VwGH vom 23.10.2013, 2010/13/0134
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des Finanzamts Lilienfeld St. Pölten in 3100 St. Pölten, Daniel Gran-Straße 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1060-W/10, betreffend Einkommensteuer 2008 (mitbeteiligte Partei: M in E), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die in einem von Wien etwa 80 Straßenkilometer entfernten Ort wohnhafte Mitbeteiligte war von Februar bis Dezember 2008 bei ihrem früheren Vollzeit-Arbeitgeber in Wien im Ausmaß von einem Arbeitstag pro Woche teilzeitbeschäftigt, wobei sie zur Arbeitsstätte in Wien pendelte. In ihrer Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2008 beantragte sie für diese Monate mit dem Vorbringen, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr nicht zumutbar gewesen, die Berücksichtigung eines aliquotierten großen Pendlerpauschales in der Höhe eines Fünftels des "für 5 Tage pro Woche" vorgesehenen Betrages.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid gab die belangte Behörde diesem Antrag Folge.
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Finanzamts, die im Wesentlichen geltend macht, die Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sei bei nur einer Hin- und Rückfahrt pro Woche im monatlichen Lohnzahlungszeitraum nicht "überwiegend" zurückgelegt worden und ein Pendlerpauschale stehe daher nicht zu.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet. Die Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 in den für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassungen vor der Novelle BGBl. I Nr. 53/2013 gehörten zu den Werbungskosten u.a.
"6. Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt:
a) Diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs. 5) abgegolten.
b) Beträgt die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurücklegt, mehr als 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, dann werden zusätzlich als Pauschbeträge berücksichtigt:
Bei einer Fahrtstrecke von
20 km bis 40 km (...) Euro jährlich 40 km bis 60 km (...) Euro jährlich über 60 km (...) Euro jährlich
c) Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann werden anstelle der Pauschbeträge nach lit. b folgende Pauschbeträge berücksichtigt:
Bei einer einfachen Fahrtstrecke von
2 km bis 20 km (...) Euro jährlich 20 km bis 40 km (...) Euro jährlich 40 km bis 60 km (...) Euro jährlich über 60 km (...) Euro jährlich
Mit dem Verkehrsabsetzbetrag und den Pauschbeträgen nach lit. b und c sind alle Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten. Für die Inanspruchnahme der Pauschbeträge hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auf einem amtlichen Vordruck eine Erklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen der lit. b und c abzugeben. Der Arbeitgeber hat die Erklärung des Arbeitnehmers zum Lohnkonto (§ 76) zu nehmen. Änderungen der Verhältnisse für die Berücksichtigung dieser Pauschbeträge muß der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber innerhalb eines Monates melden. Die Pauschbeträge sind auch für Feiertage sowie für Lohnzahlungszeiträume zu berücksichtigen, in denen sich der Arbeitnehmer im Krankenstand oder auf Urlaub (Karenzurlaub) befindet. Wird der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend im Werkverkehr (§ 26 Z 5) befördert, dann stehen ihm die Pauschbeträge nach lit. b und c nicht zu. Erwachsen ihm für die Beförderung im Werkverkehr Kosten, dann sind diese bis zur Höhe der sich aus lit. b und c ergebenden Beträge als Werbungskosten zu berücksichtigen."
§ 77 Abs. 1 erster Satz EStG 1988 lautet:
"§ 77. (1) Ist der Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber im Kalendermonat durchgehend beschäftigt, ist der Lohnzahlungszeitraum der Kalendermonat."
Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Mitbeteiligte durchgehend beschäftigt war. Lohnzahlungszeitraum war daher der Kalendermonat. Strittig ist, ob ein Arbeitnehmer eine Fahrtstrecke im Kalendermonat "überwiegend zurücklegt", wenn dies nur einmal pro Woche geschieht und dies auf den geringen Umfang der Beschäftigung zurückzuführen ist.
