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VwGH vom 27.04.2011, 2008/13/0137

VwGH vom 27.04.2011, 2008/13/0137

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 1/23 in 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1655-W/08 (Vorzahl RV/1861-W/06), betreffend Umsatzsteuer 2002 und 2003 (mitbeteiligte Partei: Bund, vertreten durch den Bundesminister für Landesverteidigung und Sport in 1090 Wien, Roßauer Lände 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Beim "Kommando Luftstreitkräfte", einer dem damaligen Bundesministerium für Landesverteidigung nachgeordneten Dienststelle, wurde eine Außenprüfung durchgeführt.

Im Gefolge dieser Prüfung ergingen u.a. Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 und 2003, mit denen das Finanzamt dem "Kommando Luftstreitkräfte" Umsatzsteuer vorschrieb, wogegen der Bund (vertreten durch den damaligen Bundesminister für Landesverteidigung) Berufung erhob.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und ging dabei von einem "entscheidungsrelevanten Sachverhalt" wie folgt aus:

Das Kommando Luftstreitkräfte habe 2002 und 2003 Reparatur-, Instandsetzungs- und Instandhaltungsleistungen an beweglichen körperlichen Gegenständen von Unternehmern ohne Sitz, Niederlassung oder Betriebsstätte in Österreich bezogen. Die Leistungen seien überwiegend in anderen EU-Staaten ausgeführt, die Gegenstände im Anschluss daran nach Österreich verbracht worden. Aus dem Akteninhalt (vorliegende Rechnungskopien) sei erkennbar, dass das Kommando Luftstreitkräfte den Auftraggebern seine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (im Folgenden nur: UID-Nummer) bekannt gegeben habe. Die Höhe der bezogenen Reparaturleistungen sei mangels vollständiger Belegsammlung für den Streitzeitraum durch "Hochrechnung der Unterlagen für Folgezeiträume" ermittelt worden.

Die Aufgabe des Kommando Luftstreitkräfte habe in der operativen Führung der Luftstreitkräfte des Bundesheeres im Frieden und bei Einsätzen nach Art. 79 B-VG sowie in der Wahrnehmung behördlicher Aufgaben im Rahmen des Dienstrechts und des Luftfahrtgesetzes bestanden. Es habe für die Einsatzbereitschaft der im Eigentum des Bundesministeriums für Landesverteidigung stehenden Fluggeräte Sorge getragen und im Fall einer Luftraumverletzung oder eines anderen angeordneten Einsatzes den Einsatzbefehl an die Piloten gegeben. Die Wartung der Fluggeräte sei durch eigenes Personal oder durch externe Auftragnehmer, denen das Kommando Luftstreitkräfte unter Angabe seiner österreichischen UID-Nummer Aufträge erteilt habe, erfolgt.

Einnahmen habe das Kommando Luftstreitkräfte nicht erzielt.

In rechtlicher Hinsicht würdigte die belangte Behörde den als

entscheidungsrelevant festgestellten Sachverhalt wie folgt:

Gemäß § 3a Abs. 8 lit. c UStG 1994 würden Arbeiten an

beweglichen körperlichen Gegenständen und die Begutachtung dieser Gegenstände dort ausgeführt, wo der leistende Unternehmer überwiegend tätig werde. Trete der Leistungsempfänger bei Auftragserteilung unter seiner UID-Nummer auf, verlagere sich gemäß Art. 3a Abs. 6 der Binnenmarktregelung (im Folgenden nur: BMR) der Ort dieser Leistung in jenen Mitgliedstaat, der die UID-Nummer erteilt habe.

Wenn das Kommando Luftstreitkräfte bei Erteilung der Aufträge zur Durchführung der bezogenen Wartungs-, Instandhaltungs- und Reparaturleistungen an beweglichen körperlichen Gegenständen seine österreichische UID-Nummer verwendet habe, dann sei der Ort der jeweiligen Leistung Österreich und die Leistung in Österreich steuerbar und steuerpflichtig (Normalsteuersatz).

Die Verlagerung des Leistungsortes erfolge unabhängig davon, ob die Leistungsempfängerin eine juristische Person (des öffentlichen Rechts im Rahmen der Hoheitsverwaltung) sei und eine UID-Nummer verwende, die ihr erteilt worden sei, weil sie die Erwerbsschwelle überschritten oder auf diese verzichtet habe.

