VwGH vom 18.11.2009, 2008/13/0013

VwGH vom 18.11.2009, 2008/13/0013

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde der F in W, vertreten durch Dr. Martina Simlinger-Haas, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Reisnerstraße 31, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1625- W/07, betreffend erhöhte Familienbeihilfe ab , zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am rückwirkend ab März 2006 die erhöhte Familienbeihilfe für ihren im Oktober 1982 geborenen Sohn. Sie legte einen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom vor, dem zufolge der Sohn der Beschwerdeführerin seit März 2006 wegen näher beschriebener, schwerer psychischer Beeinträchtigungen von dieser Ärztin behandelt wurde.

Am wurde der Sohn der Beschwerdeführerin im Bundessozialamt von Silvia B. fachärztlich untersucht. In dem am erstellten Gutachten wurden in der Anamnese u. a. ein Handelsschulabschluss, die Ableistung des Zivildienstes von Februar 2002 bis Jänner 2003 und "seit 12/2005 Auftreten einer Psychose mit Suicidversuch", die psychotherapeutische Behandlung seit März 2006 und ein erster stationärer Krankenhausaufenthalt im November 2006 festgehalten. Es wurde festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H. betrage und der Sohn der Beschwerdeführerin voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Zur Frage, ab wann die Behinderung vorliege, wurde ausgeführt:

"Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2006-11-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich."

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung ab, dass "die Erwerbsunfähigkeit ihres Sohnes nach dem 21. Lebensjahr bescheinigt wurde und er sich auch nicht in Berufsausbildung befindet".

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin u.a. aus, ihrem Sohn sei zwar "erstmals im März 2006 diese schwere Diagnose gestellt" worden, der Beginn der Erkrankung reiche nach Einschätzung der Beschwerdeführerin aber "in das Jahr 2005" zurück. Ein Zeichen der "damals beginnenden" Erkrankung sei, dass er deswegen auch die begonnene Fachhochschule für Logistik und Transportmanagement nach dem ersten Jahr habe abbrechen müssen.

Hiezu findet sich in den Akten des Finanzamtes die Bestätigung einer Fachhochschule vom über Leistungsbeurteilungen betreffend das erste und zweite Semester der Studienrichtung Logistik und Transportmanagement zwischen Oktober 2004 und April 2005. Für das darauffolgende Studienjahr enthalten die Akten nur eine "Rechnung/Kurskarte" des Poly College des Wiener Volksbildungsvereins vom , aus der hervorgeht, dass die Kursgebühr für den Kurs "SBP-Mathematik

1. Semester" vom bis zum (jeweils am Mittwoch von 18:00 bis 21:15 Uhr) am bezahlt wurde.

Am erstellte die Fachärztin Bettina M. für das Bundessozialamt ein Aktengutachten, in dem u.a. ausgeführt wurde, der Sohn der Beschwerdeführerin sei "am persönlich untersucht" worden. "Da der erste stationäre Aufenthalt 11/06 stattfand" sei "dieses Datum zur rückwirkenden Bestätigung beigezogen" worden. Nun liege eine Berufung "mit Brief" der behandelnden Fachärztin vor, nach deren "Auskunft" beim Sohn der Beschwerdeführerin "erste Verhaltensauffälligkeit" näher beschriebener Art schon während der Pubertät eingetreten sei. Der Abschluss der Handelsschule und die nachfolgende Ableistung des Zivildienstes sprächen aber gegen eine höhergradige Beeinträchtigung zu dieser Zeit.

Als "relevanten vorgelegten Befund" erwähnte dieses Aktengutachten einen solchen der behandelnden Ärztin vom , der in den vorgelegten Verwaltungsakten ebenso wenig enthalten ist wie der - damit vielleicht identische - "Brief" dieser Ärztin.

Zum Zeitpunkt des Eintrittes der Behinderung wurde nun ausgeführt:

"Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades

d. Behinderung ist ab 2006-03-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich."

"Zugestimmt" wurde diesem Gutachten am vom selben leitenden Arzt, der am auch dem ersten Gutachten des Bundessozialamtes zugestimmt hatte.

Die Beschwerdeführerin stellte - nach einer abweisenden Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes - den Antrag auf Vorlage der Berufung an die belangte Behörde.

Mit Schreiben vom hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin vor, ihr Sohn habe sich auf Grund des Studiums an der Fachhochschule "jedenfalls bis Februar 2005" in Berufsausbildung befunden. Auf Grund der weiters aktenkundigen "Rechnung/Kurskarte" vom werde die Beschwerdeführerin ersucht, bekannt zu geben und zu belegen, ob bzw. bis wann ihr Sohn diesen Kurs auch besucht habe.

Die Beschwerdeführerin beantwortete dies mit Schreiben vom im Wesentlichen dahingehend, dass ihr Sohn für den Zeitraum vom bis zum am Poly College "inskribiert" gewesen sei, um sich auf die Studienberechtigungsprüfung vorzubereiten. Wegen des erwiesenermaßen schleichenden und nicht plötzlichen Auftretens psychischer Erkrankungen habe er "nur bruchstückhaft die Vorlesungen besuchen und auch keine Prüfungen ablegen" können. Nach Durchführungsrichtlinien zum Familienlastenausgleichsgesetz sei die Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit der Berufsausbildung "nach den Gegebenheiten des Einzelfalles" zu beurteilen. Am habe der Sohn der Beschwerdeführerin laut neurologischem Befundbericht seine erste Psychose erlitten, womit ärztlicherseits der Beginn der psychischen Erkrankung festgestellt worden sei. Die Behinderung, die zur Erwerbsunfähigkeit geführt habe, sei an diesem Tag eingetreten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie stellte u.a. die Inhalte des Befundberichtes vom sowie der Gutachten vom und dar, wobei sie allerdings behauptete, der Sohn der Beschwerdeführerin sei auch am 23. (Seite 4 des Bescheides) bzw. 24. (Seite 7) April 2007 und somit zweimal "im Bundessozialamt (Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie) untersucht" worden, wobei "im ersten Gutachten die rückwirkende Anerkennung ab und im zweiten Gutachten ab vorgenommen" worden sei.