2. Die Erwägungen der belangten Behörde gehen zu dieser im vorliegenden Fall noch anzuwendenden Rechtslage davon aus, dass der in § 16 Abs. 1 Z 6 lit. a EStG 1988 erwähnte Verkehrsabsetzbetrag bei der Mitbeteiligten - anders als dies bei bloß innerstädtischem Verkehr in der Regel der Fall sei - nicht ausreiche, um die Kosten ihrer Fahrten zur Arbeitsstätte abzudecken. Die Berücksichtigung solcher Kosten entspreche dem Leistungsfähigkeitsprinzip und sei "grundsätzlich in bestimmtem Umfang geboten".
Vier Auslegungen des Gesetzes scheinen der belangten Behörde im Zusammenhang mit der verfahrensgegenständlichen Streitfrage denkbar: Erstens ließe sich die Ansicht vertreten, die Fahrtstrecke müsse - abgesehen von den im Gesetz erwähnten Feiertagen sowie Zeiträumen eines Krankenstandes oder Urlaubs - an der überwiegenden Zahl von Kalendertagen des Monats zurückgelegt werden, womit auch Samstage und Sonntage in die Prüfung des Überwiegens einzubeziehen wären und ein Anspruch auf den Pauschbetrag meist nur bestünde, wenn an 16 oder mehr Tagen im Monat (bei gleichmäßiger Verteilung: an vier oder mehr Tagen in der Woche) gependelt werde. Diese Auffassung werde in Lehre und Spruchpraxis nicht vertreten. Nach einer zweiten, vorherrschenden Auffassung sei von einer Fünftagewoche und demnach 20 Arbeitstagen im Monat auszugehen, sodass der Pauschbetrag zustehe, wenn an 11 oder mehr Tagen im Monat (bei gleichmäßiger Verteilung: drei oder mehr Tagen in der Woche) gependelt werde. Die belangte Behörde habe in einer Entscheidung vom , RV/0221-W/07, eine davon abweichende dritte Auffassung vertreten, nach der es auf das jeweilige Arbeitsverhältnis ankomme. Bei einer Arbeitswoche von nur zwei Tagen oder - wie im vorliegenden Fall - nur einem Tag reiche es für das im Gesetz verlangte Überwiegen (zu ergänzen: und den Zuspruch des vollen Pauschbetrages) nach dieser Auffassung aus, wenn an den Tagen, die dem Arbeitsvertrag zufolge Arbeitstage seien, überwiegend gependelt werde. Schließlich sei einer vierten, von der Mitbeteiligten vertretenen Auffassung zufolge zwar von den tatsächlichen Arbeitstagen in dem betreffenden Arbeitsverhältnis auszugehen, dabei aber eine Aliquotierung vorzunehmen, die bei überwiegendem Pendeln in einem nur einen Arbeitstag pro Woche umfassenden Beschäftigungsverhältnis nur zum Zuspruch eines Fünftels des Pauschbetrages führe.
Keine dieser Auslegungen, so die belangte Behörde, sei dem Wortlaut nach zwingend. Zu bedenken sei aber, dass Teilzeitbeschäftigungen in den letzten zwanzig Jahren deutlich zugenommen hätten und die von der herrschenden Auffassung vertretene Auslegung übertragen auf frühere Fassungen des § 77 EStG 1988 - wie die belangte Behörde näher darlegte - zu unsachlichen Differenzierungen geführt hätte. Durch das Abstellen auf den Lohnzahlungszeitraum habe der Gesetzgeber nur zum Ausdruck gebracht, dass die Verhältnisse in den einzelnen Lohnzahlungszeiträumen und nicht die im gesamten Veranlagungsjahr maßgebend seien. Verwaltungspraxis und herrschende Meinung stellten beim Wechselschichtdienst auf die Schichttage ab, und zu § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 habe der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom , 2006/15/0001, VwSlg 8365/F, ausgeführt, "überwiegend" bedeute hier, dass an mehr als der Hälfte der tatsächlichen Arbeitstage im jeweiligen Lohnzeitraum die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels unzumutbar sein müsse. Diese zu einem Fall mit Vollzeitbeschäftigung getroffene Aussage sei nach Ansicht der belangten Behörde auf Teilzeitarbeitsverhältnisse übertragbar. Der belangten Behörde erscheine es auch inkonsequent, die "tatsächlichen Arbeitstage bei einer Fünftagewoche" für maßgebend zu halten, aber nicht auch bei einer Zwei- oder Dreitagewoche auf die tatsächlich zu leistenden Arbeitstage abzustellen. Dem Gesetzgeber sei nicht zu unterstellen, er habe geringfügig Beschäftigte "vom Pendlerpauschale gänzlich ausschließen" wollen, was im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz auch verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde.
