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VwGH vom 17.10.2006, 2005/20/0217

VwGH vom 17.10.2006, 2005/20/0217

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der J in W, geboren 1984, vertreten durch Univ. Doz. Dr. Richard Soyer, Mag. Wilfried Embacher und Mag. Josef Bischof, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 230.649/5-XI/33/05, betreffend Abweisung eines Antrages auf Bescheidzustellung in einer Asylsache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Asylantrag der Beschwerdeführerin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (der belangten Behörde) vom "im Grunde" des § 2 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) als unzulässig zurückgewiesen, weil die Beschwerdeführerin nach Italien ausgereist sei und sich nicht mehr in Österreich aufhalte. Die belangte Behörde ordnete am die Zustellung dieses Bescheides an die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 Abs. 1 ZustG durch Hinterlegung bei der Behörde an, zumal die Beschwerdeführerin ihre bisherige Abgabestelle - nach der Aktenlage an einer Anschrift in 1220 Wien - verlassen und die Behörde von einer neuen Abgabestelle trotz Wissens um die Anhängigkeit des Berufungsverfahrens nicht in Kenntnis gesetzt habe.

Am stellte die Beschwerdeführerin (nach Akteneinsicht) den gegenständlichen Antrag, den eingangs erwähnten Bescheid ihrem Rechtsvertreter zuzustellen, weil die am vorgenommene Hinterlegung nicht wirksam gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe seit an der genannten Anschrift in 1220 Wien ihre Abgabestelle, sei dort auch aufrecht gemeldet und aufhältig gewesen. Über Auftrag der belangten Behörde, den behaupteten Inlandsaufenthalt glaubhaft zu machen, machte die Beschwerdeführerin ihren Vermieter und Mitbewohner als Zeugen namhaft.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde diesen Zustellantrag "gemäß § 21 AVG iVm § 8 ZustellG" ab.

Im Rahmen der zusammengefassten Wiedergabe des Verfahrensganges führte die belangte Behörde aus, "laut schriftlicher Auskunft und telefonischer Rücksprache mit dem Landesgendarmeriekommando Burgenland vom " sei die Beschwerdeführerin "am nach Italien ausgereist". Nach Zitierung des § 8 und des § 23 Abs. 1 ZustG begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung dann wie folgt:

"Gemäß den §§ 2, 5 und 6 FrG benötigen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet einen Reisepass und einen Einreisetitel, welcher entweder als Flugtransitvisum, Durchreisevisum, Reisevisum oder als Aufenthaltsvisum erteilt wird.

Abgesehen davon, dass die Antragstellerin zum Aufenthalt in Italien gemäß den Bestimmungen der Durchführungsverordnung zum Schengener Übereinkommen nicht berechtigt war, verfügte sie zum Zeitpunkt ihrer Ausreise über keinen Reisepass und Einreisetitel - der sie zur Rückkehr ins Bundesgebiet berechtigt hätte - womit ihre Ausreise aus dem Bundesgebiet keine vorübergehende war und sie somit ihre Abgabestelle aufgegeben hat. Da die Antragstellerin von ihrer Änderung der Abgabestelle der Behörde keine Mitteilung machte, waren die Voraussetzungen gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 Abs. 1 ZustellG erfüllt und die Hinterlegung des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 230.649/0- XI/33/02, rechtswirksam.

Ein Recht auf neuerliche Zustellung eines Bescheides besteht nicht, wenn die Bescheidzustellung bereits rechtswirksam erfolgt ist (VwGH E , Zl. 99/20/0487)."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Zutreffend hat die belangte Behörde darauf verwiesen, dass ein Recht auf neuerliche Zustellung eines gegenüber der Partei bereits rechtswirksam erlassenen Bescheides nicht besteht (vgl. etwa das schon von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0487, mit weiteren Nachweisen). Für das vorliegende Beschwerdeverfahren ist daher entscheidend, ob die am vorgenommene Zustellung des - gegenüber dem Bundesasylamt jedenfalls erlassenen - Berufungsbescheides an die Beschwerdeführerin durch Hinterlegung bei der Behörde wirksam war.

