VwGH vom 11.06.2018, Ra 2018/11/0073

VwGH vom 11.06.2018, Ra 2018/11/0073

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des Finanzamts Innsbruck gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2017/40/2707-2, betreffend Freierklärung einer Sicherheitsleistung nach § 7m Abs. 8 AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck; mitbeteiligte Partei: A GmbH in I, vertreten durch Dr. Kurt Bayr, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Antrag der belangten Behörde auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Nach einer am durchgeführten finanzpolizeilichen Kontrolle der auf einer Baustelle in Innsbruck anwesenden Arbeitskräfte der slowenischen Firma A., für die keine Lohnunterlagen in deutscher Sprache bereitgehalten worden waren, verfügte die Finanzpolizei am gegen die Mitbeteiligte als Auftraggeberin der Firma A. einen Zahlungsstopp in der Höhe von EUR 24.000,--.

Aufgrund des gemäß § 7m Abs. 3 AVRAG ergangenen Bescheides der Bürgermeisterin von Innsbruck vom erlegte die Mitbeteiligte als Sicherheit den Betrag von EUR 24.000,--, welcher am auf dem Konto des Stadtmagistrats Innsbruck einging. Mit Bescheid der Bürgermeisterin von Innsbruck vom wurde die Sicherheit gemäß § 7m Abs. 8 des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG) für frei erklärt und die Auszahlung des Betrags von EUR 24.000,-- an die Mitbeteiligte verfügt.

2 Die dagegen am erhobene Beschwerde des revisionswerbenden Finanzamtes (aus der sich ergibt, dass bereits rechtskräftig Strafen nach § 7i Abs. 4 Z 1 AVRAG in der Höhe von EUR 26.400,-- verhängt, aber nicht vollzogen worden waren) wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis ab. Begründend führte es nach Wiedergabe des § 7m AVRAG aus, dessen Abs. 8 entspreche im Wesentlichen § 37 Abs. 4 VStG, nach dem die Sicherheit frei werde, wenn das Verfahren eingestellt werde oder die Strafe vollzogen sei oder nicht binnen eines Jahres der Verfall ausgesprochen worden sei. Gestützt auf Literatur und hg. Judikatur zu § 37 VStG vertrat das Verwaltungsgericht die Ansicht, die Einjahresfrist beginne mit der Einhebung der Sicherheitsleistung zu laufen und ende auch dann nach zwölf Monaten, wenn der Sicherheitszweck noch fortbestehe. Da die am geleistete Sicherheit bis nicht für verfallen erklärt worden sei, sei sie für frei zu erklären und ihre Auszahlung an die Mitbeteiligte zu verfügen gewesen.

Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision unzulässig sei.

3 Gegen dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende, unter Anschluss der Verfahrensakten vorgelegte außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde und die Mitbeteiligte Revisionsbeantwortungen jeweils mit dem Antrag erstattet haben, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.

4 Die Zulässigkeit der Revision wird damit begründet, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, wann die Frist für die Freistellung einer einbehaltenen Sicherheit iSd

§ 7m Abs. 8 AVRAG zu laufen beginnt. Von grundsätzlicher Bedeutung sei diese Rechtsfrage auch deshalb, weil der inzwischen außer Kraft gesetzte § 7m AVRAG inhaltlich nahezu unverändert durch

§ 34 LSD-BG ersetzt worden "und so quasi weiter anzuwenden" sei.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

6 Die Revision ist aus dem in ihrer Zulässigkeitsbegründung genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

7 Die Bestimmungen über die Sicherheitsleistung wurden mit BGBl. I Nr. 24/2011 in das AVRAG eingeführt. Die den im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des AVRAG über die Sicherheitsleistung entsprechenden Normen lauteten damals:

"§ 7k. (1) ...

...

(6) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Sicherheit für frei zu erklären, wenn das Verfahren eingestellt wird oder die gegen den/die Auftragnehmer/in oder den/die Überlasser/in verhängte Strafe vollzogen ist, oder nicht binnen eines Jahres der Verfall ausgesprochen wurde. Die Sicherheit ist auch dann für frei zu erklären, wenn sie vom/von der Auftragnehmer/in oder dem/der Überlasser/in erlegt wird. Frei gewordene Sicherheiten sind an den/die Auftraggeber/in oder den/die Beschäftiger/in auszuzahlen.

