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VwGH vom 22.05.2014, 2013/01/0045

VwGH vom 22.05.2014, 2013/01/0045

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schweda, über die Beschwerde des K M in A, vertreten durch Dr. Maximilian Hofmaninger, Rechtsanwalt in 4840 Vöcklabruck, Stadtplatz 11, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom , Zl. Sich20-13028-2013, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung nach dem SPG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 65 Abs. 1 in Verbindung mit § 77 Abs. 2 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) und § 19 AVG aufgefordert sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung bei der Polizeiinspektion A zu unterziehen und an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Wortlautes der §§ 65 Abs. 1, 77 Abs. 2 und 16 Abs. 2 SPG aus, der Beschwerdeführer sei am vom Landeskriminalamt O der Staatsanwaltschaft W zur Strafanzeige gebracht worden, weil er verdächtig sei, "Vergehen und Verbrechen nach §§ 83, 84/2, 99/2, 106/1, 107b/3, 135/1, 223, 229/1 StGB" begangen zu haben. Ende 2009/Anfang 2010 sowie im Sommer 2010 habe er seine damalige Ehegattin (LM) in der gemeinsamen Wohnung in U tätlich angegriffen und verletzt. Laut Abschlussbericht (des Landeskriminalamtes) habe der Beschwerdeführer den Reisepass und Aufenthaltstitel der "Ex-Gattin" (damit gemeint: LM) aus der Wohnung in U entwendet und Tage zuvor für drei Personen einen Flug von W nach T (Albanien) für gebucht. Gemeinsam mit anderen habe er LM gezwungen, die Nacht zum in der Wohnung seiner Eltern zu verbringen, damit LM nicht habe weglaufen können. Der Beschwerdeführer habe LM zum Flughafen W gebracht; etwa eine Stunde vor dem Abflug (mit AUA-Flug OS XY) nach T sei LM medikamentös in einen willen- und wehrlosen Zustand versetzt und dann genötigt worden, eine (vom Beschwerdeführer) vorgefertigte Verzichtserklärung auf sämtliche Vermögensansprüche zu unterschreiben. Mit Wissen und Tatbeteiligung des Beschwerdeführers hätten seine Eltern LM nach Albanien entführt. In einem Schreiben an den Lehrberechtigten betreffend die Kündigung des Lehrverhältnisses habe der Beschwerdeführer die Unterschrift der "Ex-Gattin" (LM) gefälscht.

Die dem Beschwerdeführer (gemeint im Verdachtsbereich) angelasteten Straftaten - nämlich schwere Körperverletzung, Freiheitsentziehung, schwere Nötigung, fortgesetzte Gewaltausübung, dauernde Sachentziehung, Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung - würden die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung rechtfertigen. Die minuziöse Planung "der Tat" und die Art der Tatbegehung lasse "auf enorm hohe kriminelle Energie" bei der Person des Beschwerdeführers schließen. Daher sei zu befürchten, dass er in ähnlichen Situationen oder sonstigen Herausforderungen des Lebens - sei es aus Rache oder sonst niederen Beweggründen - mit ähnlicher krimineller Energie strafbare Handlungen begehen könnte. Darüber hinaus bestehe - wie beim Landeskriminalamt O am habe erhoben werden können - weiterhin die Befürchtung, dass im Zuge des Gerichtsverfahrens "die Geschädigten" neuerlich Repressalien von Seiten des Beschwerdeführers ausgesetzt sein könnten. Aufgrund des zugrunde gelegten Sachverhalts und dessen Wertung sei dem Beschwerdeführer die erkennungsdienstliche Behandlung aufzuerlegen, weil sie zur Vorbeugung weiterer strafbarer Handlungen erforderlich erscheine.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 566/1991, in der Fassung BGBl. I Nr. 13/2012 (SPG), lauten:

"Erkennungsdienstliche Behandlung

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich erscheint.

...

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

(5) Die Sicherheitsbehörden haben jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange erkennungsdienstliche Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung (§§ 73 und 74) bestehen. In den Fällen des § 75 Abs. 1 letzter Satz ist der Betroffene über die Verarbeitung seiner Daten in einer den Umständen entsprechenden Weise in Kenntnis zu setzen.

(6) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Namen, Geschlecht, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Namen der Eltern, Ausstellungsbehörde, Ausstellungsdatum und Nummer mitgeführter Dokumente, allfällige Hinweise über die Gefährlichkeit beim Einschreiten einschließlich sensibler Daten, soweit deren Verwendung zur Wahrung lebenswichtiger Interessen anderer notwendig ist und Aliasdaten eines Menschen (erkennungsdienstliche Identitätsdaten), den sie erkennungsdienstlich behandelt haben, zu ermitteln und zusammen mit den erkennungsdienstlichen Daten und mit dem für die Ermittlung maßgeblichen Grund zu verarbeiten. In den Fällen des Abs. 1 sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, eine Personsfeststellung vorzunehmen.