Außendiensttage bei Außendienstmitarbeitern oder Telearbeitstage bei Telearbeitnehmern seien auch Arbeitstage und daher bei einer arbeitstagsbezogenen Interpretation in die Überwiegensprüfung einzubeziehen, wobei der Aufwand für den Arbeitsweg bei einem Außendienstmitarbeiter, der nur an einem Tag in der Woche Innendienst versehe, dem eines Arbeitnehmers vergleichbar sei, der wie die Mitbeteiligte nur an einem einzigen Arbeitstag in der Woche pendle. Dazu könne aber die Ansicht vertreten werden, dass die unterschiedliche Behandlung dem Gesetz entspreche. Im Gegensatz zu einem Teilzeitarbeitnehmer stehe es dem Vollzeitarbeitnehmer zumeist frei, auch an Außendienst- oder Telearbeitstagen "seinen Arbeitgeber aus beruflichen Gründen aufzusuchen und so eine überwiegende Pendelbewegung im Lohnzahlungszeitraum herbeizuführen".
Ausgehend davon, dass die Voraussetzung der "überwiegenden" Zurücklegung der Fahrtstrecke im Fall der Mitbeteiligten erfüllt sei, weil diese an ihrem einen Arbeitstag pro Woche stets pendle, erachtete die belangte Behörde jedoch - im Sinne der von ihr erwähnten vierten Auslegungsmöglichkeit - eine Aliquotierung des Pauschbetrages als geboten, weil "dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden" könne, er habe für eine Teilzeitbeschäftigung wie die der Mitbeteiligten "dieselbe pauschale Abgeltung" vorsehen wollen. Der Pauschbetrag orientiere sich auch an budgetären Möglichkeiten und laufe, wie die belangte Behörde näher darlegte, auf einen "versteckten Selbstbehalt für Pendler" hinaus, weshalb es "nicht den Intentionen des Gesetzgebers" entspräche, den Betrag in einer die tatsächlichen Kosten übersteigenden Höhe zu gewähren. Dies wäre "bei vereinbarten drei oder vier Arbeitstagen in der Woche" (gemeint: bei drei- oder viermaligem Pendeln pro Woche) noch nicht der Fall, weil hier die Kosten infolge Verwendung von Zeitkarten im öffentlichen Verkehr und aus anderen Gründen auch im Individualverkehr die Abgeltung durch Verkehrsabsetzbetrag und Pendlerpauschale noch in der Regel übersteigen würden. Bei einem Pendeln an nur zwei Tagen oder einem Tag pro Woche ergäbe sich aber eine deutliche Umkehrung dieses Verhältnisses.