(7) Die Bezirksverwaltungsbehörde kann die Sicherheit für verfallen erklären, sobald sich die Strafverfolgung des Auftragnehmers oder der Aufragnehmerin oder des Überlassers oder der Überlasserin oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist. § 17 VStG ist sinngemäß anzuwenden."

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1076 BlgNR 24. GP, 9) heißt es zu diesen Bestimmungen:

"§ 7k Abs. 6 ordnet nach Vorbild des § 37 Abs. 4 VStG an, dass die Sicherheit von der Bezirksverwaltungsbehörde für frei zu erklären ist, wenn das Verfahren eingestellt wird oder die gegen den/die Auftragnehmer/in oder den/die Überlasser/in verhängte Strafe vollzogen ist oder nicht binnen eines Jahres der Verfall ausgesprochen wurde. Die Sicherheit ist auch dann für frei zu erklären, wenn sie vom/von der Auftragnehmer/in oder dem/der Überlasser/in erlegt wird. Frei gewordene Sicherheiten sind an den/die Auftraggeber/in oder den/die Beschäftiger/in auszuzahlen.

Im Hinblick auf die zu erwartende Dauer des Verwaltungsverfahrens im Bereich der Unterentlohnung einerseits sowie im Hinblick auf die bisher gewonnenen allgemeinen Erfahrungen bei der grenzüberschreitenden Verfolgung von Verwaltungsdelikten andererseits wird die Frist, die der Bezirksverwaltungsbehörde zur Verfallserklärung bleibt, abweichend von § 37 Abs. 4 erster Satz VStG mit einem Jahr festgelegt.

§ 7k Abs. 7 sieht in Anlehnung an § 37 Abs. 5 VStG vor, dass die Bezirksverwaltungsbehörde die Sicherheit für verfallen zu erklären hat, sobald sich die Strafverfolgung des Auftragnehmers oder der Aufragnehmerin oder des Überlassers oder der Überlasserin oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist. Im Übrigen sind die Regelungen des § 17 VStG sinngemäß anzuwenden."

Durch die Novelle BGBl. I Nr. 94/2014 erfuhren § 7k Abs. 6 und 7 AVRAG keine inhaltliche Veränderung, erhielten jedoch die Bezeichnung "§ 7m Abs. 8 und 9".

§ 7m Abs. 8 AVRAG wurde durch die Novelle BGBl. I Nr. 113/2015 um einen neuen zweiten Satz ergänzt. In dieser Fassung, die im Revisionsfall maßgeblich ist, lauten § 7m Abs. 8 und 9 AVRAG:

"(8) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Sicherheit für frei zu erklären, wenn das Verfahren eingestellt wird oder die gegen den/die Auftragnehmer/in oder den/die Überlasser/in verhängte Strafe vollzogen ist, oder nicht binnen eines Jahres der Verfall ausgesprochen wurde. In Verfahren nach § 7i Abs. 5 findet der erste Satz Anwendung mit der Maßgabe, dass die Sicherheit für frei zu erklären ist, wenn nicht binnen zwei Jahren der Verfall ausgesprochen wurde. Die Sicherheit ist auch dann für frei zu erklären, wenn sie vom/von der Auftragnehmer/in oder dem/der Überlasser/in erlegt wird. Frei gewordene Sicherheiten sind an den/die Auftraggeber/in oder den/die Beschäftiger/in auszuzahlen.

(9) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Sicherheit für verfallen zu erklären, sobald sich die Strafverfolgung des Auftragnehmers oder der Aufragnehmerin oder des Überlassers oder der Überlasserin oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist. § 17 VStG ist sinngemäß anzuwenden."

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (692 BlgNR 25. GP, 12) heißt es dazu:

"Nach geltender Rechtslage hat die Bezirksverwaltungsbehörde die Sicherheit unter anderem für frei zu erklären, wenn nicht binnen eines Jahres der Verfall ausgesprochen wurde. Dies setzt nach § 7m Abs. 9 AVRAG voraus, dass sich die Strafverfolgung des/der Auftragnehmers/Auftragnehmerin oder des/der Überlassers/Überlasserin als unmöglich erweist. Nach den Erfahrungen aus der Verwaltungspraxis hat sich die einjährige Frist für die Erbringung des Nachweises der tatsächlichen Unmöglichkeit von Strafverfolgung oder Strafvollzug im Bereich der Verwaltungsstrafverfahren wegen Unterentlohnung als zu kurz erwiesen. Um sicherzustellen, dass seitens der Bezirksverwaltungsbehörden die rechtlichen Voraussetzungen des § 7m Abs. 8 AVRAG für den Verfall der Sicherheit verantwortungsvoll und ordnungsgemäß überprüft und die zu gewährenden Parteienrechte eingeräumt werden können, soll die diesbezügliche Entscheidungsfrist auf zwei Jahre ausgedehnt werden. Diese Entscheidungsfrist erscheint im Hinblick auf die dreijährige Verfolgungsverjährungsfrist ab Fälligkeit des Entgelts (siehe § 7i Abs. 7 AVRAG) als noch verhältnismäßig."

