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VwGH vom 21.02.2013, 2012/23/0040

VwGH vom 21.02.2013, 2012/23/0040

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/214.422/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, wegen des Eingehens einer sogenannten Aufenthaltsehe gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

In ihrer Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine am in der Türkei mit der österreichischen Staatsbürgerin BY. geschlossene Ehe bei der Österreichischen Botschaft in Ankara die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" beantragt habe. Dieser Aufenthaltstitel sei ihm - nach ergebnislosen Scheineheerhebungen - erteilt worden. Nur kurz vor der gegenständlichen Eheschließung, nämlich am , sei BY. von einem türkischen Staatsangehörigen geschieden worden; die Vorehe des Beschwerdeführers mit einer Türkin sei am geschieden worden. Mittlerweile sei auch die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und BY. wieder einvernehmlich geschieden worden.

Die belangte Behörde stützte ihre Feststellung, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit der Österreicherin geschlossen und sich für die Erteilung des Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen habe, ohne mit ihr ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben, auf Berichte der Erstbehörde vom und vom über Hauserhebungen sowie die Ergebnisse der niederschriftlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers und seiner vormaligen Ehefrau. So habe der das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestreitende Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am - zusammengefasst - angegeben, dass er seine Ehefrau im April 2004 über das Internet kennengelernt habe. Nachdem er so zwei Monate mit ihr Kontakt gehalten habe, habe er ihr schließlich über das Internet einen Heiratsantrag gemacht. Im Juni 2004 sei sie für die Eheschließung in die Türkei geflogen. Alle dafür "notwendigen Papiere" habe sie bereits mitgehabt. Er sei deshalb so rasch nach seiner Scheidung neuerlich die Ehe eingegangen, weil er nach der Trennung von seiner ersten Ehefrau so schnell wie möglich die Türkei habe verlassen wollen. Demgegenüber habe die ehemalige Ehefrau des Beschwerdeführers am angegeben, dass sie den Beschwerdeführer im Juni 2004 während einer Urlaubsreise kennengelernt habe. Damals habe sie die Ehe als "Liebesheirat" bezeichnet. Bei ihrer Einvernahme am habe sie hingegen angegeben, dass es sich um eine Aufenthaltsehe handle, die von einem I, einem Bekannten ihrer Freundin KA., die ebenfalls eine Aufenthaltsehe mit einem türkischen Staatsangehörigen eingegangen sei, vermittelt worden sei. Ihr sei Geld versprochen, jedoch nicht bezahlt worden. Sie habe nur eine Woche mit ihrem Ehemann zusammengelebt, die Ehe sei jedoch nie vollzogen worden. Ihren Ehemann habe sie zum ersten Mal am Flughafen in der Türkei gesehen, wohin sie mit dem Vermittler geflogen sei, der auch den Flug bezahlt habe. Ihre Aussage vom sei mit dem Vermittler vereinbart gewesen.

In ihrer Beweiswürdigung sah die belangte Behörde keinen Anlass, an der Richtigkeit der Aussage von BY. zu zweifeln. Während diese "aus einer Nichtigerklärung" keinen Nutzen ziehen könne, habe der Beschwerdeführer ein massives Interesse daran, das Eingehen einer sogenannten Scheinehe zu dementieren, sichere ihm die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin doch das weitere Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet sowie den freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Wenn der Beschwerdeführer die Angaben seiner vormaligen Ehefrau bei ihrer ersten Einvernahme als glaubwürdig bezeichne, übersehe er, dass sie damals eine völlig andere Darstellung des Kennenlernens geboten habe als er. Während sie den Beschwerdeführer als "Urlaubsbekanntschaft" bezeichnet habe, behaupte er ein Kennenlernen über das Internet. Angesichts der nachvollziehbaren und glaubwürdigen Aussage seiner vormaligen Ehefrau sowie der übrigen Erhebungen seien die Angaben des Beschwerdeführers daher als "bloße Schutzbehauptungen" zu werten.

Ausgehend von den getroffenen Feststellungen sah die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG als erfüllt an, was eine schwer wiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Zwar sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung von Aufenthaltsehen, dringend geboten sei. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt Fremder regelnden Vorschriften und deren Befolgung komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu, sodass ein hohes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Aufenthaltsehen bestehe. Dagegen habe der Beschwerdeführer gravierend verstoßen. Die belangte Behörde beurteilte somit die Erlassung des Aufenthaltsverbots nach ihrer Interessenabwägung gemäß § 66 FPG als dringend geboten. Der Beschwerdeführer habe nur auf Grund der durch seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und die damit verbundene bevorzugte Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz einer unselbständigen Beschäftigung nachgehen können. Die durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet erzielte Integration werde durch das Eingehen einer Scheinehe wesentlich gemindert. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden somit keinesfalls schwerer wiegen als die öffentlichen Interessen an der Erlassung dieser Maßnahme. Besondere, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechende Umstände seien nicht gegeben, weshalb von der Erlassung des Aufenthaltsverbots auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand zu nehmen sei.

Abschließend begründete die belangte Behörde die Dauer der verhängten Maßnahme näher damit, dass ein Wegfall des für die Erlassung dieses Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums erwartet werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Jänner 2010) geltende Fassung.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG hat als bestimmte - eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende - Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheins auf diese Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geführt hat.

Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme, dass eine Aufenthaltsehe vorgelegen sei, und bringt gegen die zu Grunde liegende Beweiswürdigung vor, dass die belangte Behörde auch die Aussage des Beschwerdeführers hätte berücksichtigen müssen. Die belangte Behörde habe sich lediglich auf die Angaben der Ehefrau des Beschwerdeführers gestützt, die ihre Aussage jedoch geändert habe. Im Gegensatz dazu habe der Beschwerdeführer unverändert - und deshalb glaubwürdig - ausgesagt. Die spätere Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers sei darauf zurückzuführen, dass sie nach einer Ehekrise bemüht gewesen sei, zu einer "möglichst billigen Scheidung oder Auflösung der Ehe" zu gelangen.

Mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerde nicht, eine Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufzuzeigen. Die Ausführungen lassen nämlich gänzlich außer Acht, dass die belangte Behörde ihre Feststellungen nicht bloß auf die (zweite) Aussage der vormaligen Ehefrau des Beschwerdeführers stützte. Auch nach den Hauserhebungen lag ein gemeinsamer Haushalt zwischen den Eheleuten ebenfalls nicht vor. Diesen Ergebnissen wird in der Beschwerde nicht mehr entgegengetreten. Zu Recht wies die belangte Behörde aber auch darauf hin, dass das Kennenlernen von den Eheleuten bereits ursprünglich divergierend dargestellt wurde. So gab die ehemalige Ehefrau des Beschwerdeführers nicht - wie die Beschwerde meint - an, dass sie den Beschwerdeführer im Urlaub "näher" kennengelernt habe, nachdem bereits über das Internet eine Beziehung bestanden habe, sondern stellte sie ihn damals ausschließlich als "Urlaubsbekanntschaft" dar.

Die beweiswürdigende Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen, ohne mit seiner Ehegattin ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben, begegnet im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , VwSlg. Nr. 11.894 A/1985) somit keinen Bedenken. Davon ausgehend ist auch die Beurteilung der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass weder ein Ehenichtigkeitsverfahren eingeleitet noch die Ehe durch ein Gerichtsurteil für nichtig erklärt worden sei, ist ihr zu entgegnen, dass die Nichtigerklärung einer Ehe gemäß § 23 Ehegesetz keine Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens einer Scheinehe darstellt. Ferner ist für diese Beurteilung ohne Relevanz, aus welchen Gründen die Staatsanwaltschaft von der Erhebung einer Nichtigkeitsklage Abstand genommen hat (vgl. zu all dem das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0327, mwN).

Der bloße Umstand, dass - wie die Beschwerde ausführt - "trotz Bestehens von Zweifeln an der Echtheit der Ehe" zunächst eine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden war, steht der späteren Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht entgegen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0186, mwN).

Der Beschwerdeführer erachtet weiters die von der belangten Behörde durchgeführte Interessenabwägung nach § 66 FPG als rechtswidrig. Diesbezüglich verweist er darauf, dass seine Ehe vor etwa sechs Jahren abgeschlossen worden sei und er sich seit dem Jahr 2004 im Bundesgebiet aufhalte. Er habe gegen keine österreichische Strafbestimmung verstoßen und sei zu keiner Zeit eine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft geworden. Er lebe in einer auf seine Person lautenden Hauptmietwohnung und gehe seit 2004 einer Beschäftigung nach. Er spreche gut Deutsch und sei gesellschaftlich und sozial integriert.

Mit diesem Vorbringen gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Zwar ist der Beschwerde einzuräumen, dass die fallbezogenen Erwägungen im Rahmen der Interessenabwägung im angefochtenen Bescheid eingehender zum Ausdruck hätten gebracht werden können. Darin ist jedoch im vorliegenden Fall kein relevanter Begründungsmangel zu erblicken, ging die belangte Behörde auf Grund der auch in der Beschwerde angeführten Umstände erkennbar ohnedies von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das "Privat- und Familienleben" des Beschwerdeführers aus. Die belangte Behörde durfte ihrer Entscheidung aber auch zu Grunde legen, dass die aus dem (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides knapp sechsjährigen) Aufenthalt des Beschwerdeführers und seiner Erwerbstätigkeit resultierenden Aspekte einer Integration dadurch als gemindert anzusehen sind, dass sie ganz wesentlich auf eine verpönte Aufenthaltsehe zurückzuführen waren. Insofern kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nicht schwerer wiegen würden als das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbots. An dieser Einschätzung vermag auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf seine guten Deutschkenntnisse und seine - nicht näher präzisierte - gesellschaftliche und soziale Integration nichts zu ändern.

Soweit der Beschwerdeführer meint, die belangte Behörde hätte zu seinem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld und zu seinen Verwandten im Bundesgebiet weitere Erhebungen (u.a.) durch " Befragung der Freunde der Familie und Verwandte" durchzuführen gehabt, fehlt es diesem Beschwerdevorbringen schon an der erforderlichen Relevanzdarstellung. Entgegen der Beschwerdeansicht ist der angefochtene Bescheid im Übrigen auch ausreichend begründet.

Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, weshalb die belangte Behörde in ihrer Beurteilung zum Ergebnis hätte kommen müssen, ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes sei bereits vor Verstreichen der festgesetzten Gültigkeitsdauer zu erwarten gewesen.

In der Beschwerde werden schließlich auch keine ausreichenden Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
PAAAE-77797