VwGH vom 11.06.2018, Ra 2018/11/0080
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des T S L in H, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , Zl. LVwG-650915/14/Zo/JW, betreffend nachträgliche Einschränkung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit mündlich verkündetem Bescheid vom schränkte die belangte Behörde die Lenkberechtigung des Revisionswerbers für die Klassen AM, A1, A2, A, B, C1, C, E+B, E+C1, E+C und F gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 des Führerscheingesetzes (FSG) nachträglich ein:
Die Lenkberechtigung wurde einerseits bis befristet, andererseits wurden Auflagen auferlegt. Der Revisionswerber habe alle drei Monate, gerechnet ab (dem Datum des amtsärztlichen Gutachtens), bis jeweils spätestens , , , und eine Haarprobe (EtG) mit einer Haarlänge von 3 cm auf die Dauer von 18 Monaten bei der belangten Behörde abzugeben (Code 104). Des weiteren habe der Revisionswerber Code 05.08 einzuhalten ("kein Alkohol"). Darüber hinaus wurde eine Nachuntersuchung durch den Amtsarzt in 18 Monaten mit aktueller Haarprobe vorgeschrieben. Überdies wurde dem Revisionswerber empfohlen, regelmäßig (alle drei Monate) an den Alkoholberatungen der "Alkoholberatung Land Oberösterreich" teilzunehmen.
2 Die Bescheidbegründung beschränkt sich auf die Feststellung, im amtsärztlichen Gutachten vom sei festgestellt worden, dass derzeit die gesundheitliche Eignung des Revisionswerbers zum Lenken von Kraftfahrzeugen "jedoch befristet wegen auffälliger Fahrvorgeschichte gegeben ist".
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom mit der Maßgabe ab, dass die oben wiedergegebene Passage zu entfallen habe. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht gemeinsam mit den Akten des Verfahrens vorgelegte (außerordentliche) Revision.
5 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 1.1. Das FSG lautet (auszugsweise):
"Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
...
2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen,
Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß § 13 Abs. 5 ein neuer Führerschein auszustellen.
..."
8 1.2. Die Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung (FSG-GV)
lautet (auszugsweise):
"Allgemeines
§ 2. (1) Das ärztliche Gutachten hat gegebenenfalls auszusprechen:
1. ob und nach welchem Zeitraum eine amtsärztliche
Nachuntersuchung erforderlich ist,
2. ob und in welchen Zeitabständen ärztliche
Kontrolluntersuchungen erforderlich sind,
...
4. ob der Bewerber oder Führerscheinbesitzer nur unter
zeitlichen, örtlichen oder sachlichen Beschränkungen zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet ist.
Werden in den Fällen der §§ 5 bis 16 ärztliche Kontrolluntersuchungen als Auflage vorgeschrieben, so dürfen diese niemals alleine, sondern immer nur in Verbindung mit einer Befristung der Lenkberechtigung und einer amtsärztlichen Nachuntersuchung bei Ablauf dieser Befristung verfügt werden.
...
(3) Im Falle, daß das ärztliche Gutachten eine amtsärztliche Nachuntersuchung oder ärztliche Kontrolluntersuchungen oder die Verwendung von bestimmten Körperersatzstücken oder Behelfen vorschreibt, ist die Lenkberechtigung nur bis zu dem Zeitpunkt der nächsten amtsärztlichen Nachuntersuchung befristet, erforderlichenfalls unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen, oder unter der Auflage der Verwendung dieser Körperersatzstücke oder Behelfe zu erteilen. Die Befristung oder Auflage ist gemäß § 13 Abs. 2 FSG in den Führerschein einzutragen. Werden ärztliche Kontrolluntersuchungen als Auflage vorgeschrieben, so ist der Befund oder das Gutachten in den vorgeschriebenen Zeitabständen gemeinsam mit dem Führerschein der Behörde vorzulegen.
...
Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen
§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften
1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,
...
...
(5) Personen mit einer fortschreitenden Erkrankung kann eine Lenkberechtigung befristet erteilt oder belassen werden unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und amtsärztlicher Nachuntersuchungen. Die Auflage kann aufgehoben werden, sobald sich die Erkrankung oder Behinderung stabilisiert hat.
...
Gesundheit
§ 5. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:
...
4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13 sowie:
a) Alkoholabhängigkeit oder
...
