VwGH vom 24.10.2013, 2013/01/0036
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde des J in R, vertreten durch Dr. Herbert Eichenseder, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Auerspergstraße 2/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , Zl. UVS 20.3-27/2012-3, betreffend Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In seiner Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt an die belangte Behörde vom brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die Staatsanwaltschaft W habe am in einem näher bezeichneten Verfahren die Vorführung zur sofortigen Vernehmung des Beschwerdeführers von seinem Hauptwohnsitz in R nach W zum Sitz der Staatsanwaltschaft W angeordnet.
Gegen diese Anordnung der Vorführung zur sofortigen Vernehmung gemäß § 153 Abs. 3 StPO habe der Beschwerdeführer am bei der Staatsanwaltschaft W bzw. beim Landesgericht W Einspruch wegen Rechtsverletzung erhoben.
Mit der vorliegenden Maßnahmenbeschwerde an die belangte Behörde werde die überzogene, kostenaufwendige und letztlich gesetzwidrige Durchführung dieser Maßnahme und die Art und Weise der Amtshandlung gerügt. Das Landespolizeikommando N habe nämlich angeordnet, dass das "einfache, schlichte" Abholen des Beschwerdeführers von seinem Hauptwohnsitz in der Steiermark zu einer Vernehmung nach W durch vier Dienstfahrzeuge mit insgesamt 8 Kriminalbeamten durchzuführen sei, was in der Folge auch geschehen sei. Bei dieser Anordnung handle es sich um eine durch Verschwendung von Ressourcen, staatlichen Mitteln und der Arbeitszeit von ohnedies überlasteten Kriminalbeamten geprägte unverhältnismäßige Durchführung der staatsanwaltlichen Anordnung zum Nachteil des Beschwerdeführers. Die vom Landespolizeikommando N vorgebrachte Rechtfertigung, durch Verzicht auf Uniformen sei ohnedies schonend gegen den Beschwerdeführer vorgegangen worden, werde durch den auffälligen Konvoi von vier Dienstfahrzeugen in ihr Gegenteil verwandelt. Diese unnötige Auffälligkeit sei in einer für den Beschwerdeführer belastenden Art noch verstärkt worden, als die einschreitenden Kriminalbeamten nicht einmal den Versuch unternommen hätten, diskret vorzugehen.
Die belangte Behörde führte dazu in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, die Vorführung des Beschwerdeführers habe sich auf § 153 Abs. 3 erster Satz StPO gegründet. Gegen die Vorführung sei am im Sinne des § 106 Abs. 3 StPO Einspruch bei der Staatsanwaltschaft W bzw. beim Landesgericht W erhoben worden. Soweit der Beschwerdeführer eine Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme darin sehe, dass er durch vier Dienstfahrzeuge mit insgesamt acht Kriminalbeamten zu seiner Vernehmung nach W gebracht worden sei, wäre dies im Rahmen des Verfahrens nach § 106 StPO zu prüfen. Auch die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach § 5 StPO wäre im Verfahren nach § 106 StPO zu prüfen gewesen.
Eine eigenmächtige Durchführung der Maßnahme von Seiten der Sicherheitsbehörde bzw. ein Exzess der Maßnahme werde in der Beschwerde nicht behauptet. Die Art und Weise der Durchführung der Maßnahme auf Grund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft stelle dagegen nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde bei der belangten Behörde dar.
Daher sei die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen gewesen, weil der belangten Behörde keine Entscheidungskompetenz zukomme, die Art und Weise einer staatsanwaltlichen Anordnung der Vorführung zur sofortigen Vernehmung gemäß § 153 Abs. 3 erster Satz StPO durch Polizeiorgane zu überprüfen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate gemäß Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG und § 67a Abs. 1 Z 2 AVG über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (ausgenommen in Finanzstrafen des Bundes) in ihren Rechten verletzt zu sein. Werden solche behördlichen Akte in Durchführung richterlicher Befehle gesetzt, fallen sie nicht in den Bereich der Hoheitsverwaltung, sondern sie sind - solange die Verwaltungsorgane den ihnen durch den richterlichen Befehl gestellten Ermächtigungsrahmen nicht überschreiten - funktionell der Gerichtsbarkeit zuzurechnen. Bei offenkundiger Überschreitung des richterlichen Befehls liegt hingegen insoweit ein der Verwaltung zuzurechnendes Organhandeln vor.
Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die gesetzten Maßnahmen durch die gerichtliche Anordnung gedeckt waren. Ausgangspunkt einer entsprechenden Beurteilung ist der Wortlaut des richterlichen Befehls. Auch dessen Sinngehalt ist für die Auslegung von Bedeutung.
Die rechtliche Zurechnung des Vollzugshandelns zur Justizgewalt wird nicht schon dadurch unterbrochen, dass im Vollzug des richterlichen Befehls Gesetzwidrigkeiten hinsichtlich der bei einem solchen Akt zu wahrenden Förmlichkeiten unterlaufen. Durchbrochen wird der Auftragszusammenhang des Organhandelns zur richterlichen Gewalt nur durch solche Maßnahmen, die ihrem Inhalt und Umfang nach in der gerichtlichen Anordnung keine Deckung mehr finden (vgl. zu allem jüngst das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2013/04/0005, 0049 bis 0053, mit umfangreichen Nachweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes).
Ein "Exzess" liegt nach dieser Rechtsprechung daher nur bei einer offenkundigen Überschreitung des richterlichen Befehls vor (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Zl. B 619/12 u.a. sowie etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/01/0575).