Das Gesetz weise hier eine planwidrige Lücke auf, indem ihm "eine typische Vollzeitbeschäftigung im Rahmen einer 5-Tage-Woche zugrunde" liege, es aber an Vorschriften über eine Aliquotierung für den Fall einer davon abweichenden Arbeitszeitverteilung fehle. Bei "vereinbarten drei oder vier Arbeitstagen in der Woche" (gemeint: bei drei- oder viermaligem Pendeln pro Woche) bestehe aus den schon dargelegten Gründen "kein Anlass für eine Aliquotierung", während dies "bei einer geringeren Anzahl der Arbeitstage" (gemeint: bei seltenerem Pendeln) anders sei. Gehe man davon aus, dass der Gesetzgeber "im Rahmen der Pauschalbetrachtung den Minderaufwand nicht als unerheblich angesehen" habe, so bedürfe es daher der Lückenfüllung durch Aliquotierung.
2. Mit dem hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0147, wurde der von der belangten Behörde erwähnte Bescheid vom , RV/0221-W/07 (vgl. dazu Fröhlich , UFS 2008, 91 und 94; der dort dargestellte Fall ist freilich der eines anderen Bescheides), auf Grund der dagegen erhobenen Amtsbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hob diesen Bescheid nicht auf, weil für das Pendeln im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses mit (offenbar) nur zwei Arbeitstagen pro Woche der volle statt eines aliquotierten Pauschbetrages gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 gewährt worden war. Er verneinte das Vorliegen eines "überwiegenden" Pendelns zu der im Rahmen eines solchen Beschäftigungsverhältnisses (über das auch keine ausreichenden Feststellungen vorlagen) aufgesuchten, vom Wohnort etwa 125 km entfernten Arbeitsstätte. Der Arbeitnehmer stand noch in einem zweiten Dienstverhältnis, in dessen Rahmen er an jeweils drei anderen Tagen der Woche zu einer vom Wohnort etwa 25 km entfernten Arbeitsstätte pendelte und unstrittig Anspruch auf den dieser Entfernung entsprechenden Pauschbetrag gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 hatte. Für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes war der Gesichtspunkt, dass mehrere Dienstverhältnisse und in Summe fünf Arbeitstage pro Woche vorlagen, nicht ausschlaggebend. In dem Erkenntnis wurde ausgeführt, ein Fall, in dem im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mit nur zwei Arbeitstagen pro Woche an jedem Arbeitstag gependelt werde, sei aus gleichheitsrechtlichen Gründen nicht anders zu beurteilen als ein Fall, in dem bei fünf Arbeitstagen pro Woche nur an zwei Tagen die Arbeitsstätte aufgesucht werde. Der Bescheid war dem Erkenntnis zufolge rechtswidrig, weil die belangte Behörde für Wegstrecken, die "nur an zwei Kalendertagen in der Woche und somit nicht überwiegend im Kalendermonat zurückgelegt" worden waren, einen Pauschbetrag gewährt hatte.
3. Wollte man versuchen, ein gleichheitswidriges Ergebnis auf dem Boden der hier noch anzuwendenden Rechtslage im Sinne der von der belangten Behörde behaupteten vierten Auslegungsmöglichkeit durch die Gewährung nur eines Bruchteils des im Gesetz normierten Pauschbetrages zu vermeiden, so müsste von der im Erkenntnis vom vertretenen Rechtsansicht daher abgegangen werden (vgl. in diesem Sinn auch Kühbacher in ÖStZ 2011, 382, der für den vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall einer Kumulierung von Teilzeitbeschäftigungen zu einer anderen Lösung kommt). Dazu besteht schon aus den in dem Erkenntnis vom dargelegten Gründen kein Anlass, weil die Gewährung aliquotierter Pauschbeträge bei nicht überwiegendem Pendeln im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung nach der hier noch maßgeblichen Regelung, die kein Pendlerpauschale ohne "überwiegendes" Pendeln kannte, nicht möglich war. Das Ergebnis wäre - anders als nach der Neugestaltung der Regelung durch die Novelle BGBl. I Nr. 53/2013, die die Gewährung von Teilen des Pauschbetrages nicht nur für Teilzeitbeschäftigte vorsieht - eine Ungleichbehandlung der nach dem Erkenntnis vom zu vermeidenden Art. Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am