Verfahren

§ 77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.

(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.

(4) Steht die Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 65 Abs. 4 fest, so kann der Betroffene, wenn er angehalten wird, zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeführt werden."

Insoweit geltend gemacht wird, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil "eine Anordnung gesetzlich festgelegter Maßnahmen" fehle, ist zu erwidern, dass die Behörde - weil der Beschwerdeführer der formlosen Aufforderung gemäß § 77 Abs. 1 SPG nicht nachkam - dem Betroffenen die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 SPG bzw. zur Mitwirkung bescheidmäßig aufzuerlegen hatte.

Nach der oben dargelegten Rechtslage ermächtigt § 65 Abs. 1 SPG die Sicherheitsbehörden, Menschen, die im Verdacht stehen eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, unter weiteren Voraussetzungen erkennungsdienstlich zu behandeln. Diese Befugnis dient sicherheitspolizeilichen Zielsetzungen, nämlich der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe vorzubeugen. Sie ist gefährlichkeitsbezogen. Nach der dargelegten Rechtslage ist die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung - zusätzlich zu dem Verdacht einer mit Strafe bedrohten Handlung - an eine weiter hinzukommende Voraussetzung geknüpft: Der Betroffene muss entweder im Rahmen einer "kriminellen Verbindung" tätig geworden sein oder die erkennungsdienstliche Behandlung muss sonst aufgrund der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich erscheinen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2013/01/0006; und vom , Zl. 2011/01/0276).

Der Beschwerdeführer bestreitet, die vorgeworfenen strafbaren Handlungen begangen zu haben, es ist aber nicht strittig, dass er bei der Staatsanwaltschaft W zur Strafanzeige gebracht wurde und im Verdacht steht, die näher festgestellten Straftaten begangen zu haben. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten ist das gerichtliche Strafverfahren beim Landesgericht W anhängig.

Da die Sicherheitsbehörden gemäß § 65 Abs. 1 SPG ermächtigt sind, Menschen die im Verdacht stehen, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, hatte die Behörde weder festzustellen noch zu untersuchen, ob die im Verdachtsbereich vorgeworfenen Straftaten - die der Beschwerdeführer leugnet - von ihm begangen wurden.

Der Beschwerdeführer macht gegen die Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung geltend, sie sei "eineinhalb Jahre nach den angeblichen Straftaten" nicht erforderlich. Dass ein "Rückfall" zu erwarten sei, habe die Behörde nicht festgestellt. Welche "ähnliche Situation" die Behörde meine, gehe aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor. Zur geschiedenen Ehegattin (LM) habe er keinen Kontakt. Für befürchtete Repressalien im Zuge des Gerichtsverfahrens (insbesondere gegen LM) würden Anhaltspunkte fehlen.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde es nicht unterlassen, im angefochtenen Bescheid darzulegen, weshalb sie eine erkennungsdienstliche Behandlung für notwendig hält.

Wie im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/17/0053, dargelegt wurde, hält der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf den geänderten Gesetzestext und die damit verfolgte Absicht des Gesetzgebers, seine bisherige, zur früheren Rechtslage ergangene Rechtsprechung nicht aufrecht; daher geht er davon aus, dass im zweiten Fall des § 65 Abs. 1 SPG eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit, die an der verwirklichten Tat anknüpft, für die die Annahme ausreicht, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/17/0070; und vom , Zl. 2010/17/0065).

Eine derartige Annahme lässt sich der Begründung des angefochtenen Bescheides entnehmen. Zutreffend hat die belangte Behörde darauf verwiesen, dass die (im Verdachtsbereich angelastete) Tatbegehung eine minutiöse Planung erforderte und auf hohe kriminelle Energie des Beschwerdeführers schließen lasse. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie daraus sowie aus der Art und Ausführung der Tat ("private zwangsweise Abschiebung seiner damaligen Ehegattin LM nach Albanien") abgeleitet hat, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe (aus Rache oder niedrigen Beweggründen) erforderlich, lässt das Vorgehen bei der Tatausführung doch auf eine Persönlichkeitsstruktur schließen, die eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit für die Annahme der Behörde, der Beschwerdeführer werde in ähnlichen Situationen, insbesondere im Zuge eines Gerichtsverfahrens mit ähnlicher krimineller Energie strafbare Handlungen, insbesondere gegen Geschädigte (LM) begehen, indiziert.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG (in der hier gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 noch maßgeblichen Fassung, die bis zum Ablauf des in Geltung stand) abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am