VwGH 26.04.2018, Ra 2018/16/0003
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | FamLAG 1967 §10 Abs1 FamLAG 1967 §10 Abs2 FamLAG 1967 §13 |
RS 1 | Die Frage, ob für einen bestimmten Anspruchszeitraum Familienbeihilfe zusteht, ist anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum ist der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruchs für ein Kind kann somit von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa ). Die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ist ein zeitraumbezogener Abspruch. Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa ). Nichts anderes gilt für die Entscheidung über den gemäß § 10 Abs. 1 FLAG gesondert zu beantragenden Erhöhungsbetrag. |
Normen | FamLAG 1967 §10 Abs1 FamLAG 1967 §10 Abs2 FamLAG 1967 §13 VwRallg |
RS 2 | Ein Bescheid über die Abweisung eines Antrages auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe "ab" einem bestimmten Anspruchszeitraum, ohne im Spruch einen Endpunkt festzusetzen, gilt nach der ständigen Rechtsprechung jedenfalls für den Zeitraum bis einschließlich jenes Kalendermonats, in welchem der Bescheid erlassen wird, ungeachtet dessen, ob sich zwischen dem Anfangszeitpunkt und diesem Zeitpunkt die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Ein solcher Bescheid gilt jedoch über diesen Zeitpunkt der Bescheiderlassung hinaus solange weiter, als sich die der Bescheiderlassung zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nicht ändert (vgl. ausdrücklich , und ). Wird somit nach Erlassung eines solchen Bescheides neuerlich ein Antrag auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe gestellt, so hat das Finanzamt zu prüfen, ob oder zu welchem Zeitpunkt sich die Sach- und Rechtslage geändert hat. Für den Zeitraum vom Zeitpunkt, ab dem die Familienbeihilfe neuerlich beantragt wurde, bis zu einem späteren Zeitpunkt, in dem sich die Sach- und Rechtslage gegenüber dem ersten Bescheid geändert hat (auch wenn dieser Zeitpunkt nach dem Zeitpunkt der Erlassung des ersten Bescheides liegt), liegt durch den ersten Bescheid res iudicata vor. Für diesen Zeitraum ist der neuerliche Antrag zurückzuweisen. Eine meritorische Entscheidung über den neuerlichen Antrag hat nur insoweit zu erfolgen, als sich die Sach- oder Rechtslage seit Erlassung des Bescheides über den seinerzeitigen Antrag geändert hat und dem neuerlichen Antrag auch nach Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht vollinhaltlich entsprochen wird. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Linz gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/5101739/2017, betreffend erhöhte Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: D P in H), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom wies das Finanzamt Linz einen Antrag der Mitbeteiligten vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für ihre am geborene Tochter für den Zeitraum „ab Apr. 2009“ ab.
2 Mit einem Antrag vom begehrte die Mitbeteiligte die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für ihre Tochter „ab 2010“, den das Finanzamt mit Bescheid vom mit der Begründung zurückwies, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage seit dem Bescheid vom nicht eingetreten sei und der Grad der Behinderung der Tochter weniger als 50 % betrage.
3 Mit Schriftsatz vom erhob die Mitbeteiligte dagegen eine Beschwerde, in der sie entgegen einem dem bekämpften Bescheid offenbar zugrunde liegenden medizinischen Gutachten vom eine Behinderung von zumindest 50 % ins Treffen führte.
4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. In einem Gutachten vom sei der Gesamtgrad der Behinderung mit 20 % angenommen worden, in einem Gutachten vom sei der Gesamtgrad der Behinderung ab Juni 2016 mit 30 % beziffert worden. In einem neuerlichen Gutachten vom sei der Gesamtgrad der Behinderung ab mit 20 % und ab mit 30 % beziffert worden. Eine dauernde Erwerbsunfähigkeit sei nicht bescheinigt worden. Damit sei gegenüber dem rechtskräftigen Bescheid vom eine Änderung weder des Sachverhaltes noch der Rechtslage eingetreten, weshalb der Zurückweisungsbescheid vom zu Recht ergangen sei.
5 Mit Schriftsatz vom stellte die Mitbeteiligte einen Vorlageantrag, wiederholte die Begründung ihrer Beschwerde und legte mehrere Unterlagen zur Untermauerung ihres Vorbringens bei.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Bundesfinanzgericht den bekämpften Zurückweisungsbescheid vom „für den Zeitraum August 2014 bis August 2016“ auf und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Der Abweisungsbescheid vom habe über den Erstantrag vom bis zur Bescheiderlassung rechtskräftig abgesprochen. Daher hätte die Behörde den „Zweit-Antrag für den Zeitraum ab August 2014 bis Bescheiderlassung“ nicht zurückweisen dürfen, sondern hätte in der Sache selbst meritorisch zu entscheiden gehabt.
