VwGH 08.11.2018, Ra 2018/14/0118
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | BFA-VG 2014 §9 Abs3 FrPolG 2005 §52 MRK Art8 |
RS 1 | Von der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung auf Dauer wird regelmäßig auszugehen sein, wenn familiäre Bindungen zu einer Ankerperson einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen und anzunehmen ist, dass sich diese Ankerperson weiterhin auf Dauer rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten wird. Ist das nicht der Fall und kommt der Ankerperson nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu, so liegt dagegen nur eine vorübergehende Unzulässigkeit vor (). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/18/0260 B RS 2
(hier: nur der erste Satz) |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
Ra 2018/14/0119
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der 1. S (geboren 1991), 2. G (geboren 2016), beide vertreten durch Mag.rer.soc.oec.Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, der gegen die Erkenntnisse vom ,
1) Zl. L515 2123285-1/67E und 2) Zl. L515 2192078-1/2E, des Bundesverwaltungsgerichts, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
Begründung
Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht - im Beschwerdeverfahren - die Anträge der Revisionsweber auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei.
Dagegen richten sich die vorliegenden (außerordentlichen) Revisionen, mit denen jeweils ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist.
Gemäß § 30 Abs. 1 erster Satz VwGG hat die Revision keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof ab Vorlage der Revision jedoch auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat zu diesen Anträgen innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben.
Ausgehend davon ist nicht zu erkennen, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, weshalb den Anträgen stattzugeben war.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/14/0119
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revisionen der 1. A B und 2. C D, beide in X, beide vertreten durch Mag.rer.soc.oec.Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zlen. 1. L515 2123285-1/67E und 2. L515 2192078-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden insoweit, als damit die Beschwerden der Revisionswerber in Bezug auf die gegen sie erlassenen Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Armenien und die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Armeniens. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des minderjährigen Zweitrevisionswerbers. Die Erstrevisionswerberin ist mit dem Vater des Zweitrevisionswerbers seit März 2016 verheiratet. Dieser hielt sich bis dato rechtmäßig im Bundesgebiet auf und erhielt Asyl durch Erstreckung gemäß §§ 10, 11 Asylgesetz 1997, welches ihm mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom aberkannt wurde. 2 Die Erstrevisionswerberin stellte am für sich selbst und für den Zweitrevisionswerber am einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete die Erstrevisionswerberin im Wesentlichen damit, dass sie in Armenien als Polizistin an einem Geheimprogramm an der Grenze teilgenommen habe; diese Arbeit habe sie jedoch nicht weiter ausführen wollen. Sie sei daraufhin zwar versetzt worden, jedoch habe man sie nach kurzer Zeit gezwungen, wieder an ihre alte Arbeitsstelle zurückzukehren. Als sie ihre Arbeit verlassen habe wollen, habe man versucht, sie zu entführen. Der Zweitrevisionswerber habe keine eigenen Fluchtgründe.
3 Mit Bescheiden vom (hinsichtlich der Erstrevisionswerberin) und (hinsichtlich des Zweitrevisionswerbers) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge auf internationalen Schutz ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass die Abschiebung der revisionswerbenden Parteien nach Armenien zulässig sei und setzte eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien als unbegründet ab und erklärte die Revision für nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. 5 Mit Beschluss vom , E 2088-2089/2018-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerden ab und trat die Beschwerden über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom , E 2088- 2089/2018-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. 6 In der außerordentlichen Revision wird zur Begründung der Zulässigkeit geltend gemacht, dass der Ausgang des Asylaberkennungsverfahrens des Vaters und Ehemannes der revisionswerbenden Parteien abgewartet hätte werden müssen. Sollte die Asylaberkennung nicht bestätigt werden, hätte der Zweitrevisionswerber einen Rechtsanspruch auf Asylgewährung im Familienverfahren, weil er der Sohn eines anerkannten Flüchtlings sei. Die Erstrevisionswerberin würde dann einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt bekommen, weil es ansonsten zu einer unzumutbaren Trennung der Familie kommen würde. Die Klärung der Frage, ob bei einer derartigen Verfahrenskonstellation eine abschließende Entscheidung im Asylverfahren zulässig sei, noch bevor im Asylaberkennungsverfahren
des Ehegatten und Vaters eine rechtskräftige Aberkennungsentscheidung vorliege, stelle eine grundsätzliche und wesentliche Rechtsfrage dar, der über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, über die Revisionen erwogen:
8 Die Revisionen sind teilweise zulässig. Sie sind insofern
auch berechtigt.
