Suchen Hilfe
VwGH vom 16.07.2014, 2013/01/0038

VwGH vom 16.07.2014, 2013/01/0038

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Beschwerde der Y M in W, vertreten durch Mag. Roland Schlegel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 35/IV-M 876/07 S, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Die Beschwerdeführerin hat am in Kairo die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger T.M.A.M. geschlossen; sie hält sich seit im Bundesgebiet auf und war bis zu ihrer Entlassung aus dem Staatsverband ägyptische Staatsangehörige.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführerin (mit Wirkung vom ) die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert.

Die Ehe der Beschwerdeführerin mit T.M.A.M. wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts D vom mit Wirkung vom rechtskräftig geschieden.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführerin mit Wirksamkeit desselben Tages die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 11a StbG verliehen.

Am Tag der Verleihung wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich befragt, wobei sie angab und mit ihrer Unterschrift bestätigte, dass sich an ihrem Familienstand nichts geändert habe und sie mit T.M.A.M. noch immer verheiratet sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom hat die belangte Behörde wie folgt entschieden:

"I. Das mit rechtskräftigem Bescheid vom ... abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren ... wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) ... in Verbindung mit § 69 Abs. 3 AVG von Amts wegen zum Zeitpunkt nach Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft aber vor Verleihung wieder aufgenommen.

II. Das Ansuchen der (Beschwerdeführerin) vom auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 StbG 1985, BGBl. Nr. 311/1985 i.d.F. BGBl. I 124/1998, abgewiesen."

Begründend führte die belangte Behörde - nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften - zu Spruchpunkt I. (Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens) im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe die Tatsache, dass sie am nicht mehr mit dem österreichischen Staatsbürger T.M.A.M . verheiratet gewesen sei, bewusst verschwiegen und sogar angegeben, nach wie vor mit diesem verheiratet zu sein. Sie habe dadurch den Verleihungsbescheid erschlichen. Die Beschwerdeführerin sei im Zuge des Verleihungsverfahrens mehrfach darüber belehrt worden, dass die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger eine wesentliche Tatsache im Verleihungsverfahren darstelle und dass jede Änderung in ihren persönlichen Verhältnissen unaufgefordert zu melden sei. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin bewusst gewesen sei, dass es im Verleihungsverfahren wesentlich auf den Bestand dieser Ehe ankomme. Die Behörde treffe kein Verschulden, weil auf Grund der Angaben der Beschwerdeführerin in der "Abschlussniederschrift" keine Veranlassung bestanden habe, am Bestehen der Ehe zu zweifeln.

Im Übrigen erachtete die belangte Behörde die Wiederaufnahme des Verfahrens im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH (Rs C- 135/08 - "Rottmann") aus näher genannten Erwägungen als nicht unverhältnismäßig.

Zu Spruchpunkt II. (Abweisung des Verleihungsantrages) führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen W vom rechtskräftig wegen Veruntreuung, versuchten Diebstahls und Urkundenunterdrückung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten, sowie mit Urteil desselben Gerichts vom wegen Betrugs und schweren Betrugs zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Das Ansuchen auf Verleihung der Staatsbürgerschaft sei daher wegen Vorliegens des Verleihungshindernisses des § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem VwGbk-ÜG handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

1. Rechtslage

§ 64a Abs. 4 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) in der Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006, lautet auszugsweise:

" In-Kraft-Treten und Übergangsbestimmungen

§ 64 a. (1) ...

...

(4) Verfahren auf Grund eines vor dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I. Nr. 37/2006 erlassenen Zusicherungsbescheides nach § 20 Abs. 1 sind nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der vor der durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 37/2006 geänderten Fassung zu Ende zu führen.

..."

Die maßgeblichen Bestimmungen des StbG idF der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lauten (auszugsweise):

" § 11a. (1) Einem Fremden ist unter den

Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 die

Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn

1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen

Haushalt mit ihm lebt,

2. die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne

Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,

3. ... und


Tabelle in neuem Fenster öffnen
4. a)
die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht oder
...

§ 20. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, dass er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn

...

(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

(3) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, ist zu verleihen, sobald der Fremde

1. aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder

2. nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder nicht zumutbar waren.

..."

2. Zur Wiederaufnahme des Verfahrens (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens im Stande nach Erlassung des Zusicherungsbescheides, aber vor der Erlassung des Verleihungsbescheides verfügt.

Im Beschwerdefall ist daher durch die Wiederaufnahme des Verfahrens der Verleihungsbescheid vom außer Kraft getreten und das Verwaltungsverfahren in das Stadium vor Erlassung dieses Bescheides zurückgetreten. Damit ist aber der vor In-Kraft-Treten der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle erlassene Zusicherungsbescheid vom , der mit Verleihung der Staatsbürgerschaft gegenstandslos geworden ist, wieder wirksam geworden. Das wiederaufgenommene Verfahren war daher gemäß § 64a Abs. 4 StbG nach den Bestimmungen des StbG idF der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, weiter zu führen (zur Anwendbarkeit des § 64a Abs. 4 StbG auch auf wiederaufgenommene Verfahren vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0212).