(2) Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung zur Feststellung der Gesundheit gemäß Abs. 1 Z 1 ein krankhafter Zustand ergibt, der die Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist gegebenenfalls eine fachärztliche Stellungnahme einzuholen; bei Erkrankungen gemäß Abs. 1 Z 2, 3 und 4 ist eine entsprechende fachärztliche Stellungnahme einzuholen, die die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitzubeurteilen hat. Bei Erkrankungen gemäß Abs. 1 Z 4 lit. a und b ist zusätzlich eine verkehrspsychologische Stellungnahme einzuholen.
...
Alkohol, Sucht- und Arzneimittel
§ 14.
...
(5) Personen, die alkohol-, suchtmittel- oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Mißbrauch begangen haben, ist nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen.
..."
9 2. Die Revision ist schon deshalb zulässig, weil das Verwaltungsgericht, wie im Folgenden zu zeigen ist, die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung außer Acht gelassen hat.
10 3. Die Revision ist auch begründet.
11 3.1.1. Das Verwaltungsgericht legt seinem Erkenntnis, soweit im Folgenden von Belang, folgende, großteils mit bloßen Wiedergaben des Verfahrensganges vermengte Annahmen zugrunde:
12 Dem Revisionswerber sei seine Lenkberechtigung in den Jahren 2005 und 2011 jeweils wegen eines schweren Alkoholdeliktes entzogen worden (Alkoholisierungsgrad jeweils ca 2,3 Promille). Im August 2016 sei ihm die Lenkberechtigung wegen einer Verweigerung des Alkotests für die Dauer von 9 Monaten entzogen worden. In der aufgetragenen verkehrspsychologischen Stellungnahme vom sei die Bereitschaft des Revisionswerbers zur Verkehrsanpassung verneint worden, ungeachtet einer behaupteten Alkoholkarenz beginnend mit dem Jahreswechsel 2016/17.
13 Nach Vorlage dreier unauffälliger CDT-Werte vom Februar, März und April 2017 sei der Facharzt für Psychiatrie Dr. S. in einer Stellungnahme zu der Diagnose gelangt, dass beim Revisionswerber seit vielen Jahren ein Alkoholmissbrauch mit massiv erhöhtem Alkoholkonsum bestehe. Nicht feststellbar sei im Nachhinein, inwieweit bereits ein Alkoholabhängigkeitssyndrom gegeben sei. Empfohlen worden sei eine Befristung der Lenkberechtigung für 18 Monate mit quartalsweiser Vorlage von Haaranalysen auf "EtG".
14 Der Revisionswerber habe in weiterer Folge das unauffällige Ergebnis einer Haaranalyse vom vorgelegt.
15 Die Amtsärztin der belangten Behörde habe in ihrem Gutachten vom , auf dessen Grundlage der Bescheid der belangten Behörde ergangen sei, dieselbe Vorgangsweise wie Dr. S für erforderlich gehalten.
16 Der Revisionswerber habe am 30. August und am neuerlich unauffällige Ergebnisse von Haaranalysen vorgelegt.
17 "Unter Berücksichtigung der angeführten Stellungnahmen" sei eine Amtsärztin des Amtes der oberösterreichischen Landesregierung in ihrem Gutachten vom zu dem Ergebnis gekommen, dass entsprechend der fachärztlichen Stellungnahme nicht nur Hinweise für einen Alkoholmissbrauch, sondern auch ein deutlicher Verdacht auf Alkoholabhängigkeit bestehe. Der bisher erbrachte Abstinenznachweis sei wegen des jahrelangen Alkoholkonsums mit drei Trunkenheitsdelikten zu kurz, um eine langfristige Verhaltensänderung als realistisch einstufen zu können. Es müsse angenommen werden, dass bei neuerlichen Trinkanlässen eine Trennung von Alkoholkonsum und Fahren nicht erfolgen werde. Der Kontrollzeitraum ergebe sich aus den drei angeführten Delikten. Aufgrund empirischer Daten und einschlägiger Fachliteratur bestehe bei drei Delikten eine Rückfallhäufigkeit von 60 bis 70 %. Auch die vom Facharzt vorgeschlagene Einschränkung der Lenkberechtigung auf Fahrten mit 0,1 Promille sei zu befürworten. Durch die kontinuierliche Vorlage von Haaranalysen könne die geforderte Abstinenz nachgewiesen werden.
