VwGH vom 31.01.2014, 2013/02/0083

VwGH vom 31.01.2014, 2013/02/0083

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Riedinger und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zlen. UVS- 07/S/14/1403/2012-12 und UVS-07/SV/14/1496/2012, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (mitbeteiligte Partei: Mag. F in W, vertreten durch Dr. Leonhard Romig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mahlerstraße 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Auf den vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

Mit Straferkenntnis vom verhängte der Magistrat der Stadt Wien gegen den Mitbeteiligten als verantwortlichen Beauftragten der P.-GmbH gemäß § 130 Abs. 1 Z. 10 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) eine Geldstrafe von EUR 560,--, weil diese Gesellschaft am auf einer näher bezeichneten Baustelle entgegen § 8 Abs. 4 ASchG die Anordnungen des Planungskoordinators insoweit nicht berücksichtigt hätte, als sie nach dem vom Planungskoordinator erstellten Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan verpflichtet gewesen wäre, zur Sicherung der Dacharbeiten ein Fassadengerüst sowie Arbeitsgerüste/Fanggerüste auf Gerüstkonsolen herzustellen, aber zum Tatzeitpunkt keine dieser im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan vorgesehenen Maßnahmen vorhanden gewesen wäre.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob unter anderem der Mitbeteiligte Berufung an die belangte Behörde.

Die belangte Behörde behob mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid dieses Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG mit der Begründung ein, dass vor Beginn der Dacharbeiten der Baustellenkoordinator den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan abgeändert hätte, sodass zur Tatzeit keine Verpflichtung bestanden habe, ein Fassadengerüst bzw. Arbeitsgerüste/Fanggerüste auf Gerüstkonsolen herzustellen. Diese Abänderung sei im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan nicht festgehalten worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende gemäß § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 erhobene Amtsbeschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Auch der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 8 ASchG lautet auszugsweise:

"(1) Werden in einer Arbeitsstätte, auf einer Baustelle oder einer auswärtigen Arbeitsstelle Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber beschäftigt, so haben die betroffenen Arbeitgeber bei der Durchführung der Sicherheits- und Gesundheitsbestimmungen zusammenzuarbeiten ...

(3) Werden auf einer Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber beschäftigt, so haben diese durch eine entsprechende Koordination der Arbeiten dafür zu sorgen, dass Gefahren für Sicherheit oder Gesundheit der auf der Baustelle beschäftigten Arbeitnehmer vermieden werden.

(4) Sind für eine solche Baustelle Personen mit Koordinationsaufgaben auf dem Gebiet des Arbeitnehmerschutzes beauftragt, so haben die Arbeitgeber bei der Umsetzung der Grundsätze der Gefahrenverhütung die Anordnungen und Hinweise dieser Personen zu berücksichtigen. Soweit dies zur Vermeidung von Gefahren für Sicherheit oder Gesundheit der Arbeitnehmer erforderlich ist, ist bei der Koordination, der Information und der Durchführung der Sicherheits- und Gesundheitsschutzbestimmungen auch auf jene auf einer Baustelle tätigen Personen Bedacht zu nehmen, die keine Arbeitnehmer sind."

Gemäß § 130 Abs. 1 Z. 10 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen die Koordinationspflichten verletzt.

Die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Anordnungen und Hinweise der Baustellenkoordinatoren zu berücksichtigen (§ 8 Abs. 4 erster Satz ASchG), besteht unter anderem darin, den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan einzuhalten. Die Unterlassung dieser Verpflichtung durch den Arbeitgeber stellt eine Verletzung der Koordinationspflichten dar, die durch die Strafnorm des § 130 Abs. 1 Z. 10 ASchG sanktioniert wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/02/0097).

§§ 4, 5 und 7 Bauarbeitenkoordinationsgesetz (BauKG) lauten auszugsweise:

"§ 4. (1) Der Bauherr hat dafür zu sorgen, dass die allgemeinen Grundsätze der Gefahrenverhütung gemäß § 7 ASchG bei Entwurf, Ausführungsplanung und Vorbereitung des Bauprojekts berücksichtigt werden, insbesondere bei der architektonischen, technischen und organisatorischen Planung, bei der Einteilung der Arbeiten, die gleichzeitig oder nacheinander durchgeführt werden, und bei der Abschätzung der voraussichtlichen Dauer für die Durchführung dieser Arbeiten.

(2) Der Planungskoordinator hat

...

2. einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan gemäß § 7 auszuarbeiten oder ausarbeiten zu lassen,

...

§ 5. (1) Der Baustellenkoordinator hat zu koordinieren:

1. Die Umsetzung der allgemeinen Grundsätze der Gefahrenverhütung gemäß § 7 ASchG bei der technischen und organisatorischen Planung, bei der Einteilung der Arbeiten, die gleichzeitig oder nacheinander durchgeführt werden, bei der Abschätzung der voraussichtlichen Dauer für die Durchführung dieser Arbeiten sowie bei der Durchführung der Arbeiten,

...

