VwGH vom 30.01.2019, Ra 2018/12/0057
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision des beim Vorstand der Österreichischen Post AG eingerichteten Personalamts gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W129 2115534-1/6E, betreffend Karenzurlaub gemäß § 75c BDG 1979 (mitbeteiligte Partei: K B in G, vertreten durch Mag. Helmut Hohl, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ungargasse 15/1/4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und wurde der Österreichischen Post AG zur Dienstleistung zugewiesen.
2 Mit Schreiben vom sowie vom stellte sie den Antrag, die Dienstbehörde möge in Anwendung des § 13 DVG 1.) die über ihre Anträge auf Gewährung von Karenzurlaub ergangenen Bescheide vom , vom , vom und vom sowie 2.) auch die zuvor ab dem Jahr 2003 betreffend die Gewährung von Karenzurlaub ergangenen Bescheide dahingehend abändern, dass ihr jeweils Karenzzeiten gemäß § 75c Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333, gewährt und ihr diese Karenzzeiten gemäß § 75 Abs. 5 BDG 1979 als ruhegenussfähige Dienstzeiten zuerkannt würden. Die Mitbeteiligte vertrat die Ansicht, die Behörde habe ihr zu Unrecht Karenzzeiten gemäß § 75a BDG 1979 gewährt, obwohl sie einen diesbezüglichen Antrag nie gestellt habe. Die Bescheide betreffend die Gewährung von Karenzurlaub gemäß § 75a BDG 1979 seien daher rechtswidrig. Richtigerweise wäre ihr Karenzurlaub gemäß § 75c BDG 1979 zu gewähren gewesen.
3 Mit Bescheid vom wies die Dienstbehörde den Antrag der Mitbeteiligten auf Abänderung der oben genannten Bescheide (u.a.) gemäß § 68 AVG in Verbindung mit § 13 DVG wegen entschiedener Sache zurück. Nach Ansicht der Dienstbehörde lägen die Voraussetzungen für die Abänderung der in Rede stehenden Bescheide gemäß § 68 AVG in Verbindung mit § 13 DVG nicht vor.
4 Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde. 5 Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid vom auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Dienstbehörde zurück. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.
6 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht (soweit hier entscheidungswesentlich) aus, es bestünden aufgrund der Formulierung der Anträge der Mitbeteiligten keine Zweifel daran, dass alle Anträge auf die Gewährung von Karenzurlaub gemäß § 75c BDG 1979 gerichtet gewesen und diese Anträge zu keinem Zeitpunkt durch die Mitbeteiligte abgeändert worden seien. Somit "hafteten" die Anträge betreffend die Gewährung von Karenzurlaub für die Kalenderjahre 2003 bis 2011 als unerledigt im Sinne des § 59 Abs. 1 erster Satz AVG "aus", weshalb die Dienstbehörde in weiterer Folge das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 75c BDG 1979 auch für die Anträge betreffend die genannten Jahre zu prüfen und darüber bescheidmäßig abzusprechen habe. Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststehe, sei "in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen" der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend macht, das Verwaltungsgericht habe zum einen den Gegenstand des Verfahrens verkannt und sich nicht mit den für die Abänderung rechtskräftiger Bescheide erforderlichen Voraussetzungen auseinandergesetzt. Zum anderen seien die bereits rechtskräftig erledigten Anträge der Mitbeteiligten durch das Bundesverwaltungsgericht rechtswidriger Weise einer inhaltlichen Beurteilung unterzogen worden. Die Behörde habe den Abänderungsantrag der Mitbeteiligten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung dieses Antrages sei Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht gewesen. Darüber hinaus lägen auch die Voraussetzungen gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor. Eine Zurückverweisung käme nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur bei krassen oder besonders gravierenden Ermittlungslücken in Betracht.
