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VwGH vom 24.04.2012, 2008/11/0066

VwGH vom 24.04.2012, 2008/11/0066

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der LL in W, vertreten durch Dr. Michael Lesigang, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 14-16/8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FSG/54/7792/2007-4, betreffend Aufforderung zur Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 24 Abs. 4 FSG aufgefordert, die zur Erstellung eines amtsärztlichen Gutachtens erforderliche verkehrspsychologische Stellungnahme gemäß § 5 Abs. 2 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung (FSG-GV) binnen acht Wochen nach Zustellung dieses Bescheides beizubringen. Bei Nichterfüllung dieses Auftrages müsse ihr die Lenkberechtigung entzogen werden.

In der Begründung wurde nach der auszugsweisen Wiedergabe des § 24 FSG lediglich darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin auf Grund der am durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung aufgefordert worden sei, eine verkehrspsychologische Stellungnahme zur Erstellung des amtsärztlichen Endgutachtens beizubringen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge, änderte jedoch den erstinstanzlichen Bescheid dahin ab, dass die verkehrspsychologische Stellungnahme zur Frage der "kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit" der Beschwerdeführerin beizubringen sei.

In der Begründung stellte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgebenden Rechtsvorschriften zunächst die "Vorgeschichte" dar: Die Beschwerdeführerin sei mit Bescheid der belangten Behörde vom gemäß § 24 Abs. 4 FSG aufgefordert worden, sich binnen zweiwöchiger Frist einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Nach absolvierter amtsärztlicher Untersuchung sei die Beschwerdeführerin mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom (abermals gemäß § 24 Abs. 4 FSG) aufgefordert worden, den zur Erstellung eines amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befund eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie binnen gesetzter Frist beizubringen.

Daraufhin habe die Beschwerdeführerin folgende fachärztliche Stellungnahme des Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom vorgelegt:

" FACHÄRZTLICHE STELLUNGNAHME

(Die Beschwerdeführerin), geb. (….) wurde am von mir untersucht. Die Identität wurde durch einen amtlichen Lichtbildausweis bestätigt (FS ….).

Anamnese (lt. subjektiven Angaben des Untersuchten):

Sie sei in Kärnten aufwachsen, habe die Pflichtschule besucht. Dann habe sie eine Modeschule besucht, führte ein Geschäft, war selbständig, wanderte nach Australien aus. Seit 1994 lebe sie wieder in Österreich. Seit 2001 sei sie freiberuflich. Sie sei geschieden, lebe alleine.

Sie sei nie schwer krank gewesen, nie in nervenärztlicher Behandlung. 2006 kam es zu einem Streit mit 1 Nachbar. Die Frau des Nachbarn sei eifersüchtig gewesen. Wegen angeblicher Bedrohung kam es zu einer Einleitung eines Strafverfahrens, welches aber am eingestellt wurde.

Seit Mai 2006 sei es mit den Nachbarn zu keinen Streitigkeiten gekommen. Im Straßenverkehr sei sie nicht auffällig gewesen, regelmäßiger Alkohol oder Drogenkonsum wird verneint.

Neuropsychiatrischer Status:

HN frei, Optomotorik unauff., OE Kraft seitengleich, MER seitengleich mittellebhaft, Koordination intakt, UE Kraft seitengleich, MER seitengleich mittellebhaft, Koordination intakt, PyZ neg., front.Zeichen neg., Sensibilität allseits intakt. Allseits orientiert, Auffassung adäquat, Mnestik alt und neu unauffäll., Stimmungslage ausgeglichen, keine affektive Labilität, in beiden Skalenbereichen affizierbar, keine Ein- und Durchschlafstörungen, keine prod. Symptome

Aus der Erkrankung resultierende Behinderungen: keine Auswirken auf das Lenken von Kraftfahrzeugen: keine Psychologischer Test: : ausreichende

Verkehrsanpassung

Diagnose: keine

Das Lenken eines KFZ kann ohne Kontrollfrist befürwortet werden, da derzeit keine neurologisch-psychiatrische Erkrankung besteht."

In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, der zitierte, von der Beschwerdeführerin vorgelegte fachärztliche Befund vom sei "unvollständig und daher in seinem Ergebnis auch nicht schlüssig und nachvollziehbar". Einerseits mangle es an der in der FSG-GV geforderten Mitberücksichtigung der (aktuellen) kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen, wobei der Beschwerdeführerin jedoch zu Gute zu halten sei, dass ihr mit dem genannten Aufforderungsbescheid vom lediglich die Beibringung eines neurologisch/psychiatrischen Facharztbefundes gemäß § 3 FSG-GV aufgetragen worden sei, ohne dass diese Aufforderung eine Einbeziehung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen verlangt habe.