8 Das Bundesfinanzgericht legte die dagegen vom Finanzamt Linz erhobene außerordentliche Revision unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
9 Der Verwaltungsgerichtshof leitete ein Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); eine Revisionsbeantwortung wurde nicht eingebracht.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Das revisionswerbende Finanzamt führt zur Zulässigkeit seiner Revision an, das Bundesfinanzgericht weiche von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach der Abspruch über die Gewährung von Familienbeihilfe mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum gelte, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren hätten.
14 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
15 Gemäß § 2 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (im Folgenden: FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder und unter näher angeführten Voraussetzungen für volljährige Kinder.
16 Die Höhe dieser Familienbeihilfe ist in § 8 Abs. 2 und 3 FLAG geregelt.
17 Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe um näher angeführte Beträge monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist. § 8 Abs. 5 FLAG normiert, wann ein Kind als erheblich behindert gilt.
18 Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG wird die Familienbeihilfe - von hier nicht interessierenden Fällen abgesehen - nur auf Antrag gewährt und ist die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4 leg. cit.) besonders zu beantragen.
19 Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
20 Gemäß § 13 FLAG ist ein Bescheid nur insoweit zu erlassen, als einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist.
21 Die Frage, ob für einen bestimmten Anspruchszeitraum Familienbeihilfe zusteht, ist anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum ist der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruchs für ein Kind kann somit von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa , , , , ).
22 Die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ist ein zeitraumbezogener Abspruch. Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa , , , , , , ).
23 Nichts anderes gilt für die Entscheidung über den gemäß § 10 Abs. 1 FLAG gesondert zu beantragenden Erhöhungsbetrag.
24 Ein Bescheid über die Abweisung eines Antrages auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe „ab“ einem bestimmten Anspruchszeitraum, ohne im Spruch einen Endpunkt festzusetzen, gilt nach der ständigen Rechtsprechung somit jedenfalls für den Zeitraum bis einschließlich jenes Kalendermonats, in welchem der Bescheid erlassen wird, ungeachtet dessen, ob sich zwischen dem Anfangszeitpunkt und diesem Zeitpunkt die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Ein solcher Bescheid gilt jedoch über diesen Zeitpunkt der Bescheiderlassung hinaus solange weiter, als sich die der Bescheiderlassung zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nicht ändert (vgl. ausdrücklich , und ).
25 Wird somit nach Erlassung eines solchen Bescheides neuerlich ein Antrag auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe gestellt, so hat das Finanzamt zu prüfen, ob oder zu welchem Zeitpunkt sich die Sach- und Rechtslage geändert hat. Für den Zeitraum vom Zeitpunkt, ab dem die Familienbeihilfe neuerlich beantragt wurde, bis zu einem späteren Zeitpunkt, in dem sich die Sach- und Rechtslage gegenüber dem ersten Bescheid geändert hat (auch wenn dieser Zeitpunkt nach dem Zeitpunkt der Erlassung des ersten Bescheides liegt), liegt durch den ersten Bescheid res iudicata vor. Für diesen Zeitraum ist der neuerliche Antrag zurückzuweisen. Eine meritorische Entscheidung über den neuerlichen Antrag hat nur insoweit zu erfolgen, als sich die Sach- oder Rechtslage seit Erlassung des Bescheides über den seinerzeitigen Antrag geändert hat und dem neuerlichen Antrag auch nach Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht vollinhaltlich entsprochen wird.
26 Demgegenüber hat das Bundesfinanzgericht im Revisionsfall die Wirkung des den ersten Antrag der Mitbeteiligten abweisenden Bescheides vom mit dem Zeitpunkt dessen Erlassung beschränkt gesehen und vernachlässigt, dass dieser Bescheid - wie vom revisionswerbenden Finanzamt im zurückweisenden Bescheid vom zutreffend angenommen - solange weiter wirksam ist und die Wirkung einer res iudicata entfaltet, als sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat.
27 Das Bundesfinanzgericht hätte vielmehr zu prüfen gehabt, ob sich die Sach- und Rechtslage gegenüber dem ersten Bescheid (vom ) bis zur Erlassung des zweiten Bescheides (vom ) - unter Berücksichtigung des Vorbringens der Mitbeteiligten im Beschwerdeverfahren - geändert hat. Wäre es zum Ergebnis gekommen, dass das Finanzamt zutreffend keine Änderung der Sach- und Rechtslage in diesem Zeitraum angenommen habe, dann wäre die Beschwerde abzuweisen gewesen.
28 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | FamLAG 1967 §10 Abs1 FamLAG 1967 §10 Abs2 FamLAG 1967 §13 VwRallg |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018160003.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAE-78762