2. Gleiches gilt nach der Rechtslage des § 106 Abs. 1 StPO in der Fassung BGBl. I Nr. 1/2011 für Anordnungen der Staatsanwaltschaft:
Gemäß § 106 Abs. 1 Z 2 StPO idF BGBl. I Nr. 1/2011 steht im Ermittlungsverfahren Einspruch an das Gericht jeder Person zu, die behauptet, durch (die) Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde (Hervorhebung durch den Verwaltungsgerichtshof).
Als Folge der Aufhebung der Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs. 1 StPO idF BGBl. I Nr. 19/2004 durch den Verfassungsgerichtshof (mit Erkenntnis vom , VfSlg. 19.281) ist nunmehr der Rechtsschutz gegen polizeiliche Zwangsakt geteilt. Während aus eigener Macht gesetzte Befehls- und Zwangsmaßnahmen der Kriminalpolizei zur Verwaltung zählen und damit der Kognitionsbefugnis der jeweiligen unabhängigen Verwaltungssenate unterliegen, ist kriminalpolizeiliches Handeln auf Basis einer - nicht offenkundig im Sinne eines Exzesses überschrittenen - staatsanwaltlichen Anordnung der Gerichtsbarkeit zuzurechnen (vgl. das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom , Zl. 11 Os 160/12g, 11 Os 161/12d, mwN auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes; vgl auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/01/0048, mwN, wonach Staatsanwälte nach Art. 90a B-VG Organe der Gerichtsbarkeit sind und daher von den Staatsanwälten zu besorgende Angelegenheiten nicht in den Aufgabenbereich des Verwaltungsgerichtshofes fallen).
3. Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid die Auffassung, sie sei für die Behandlung der vorliegenden Maßnahmenbeschwerde nicht zuständig, weil in dieser vom Beschwerdeführer nicht eine offenkundige Überschreitung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung im Sinn eines "Exzesses" behauptet wurde.
Die Beschwerde hält dieser Auffassung entgegen, der Beschwerdeführer habe in seiner Maßnahmenbeschwerde an die belangte Behörde durchaus einen solchen "Exzess" der Maßnahme selbst behauptet und bezieht sich hier auf § 5 Abs. 2 StPO. Das konkrete Vorgehen der Beamten vor Ort habe dem in dieser Bestimmung normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keineswegs entsprochen. Der überdimensionierte "Geleitschutz" für den Beschwerdeführer sei keinesfalls verhältnismäßig gewesen und habe unnötiges Aufsehen nicht vermieden sondern erregt.
Gemäß § 5 Abs. 2 StPO haben Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht unter mehreren zielführenden Ermittlungshandlungen und Zwangsmaßnahmen jene zu ergreifen, welche die Rechte der Betroffenen am geringsten beeinträchtigen. Gesetzlich eingeräumte Befugnisse sind in jeder Lage des Verfahrens in einer Art und Weise auszuüben, die unnötiges Aufsehen vermeidet, die Würde der betroffenen Person achtet und deren Rechte und schutzwürdige Interessen wahrt (Hervorhebung durch den Verwaltungsgerichtshof).
4. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die Durchführung der Anordnung der Staatsanwaltschaft W vom (der Vorführung zur sofortigen Vernehmung des Beschwerdeführers) entsprechend § 5 Abs. 2 StPO erfolgte. Wie sich nämlich aus dem Obgesagten ergibt, ist die Frage, ob eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verstoß gegen Bestimmungen dieses Gesetzes durchgeführt wurde, im Rahmen des Rechtsschutzes nach § 106 Abs. 1 StPO zu prüfen.
Für die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Behandlung einer Maßnahmenbeschwerde ist dagegen alleine maßgeblich, ob es zu einer Überschreitung der staatsanwaltlichen Anordnung im Sinne eines Exzesses gekommen ist. Nach dem Obgesagten ist für die Beurteilung, ob ein solcher "Exzess" vorliegt, der Wortlaut und der Sinngehalt der staatsanwaltschaftlichen Anordnung entscheidend. Von einem Exzess kann davon ausgehend nur bei Maßnahmen gesprochen werden, die ihrem Inhalt und Umfang nach in der staatsanwaltlichen Anordnung keine Deckung mehr finden.
Im Beschwerdefall ordnete die Staatsanwaltschaft W die Vorführung des Beschwerdeführers, wohnhaft an seinem (in der Anordnung näher bezeichneten) Hauptwohnsitz, zur sofortigen Vernehmung zum Sitz der Staatsanwaltschaft nach W an. Eine weitere Einschränkung bzw. Konkretisierung dieser Vorführung enthält die staatsanwaltschaftliche Anordnung nicht.
Wenn nun die Beschwerde vorbringt, die konkrete Durchführung dieser Anordnung sei unverhältnismäßig gewesen, so ist dem zu erwidern, dass eine allenfalls zu weit gefasste staatsanwaltschaftliche Anordnung zur Vorführung im gerichtlichen Rechtsmittelverfahren (nach § 106 Abs. 1 StPO) bekämpft hätte werden müssen (vgl. zu einem allenfalls zu weit gefassten richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl das zitierte hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2013/04/0005, 0049 bis 0053, Punkt 2.3.). Ein "Exzess" im obigen Sinne wird durch diese Behauptung in der Maßnahmenbeschwerde jedoch nicht aufgezeigt.
5. Da die belangte Behörde ihre Zuständigkeit zur Behandlung der vorliegenden Maßnahmenbeschwerde daher zu Recht verneint hat, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am