Andererseits könne der vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme auch keine Auseinandersetzung "mit der auffälligen Vorgeschichte " der Beschwerdeführerin und den in der Vergangenheit eingeholten fachärztlichen Befunden vom und vom (eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Befunden erfolgt im angefochtenen Bescheid nicht) entnommen werden. Daher könne der von der Beschwerdeführerin vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme keine Aussage entnommen werden, wie weit sich der "ohne Frage in der Vergangenheit auffällige psychische Gesundheitszustand" der Beschwerdeführerin, welche "laut dem Akteninhalt ... offensichtlich auch zeitweise an Verwirrungszuständen leidet und zu immer wiederkehrendem Alkoholmissbrauch neigt", aktuell auf ihr Fahrverhalten im Verkehr auswirken könne.

Die geschilderte Unvollständigkeit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme in Bezug auf das Vorliegen der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit rechtfertige nach Ansicht der belangten Behörde aber noch nicht, von der Beschwerdeführerin eine verkehrspsychologische Stellungnahme auch zur Frage ihrer Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zu verlangen. Ein Mangel der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung sei bei der Beschwerdeführerin nach Ansicht der belangten Behörde nicht indiziert (wird auf S. 8/9 des angefochtenen Bescheides näher ausgeführt), sodass der erstinstanzliche Spruch diesbezüglich einzuschränken gewesen sei.

Soweit die gegenständliche Aufforderung zur Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme die Frage der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin betreffe, meinte die belangte Behörde, dass diese Aufforderung zwar nicht auf den (im erstinstanzlichen Bescheid als Rechtsgrundlage angeführten) § 5 Abs. 2 FSG-GV, der auf eine schwere psychische Erkrankung iSd § 5 Abs. 1 Z. 4 lit. a und b FSG-GV (Alkoholabhängigkeit oder andere Abhängigkeiten) verweise, gestützt werden könne, weil es an konkreten Feststellungen für das Vorliegen einer solchen Abhängigkeit bei der Beschwerdeführerin fehle. Jedoch rechtfertigten "die aktenkundigen Auffälligkeiten im Zusammenhang mit einer festgestellten Alkoholisierung" der Beschwerdeführerin zumindest "den Verdacht der Alkoholabhängigkeit". Bei einem bloßen Verdacht betreffend u. a. eine Alkoholabhängigkeit sei von der betreffenden Person jedoch gemäß § 14 Abs. 1 (zweiter Satz) FSG-GV eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme beizubringen. Der von der Beschwerdeführerin bereits beigebrachte psychiatrische Befund wäre daher infolge der angeführten Unvollständigkeit und daher Unschlüssigkeit durch den Facharzt entsprechend zu ergänzen, wobei - so die belangte Behörde abschließend - "die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen im Wege einer verkehrspsychologischen Untersuchung erhoben und anschließend in den fachärztlichen Befund miteinbezogen werden können".

Nach dem Gesagten sei daher der erstinstanzliche Bescheid insofern abzuändern gewesen, als die von der Beschwerdeführerin beizubringende verkehrspsychologische Stellungnahme nur den Aspekt der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen zu erfassen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde unter gleichzeitigem Verzicht auf eine Gegenschrift die Verwaltungsakten vorgelegt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In ihrer Beschwerde verweist die Beschwerdeführerin auf das bereits im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/11/0019, wonach ein Aufforderungsbescheid gemäß § 24 Abs. 4 FSG nur dann erlassen werden dürfe, wenn begründete Bedenken bestünden, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitze. Ein Aufforderungsbescheid wäre daher gegenständlich nur dann rechtmäßig, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht vorlägen, der Beschwerdeführerin mangle es an der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Die Begründung des angefochtenen Bescheides lasse jedoch, ebenso wie die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, nicht einmal ansatzweise erkennen, welcher Sachverhalt Bedenken an der gesundheitlichen Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen erwecke. Auch die im angefochtenen Bescheid datumsmäßig genannten fachärztlichen Befunde vom und vom böten keine Anhaltspunkte für solche Bedenken, weil der erstgenannte Befund bereits mehrere Jahre alt sei, und der fachärztliche Befund vom im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Begehung einer Sachbeschädigung durch die Beschwerdeführerin erstellt worden sei, somit der erforderliche Zusammenhang mit Verkehrsdelikten fehle. Beide Befunde seien überdies durch die aktuellere, von der Beschwerdeführerin beigebrachte fachärztliche Stellungnahme des Dr. S. vom entkräftet, nach der überhaupt keine Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen bestünden.

Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist die auf § 24 Abs. 4 FSG gestützte Aufforderung der Beschwerdeführerin, zum Zwecke der Erstellung eines amtsärztlichen Gutachtens eine verkehrspsychologische Stellungnahme hinsichtlich der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin beizubringen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0052, ausführlich mit den Voraussetzungen einer Aufforderung zur Vorlage einer verkehrspsychologische Stellungnahme auseinander gesetzt. Da die in diesem Erkenntnis wiedergegebenen Rechtsvorschriften im Wesentlichen unverändert auch für den vorliegenden Beschwerdefall maßgebend sind, kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen dieses Erkenntnisses und die dort zitierten Bestimmungen des FSG und der FSG-GV verwiesen werden.

Im zitierten Erkenntnis Zl. 2009/11/0052 (vgl. dort Punkt 2.3.1.) hat der Verwaltungsgerichtshof unter anderem klargestellt, dass nach der Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 1 Z. 3 FSG-GV eine verkehrspsychologische Untersuchung aus der Prüfung der kraftfahrspezifischen verkehrspsychologischen Leistungsfähigkeit und der Untersuchung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung besteht (im vorliegenden Beschwerdefall geht es nach dem angefochtenen Bescheid nur mehr um die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin).

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 24 Abs. 4 FSG sind, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis unter Verweis auf die Vorjudikatur weiter dargelegt hat, begründete Bedenken in der Richtung, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Derartige Bedenken sind in einem Aufforderungsbescheid - nachvollziehbar - darzulegen. Nichts deutet darauf hin, so der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis, dass an die Voraussetzungen für die Aufforderung zur Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme geringere Anforderungen zu stellen wären. Daher sei ein Auftrag zur Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme nur dann zulässig, wenn - iSd § 24 Abs. 4 FSG - begründete Bedenken an der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit (oder an der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung) dargelegt würden. Bloße Hinweise der Führerscheinbehörde auf ein diesbezügliches "Verlangen" des Amtsarztes reichten für solche Bedenken nicht.

Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht:

Im vorliegenden Beschwerdefall hat die belangte Behörde zum Bestehen begründeter Bedenken iSd § 24 Abs. 4 FSG auf einen "in der Vergangenheit auffälligen psychischen Gesundheitszustand" der Beschwerdeführerin hingewiesen und lediglich ausgeführt, die Beschwerdeführerin leide "offensichtlich auch zeitweise an Verwirrungszuständen" und neige "zu immer wiederkehrendem Alkoholmissbrauch", wobei sie auch auf "aktenkundige Auffälligkeiten im Zusammenhang mit einer festgestellten Alkoholisierung" der Beschwerdeführerin verwies. Ein konkretes Tatsachensubstrat, auf das die belangte Behörde die genannten Annahmen stützt, wird im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt. Mangels näherer Sachverhaltsfeststellungen sind die Ausführungen der belangten Behörde daher nicht geeignet, begründete Bedenken an der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nachvollziehbar darzulegen.

Dass bei der Beschwerdeführerin keine Alkoholabhängigkeit im Sinne der zuvor zitierten Judikatur besteht, hat auch die belangte Behörde (in Übereinstimmung mit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme vom ) angenommen, und ist daher insoweit zutreffend davon ausgegangen, die gegenständliche Aufforderung zur Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahmelasse lasse sich nicht auf den (im erstinstanzlichen Bescheid zitierten) § 5 Abs. 2 (letzter Satz) iVm § 5 Abs. 1 Z. 4 lit. a oder b FSG-GV stützen.

Wenn aber die belangte Behörde meint, der (bloße) Verdacht der Alkoholabhängigkeit der Beschwerdeführerin rechtfertige im vorliegenden Fall gemäß § 14 Abs. 1 FSG-GV eine psychiatrische fachärztliche Stellungnahme und (zur Erstellung derselben) eine verkehrspsychologische Untersuchung der Beschwerdeführerin im Hinblick auf deren kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit, so ist diese Argumentation schon deshalb nicht tragfähig, weil der angefochtene Bescheid auch kein konkretes Tatsachensubstrat für den Verdacht der Alkoholabhängigkeit der Beschwerdeführerin enthält.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
JAAAE-77799