8 Im Revisionsfall ist unstrittig, dass der Verfall der am geleisteten Sicherheit nicht binnen eines Jahres ab dem genannten Datum ausgesprochen wurde. Anders als das Verwaltungsgericht geht das revisionswerbende Finanzamt davon aus, dass "Anknüpfungspunkt für die Fristberechnung bzw. für den Beginn der Frist für den Ausspruch des Verfalls nicht jener der Einbezahlung der Sicherheit sein" könne, sondern der Zeitpunkt, "ab dem sich die Strafverfolgung des Auftragnehmers oder Überlassers oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist". Die §§ 37 und 37a VStG und die dazu ergangene Judikatur seien vorliegend nicht maßgebend, da die Sicherheit nicht vom Beschuldigten sondern von einem Dritten eingehoben werde. Dadurch solle "eine effektive ‚Besicherung' des Verwaltungsstrafverfahrens bzw. einer allfälligen Geldstrafe garantiert werden". Dieser Zweck würde "durch eine fixe Festlegung des Zeitpunktes, ab dem die Sicherheit für verfallen oder für frei zu erklären ist (...), konterkariert werden".

9 Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, worin der Unterschied hinsichtlich der Effektivität der Besicherung liegt, je nachdem, ob die Sicherheit vom Beschuldigten oder einem Dritten erlegt wurde, sprechen die zitierten Gesetzesmaterialien gegen die Auffassung des revisionswerbenden Finanzamtes. So war bei der Schaffung des § 7k Abs. 6 AVRAG im Jahr 2011 vom Vorbild des § 37 Abs. 4 VStG die Rede, dessen Frist im Hinblick auf die zu erwartende Verfahrensdauer im Bereich des AVRAG jedoch verlängert werden müsse. Es wurde somit vom selben Verständnis des Fristbeginns ausgegangen, wie er § 37 Abs. 4 VStG bereits lange Zeit zugrunde lag (vgl. das vom Verwaltungsgericht zitierte Erkenntnis , wonach die Frist vom Zeitpunkt der Einhebung der Sicherheit zu berechnen ist). Bestätigt wird dies durch die Materialien zu § 7m Abs. 8 AVRAG aus dem Jahr 2015, wo die Einführung einer Zweijahresfrist bei Verwaltungsstrafverfahren wegen Unterentlohnung damit begründet wird, dass sich die einjährige Frist für die Erbringung des Nachweises der tatsächlichen Unmöglichkeit von Strafverfolgung oder Strafvollzug in diesem Bereich als zu kurz erwiesen hat. Diese Aussage würde jeder Grundlage entbehren, ginge man mit der Revision davon aus, dass die Frist erst in jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, "ab dem sich die Strafverfolgung des Auftragnehmers oder Überlassers oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist".

10 Weder im Gesetz noch in den Materialien finden sich Anhaltspunkte dafür, die Einjahresfrist für den Ausspruch des Verfalls könnte - anders als bei § 37 Abs. 4 VStG, auf den sich die Materialien berufen - nicht mit dem Erlag der Sicherheit beginnen. Dem Verwaltungsgericht ist daher nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausging, die von der Mitbeteiligten am geleistete Sicherheit sei mangels eines bis ausgesprochenen Verfalls gemäß § 7m Abs. 8 AVRAG für frei zu erklären.

11 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

12 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Der Antrag der belangten Behörde, ihr für die Revisionsbeantwortung Aufwandersatz zuzuerkennen, war abzuweisen, weil der Rechtsträger iSd. § 47 Abs. 5 VwGG, der einerseits zum Aufwandersatz verpflichtet und dem andererseits der Aufwandersatz zufließen würde, im vorliegenden Fall derselbe ist (vgl. etwa , mwN).

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110073.L00
Schlagworte:
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

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