VwGH vom 11.05.2016, 2013/02/0094

VwGH vom 11.05.2016, 2013/02/0094

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller, Dr. Lehofer, Dr. N. Bachler und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Beschwerde der M AG in E, vertreten durch die Specht Böhm Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Teinfaltstraße 8, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zlen. IVW7-GA-104/004-2011, IVW7-GA-104/007- 2011, IVW7-GA-104/005-2011, IVW7-GA-104/003-2011, IVW7-GA-104/006- 2011, betreffend Bewilligung von Landesausspielungen mit Glückspielautomaten (mitbeteiligte Partei: A AG in G, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mittels Kundmachung vom erfolgte die Ausschreibung von Bewilligungen für Landesausspielungen mit Glückspielautomaten nach dem Niederösterreichischen Spielautomatengesetz 2011, LGBl. 7071-0 (im Folgenden: NÖ SpAG 2011). Die Ausschreibung wurde im Amtsblatt der Wiener Zeitung, in den Niederösterreichischen Amtlichen Nachrichten und auf der Homepage des Landes Niederösterreich kundgemacht. In der als Interessentensuche bezeichneten Ausschreibungsunterlage wurde als Frist für die Einbringung von Anträgen der festgesetzt. Darüber hinaus veröffentlichte die belangte Behörde ein undatiertes Informationsblatt, das mit dem Titel "Informationen für Bewilligungswerberinnen oder Bewilligungswerber betreffend Anträge auf Erteilung von Bewilligungen von Landesausspielungen mit Glückspielautomaten im Rahmen der Interessentensuche nach § 5 Abs. 2 des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 für das Bundesland Niederösterreich" überschrieben war.

2 Die beschwerdeführende Partei stellte unter Einhaltung der Frist am den Antrag auf Erteilung einer Bewilligung von Landesausspielungen mit 446 Glückspielautomaten. Darüber hinaus stellten noch vier weitere Bewilligungswerberinnen Anträge auf Erteilung einer Bewilligung von Landesausspielungen mit Glückspielautomaten. Sämtliche Bewilligungswerberinnen erfüllten laut Angabe der belangten Behörde die Bewilligungsvoraussetzungen.

3 Die belangte Behörde führte das Ermittlungsverfahren ohne Beiziehung von Sachverständigen und ohne mündliche Verhandlung im Wege eines reinen Aktenverfahrens durch.

4 Mit Spruchpunkt 1. des nunmehr angefochtenen Bescheides erteilte die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei in Entsprechung ihres Antrages vom die Bewilligung von Landesausspielungen mit 1.339 Glückspielautomaten für die Dauer von 15 Jahren.

5 In Spruchpunkt 2. wurden die Anträge der vier übrigen Bewilligungswerberinnen, und damit auch der Antrag der beschwerdeführenden Partei, abgewiesen.

6 Dagegen erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom , Zl. B 435/12-7, ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

7 Über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzte die beschwerdeführende Partei ihre Beschwerde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

8 Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

9 Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift mit den Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Auf den vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

11 Gemäß § 5 Abs. 2 NÖ SpAG 2011 erfolgt die erstmalige Erteilung der Bewilligungen nach vorheriger öffentlicher Interessentensuche, welche den Grundsätzen der Transparenz und der Nichtdiskriminierung zu entsprechen hat.

12 Die Gesetzesmaterialien (Ltg.-708/A-1/53-2010) halten zu dieser Bestimmung fest:

"Damit wird die Regelung bei den Konzessionserteilungen des Bundes für die Erteilung der Bewilligung annähernd gleich lautend übernommen.

Nach § 14 Abs. 1 GSpG kann das Recht zur Durchführung einer Ausspielung nach den §§ 6 bis 12b (Anm.: z. B. für Elektronische Lotterien) durch Erteilung einer Konzession übertragen werden. Die Konzessionserteilung erfolgt nach vorheriger öffentlicher und transparenter Interessentensuche durch den Bundesminister für Finanzen. Dieselbe Voraussetzung enthält auch § 21 Abs. 1 GSpG für die Konzessionserteilung von Spielbanken."