Gemäß Art. 19 Abs. 1 Z 3 BMR werde bei Leistungen im Sinne des Art. 3a BMR die Steuer vom Leistungsempfänger geschuldet, wenn der leistende Unternehmer im Inland weder Wohnsitz (Sitz) oder eine Betriebsstätte habe und der Leistungsempfänger Unternehmer sei und im Inland Wohnsitz (Sitz), gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Betriebsstätte habe. Der leistende Unternehmer hafte in diesen Fällen für die Steuer.

Einer Körperschaft öffentlichen Rechts komme nach Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-RL (77/388/EWG) und nach § 2 Abs. 3 UStG 1994 insoweit keine Unternehmereigenschaft zu, "als sie im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig wird und im Rahmen dieser Tätigkeit nicht in Konkurrenz mit Privaten größere Wettbewerbsverzerrungen entstehen".

Der Bund sei eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die militärische Landesverteidigung eine hoheitliche Aufgabe. Dass das Kommando Luftstreitkräfte als nachgeordnete Dienststelle des Bundesministeriums für Landesverteidigung privatwirtschaftliche Tätigkeiten ausgeübt habe, sei aus dem Akt nicht ableitbar und werde vom Finanzamt nicht behauptet. Die Steuerung der militärischen Luftraumüberwachung lasse auch keine Konkurrenzsituation mit privaten Anbietern erkennen. Ganz im Gegenteil würden private Anbieter von diesen Tätigkeiten regelmäßig aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen. Dem Kommando Luftstreitkräfte, das nie Einnahmen erzielt habe, fehle zudem die für das Vorliegen der Unternehmereigenschaft erforderliche Absicht der Einnahmenerzielung.

Das Kommando Luftstreitkräfte sei ausschließlich im Hoheitsbereich tätig gewesen, stelle keinen Betrieb gewerblicher Art des Bundes dar und sei auch nicht "aus Konkurrenzvermeidungsgründen als Unternehmer anzusehen". Das Überschreiten der Erwerbsschwelle und die damit verbundene Zuteilung einer UID-Nummer (und einer Steuernummer) an eine Bundesdienststelle löse keine Unternehmereigenschaft im umsatzsteuerlichen Sinn aus. Daher habe "die Steuerschuld der ausländischen Leistungserbringer nicht gemäß Art 19 Abs. 1 Z 3 BMR" auf das Kommando Luftstreitkräfte übergehen können.

Die Rechtsansicht des Finanzamtes, dass die Steuerschuld auch auf juristische Personen übergehe, die Nichtunternehmer seien und bei Erteilung eines Leistungsauftrages ihre UID-Nummer verwendeten, die ihnen wegen Überschreitens der Erwerbsschwelle erteilt worden sei, widerspreche Art 19 Abs. 1 Z 3 BMR, der sich ausdrücklich auf Unternehmer beziehe. Für die vom Finanzamt vertretene Auslegung des Art. 19 Abs. 1 Z 3 BMR bleibe daher kein Raum.

Das Kommando Luftstreitkräfte habe durch Verwendung der österreichischen UID-Nummer den Ort der verfahrensgegenständlichen Leistungen nach Österreich verlagert, ohne dass die Steuerschuld übergegangen sei. Die Umsatzsteuer für die Leistungen werde von den ausländischen Unternehmern geschuldet.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die vom Finanzamt gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Partei erwogen:

Es steht außer Streit, dass das Kommando Luftstreitkräfte 2002 und 2003 Reparatur-, Instandsetzungs- und Instandhaltungsleistungen an beweglichen körperlichen Gegenständen von Unternehmern ohne Sitz, Niederlassung oder Betriebsstätte in Österreich bezogen und gegenüber diesen Unternehmern die erteilte UID-Nummer verwendet hat. Unstrittig ist auch, dass der Bund im Streitzeitraum im Rahmen des damaligen Bundesministeriums für Landesverteidigung, Kommando Luftstreitkräfte, ausschließlich im Bereich der Hoheitsverwaltung tätig war.

Gemäß § 3 a Abs. 8 lit. c UStG 1994, in der Fassung BGBl. I Nr. 106/1999, wurden Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und die Begutachtung dieser Gegenstände dort ausgeführt, wo der Unternehmer ausschließlich oder zum wesentlichen Teil tätig wurde.

