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VwGH vom 20.10.2011, 2008/11/0208

VwGH vom 20.10.2011, 2008/11/0208

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des Sozialhilfeverbandes Vöcklabruck, vertreten durch Landl, Edelmann Thomasberger Rechtsanwaltspartnerschaft in 4840 Vöcklabruck, Stadtplatz 36, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. JUWO-4/157, betreffend Kostenersatz in Angelegenheiten der Sozialhilfe für Maßnahmen der Jugendwohlfahrt, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom wurde W und K N auf Grund des Antrages vom gemäß § 27 Oberösterreichisches Jugendwohlfahrtgesetz 1991 in Verbindung mit der Verordnung der Oberösterreichischen Landesregierung vom , LGBl. Nr. 146/2006, für die mit der Pflege der minderjährigen A T, geboren 2003, verbundenen Lasten ab , längstens jedoch bis zur Beendigung der vollen Erziehung Pflegegeld in der Höhe von monatlich EUR 397,41 (zuzüglich näher genannter Sonderzahlungen) und Bekleidungshilfe in der Höhe von jährlich EUR 616,71 gewährt.

Am zeigte der Sozialhilfeverband Vöcklabruck an die Bezirkshauptmannschaft Kufstein die Gewährung dieser sozialen Hilfen für die Minderjährige an und stellte den Antrag auf Anerkennung der Kostentragungspflicht durch das Land Tirol gemäß Art. 3 des Gesetzes über den Kostenersatz in Angelegenheiten der Sozialhilfe zwischen den Ländern, Tiroler LGBl. Nr. 30/1974 ("Ländervereinbarung"), weil sich das minderjährige Kind in den letzten sechs Monaten vor Gewährung der Hilfe zumindest fünf Monate hindurch in Tirol aufgehalten habe.

Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom wurde dieser Antrag gemäß Art. 3 in Verbindung mit Art. 7 des Gesetzes Tiroler LGBl. Nr. 30/1974 "i.d.g.F" (Tiroler LGBl. Nr. 58/2005) "abgelehnt". Die belangte Behörde führte zur Begründung im Wesentlichen aus, gemäß Art. 3 der genannten Ländervereinbarung sei jener Träger zum Kostenersatz verpflichtet, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende während der letzten sechs Monate vor Gewährung der Hilfe mindestens fünf Monate aufgehalten habe und der nach den für ihn geltenden landesrechtlichen Vorschriften die Kosten für Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zugrunde liegen, zu tragen hat. Das Pflegegeld und die Bekleidungshilfe für die Minderjährige seien vom an gewährt worden, daraus ergebe sich für die Berechnung nach Art. 3 der Ländervereinbarung der maßgebliche Zeitraum vom bis zum (sechs Monate). Innerhalb dieses Zeitraumes sei es zu keinem Aufenthalt der Minderjährigen in der Dauer von fünf Monaten in Tirol gekommen, weil sich die Minderjährige bereits ab dem während des Um- und Auszuges ihrer Mutter aus der Wohnung in Münster (Tirol) in Oberösterreich in St. Georgen bei ihrer Großmutter aufgehalten habe. Für die Bemessung des Aufenthalts gemäß Art. 3 der Ländervereinbarung sei der gewöhnliche Aufenthalt heranzuziehen, der mit in Oberösterreich begründet worden sei. Die fortgesetzte Meldung des Hauptwohnsitzes in Münster bis zum "schadet dem begründeten Aufenthalt in St. Georgen nicht", richte sich dieser doch gemäß § 66 JN ausschließlich nach den tatsächlichen Umständen. Auf Grund "der Umstände wie die Kündigung der Wohnung der Mutter in Münster", lasse sich eine Absicht erkennen, in Oberösterreich zu bleiben. Ebenso fänden sich die sozialen Beziehungen der Minderjährigen in St. Georgen. Somit sei von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Oberösterreich mit auszugehen. Daraus folge ein Aufenthalt in Tirol vom bis , somit von vier Monaten und 28 Tagen, was nach Art. 3 Abs. 1 der Ländervereinbarung nicht ausreiche.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die beschwerdeführende Partei die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Gesetzes vom über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe zwischen den Ländern Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg, LGBl. Nr. 30/1974, gilt die als Anlage des Gesetzes abgedruckte Vereinbarung zwischen den Ländern Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg über den Kostenersatz in Angelegenheiten der Sozialhilfe, soweit sie sich auf das Land Oberösterreich bezieht, als Gesetz.