8 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision erweist sich im Sinne ihrer
Zulassungsbegründung als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
10 Sache des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war die mit
dem dienstbehördlichen Bescheid erfolgte Zurückweisung des auf § 68 AVG in Verbindung mit § 13 DVG gestützten Antrages der Mitbeteiligten auf Abänderung der in Rede stehenden rechtskräftigen Bescheide betreffend die Gewährung von Karenzurlaub. Schon im Hinblick auf den Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erweist sich somit die mit dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG als verfehlt.
11 Zwar weisen Bescheide, mit denen eine Behörde von der ihr in § 68 Abs. 2 AVG eingeräumten Befugnis Gebrauch macht, sowohl eine verfahrensrechtliche als auch eine materiell-rechtliche Komponente auf. Die verfahrensrechtliche Komponente betrifft die (Zulässigkeit der) Beseitigung der Sachentscheidung, die materiellrechtliche die (Neuregelung der) Sache, d.h. die inhaltliche Gestaltung der zu erlassenden neuen Sachentscheidung (). Dies trifft aber nicht auf Bescheide zu, mit denen die Behörde einen Antrag auf Abänderung bzw. Aufhebung eines Bescheides gemäß § 68 AVG in Verbindung mit § 13 DVG zurückwies. In diesen Fällen erfolgte durch die Behörde gerade keine Neuregelung der rechtskräftig erledigten Sache, weshalb auch im vorliegenden Fall eine (neue) Entscheidung über die Anträge der Mitbeteiligten auf Gewährung von Karenzurlaub nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war.
12 Selbst für den Fall, dass - entsprechend den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts - die in Rede stehenden Anträge der Mitbeteiligten auf Gewährung von Karenzurlaub gemäß § 75c BDG 1979 gerichtet waren und eine bescheidmäßige Erledigung dieser Anträge bislang nicht erfolgt sein sollte, waren jedenfalls bislang von der Behörde nicht erledigte Anträge nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Dabei scheint der Auffassung, die Behörde sei hinsichtlich der Anträge der Mitbeteiligten untätig geblieben, die Annahme des Verwaltungsgerichts zugrunde zu liegen, mit den in Rechtskraft erwachsenen dienstbehördlichen Bescheiden sei - in Missachtung des tatsächlichen Inhalts der Anträge der Mitbeteiligten auf Gewährung von Karenzurlaub - über eine andere "Sache" (nämlich über die Gewährung von Karenzurlaub gemäß § 75a BDG 1979 anstatt - wie nach Ansicht des Gerichts beantragt - über die Gewährung von Karenzurlaub gemäß § 75c BDG 1979) abgesprochen worden.
13 Auch ausgehend von dieser Rechtsansicht wäre (ungeachtet der Frage, ob tatsächlich von "unerledigt" gebliebenen Anträgen der Mitbeteiligten auf Gewährung von Karenzurlaub auszugehen war) unter Beachtung des Gegenstandes des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine Erledigung der nach Ansicht des Gerichts "aushaftenden" Anträge und somit auch eine Zurückverweisung dieser Angelegenheit(en) von vornherein ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang übersieht das Gericht nämlich zum einen, dass es nicht im Wege einer Säumnisbeschwerde angerufen wurde und im Bescheidbeschwerdeverfahren Anträge, über die die Behörde nicht entschieden hat, keinesfalls Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind. Zum anderen kommt gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG die Zurückverweisung einer von der Behörde bislang nicht erledigten Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides nicht in Betracht.
14 Hinzu kommt, dass - worauf die Revision ebenfalls hinweist - in Anbetracht des Gegenstandes des vorliegenden Verfahrens (Zurückweisung eines auf Abänderung von rechtskräftigen Bescheiden gerichteten Antrages gemäß § 68 AVG in Verbindung mit § 13 DVG) die vom Verwaltungsgericht vermissten Ermittlungen betreffend die Frage der Gewährung von Karenzurlaub gemäß § 75c BDG 1979 nicht relevant waren (siehe dazu auch Rn 17 ff), und somit auch keine Ermittlungslücken ersichtlich sind, die im vorliegenden Bescheidbeschwerdeverfahren eine zurückverweisende Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu tragen vermöchten.