13 Die "Informationen für Bewilligungswerberinnen oder Bewilligungswerber betreffend Anträge auf Erteilung von Bewilligungen von Landesausspielungen mit Glückspielautomaten im Rahmen der Interessentensuche nach § 5 Abs. 2 des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 für das Bundesland Niederösterreich" enthalten als Verfahrensunterlage unter anderem Informationen über die Inhalte des NÖSpAG 2011, über mögliches Vorgehen bei der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen und die Durchführung der Auswahlentscheidung. Diese Verfahrensunterlage dient somit dem Transparenzgebot des § 5 Abs. 2 NÖ SpAG 2011.

14 Auch nach § 14 Abs. 1 zweiter Satz des Bundesgesetzes zur Regelung des Glückspielwesens (Glückspielgesetz - GSpG), BGBl. 620/1989 idF BGBl. I Nr. 111/2010, hat der Konzessionserteilung eine öffentliche Interessentensuche voranzugehen, welche den Grundsätzen der Transparenz und der Nichtdiskriminierung zu entsprechen hat.

15 Nach übereinstimmender Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser - dem § 5 Abs. 2 NÖ SpAG 2011 inhaltsgleichen - Bestimmung des GSpG wird durch eine Verfahrensunterlage - wie die vorliegende - das Verfahren zur Auswahlentscheidung auf diese Weise transparent gemacht, dass die bescheiderlassende Behörde - bezogen auf ein einzelnes konkretes Verfahren - die von ihr selbst zu setzenden Verfahrensschritte und die damit in Zusammenhang stehenden Verfahrenshandlungen der Parteien als eine Art Sammlung von im Laufe des Verfahrens konkret zu treffenden Verfahrensanordnungen vorweg in einem Dokument zusammenfasst und öffentlich macht. Die Behörde kann im Rahmen der Verwaltungsverfahrensgesetze im konkreten Verfahrensablauf unter Beachtung des Grundsatzes der Transparenz und Nichtdiskriminierung auch weitere oder geänderte Anordnungen treffen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Zl. B 1337/11 ua, VfSlg. 19.717, und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2011/17/0304).

16 Im vorliegenden Beschwerdefall wäre es an der belangten Behörde gelegen, diesem Transparenzgebot des § 5 Abs. 2 NÖ SpAG 2011 im Sinne der zitierten Rechtsprechung "im Rahmen der Verwaltungsverfahrensgesetze im konkreten Verfahrensablauf" durch Gewährung der von der beschwerdeführenden Partei beantragten Akteneinsicht nachzukommen.

17 § 17 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51 (WV) in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 5/2008, hat folgenden Wortlaut:

" Akteneinsicht

§ 17. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden.

(2) Allen an einem Verfahren beteiligten Parteien muß auf Verlangen die Akteneinsicht in gleichem Umfang gewährt werden.

(3) Von der Akteneinsicht sind Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.

(4) Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht ist kein Rechtsmittel zulässig."

18 Mit Eingabe vom begehrte die beschwerdeführende Partei Akteneinsicht in den gesamten Verfahrensakt, mit Ausnahme jener Dokumente, die aufgrund berechtigten rechtlichen Interesses der sonstigen Verfahrensparteien als vertraulich zu betrachten seien. Diesbezüglich beabsichtigten die Vertreter der beschwerdeführenden Partei am um 11 Uhr bei der belangten Behörde vorstellig zu werden.

19 Mit Schreiben vom teilte die belangte Behörde der beschwerdeführenden Partei mit, dass aufgrund des Umfangs des gegenständlichen Verfahrensaktes (über 3.000 Seiten) eine Sichtung der Unterlagen bis zum vorgeschlagenen Termin nicht durchführbar sei. Um einen neuerlichen Terminvorschlag ab dem werde daher ersucht.

20 Nach Erlassung des angefochtenen Bescheides vom gewährte die belangte Behörde Vertretern der beschwerdeführenden Partei am Akteneinsicht.

21 § 17 AVG ist - insbesondere in reinen Aktenverfahren wie dem vorliegenden - unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Parteien effektiv von ihrem Anspruch Gebrauch machen können, bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts ihre Rechte und rechtlichen Interessen zu wahren (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG - Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Teilband, 2014, Rdn. 1 zu § 17 AVG). Das Recht auf Akteneinsicht stellt ein wesentliches prozessuales Recht der Partei des Verwaltungsverfahrens dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/09/0093). Die Gewährung von Akteneinsicht ist ein der Behörde im Rahmen der Verwaltungsverfahrensgesetze zur Verfügung stehendes Mittel, dem in § 5 Abs. 2 NÖ SpAG 2011 verankerten Transparenzgebot nachzukommen. Sie ist in der konkreten Verfahrenssituation des Beschwerdefalls geradezu Ausdruck dieses Transparenzgebotes.