Dem Befundbericht der behandelnden Ärztin vom sei zu entnehmen, dass sich der Sohn der Beschwerdeführerin wegen seiner schweren Erkrankung seit März 2006 bei dieser Ärztin in Behandlung befinde. Ein genauer Zeitpunkt des Eintrittes der Erkrankung finde sich "im dem Befundbericht nicht". Auf den im Gutachten vom erwähnten, nicht aktenkundigen weiteren Befund dieser Ärztin vom (und den "Brief") nahm die belangte Behörde nicht Bezug.

Zum Ausbildungsverlauf des Sohnes der Beschwerdeführerin stellte die belangte Behörde fest, er habe im Studienjahr 2004/2005 bis einschließlich April 2005 Prüfungen abgelegt. Hinsichtlich des späteren Kurses am Poly College seien der tatsächliche Besuch des Kurses und die Ablegung von Prüfungen, im Gegensatz zur Bezahlung der Kursgebühr, hingegen nicht belegt.

Wenn die Gutachten des Bundessozialamtes den Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit mit dem ersten stationären Aufenthalt "bzw." mit dem Beginn der Psychotherapie bestimmten, so sei "diese Beurteilung" grundsätzlich als schlüssig anzusehen. Wegen des schleichenden Beginns der Erkrankung sehe die belangte Behörde den März 2006 (Beginn der Psychotherapie) als wahrscheinlichsten Zeitpunkt des Beginns der dauernden Erwerbsunfähigkeit an. Da der zuletzt "belegte" Kurs am geendet habe, sei bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit "jedenfalls keine Berufsausbildung mehr" vorgelegen. Auch ein Eintritt der Erwerbsunfähigkeit schon im Dezember 2005, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, würde am Ergebnis aber nichts ändern, weil der Sohn der Beschwerdeführerin den Kurs am Poly College nach Abbruch des vorangegangenen Fachhochschulstudiums zwar belegt habe, aber zu keinerlei Prüfungen angetreten sei. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Stelle in den Durchführungsrichtlinien, die für die belangte Behörde auch keine relevante Rechtsquelle seien, setze voraus, dass bereits erhöhte Familienbeihilfe gewährt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin macht geltend, die belangte Behörde habe sich auf Gutachten gestützt, die - in Bezug auf den Zeitpunkt des Eintritts der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen - krass widersprüchlich gewesen seien. Diesen Zeitpunkt mit dem Beginn der Behandlung gleichzusetzen, grenze an Willkür.

Die belangte Behörde hält dem in der Gegenschrift entgegen, der "vorgebliche" Widerspruch zwischen den Gutachten löse sich auf, "wenn man berücksichtigt, dass bei Erstellung des Erstgutachtens offensichtlich noch nicht bekannt war, dass beim Sohn der Bw. im März 2006 eine Psychotherapie begonnen wurde".

Diese Argumentation der belangten Behörde ist aktenwidrig, weil der Therapiebeginn im März 2006 - wie im angefochtenen Bescheid wiedergegeben - schon aus dem Befundbericht vom Oktober 2006 hervorging und im Erstgutachten vom Jänner 2007 ausdrücklich erwähnt wurde. Welche auf ärztlicher Fachkunde beruhenden Erwägungen die Gutachter mit Zustimmung jeweils desselben leitenden Arztes dazu bewegen konnten, einmal den ersten stationären Aufenthalt und einmal den Therapiebeginn als maßgeblich heranzuziehen, ist anhand der Ausführungen der belangten Behörde nicht nachvollziehbar. Nimmt man hinzu, dass der im Zweitgutachten vom April 2007 erwähnte Befund der behandelnden Ärztin vom der belangten Behörde offenbar nicht zur Kenntnis gelangte und in ihre Auseinandersetzung mit den Gutachten jedenfalls nicht einbezogen wurde, so könnte der angefochtene Bescheid daher nicht Bestand haben, wenn es auf die Annahme, die Erwerbsunfähigkeit sei erst im März 2006 eingetreten, ankäme.

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Schreiben vom aber nicht daran festgehalten, dass die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit ihres Sohnes, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, schon in dem Zeitpunkt vorgelegen sei, in dem das Fachhochschulstudium - trotz ausnahmslos positiver Beurteilungen in der Bestätigung vom Mai 2005 - abgebrochen wurde. Sie hat den Eintritt der Behinderung im Dezember 2005 behauptet und trotz Aufforderung durch die belangte Behörde kein konkretes Vorbringen dazu erstattet, dass der am bezahlte Kurs von ihrem Sohn tatsächlich besucht worden sei. Unter diesen Umständen - nämlich angesichts des bloßen und zeitlich nicht näher zugeordneten Vorbringens, der Besuch von Vorlesungen sei dem Sohn der Beschwerdeführerin "nur bruchstückhaft" möglich gewesen - musste die belangte Behörde nicht davon ausgehen, er habe sich, wie für einen Erfolg der Berufung gemäß § 2 Abs. 1 lit.c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 erforderlich, im maßgeblichen Zeitpunkt in einer "Berufsausbildung" befunden (vgl. aber auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/15/0178, zu den quantitativen Anforderungen an Lehrveranstaltungen als "Berufsausbildung").

Die Beschwerde war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am