VwGH vom 28.11.2014, 2013/01/0013
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schweda, über die Beschwerde des Dr. T S, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtanwaltskammer (Plenum) vom , Zl. R11-027, betreffend Auftrag nach § 23 RAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Auftrag des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer zur Vorlage eines Verwendungszeugnisses für die von 1. Februar bis als Rechtsanwaltsanwärterin beschäftigte Frau Mag. T. keine Folge gegeben wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Tiroler Rechtsanwaltskammer hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Abteilung I des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 23 Rechtsanwaltsordnung (RAO) der Auftrag erteilt, innerhalb von 14 Tagen die für Frau Mag. T. ausgestellte Legitimationsurkunde an die Tiroler Rechtsanwaltskammer zurückzustellen sowie der Tiroler Rechtsanwaltskammer das Verwendungszeugnis für die in der Zeit von 1. Februar bis bei ihm als Rechtsanwaltsanwärterin beschäftigte Mag. T. vorzulegen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Vorstellung.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom hat das Plenum des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer der Vorstellung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben.
Begründend führte die belangte Behörde zur Aufforderung zur Vorlage des Verwendungszeugnisses im Wesentlichen aus, die praktische Verwendung des Rechtsanwaltsanwärters bei einem Rechtsanwalt sei gemäß § 2 RAO nur anrechenbar, soweit die Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt werde. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen könne nur vom ausbildenden Rechtsanwalt gegenüber der zuständigen Rechtsanwaltskammer bestätigt werden. Dem Einwand des Beschwerdeführers, der Einforderung eines Verwendungszeugnisses beim ausbildenden Rechtsanwalt fehle die gesetzliche Grundlage, sei die Frage entgegenzustellen: "wer sonst außer ihm kann die vom Gesetz geforderte Bestätigung über die Verwendung eines Mitarbeiters ausstellen, wenn nicht er selbst?". Die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Ausstellung eines Verwendungszeugnisses für die bei ihm beschäftigte Rechtsanwaltsanwärterin (Mag. T.) lasse sich "ohne weiteres aus § 2 RAO ableiten". Ohne Zurverfügungstellung des Verwendungszeugnisses wäre die Tiroler Rechtsanwaltskammer nicht in der Lage, die Eintragungsvoraussetzungen gemäß § 2 RAO für die Eintragung von Mag. T. in die Liste der Rechtsanwälte zu prüfen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser hat mit Erkenntnis vom , B 757/12-6, den angefochtenen Bescheid, soweit mit diesem der Vorstellung gegen die Verpflichtung zur Rückgabe der für Frau Mag. T. mit Beschluss des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer, Abteilung I, vom ausgestellten Legitimationsurkunde keine Folge gegeben wurde, aufgehoben und im Übrigen die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Die Beschwerde wurde insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Der Beschwerdeführer hat die (abgetretene) Beschwerde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom ergänzt. Er erachtet sich in dem Recht verletzt, ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Weisung (gemäß § 23 RAO) zur Vorlage eines Verwendungszeugnisses zu erhalten.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Da die vorliegende Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof noch vor dem dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten wurde, sind gemäß § 8 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des B-VG und des VwGG jeweils in der bis zum Ablauf geltenden Fassung weiter anzuwenden.
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung (RAO), RGBl. 96/1868 idF BGBl. I Nr. 111/2011 (§ 2), BGBl. I Nr. 141/2009 (§ 23) bzw. BGBl. I Nr. 141/2009 (§ 28) lauteten:
"§ 2.
(1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird; anrechenbar sind insoweit auch Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz. In den Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach den §§ 14a und 14b AVRAG oder nach dem Behinderteneinstellungsgesetz für begünstigte Behinderte sowie in den Fällen einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter-Karenzgesetz ist die Ausbildungszeit anzurechnen, auf die die Normalarbeitszeit herabgesetzt wurde.
(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs. 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens fünf Monate bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.
(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:
1. Zeiten einer an ein Studium des österreichischen Rechts (§ 3) anschließenden universitären Ausbildung bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn damit im Zusammenhang ein weiterer rechtswissenschaftlicher akademischer Grad erlangt wurde;
2. eine im Sinn des Abs. 1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist.
(4) Die praktische Verwendung kann frühestens vom erfolgreichen Abschluss eines Studiums des österreichischen Rechts (§ 3) an gerechnet werden. Eine mehrfache Berücksichtigung von Zeiten nach Abs. 1 bis 3 ist ausgeschlossen.
...
§ 23. (1) ...
(2) Die Rechtsanwaltskammer hat innerhalb ihres Wirkungsbereiches die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der der Rechtsanwaltskammer angehörenden Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter wahrzunehmen, zu fördern und zu vertreten. Dabei obliegt der Rechtsanwaltskammer insbesondere auch die Wahrung der Ehre, des Ansehens und der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltsstandes sowie die Wahrung der Rechte und die Überwachung der Pflichten ihrer Mitglieder.
...
§ 28. (1) Zu dem Wirkungskreise des Ausschusses gehören:
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a) | ...; |
b) | die Führung der Liste der Rechtsanwaltsanwärter, die Bestätigung der Rechtsanwaltspraxis, sowie die Ausfertigung der Legitimation zur Substituierung an dieselben und der Beglaubigungsurkunde für Kanzleibeamte (§ 31 Abs. 3 ZPO); |
..." | |
Die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA 1977), in der am kundgemachten Fassung, lauten auszugsweise: | |
"Art. V - Rechtsanwaltsanwärter | |
§ 32 | |
Der Rechtsanwalt hat dem bei ihm in praktischer Verwendung gemäß § 2 der Rechtsanwaltsordnung stehenden Rechtsanwaltsanwärter eine sorgfältige Ausbildung für den Beruf angedeihen zu lassen. | |
§ 33 |
(1) Die praktische Verwendung eines Rechtsanwaltsanwärters gemäß § 2 der Rechtsanwaltsordnung ist mit der hauptberuflichen Ausübung einer anderen Tätigkeit unvereinbar; eine nebenberufliche Tätigkeit bedarf der Zustimmung des Rechtsanwaltes.