22 Die vor Erlassung des angefochtenen Bescheides verweigerte Akteneinsicht ist eine diesem Grundsatz des § 5 Abs. 2 NÖ SpAG 2011 diametral widersprechende Verfahrensanordnung. Der Verwaltungsgerichtshof übersieht dabei nicht den Aufwand, der angesichts des Umfanges des gegenständlichen Verfahrensaktes damit verbunden ist. Dieser Aufwand rechtfertigte indessen keinesfalls, der beschwerdeführenden Partei vor Erlassung des angefochtenen Bescheides die Akteneinsicht zu verweigern. An der belangten Behörde wäre es vielmehr gelegen, die Akteneinsicht - unter Berücksichtigung gerechtfertigter Geheimhaltungsinteressen anderer Verfahrensparteien - zu gewähren. Wird die Akteneinsicht verweigert, so ist in der Begründung des das Verfahren abschließenden Bescheides nachvollziehbar dazulegen, welche Aktenteile davon betroffen sind und welche öffentlichen oder privaten Interessen dies im konkreten Fall rechtfertigen; dies gilt umso mehr, wenn die betreffenden Aktenteile für die (negative) Entscheidung in der Sache und damit auch für die Rechtsverfolgung durch die beschwerdeführende Partei wesentlich sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0284, mwN).

23 Dem angefochtenen Bescheid ist zur Begründung der Verweigerung der Akteneinsicht überhaupt nichts zu entnehmen. Damit wurde er den Anforderungen an eine rechtmäßige Begründung nicht einmal im Ansatz gerecht. So lässt sich dem angefochtenen Bescheid auch insbesondere nichts zu dem hier bedeutenden Verweigerungstatbestand der Schädigung berechtigter Interessen einer Partei (§ 17 Abs. 3 erster Fall AVG) entnehmen. In diesem Zusammenhang ist die belangte Behörde darauf hinzuweisen, dass es gerade bei der Verweigerung der Akteneinsicht betreffend Aktenteilen, welche als tragende Begründung einer abweisenden Entscheidung herangezogen wurden, einer genauen und nachvollziehbaren Begründung bedarf, als die Verweigerung der Akteneinsicht in einem solchen Fall die rechtlichen Möglichkeiten der Partei wesentlich einschränkt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/19/0778).

24 Wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift meint, dass die beschwerdeführende Partei durch die nach Erlassung des angefochtenen Bescheides gewährte Akteneinsicht - was die beschwerdeführende Partei entschieden in Abrede stellt - "mittlerweile in Besitz der für sie angeblich nicht nachprüfbaren Entscheidungsfindung" sei, ist ihr erneut die im angefochtenen Bescheid zur Gänze unterlassene rechtmäßige Begründung zur Verweigerung der Akteneinsicht entgegen zu halten. Im Übrigen könnte auch die Nachholung einer unterlassenen Begründung in der Gegenschrift die der angefochtenen Entscheidung anhaftende Mangelhaftigkeit nicht beheben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/11/0088).

25 Somit konnte die beschwerdeführende Partei die Entscheidungsfindung im angefochtenen Bescheid - wie sie zutreffend ausführt - "nicht einmal ansatzweise eigenständig nachprüfen". Damit sind die von der belangten Behörde wiedergegebenen Sachverhalte und getroffenen Feststellungen für die beschwerdeführende Partei gleichsam bindend. Die beschwerdeführende Partei ist - in ihren eigenen Worten - der belangten Behörde "damit ausgeliefert". Dadurch ist die Relevanz dieses Verfahrensmangels gegeben. Die belangte Behörde hat nämlich durch die Verweigerung der Akteneinsicht und das in diesem Zusammenhang völlige Fehlen einer nachvollziehbaren Begründung im angefochtenen Bescheid Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

26 Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen war.

27 Von der Durchführung der von der beschwerdeführenden Partei beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

28 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und § 3 der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am