18 3.1.2. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe der fachärztlichen Beurteilung nicht auf gleicher Ebene widersprochen. Bei ihm liege ein gehäufter Alkoholmissbrauch in der Vergangenheit vor, "weshalb die Lenkberechtigung nur unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen wieder ausgefolgt werden durfte". Die Lenkberechtigung sei daher entsprechend einzuschränken gewesen.
19 3.2. Die Revision erblickt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses ua. darin, dass das Verwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, obwohl es von einer Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes ausgegangen sei. Überdies habe es den Bescheid der belangten Behörde, der mangels Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde nicht vorläufig wirksam geworden sei, bestätigt, ohne die in diesem Bescheid genannten Abgabetermine für die auferlegten Haaranalysen neu zu bestimmen.
20 3.3. Bereits damit zeigt die Revision eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.
21 3.3.1. Der Bescheid der belangten Behörde, mit dem - bezogen auf den 18 monatigen Befristungszeitraum - ausdrücklich Abgabetermine für die abverlangten Haaranalysen bestimmt wurden, ist mangels Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Beschwerde nicht vorläufig wirksam geworden. Wenn das Verwaltungsgericht, wie im Revisionsfall, auch im Zeitpunkt seiner die Beschwerde abweisenden und den angefochtenen Bescheid bestätigende Entscheidung über die Beschwerde eine Befristung der Lenkberechtigung unter der Auflage von periodischen Kontrolluntersuchungen für erforderlich hielt, so hätte es den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde in Übereinstimmung mit dem neu bestimmten Befristungszeitraum - 18 Monate ab seiner eigenen, ex nunc wirkenden Entscheidung - hinsichtlich der Abgabetermine anzupassen gehabt. Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass die beiden ersten Abgabetermine einer rechtmäßigen Bestätigung durch das Verwaltungsgericht nicht mehr zugänglich waren, weil sie im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits in der Vergangenheit lagen (vgl. in diesem Zusammenhang zur Rechtswidrigkeit der Bestätigung in der Vergangenheit liegender Entziehungszeiträume zB mwN). Im übrigen steht die Bestätigung der im Bescheid der belangten Behörde angegebenen Abgabetermine in einem Widerspruch zum neu bestimmten Befristungszeitraum.
22 3.3.2. Ebenfalls zutreffend weist die Revision darauf hin, dass das Verwaltungsgericht, wie seine Einholung weiterer Gutachten zeigt, davon ausgegangen ist, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt noch nicht feststand. Ungeachtet des Umstands, dass der anwaltlich vertretene Revisionswerber in seiner Beschwerde eine mündliche Verhandlung nicht beantragt hatte, durfte das Verwaltungsgericht von der Durchführung einer Verhandlung nicht absehen, weil es nicht davon ausgehen durfte, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließe (vgl. mwN). Es sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung über eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung im Lichte der Entscheidung des EGMR Becker gegen Österreich (Urteil vom ) eine solche über "civil rights" iSd. Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellt (vgl. ).
23 3.3.3. Das angefochtene Erkenntnis war bereits aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf die weiteren geltend gemachten Gründe für die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses eingegangen zu werden brauchte.
24 3.3.4. Für das fortzusetzende Verfahren sieht sich der Verwaltungsgerichtshof veranlasst, entgegen dem Revisionsvorbringen, eine vorliegende Erkrankung mit Verschlechterungstendenz sei nicht festgestellt worden, auf das Erkenntnis vom , Ra 2016/11/0088 hinzuweisen. In diesem Erkenntnis, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass bei einer bereits zurückliegenden Alkoholabhängigkeit ebenso wie einem in der Vergangenheit liegenden gehäuften Missbrauch von Alkohol schon § 14 Abs. 5 FSG-GV der Annahme einer uneingeschränkten gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen entgegensteht (vgl. in diesem Sinne im Zusammenhang mit gehäuftem Missbrauch von Suchtgift in der Vergangenheit auch ) und auch die Belassung einer bestehenden Lenkberechtigung nur befristet unter der Auflage von entsprechenden Kontrolluntersuchungen zulässig ist.
25 Voraussetzung für eine Vorgehen nach § 14 Abs. 5 FSG GV wäre freilich, dass das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit oder eines gehäuften Missbrauchs mit Alkohol in der Vergangenheit mängelfrei festgestellt ist.
26 4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110080.L00 |
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Fundstelle(n):
TAAAE-77936