Zu I.:
9 Das BVwG stützte sich bei der Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK zur Beurteilung des Eingriffs in das Familienleben unter anderem darauf, dass gegen den Ehemann der Erstrevisionswerberin und Vater des Zweitrevisionswerbers mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom selben Tag eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde und es den revisionswerbenden Parteien daher frei stünde, in Armenien ein gemeinsames Familienleben zu führen. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/19/0522, wurde das den Ehemann und Vater betreffende Erkenntnis des BVwG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
10 Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG wirkt die Aufhebung eines Erkenntnisses des BVwG durch den Verwaltungsgerichtshof "ex tunc". Das bedeutet, dass der Rechtszustand im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob das aufgehobene Erkenntnis von Anfang an nicht erlassen worden wäre (vgl. ). 11 Die Feststellung des BVwG, der Ehemann der Erstrevisionswerberin und Vater des Zweitrevisionswerbers müsse aufgrund einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung Österreich verlassen und die revisionswerbenden Parteien könnten ihr gemeinsames Familienleben in Armenien fortführen, stellt sich daher als unzutreffend dar.
12 Das BVwG führte in seiner Interessenabwägung als Alternativbegründung zudem aus, dass selbst wenn der Ehemann bzw. Vater der revisionswerbenden Parteien nicht ausreisepflichtig wäre, die revisionswerbenden Parteien die Wahlfreiheit hätten, ihr Familienleben mit dem Vater dennoch in Armenien fortzusetzen oder dorthin alleine auszureisen und nach Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen wieder einzureisen. Es stünde ihnen auch frei, sich zu trennen, wenn dies von ihnen gewünscht würde. Bis zur Erfüllung der "niederlassungsrechtlichen Voraussetzungen" für eine Wiedereinreise könne die Beziehung durch briefliche, telefonische und elektronische Kontakte sowie durch gegenseitige Besuche aufrechterhalten werden.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird regelmäßig von einer Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung auf Dauer auszugehen sein, wenn familiäre Bindungen zu einer Ankerperson einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen und anzunehmen ist, dass sich diese Ankerperson weiterhin auf Dauer rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten wird (vgl. ; , 2012/21/0030). Das BVwG hat ausgehend davon, dass es angenommen hat, der Vater des Zweitrevisionswerbers sei aufgrund einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung ausreisepflichtig, diese Rechtsprechung in seiner Interessenabwägung nicht gebührend beachtet.
14 Im Hinblick auf die Annahme des BVwG, das Familienleben mit dem Vater des Zweitrevisionswerbers könne auch in Armenien fortgesetzt werden, weil dieser - unabhängig von einer Rückkehrentscheidung - freiwillig in sein Herkunftsland zurückkehren könne, kann in Anbetracht des fast 20-jährigen Aufenthaltes des Vaters in Österreich nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass er seine hier geschaffene Lebensgrundlage aufgeben müsste, um sein Familienleben in Armenien fortzusetzen. Das BVwG hätte in diesem Zusammenhang nähere Feststellungen zu den Lebensumständen treffen müssen, um in einer dem Gesetz entsprechenden Weise beurteilen zu können, ob sich die Erlassung von Rückkehrentscheidungen als verhältnismäßig darstellt. 15 Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher in Bezug auf die erlassenen Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien sowie die Festlegung einer Frist zur Ausreise gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.
16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Zu II.:
17 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
18 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 20 Zu den übrigen Aussprüchen wird von den revisionswerbenden Parteien lediglich darauf verwiesen, dass ihnen in jenem Fall, in dem dem Ehemann bzw. Vater der Status des Asylberechtigten nicht aberkannt werde, im Rahmen des Familienverfahrens ebenfalls der Status von Asylberechtigten zuerkannt werden könnte. Dem steht aber schon die klare und hier nicht weiter erörterungsbedürftige Anordnung des § 34 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 entgegen, wonach die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten (nur dann) zuzuerkennen hat, wenn gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist. Das stand der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an die revisionswerbenden Parteien im Weg des § 34 AsylG 2005 entgegen, woran auch die Aufhebung der den Ehemann bzw. Vater der revisionswerbenden Parteien betreffenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch das oben angeführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom nichts ändert (vgl. § 42 Abs. 3 VwGG: "Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gemäß Abs. 2 tritt die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bzw. Beschlusses befunden hat."). 21 Sohin war die Revision, soweit es jene Aussprüche betrifft, in denen das angefochtene Erkenntnis nicht aufzuheben war, mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AsylG 2005 §57; VwGG §30 Abs2; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018140118.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
QAAAE-78452