Im Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen der Ländervereinbarung relevant:

"Artikel 1

Allgemeines

Die Träger der Sozialhilfe eines Vertragslandes - im Folgenden als Träger bezeichnet - sind verpflichtet, den Trägern eines anderen Vertragslandes die für Sozialhilfe aufgewendeten Kosten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu ersetzen.

Artikel 2

Kosten der Sozialhilfe

Zu den Kosten der Sozialhilfe gehören die Kosten, die einem Träger für einen Hilfesuchenden

a) nach den landesrechtlichen Vorschriften über die Sozialhilfe oder

b) nach den landesrechtlichen Vorschriften über die Jugendwohlfahrtspflege und nach dem Geschlechtskrankheitengesetz, StGBl. Nr. 152/1945, in der Fassung BGBl. Nr. 54/1946 erwachsen.

Artikel 3

Zuständigkeit

(1) Soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, ist jener Träger zum Kostenersatz verpflichtet, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende während der letzten sechs Monate vor Gewährung der Hilfe mindestens durch fünf Monate aufgehalten hat und der nach den für ihn geltenden landesrechtlichen Vorschriften die Kosten für Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zugrunde liegen, zu tragen hat.

(2) Bei der Berechnung der Fristen nach Abs. 1 haben außer Betracht zu bleiben:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a)
ein Aufenthalt im Ausland bis zur Dauer von zwei Jahren;
b)
der Aufenthalt in einer Anstalt oder in einem Heim, das nicht in erster Linie Wohnzwecken dient;
c)
die Zeit der Unterbringung eines Minderjährigen unter 16 Jahren in fremder Pflege;
d)
die Zeit, während welcher Sozialhilfe, öffentliche Jugendwohlfahrtspflege oder Behindertenhilfe gewährt wird, sofern eine derartige Maßnahme einen den örtlichen Zuständigkeitsbereich eines Trägers überschreitenden Aufenthaltswechsel bedingt hat;
e)
bei Frauen ein Zeitraum von 302 Tagen vor der Entbindung.

(3) Wenn sich für einen aus dem Ausland kommenden Hilfesuchenden nach Abs. 1 und 2 ein zum Kostenersatz verpflichteter Träger nicht ermitteln läßt, so obliegt die Verpflichtung zum Kostenersatz jenem Träger, in dessen Bereich der Hilfesuchende geboren ist. Wurde der Hilfesuchende im Ausland geboren, so ist der Geburtsort des Vaters, bei unehelichen Kindern und bei Hilfesuchenden, deren Vater im Ausland geboren wurde, der Geburtsort der Mutter maßgebend.

(4) Wird einem unehelichen Kind bei der Geburt oder innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt Hilfe geleistet, so ist jener Träger zum Kostenersatz verpflichtet, der die Kosten einer Hilfe für die Mutter im Zeitpunkt der Entbindung zu ersetzen hat bzw. zu ersetzen hätte.

...

Artikel 6

Anzeigepflicht

Der Träger, dem im Sinne des Art. 2 Kosten erwachsen, hat dem voraussichtlich zum Kostenersatz verpflichteten Träger die Hilfeleistung unverzüglich, längstens aber innerhalb von sechs Monaten ab Beginn der Hilfeleistung anzuzeigen und diesem hiebei alle für die Beurteilung der Kostenersatzpflicht maßgebenden Umstände mitzuteilen. Desgleichen ist jede Änderung dieser Umstände längstens innerhalb von sechs Monaten mitzuteilen.

Artikel 7

Streitfälle, Verfahren

Über die Verpflichtung zum Kostenersatz hat im Streitfalle die Landesregierung, in deren Bereich der zum Kostenersatz angesprochene Träger liegt, im Verwaltungsweg zu entscheiden.

..."