15 Sollte hingegen dem angefochtenen Beschluss die Auffassung zugrunde liegen, die Angelegenheit(en), welche gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen wurde(n), sei(en) zwar mit den dienstbehördlichen Bescheiden, deren Abänderung die Mitbeteiligte beantragte, rechtskräftig erledigt worden, aber es komme dem Gericht im vorliegenden Bescheidbeschwerdeverfahren unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 bis Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 13 DVG die Befugnis zu, in die Rechtskraft der in Rede stehenden Bescheide einzugreifen, wäre auch dies jedenfalls unzutreffend. Zudem erwiese sich die allfällige Schlussfolgerung, wonach diese Bescheide durch die verwaltungsgerichtliche Aufhebung des zurückweisenden Bescheides vom - im Sinne des Abänderungsantrages der Mitbeteiligten - aus dem Rechtsbestand beseitigt worden seien und somit in materiell-rechtlicher Hinsicht die Möglichkeit bestehe, der Behörde eine (neuerliche) Entscheidung über die Gewährung von Karenzurlaub (nunmehr gemäß § 75c BDG 1979) aufzutragen, als nicht tragfähig.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat zum VwGVG bereits ausgesprochen, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden darf. Dieser Grundsatz ist auch dann zu beachten, wenn § 17 VwGVG eine sinngemäße Anwendung des IV. Teils des AVG und damit des § 68 Abs. 1 AVG im Rahmen des VwGVG nicht vorkehrt (). Ein Eingriff in die Rechtskraft der (mit dem vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid gemäß § 68 AVG in Verbindung von § 13 DVG weder abgeänderten noch aufgehobenen) Bescheide betreffend Karenzurlaub sowie ein nochmaliger Abspruch über die durch diese Bescheide bereits erledigte(n) Angelegenheit(en) ist dem Verwaltungsgericht in der vorliegenden Konstellation verwehrt. Darüber hinaus ist auf Folgendes hinzuweisen:
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht niemandem ein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechtes zu (siehe § 68 Abs. 7 erster Satz AVG). Die Ausübung des Aufsichtsrechtes kann zwar angeregt, nicht aber erzwungen werden (). Die Nichtausübung der Befugnisse nach § 68 Abs. 2 bis Abs. 4 AVG ist vollständig der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (d.h. auch hinsichtlich der Gründe, warum die Behörde nicht von der ihnen eingeräumten Möglichkeit der Aufhebung bzw. Abänderung Gebrauch machen) entzogen (vgl. ). In der vorliegenden Situation, in der mit dem vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid, ein Antrag auf Abänderung rechtskräftiger Bescheide zurückgewiesen wurde, stand dem Gericht weder die Ausübung der Befugnisse nach § 68 AVG in Verbindung mit § 13 DVG noch eine Entscheidung über bereits rechtskräftig erledigte Anträge noch die Erteilung von Aufträgen an die Dienstbehörde betreffend die Erledigung allenfalls durch die Behörde unerledigt gebliebener Anträge zu.
18 Aus § 13 Abs. 1 DVG ergibt sich nichts anderes, weil er in dieser Beziehung nichts von § 68 AVG Abweichendes im Sinne des § 1 Abs. 1 leg. cit. anordnet und sich die aus § 13 Abs. 1 DVG ableitbaren subjektiven Rechte der Mitbeteiligten darin erschöpfen, dass eine nach § 13 Abs. 1 DVG unzulässige Bescheidabänderung oder -aufhebung zu unterbleiben hat. Hingegen folgt aus dieser Bestimmung (arg: "von Amts wegen") kein Recht des Beamten auf Abänderung bzw. Aufhebung eines rechtskräftigen Bescheides durch die Behörde (siehe auch dazu ; vgl. weiters ).
19 Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018120057.L00 |
Schlagworte: | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere Rechtsgebiete Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
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