Verwendete der Leistungsempfänger bei einer in § 3 a Abs. 8 lit. c leg. cit. bezeichneten Leistung gegenüber dem Leistenden eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte UID-Nummer, so galt die unter dieser Nummer in Anspruch genommene Leistung nach Art. 3 a Abs. 6 BMR, in der Fassung BGBl. Nr. 756/1996, als in dem Gebiet des anderen Mitgliedstaates ausgeführt, ausgenommen der Gegenstand verblieb nach Erbringung der sonstigen Leistung im Mitgliedstaat, in dem diese Leistung erbracht worden ist.

Gemäß Art. 19 Abs. 1 Z 3 BMR, in der Fassung des AbgÄG 2001, BGBl. I Nr. 144/2001, wurde bei den in Art. 3 a genannten Leistungen - unabhängig davon, ob bei diesen Leistungen Art. 3 a Abs. 1 erster Satz zur Anwendung kommt - die Steuer vom Empfänger der Leistung geschuldet (Reverse-Charge-System), wenn der leistende Unternehmer im Inland weder einen Wohnsitz (Sitz) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Betriebsstätte hatte (erster Gedankenstrich) und der Leistungsempfänger im Inland für Zwecke der Umsatzsteuer erfasst war (zweiter Gedankenstrich). Der leistende Unternehmer haftete für diese Steuer.

Unionsrechtliche Grundlage von Art. 3 a Abs. 6 BMR war Art. 28 b Teil F der 6. EG-RL (in der Fassung der RL 95/7/EG; vgl. z.B. Macher, SWI 1995, 382). Art. 19 Abs. 1 Z 3 BMR fand seine unionsrechtliche Grundlage in Art. 21 Abs. 1 lit. b der angeführten Richtlinie, der besagt, dass "der steuerpflichtige Empfänger" einer in Art. 9 Abs. 2 lit. e genannten Dienstleistung oder "der Empfänger" einer in Art. 28 b Teile C, D, E und F genannten Dienstleistung, der im Inland für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst ist, im inneren Anwendungsbereich die Mehrwertsteuer schuldet, wenn die Dienstleistung von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird.

Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, dass die Steuerschuld trotz Verwendung der UID-Nummer nicht übergehen könne, weil sich Art. 19 Abs. 1 Z 3 BMR ausdrücklich auf Unternehmer beziehe. Dabei übersieht sie, dass Art. 19 Abs. 1 Z 3 BMR mit dem AbgÄG 2001, BGBl. I Nr. 144/2001, mit Wirkung ab an Art. 21 Abs. 1 lit. b der 6. EG-Richtlinie angepasst wurde, nach der ein Übergang der Steuerschuld bei den in Art. 3 a BMR angeführten Leistungen auch vorgesehen ist, wenn juristische Personen, die Nichtunternehmer sind, im Inland zur Umsatzsteuer erfasst sind (vgl. 827 BlgNR 21. GP 23; bis dahin normierte der zweite Gedankenstrich: "der Leistungsempfänger Unternehmer ist und im Inland …").

Der Bund tätigte im Streitzeitraum durch das damalige Bundesministerium für Landesverteidigung, Kommando Luftstreitkräfte, innergemeinschaftliche Erwerbe und war insoweit unstrittig im Inland zur Umsatzsteuer erfasst (Erteilung einer UID-Nummer und einer Steuernummer für den Bereich des damaligen Bundesministeriums für Landesverteidigung, Kommando Luftstreitkräfte), weshalb sich die Ansicht der belangten Behörde als inhaltlich rechtswidrig erweist.

Daran ändert das Vorbringen in der Gegenschrift der mitbeteiligten Partei nichts, wonach Art 19 Abs. 1 Z 3 BMR mit dem Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I Nr. 71/2003, aufgehoben wurde, weil dies erst für Umsätze gilt, die nach dem ausgeführt wurden (§ 28 Abs. 22 Z 5 UStG 1994) und außerdem gleichzeitig eine Änderung des § 19 Abs. 1 UStG 1994 dahingehend erfolgte, dass bei sonstigen Leistungen und bei Werklieferungen die Steuer vom Empfänger der Leistung geschuldet wird, wenn der leistende Unternehmer im Inland weder einen Wohnsitz (Sitz) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Betriebsstätte hat und der Leistungsempfänger Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Mit der damit erfolgten Erstreckung des Reverse-Charge-Systems auf sämtliche sonstige Leistungen wurde Art 19 Abs. 1 Z 3 BMR "überflüssig" (vgl. 59 BlgNR 22. GP 124, sowie Ruppe , UStG3, Art 19 BMR Tz 10).

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am