§ 8 und § 23 Abs. 1 ZustG lauten samt Überschriften:

"Änderung der Abgabestelle

§ 8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Hinterlegung ohne Zustellversuch

§ 23. (1) Hat die Behörde auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift angeordnet, dass eine Sendung ohne vorhergehenden Zustellversuch zu hinterlegen ist, so ist diese sofort beim Postamt, beim Gemeindeamt oder bei der Behörde selbst zur Abholung bereitzuhalten."

Voraussetzung für die als Zustellung geltende Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 Abs. 2 ZustG ist somit die Änderung der bisherigen Abgabestelle, die Unterlassung der Mitteilung hievon und die Unmöglichkeit, eine (andere, neue) Abgabestelle ohne Schwierigkeiten festzustellen. Eine Änderung der bisherigen Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erst dann vor, wenn die Partei die Abgabestelle nicht nur vorübergehend, sondern dauernd verlässt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2004/20/0462, mit weiteren Nachweisen). Davon ist auch die belangte Behörde ausgegangen und hat daher zu begründen versucht, dass die Beschwerdeführerin nicht nur vorübergehend ausgereist ist, sondern ihre Abgabestelle in Österreich (an der genannten Anschrift in 1220 Wien) "aufgegeben" hat. Das stützte sie auf Überlegungen, die zunächst an die schriftliche Mitteilung des Landesgendarmeriekommandos Burgenland vom anknüpfen. Diese lautete wie folgt:

"Am führten Beamte der Kriminalabteilung des LGK für Burgenland gemeinsam mit Bediensteten der GendGreko Bruckneudorf gemäß Erlaß des BMI Schengen Ausgleichs(maß)nahmen auf der Südbahnstrecke von Wien bis Villach durch.

Im Zug EN 235 (Wien-Rom) wurde um 21.10 Uhr E. (die Beschwerdeführerin), geb am ..., ausgewiesen mit einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung (Bescheinigung gem § 19 Asylgesetz, Zahl 0223643) kontrolliert.

Ihre Bahnkarte war einfach bis zum Bahnhof Verona ausgestellt. Bei der Befragung gab E. auch an, daß sie nach Verona fahre."

Dieser Mitteilung kann zunächst schon nicht entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin nach dieser Kontrolle ihren Entschluss, nach Verona zu reisen, tatsächlich in die Tat umgesetzt hat. Das wird von ihr in der Beschwerde - bei der Kontrolle sei der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden, dass ein Verlassen des Bundesgebietes während des Asylverfahrens nicht erlaubt sei, weshalb sie die Reise abgebrochen habe - auch in Abrede gestellt. Jedenfalls ergibt sich aber aus der zitierten Mitteilung kein ausreichender Anhaltspunkt dafür, dass sich die Beschwerdeführerin nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer nach Italien begeben hätte. Welche diesbezüglichen Hinweise nach der von der belangten Behörde auch erwähnten "telefonischen Rücksprache" bestanden hätten, lässt sich der Bescheidbegründung nicht entnehmen und entzieht sich daher einer Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof. Gegen eine Aufgabe der bisherigen Abgabestelle sprach im Übrigen, dass die Beschwerdeführerin - der von der belangten Behörde offenbar vor der Bescheiderlassung eingeholten Meldeauskunft vom zufolge - weiterhin an der Anschrift in 1220 Wien gemeldet war.

Demnach fehlte es nach der Aktenlage an einer ausreichenden Grundlage für die Annahme einer auf Dauer vorgenommenen Änderung der Abgabestelle. Die wiedergegebenen (rechtlichen) Überlegungen der belangten Behörde zur - mangels Reisepasses und Einreisetitels - fehlenden Rückkehrmöglichkeit sind aber schon deshalb nicht schlüssig, weil sie einerseits eine tatsächlich erfolgte Ausreise unterstellen und andererseits etwa eine Zurückweisung an der Grenze oder eine Rücküberstellung im Rahmen eines "Dublin-Verfahrens" nicht in Betracht ziehen.

Im Übrigen hat sich die belangte Behörde auch nicht mit dem gegen ihre Annahme ins Treffen geführten Vorbringen der Beschwerdeführerin im Zustellantrag auseinandergesetzt und nicht nur die Vernehmung des namhaft gemachten Zeugen ohne Begründung, sondern auch die bei der erforderlichen amtswegigen Prüfung der Wirksamkeit einer Zustellung naheliegende Befragung der Beschwerdeführerin unterlassen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am