dass das von ihr nun behauptete erstinstanzliche "Mängelbehebungsverfahren", in dem es auch nach der Darstellung des Finanzamtes keine Aufforderung zur Vollmachtsvorlage gab, gar nicht aktenkundig war und dem angefochtenen Bescheid, in dem es folglich nicht vorkommt, daher nicht zugrunde gelegt wurde, weshalb die belangte Behörde im Übrigen auch nicht ausgesprochen hat, dass die Berufung als zurückgenommen gelte (§ 85 Abs. 2 BAO). Wenn der Beschwerdeführer als Reaktion auf die Verständigung von der Berufungsvorlage zusammen mit seiner Schwester, die die Berufung für ihn eingebracht hatte, und mit seinem ihn schon bisher im Abgabenverfahren vertretenden Vater beim Finanzamt vorsprach, wobei das Thema dieser Vorsprache auch nach der Darstellung des Finanzamtes das weitere Schicksal der Berufung war, so war dies im Gegensatz zur Deutung der belangten Behörde auch als Bestätigung der Vertretungsmacht des Verfassers der Berufung zu werten. Dass es einer solchen vor dem Hintergrund des § 83 Abs. 4 BAO überhaupt bedurfte, scheint das Finanzamt, das die Berufung schon vorgelegt hatte, nicht angenommen zu haben. Der in diesem Punkt in der Gegenschrift vertretenen Ansicht der belangten Behörde, § 83 Abs. 4 BAO sei auf die ihn betreuende Schwester des Beschwerdeführers nicht anwendbar gewesen, weil in der Berufung getrennte Haushaltsführungen behauptet worden seien, ist ebenso wenig beizupflichten wie der in der Gegenschrift auch geäußerten Meinung, eine Bejahung der Vertretungsmacht der Schwester des Beschwerdeführers statt der Zurückweisung der in seinem Namen erhobenen Berufung hätte den Beschwerdeführer in dem durch Art. 14 EMRK und Art. 7 B-VG gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen verletzt.

Die belangte Behörde hat aber schon im angefochtenen Bescheid mit der ihm u.a. zugrunde gelegten Ansicht, die eigenhändig unterschriebene Vollmachtsurkunde diene nicht nur dem Nachweis der Bevollmächtigung, sondern gehöre zu den Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit, auch die Rechtslage verkannt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , 95/17/0384, m.w.N.; zum AVG zuletzt etwa das Erkenntnis vom , 2010/22/0093). Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am