VwGH vom 25.04.2013, 2010/15/0157
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der G H GmbH in N, vertreten durch die Anwaltspartnerschaft Krückl Lichtl Huber Eilmsteiner in 4020 Linz, Harrachstraße 14/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zl. RV/0402-L/08, betreffend Körperschaftsteuer 2004 und 2005, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, erzeugte und verkaufte 2004 Produkte, die markenrechtlich geschützten Produkten ähnlich sind und wurde vom Markenrechtsinhaber im November 2005 geklagt, der aus dem Titel des Schadenersatzes einen Betrag von zumindest 100.000 EUR sowie einen weiteren Betrag von 75 EUR je verkauftem Produkt geltend machte. Für die drohende Inanspruchnahme aus der Markenrechtsverletzung und für zu erwartende Rechtsanwaltskosten dotierte sie zum eine Rückstellung von 52.000 EUR. Im Zuge einer Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die Bildung der Rückstellungen zum Bilanzstichtag sei unzulässig, weil die Beschwerdeführerin erst durch Zustellung der Klageschrift im November 2005 mit der Forderung aus behaupteten Markenrechtsverletzungen konfrontiert worden sei. Erst zum Bilanzstichtag könne eine Rückstellung gebildet werden.
Das Finanzamt folgte dem Prüfer und erließ nach Wiederaufnahme der Verfahren entsprechende Körperschaftsteuerbescheide 2004 und 2005.
Die Beschwerdeführerin berief gegen die im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Körperschaftsteuerbescheide und brachte vor, sie habe 2004 Produkte erzeugt und geliefert, die markenrechtlich geschützten Produkten ähnelten. Bereits zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung für das Jahr 2004 sei bekannt gewesen, dass der Markenrechtsinhaber eine Klage eingebracht und einen Betrag von 100.000 EUR sowie je verkauftem Produkt einen weiteren Betrag von 75 EUR gefordert habe. Dieser Tatsache habe die Beschwerdeführerin im Zuge der Bilanzerstellung 2004 Rechnung getragen, indem sie für die Markenrechtsverletzung 50.000 EUR und für Rechtsanwaltskosten 2.000 EUR rückgestellt habe. Mit der Klage sei bereits vor deren Zustellung gedroht worden. Bis zum Erhalt der Klage habe aber zumindest die - wenn auch sehr eingeschränkte - Möglichkeit bestanden, dass die behauptete Markenrechtsverletzung widerlegt werden könne.
Rückstellungen für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten dienten dazu, Ausgaben die erst in späteren Perioden anfielen, der Periode ihres wirtschaftlichen Entstehens als Aufwand zuzuordnen. Derartige Rückstellungen dürften auch nur im Jahr des Entstehens gebildet und nicht in einem späteren Jahr nachgeholt werden. Durch den Verkauf markenrechtlich geschützter Produkte im Jahr 2004 habe mit einer Inanspruchnahme aus der Markenrechtsverletzung gerechnet werden müssen. Daher lägen alle Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung im Jahr 2004 vor. Die Bildung sei aufgrund zwingender unternehmensrechtlicher Bestimmungen (Vollständigkeitsgebot, Imparitätsprinzip, Prinzip der Periodenreinheit) erforderlich.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.
Angesichts der im November 2005 eingebrachten Klage stehe die Zulässigkeit der Rückstellungsbildung außer Zweifel. Zum Bilanzstichtag könne von einer drohenden Inanspruchnahme aus einer ungewissen Verbindlichkeit "(hier Kosten eines Rechtsstreits)" aber noch nicht die Rede sein. Dies würde bedeuten, dass bereits die bloße Erzeugung und Lieferung von Produkten durch die Beschwerdeführerin - ohne Kenntnis dieses Umstandes seitens der klagenden Firma und ohne Erkennen einer allfälligen Markenrechtsverletzung bzw. einer daraus resultierenden Klagsdrohung seitens der Beschwerdeführerin - ein rückstellungsauslösendes Ereignis darstellen würde.
Für den von der belangten Behörde vertretenen Standpunkt, dass die Erzeugung bzw. Lieferung von Waren für den Zeitpunkt der Rückstellungsdotierung nicht von Relevanz sei, spreche auch, dass bei einer Hinterziehung von Steuern oder Sozialversicherungsabgaben erst im Jahr der Aufdeckung eine Rückstellung gebildet werden könne. Wer Abgaben nicht abführe, werde in der Regel danach trachten, eine Entdeckung und Nachzahlung zu vermeiden. Daher sei im Jahr der Hinterziehung die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme nicht gegeben. Selbst die Abhaltung einer Prüfung sei noch nicht Garant für das Erkennen der Manipulation. Daher liege im Ursprungsjahr der Hinterziehung keine ungewisse Verbindlichkeit vor, eine Rückstellung sei erst dann anzusetzen, wenn die Entdeckung der Tat ernsthaft drohe.
Dass der Umstand einer möglichen Klage zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung, "der jedenfalls nach dem für die Bildungsmöglichkeit einer Rückstellung allein relevanten Bilanzstichtag gelegen sein muss", bekannt gewesen sei, sei nicht von Relevanz, "würde dies doch bedeuten, dass es damit der Steuerpflichtige in der Hand hätte durch die Wahl des Zeitpunkts der Bilanzerstellung den Rückstellungszeitraum zu steuern".
Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass eine Rückstellung nur im Jahr des wirtschaftlichen Entstehens des Schuldgrundes zu bilden sei und eine unterlassene Rückstellung in einem späteren Jahr nicht nachgeholt werden dürfe, verhelfe dem Berufungsbegehren nicht zum Durchbruch, "würde doch auch dieser darauf abzielen, dass bereits die Erzeugung und der Verkauf der (Produkte) - und nicht erst die im nachfolgenden Wirtschaftsjahr gesetzten rechtlichen Schritte (des Inhabers der Markenrechte) rückstellungsbegründend - gewesen seien".
Dem Verweis auf handelsrechtliche Bestimmungen, die auf Grund des Maßgeblichkeitsprinzips auch im Steuerrecht anzuwenden seien, sei zu entgegnen, dass sich auch daraus kein Umstand ableiten lasse, die strittige Rückstellung bereits im Jahr 2004, also jenem Zeitpunkt, "in welchem die (Produkte) in Verkehr gebracht worden seien, aber noch keine Forderungen eines Dritten drohten, zu dotieren".
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 Z 3 EStG 1988 in der für den Beschwerdefall maßgeblichen Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2003, BGBl. I Nr. 71/2003, können Rückstellungen für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten gebildet werden, wenn sie nicht Abfertigungen, Pensionen oder Jubiläumsgelder betreffen.
Nach § 9 Abs. 3 leg. cit. ist die Bildung von Rückstellungen nur dann zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden können, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder dem Entstehen einer Verbindlichkeit ernsthaft zu rechnen ist.
Voraussetzung einer steuerrechtlich anzuerkennenden Rückstellung ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein die Vergangenheit betreffender Aufwand bestimmter Art, dessen wirtschaftliche Veranlassung im Abschlussjahr gelegen ist, ernsthaft, somit mit größter Wahrscheinlichkeit, droht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis , 2006/14/0106, mit weiteren Nachweisen).
Bei der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG 1988 - die Beschwerdeführerin ermittelt ihren Gewinn nach dieser Bestimmung - bewirkt die bei dieser Gewinnermittlungsart zu beachtende Maßgeblichkeit der unternehmensrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, dass innerhalb des von den steuerlichen Vorschriften vorgegebenen Rahmens eine Verpflichtung zur Rückstellungsbildung für die steuerliche Gewinnermittlung besteht, wenn eine solche Verpflichtung für die Unternehmensbilanz gegeben ist.
Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass angesichts der im November 2005 eingebrachten Klage des Markenrechtsinhabers die Zulässigkeit der Bildung der in Rede stehenden Rückstellung an sich außer Zweifel stehe, und vertrat die Auffassung, zum Bilanzstichtag könne von einer drohenden Inanspruchnahme aus der Markenrechtsverletzung nicht die Rede sein, weil die Erzeugung und Lieferung markenrechtlich geschützter Produkte - ohne Kenntnis dieses Umstandes seitens des Markenrechtsinhabers und ohne Erkennen einer allfälligen Markenrechtsverletzung seitens der Beschwerdeführerin -
kein rückstellungsauslösendes Ereignis darstelle. Dem Berufungsvorbringen, wonach zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung für das Jahr 2004 bekannt gewesen sei, dass der Markenrechtsinhaber eine Klage eingebracht habe, maß die belangte Behörde mit der Begründung, dass der Zeitpunkt der Bilanzerstellung "jedenfalls nach dem für die Bildungsmöglichkeit einer Rückstellung allein relevanten Bilanzstichtag gelegen sein muss", keine Bedeutung bei.
Bei der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG 1988 besteht aufgrund der Maßgeblichkeit der unternehmensrechtlichen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung die Verpflichtung, bei der Erstellung des Jahresabschlusses alle erkennbaren Risken und drohenden Verluste, die in dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr entstanden sind, zu berücksichtigen. Dabei gilt der Grundsatz der subjektiven Richtigkeit der Bilanz. Richtig ist die Bilanz, wenn die am Bilanzstichtag bestehenden Verhältnisse nach der bei Bilanzerstellung bestehenden Kenntnis des Steuerpflichtigen (bzw. nach der Kenntnis, die der Steuerpflichtige unter Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt bei Bilanzerstellung hätte haben können) in der Bilanz ihren Niederschlag gefunden haben. Ob für die Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin aus Markenrechtsverletzungen des Jahres 2004 zum Bilanzstichtag eine Rückstellung zu bilden ist, ist demnach - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung - nach dem Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Aufstellung des Jahresabschlusses zu beantworten (vgl. Hofstätter/Reichel , Die Einkommensteuer, Tz 67 ff zu § 4 Abs. 2 sowie Tz 70 f zu § 9, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Die belangte Behörde hat daher, soweit die in Rede stehende Rückstellung Schadersatzansprüche aus im Jahr 2004 erfolgten Markenrechtsverletzungen der Beschwerdeführerin betrifft (zu den Prozess- bzw. Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der im November 2005 eingebrachten Klage vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/15/0158), die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am