Die beschwerdeführende Partei macht im Wesentlichen geltend, die belangte Behörde gehe zu Unrecht davon aus, dass die Minderjährige ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Tirol lediglich in einer Dauer von weniger als fünf Monaten innerhalb des Zeitraumes von sechs Monaten vor der Gewährung der Hilfe gehabt habe. Maßgeblich seien die tatsächlichen Aufenthaltsverhältnisse. Es sei im Verwaltungsverfahren dargelegt worden, dass die Minderjährige bis zum in Tirol wohnhaft und aufhältig gewesen sei, jedenfalls aber in den maßgeblichen sechs Monaten vor Beginn der Gewährung der Hilfe zumindest fünf Monate. Die Behörde selbst sei in einem Schreiben vom davon ausgegangen, dass die Minderjährige bis ca. "Ende Mai" (2007) in Tirol aufhältig gewesen sei. Besuche bei der Großmutter während der Osterferien seien entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht abzuziehen, zumal ein kurzfristiger Aufenthalt in Oberösterreich den gewöhnlichen Aufenthalt in Tirol nicht unterbrochen habe. Die belangte Behörde habe keinerlei Beweise aufgenommen, auch die Annahme der Behörde, dass die Minderjährige bereits ab dem bei der Großmutter in Oberösterreich aufhältig gewesen, beruhe auf keinem schlüssigen Beweis. Die Minderjährige habe seit ihrer Geburt im Juni 2003 in Tirol bei ihrer Mutter gelebt und auch diverse soziale Kontakte gepflegt, mit ihren Freundinnen am Spielplatz gespielt und den Kindergarten bzw. Spielgruppen besucht, wo sie integriert gewesen sei. Die belangte Behörde sei ihrer Verpflichtung, den Sachverhalt vollständig zu ermitteln, nicht nachgekommen. Sie habe es insbesondere unterlassen, die Kindesmutter und die Großmutter der Minderjährigen einzuvernehmen, woraus sich die genannten maßgeblichen Feststellungen ergeben hätten. Die belangte Behörde habe es auch unterlassen, die beschwerdeführende Partei vom Ergebnis ihrer Ermittlungen in Kenntnis zu setzen und ihr Gelegenheit zu geben, dazu Zustellung zu nehmen.

Dieses Vorbringen ist im Ergebnis zielführend.

Auszugehen ist von der Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 der Ländervereinbarung, wonach der Sozialhilfeträger jenes Landes zum Kostenersatz verpflichtet ist, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende während der letzten sechs Monate vor Gewährung der Hilfe mindestens durch fünf Monate aufgehalten hat.

Die belangte Behörde begründet ihre Entscheidung damit, dass der Aufenthalt der Minderjährigen in Tirol mit Ablauf des beendet worden sei, sodass der Aufenthalt nur "vier Monate und 28 Tage" gedauert hätte, zumal - unbestritten - die Frist ab dem zu berechnen sei.

Wie die belangte Behörde zur Feststellung gelangte, der Aufenthalt der Minderjährigen in Tirol sei mit Ablauf des beendet worden, führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht aus, eine derartige Feststellung kann auch aus den Unterlagen des Verwaltungsaktes nicht schlüssig abgeleitet werden. Bei Durchsicht der einzelnen Ermittlungsunterlagen der belangten Behörde ergeben sich auch Anhaltspunkte dafür, dass die Minderjährige erst zum Zeitpunkt der Wohnungsauflösung ihrer Mutter in Tirol am in die Obhut der Großmutter (in Oberösterreich) gegeben worden sei (so im Schreiben der belangten Behörde vom ). Die Mutmaßungen der belangten Behörde, dass die Beendigung des Aufenthalts der Minderjährigen in Tirol im Zusammenhang mit der Wohnungsauflösung der Mutter gestanden sei, lassen kein konkretes Datum erkennen, wann die Minderjährige Tirol verließ. In den bereits erwähnten Schreiben vom an die beschwerdeführende Partei führte die belangte Behörde an, dass die Minderjährige "ab der Woche des Um- und Auszuges der Mutter aus der Wohnung … in Münster" in Oberösterreich gewesen sei und fügte hinzu "das wäre beginnend mit ", woraus ersichtlich ist, dass dieses Datum keineswegs als sicher angenommen werden kann. Die belangte Behörde hat es auch unterlassen, die Mutter und die Großmutter des Kindes zum Sachverhalt einzuvernehmen. In ihrem Schreiben vom teilt die beschwerdeführende Partei der belangten Behörde mit, dass sich die Minderjährige bis zum in Tirol aufgehalten habe. Aus welchen Gründen die belangte Behörde diese Angaben als wiederlegt ansah, ist nicht erkennbar. Gerade auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem es um wenige strittige Tage geht, die für die Berechtigung eines Anspruches entscheidend sind, muss verlangt werden, dass sich die Behörde mit den hier maßgeblichen Verhältnissen eingehend auseinandersetzt und konkrete, schlüssig nachvollziehbare Feststellungen trifft, was die belangte Behörde unterlassen hat.

Da der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften verletzt hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am