Nach § 20 StbG begründet eine Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft für einen Fremden einen nur noch durch den Nachweis des Ausscheidens aus dem fremden Staatsverband bedingten Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0130, mwN).

§ 20 Abs. 2 StbG "in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006", welcher den Widerruf der Zusicherung vorsah, wenn nach Erlassung des Zusicherungsbescheides eine Verleihungsvoraussetzung wegfällt, wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 154/10, mit Ablauf des als verfassungswidrig aufgehoben.

§ 20 StbG stand seit der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 unverändert in Geltung. Die durch die Aufhebung des Abs. 2 leg. cit. bereinigte Rechtslage ist sohin auch im Anwendungsbereich der (hier: nach § 64a Abs. 4 StbG maßgeblichen) Bestimmungen des StbG idF der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 von Bedeutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/0226).

Der Verfassungsgerichtshof hat in der Begründung des zitierten Erkenntnisses ausgeführt, dass § 20 Abs. 3 StbG nach der bereinigten Rechtslage nunmehr so zu lesen ist, dass der Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides für die Beurteilung des Vorliegens der Verleihungsvoraussetzungen bestimmend ist. Weiter heißt es darin: "Da es der Staatsbürgerschaftsbehörde auf Grund der bereinigten Rechtslage nach Aufhebung des § 20 Abs. 2 StbG verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Verleihungsvoraussetzungen abzusprechen, hat sie bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur noch darüber abzusprechen, ob der Staatsbürgerschaftswerber die gemäß § 20 Abs. 3 StbG vorgesehenen Erfordernisse erfüllt." (Rz. 31)

Mit Spruchpunkt I. des nunmehr angefochtenen Bescheides wurde - wie erwähnt - die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens im Stande vor Erlassung des Verleihungsbescheides verfügt. Dies wird allein damit begründet, die Beschwerdeführerin habe die belangte Behörde durch unrichtige Angaben im Verleihungsverfahren über das Vorliegen einer aufrechten Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger T.M.A.M. getäuscht, weil die Ehe zu diesem Zeitpunkt bereits rechtskräftig geschieden gewesen sei; sie habe dadurch die Verleihung der Staatsbürgerschaft im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG erschlichen.

Diese Auffassung entspricht nicht der im gegenständlichen Fall anzuwendenden bereinigten Rechtslage: Gemäß § 69 Abs. 3 AVG iVm § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG kann die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens verfügt werden, wenn ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Eine Erschleichung im Sinne dieser Bestimmung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn (u.a.) die Partei in Irreführungsabsicht unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht hat (vgl. (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/01/0156, mwN).

Auf Grund der bereinigten Rechtslage ist bei Vorliegen eines aufrechten Zusicherungsbescheides - wie im gegenständlichen Fall - bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur noch darüber abzusprechen, ob der Staatsbürgerschaftswerber die gemäß § 20 Abs. 3 StbG vorgesehenen Erfordernisse erfüllt. Selbst wenn die Beschwerdeführerin unrichtige Angaben zum Vorliegen einer Verleihungsvoraussetzung gemacht hat, kann darin vor dem Hintergrund der bereinigten Rechtslage keine Erschleichung in Bezug auf den Verleihungsbescheid erblickt werden, da danach das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Erlassung des Verleihungsbescheides keine Relevanz hat und es daher an dem für die Wiederaufnahme wesentlichen Merkmal unrichtiger Angaben zu wesentlichen Umständen mangelt. Nach der bereinigten Rechtslage ist im Falle der Erlassung eines Zusicherungsbescheides maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen der Zeitpunkt der Zusicherung der Verleihung, nicht jener der Erlassung des Verleihungsbescheides (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/01/0215).

Der angefochtene Bescheid erweist sich hinsichtlich seines Spruchpunktes I. aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig.

Zur Klarstellung sei im gegebenen Zusammenhang noch darauf hingewiesen, dass § 20 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2013 (wodurch § 20 Abs. 2 StbG in modifizierter Form mit Wirksamkeit vom wieder eingeführt wurde) nach Maßgabe des § 64a Abs. 4 StbG (bzw. mangels einer entsprechenden Rückwirkungsbestimmung) im Beschwerdefall nicht anzuwenden war.

3. Zur Abweisung des Antrags auf Verleihung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides)

Die Abweisung des Verleihungsantrages erweist sich aus den im erwähnten hg. Erkenntnis vom genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, als rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher auch im Umfang seines Spruchpunktes II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
NAAAE-77870