(3) Der Baustellenkoordinator hat

...

3. den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan und die Unterlage unter Berücksichtigung des Fortschritts der Arbeiten und eingetretener Änderungen anzupassen oder anpassen zu lassen,

...

§ 7. (1) Der Bauherr hat dafür zu sorgen, daß vor Eröffnung der Baustelle ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan erstellt wird für Baustellen, für die eine Vorankündigung gemäß § 6 erforderlich ist und für Baustellen, auf denen Arbeiten zu verrichten sind, die mit besonderen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verbunden sind.

...

(4) Der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan ist in der Vorbereitungsphase zu erstellen.

(5) Der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan ist bei Fortschritt der Arbeiten oder bei eingetretenen Änderungen unverzüglich anzupassen, falls dies zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer erforderlich ist. Vor der Anpassung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes sind nach Möglichkeit die Sicherheitsvertrauenspersonen der betroffenen Arbeitgeber anzuhören.

Wenn Änderungen des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes auf Grund von Entscheidungen oder Anordnungen des Bauherrn oder Projektleiters erfolgen, so ist dies im Plan festzuhalten.

(7) Der Bauherr hat dafür zu sorgen, daß die betroffenen Arbeitgeber, deren Präventivfachkräfte und Arbeitnehmer sowie die auf der Baustelle tätigen Selbständigen Zugang zum Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan haben."

Im vorliegenden Fall war in dem gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 BauKG vom Planungskoordinator ausgearbeiteten Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan vom / , zu dem die in § 7 Abs. 7 BauKG genannten Personen Zugang hatten, festgelegt, dass zur Sicherung der Dacharbeiten gemeinsame technische Absturzsicherungen, nämlich ein Fassadengerüst bzw. Arbeitsgerüste/Fanggerüste auf Gerüstkonsolen, von der P.- GmbH anzubringen sind.

Unstrittig ist, dass am keinerlei technische Absturzsicherungen vorhanden waren. Es besteht damit kein Zweifel, dass das objektive Tatbild des § 8 Abs. 4 erster Satz ASchG verwirklicht wurde.

Die belangte Behörde hat aber den Sachverhalt dahingehend angenommen, dass im Tatzeitpunkt der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan keine technischen Absturzsicherungen für die Dacharbeiten vorgesehen habe. Sie ging nämlich davon aus, dass der Baustellenkoordinator vor Beginn der Dacharbeiten eine Änderung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes vorgenommen, diese Änderung jedoch nicht im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan festgehalten habe.

Die einschlägigen Vorschriften des BauKG setzen voraus, dass es sich beim Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan um ein schriftliches Dokument handelt, in dem vom Planungskoordinator verbindliche Festlegungen getroffen werden.

Dem Baustellenkoordinator hingegen obliegt - wie die beschwerdeführende Partei zutreffend ausführt - nur mehr die begleitende Koordination der Umsetzung der klaren Vorgaben des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes in der Ausführungsphase. Der Funktion des Baustellenkoordinators kommt es nicht zu, initiativ Abweichungen von im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan verbindlich festgelegten Maßnahmen zu gestatten. Lediglich zur unverzüglichen Anpassung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes an den Fortschritt der Arbeiten oder bei eingetretenen Änderungen ist der Baustellenkoordinator verpflichtet (vgl. §§ 5 Abs. 3 Z. 3 und 7 Abs. 5 BauKG). Bei einer derartigen Anpassung geht das BauKG von der Schriftlichkeit und einer entsprechenden Publizität im Sinne des § 7 Abs. 7 BauKG aus.

Der auf Grund der Koordinationstätigkeit des Baustellenkoordinators angepasste Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan ist nämlich jeweils umgehend den beauftragten Unternehmen und Selbstständigen, einem allfällig bestellten Projektleiter und dem Bauherrn zu übermitteln, damit diese ihrer Verpflichtung zur Anwendung bzw. Beachtung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes nachkommen können (vgl. dazu Gartner , Bauarbeitenkoordinationsgesetz, 2005, 84, Rdn 7 zu § 5).

Eine lediglich mündliche Abänderung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes durch den Baustellenkoordinator im Rahmen einer Besprechung, wie sie von der belangten Behörde angenommen wurde, ist ohne rechtliche Relevanz.

Der Auffassung der beschwerdeführenden Partei, wonach eine mündlich vom Baustellenkoordinator gestattete Abweichung von den im Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan festgelegten Schutzmaßnahmen keinesfalls die Wirkung einer Abänderung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes entfalten kann, ist damit zuzustimmen.

Die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass auf Grund einer mündlichen Abänderung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes durch den Baustellenkoordinator im Tatzeitpunkt eine Verpflichtung zur Anbringung der vorgesehenen Absturzsicherungen nicht bestanden habe, entspricht damit nicht der Rechtslage.

Der angefochtene Bescheid ist daher inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am