(2) Die Rechtsanwaltskammern können die Zulässigkeit einer Nebenbeschäftigung des Rechtsanwaltsanwärters an ihre Zustimmung binden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die Nebenbeschäftigung nach Art oder Umfang dem Zweck der praktischen Verwendung des Rechtsanwaltsanwärters gemäß § 2 der Rechtsanwaltsordnung zu beeinträchtigen geeignet erscheint.
§ 34
Der Rechtsanwalt hat die Tätigkeit des Rechtsanwaltsanwärters gewissenhaft zu beaufsichtigen. Die Übernahme von Aufträgen auf Rechnung des Rechtsanwaltsanwärters ist unzulässig.
§ 35
Zeiten, in denen die praktische Verwendung des Rechtsanwaltsanwärters wegen gleichzeitiger Ausübung einer anderen Tätigkeit oder wegen ungenügender Beschäftigung beeinträchtigt war, dürfen weder vom Rechtsanwalt bestätigt noch vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer angerechnet werden.
§ 36
Der Rechtsanwalt hat den Rechtsanwaltsanwärter angemessen zu entlohnen; er darf mit ihm - ausgenommen in den Fällen des Art. IV - kein wie immer geartetes Beteiligungsverhältnis eingehen; überhaupt hat er alles zu unterlassen, was ihn in eine finanzielle Abhängigkeit vom Rechtsanwaltsanwärter bringen könnte."
Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, die (von 1. Februar bis ) als Rechtsanwaltsanwärterin beschäftigte Frau Mag. T. habe die Erfordernisse der Rechtsanwaltspraxis nicht erfüllen können, sie habe die vorgeschriebene Dienstzeit nicht einhalten können, und sie sei ihm nicht in der vorgeschriebenen Weise voll und ausschließlich zur Verfügung gestanden. Aus diesem Grund sei das Dienstverhältnis (zwischen ihm und Frau Mag. T.) gelöst worden. Das Verwendungszeugnis habe er nicht ausstellen können, weil der Inhalt der verlangten Urkunde nicht der Wahrheit entsprechen würde. Die Ausstellung einer falschen Urkunde hätte die belangte Behörde (Rechtsanwaltskammer) nicht verlangen und ihm die bekämpfte Weisung nicht erteilen dürfen. Für diese Weisung sei die belangte Behörde (auch) nicht zuständig gewesen. Aus § 2 Abs. 1 RAO folge nicht, dass der ausbildende Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer eine derartige Erklärung abgeben müsse. Notwendige Unterlagen seien vom Rechtsanwaltsanwärter vorzulegen; dazu zähle auch ein Verwendungszeugnis. Eine Verpflichtung des ausbildenden Rechtsanwaltes zur Ausstellung eines Verwendungszeugnisses bestehe nur gegenüber dem Rechtsanwaltsanwärter, nicht aber gegenüber der Rechtsanwaltskammer.
Die Beschwerde ist berechtigt.
Die belangte Behörde geht davon aus, der Beschwerdeführer sei gemäß § 2 RAO als ausbildender Rechtsanwalt verpflichtet, der Rechtsanwaltskammer für eine bei ihm beschäftigt gewesene Rechtsanwaltsanwärterin "das Verwendungszeugnis vorzulegen".
Die belangte Behörde verkennt dabei, dass sich im § 2 RAO für eine Verpflichtung des Beschwerdeführers, als Ausbildungsrechtsanwalt der Rechtsanwaltskammer ein "Verwendungszeugnis" vorzulegen, keine Grundlage findet.
Die Anrechnung von Verwendungszeiten nach § 2 RAO (ob die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt anrechenbar ist oder nicht) erfolgt durch einen Feststellungsbescheid der Rechtsanwaltskammer (vgl. hiezu etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1710/99, VfSlg. 15730).
Für die Verpflichtung des Beschwerdeführers als Ausbildungsrechtsanwalt der Rechtsanwaltskammer ein "Verwendungszeugnis" vorzulegen, ist auch in den RL-BA 1977 (vgl. insbesondere Art. V, §§ 32 bis 36) nichts zu finden, zumal § 35 dieser Richtlinien dem Ausbildungsanwalt eine derartige Verpflichtung (gegenüber der Rechtsanwaltskammer) nicht auferlegt.
Ob der Beschwerdeführer bei Beendigung des Dienstverhältnisses als Arbeitgeber verpflichtet war, auf Verlangen der Rechtsanwaltsanwärterin ein schriftliches Zeugnis über die Dauer und Art der Dienstleistung auszustellen, muss vorliegend nicht geprüft werden, weil selbst eine allfällige derartige Verpflichtung nicht Grundlage für den dem Beschwerdeführer erteilten Auftrag zur Vorlage eines Verwendungszeugnisses an die Rechtsanwaltskammer sein konnte (vgl. zum Anspruch auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses als Rechtsanwaltsanwärter das 8ObA 16/05v).
Die belangte Behörde hat somit hinsichtlich der Verpflichtung zur Vorlage eines Verwendungszeugnisses an die Rechtsanwaltskammer die Rechtslage verkannt.
Die angefochtene Bescheid war daher, soweit er nach der teilweisen Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof mit dem Erkenntnis B 757/12-6 weiterhin noch dem Rechtsbestand angehört, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Durchführung der vom Beschwerdeführer begehrten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte im Grunde des § 39 Abs. 1 Z. 3 und 6 VwGG unterbleiben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/06/0009).
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am